Unkommentierte Düfte No. 83
Sine die, eine im Englischen und wohl auch Französischen geläufige Floskel für "auf unbestimmte Zeit", vermutlich aus dem Lateinischen (sinngemäß: ohne einen / den Tag) abgeleitet, ist im Deutschen unbekannt. Angezogen haben mich Assoziationen von Zeitlosigkeit, von Sorglosigkeit und von sommerlicher Leichtigkeit. Der Wunsch etwas vertagen zu können, möglichst auf unbestimmte Zeit, bleibt für mich (und sicherlich für die meisten von uns) ein unerfüllter Traum. Umso schöner davon zu träumen, möglichst mit einem Duft, der diese Konnotation im Namen und im Versprechen in sich trägt.
Da mir überdies die Marke sympathisch ist, mir fast alle LM's gefallen, obwohl es letztlich noch keiner in meine Sammlung geschafft hat, da mir zumeist größere oder kleinere Abfüllungen ausreichen, die Inhaltsstoffe Feige, Veilchen, Grapefruit und Leder fast immer zusagen, war ein Kommentar zu diesem Duft naheliegend.
Zunächst einmal kann man schon beim ersten Test festhalten, dass die o.g. Inhaltsstoffe fast alle gut erkennbar sind. Grapefruit springt dir ins Gesicht, beißt dich mit ihrer Säure ein bisschen in die Nase und hält sich erstaunlich gut über einen längeren Zeitraum auf der Haut. Nicht allen gefällt Grapefruit in Düften, da sie oft etwas Animalisches, Fleischliches hat, ähnliches sagt man ja auch der schwarzen Johannisbeere nach, mir persönlich gefällt das aber, ähnlich wie auch Castoreum oder Zibet je nach Dosierung als unangenehm oder angenehm wahrgenommen werden. Bei Sine Die sollte die Toleranzschwelle gegenüber Grapefruit allerdings schon recht hoch sein, und wer Probleme mit Düften wie Citrus Paradisi von Czech & Speake hat, wird auch Sine Die nicht unbedingt mögen.
Gemildert wird die wuchtige Säure allerdings durch die grüne Süße (besser kann ich es nicht formulieren) der Feige, die den kratzigen Anfangseindruck schnell herunterdimmt und zu einer ausgewogenen Balance führt. Wohlgemerkt: ausgewogen, nicht harmonisch. Denn harmonisch ist dieser Duft in keiner Weise, sondern immer eine kleine, aber feine Herausforderung, die mir immer besser gefällt, je öfter ich ihn teste und je länger ich ihn trage. Klar ist natürlich auch, dass der Duft nach einiger Zeit seine Säureaura verliert und grüner und süßlicher wird. Auch hier muss man ganz genau auf die Wortwahl achten, denn süß im eigentlichen Sinne ist diese Duft nie, nicht einmal im Drydown. Da nimmt eine grasige Grünlichkeit zu, die aus der sonnengelben Fruchtsäure eine pflanzensaftartige Flüssigkeit destilliert. Flüssig-wässrig ist sowieso ein Attribut, das mir recht gut zu passen scheint, denn der Duft ist ein idealer Sommerduft, vertagt alles, was dich belastet, eben sine die, mit seiner wässrigen Flüchtigkeit, mit seiner säuerlichen Leichtigkeit und seiner grünen Pflanzlichkeit mindestens auf den nächsten Tag. Was danach kommt, ist sowieso egal.
Die Blümeligkeit des Veilchens, die ich eigentlich immer sehr gerne mag, ist hier nur untergründig spürbar, und natürlich auch nicht genau dieser Blume zuzuordnen, aber man kann ahnen, dass hier etwas Florales drinsteckt, das dem Duft weitere Luftigkeit verleiht. Im Hintergrund weht hier ein Sommerwind.
Leder und Amber kann ich weniger wahrnehmen (vielleicht ist das hier das stützende Gerüst) als vielmehr einen stabilisierenden Holzton. Was rätselhaft bleibt, ist der Ursprung des o.g. Weißholzes. Weißholz ist sowohl ein geläufiger Name für Fichte als auch für bestimmte helle weiße oder gelbe tropische Hölzer (sic!). Dieser regelrechte Widerspruch dürfte sich, so vermute ich, zugunsten der tropischen Hölzer auflösen, denn andernfalls hätte die Angabe oben sicherlich "Fichte" gelautet und überdies würde man vielleicht dieses dezent Koniferige wahrnehmen, das in Düften mit dem Inhaltsstoff Fichte enthalten ist (Masaki Matsushima Art Homme, Oriflame Architect, Pierre Cardin Bleu Marine pour lui). Das aber ist hier gar nicht erkennbar, sondern allenfalls eine vollkommen unbestimmbare trocken-holzige Note, die immer im Hintergrund bliebt.
Sine Die ist auch in jedem Fall für all diejenigen eine großartige Alternative, die die für den Sommer gern getragenen Zitrus-, Orangen- oder Minz-Düfte nicht mehr riechen mögen, mit aquatischen Düften sowieso nicht können und nach einer Alternative suchen. Auch der häufig strapazierte Karibik-Flair (Caipirinha, Kokos, Limette) fehlt hier völlig. Der Duft geht einen eigenen Weg und lässt sich nicht so leicht mit anderen vergleichen. Ein wenig erinnert mich die Ausstrahlung an Düfte mit Cassis, wie oben bereits erwähnt.
Der Duft hat eine Aura, die fast schon singulär ist, gäbe es nicht den einen oder anderen Duft, der Sine Die ähnelt, der dir aber gerade garantiert nicht einfällt und der als schwache Erinnerung in deinem Hinterkopf aufscheint.
Vielleicht gehe ich morgen einfach mal nicht ins Büro und arbeite von zu Hause, vielleicht arbeite ich morgen auch einfach mal gar nicht und setze mich den Garten oder mache einfach gar nichts und rieche an meinem Handrücken.
Schön, ohne spektakulär zu sein.