19.02.2021 - 08:28 Uhr
Siebenkäs
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Siebenkäs
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36
Spät.
Also mal ganz ehrlich – ist es wirklich so wichtig, ob
Figuren, die einem irgendwie am Herzen liegen,
real rum laufen oder nur ausgedacht sind?
Ich glaube eher nicht.
Erst neulich saß ich mal wieder in meinem Lieblingscafé,
dem Bohème. (Ich weiß, Lockdown etc., aber das Cafè
befindet sich an einem relativ sicheren, virenfreien Ort,
nämlich in meiner Phantasie.)
Schon beim Reinkommen hatte ich bemerkt, dass heute
irgendwas Komisches in der Luft lag. Nein, es war nicht
Eau de L’Occitan, von dem ich mir grad bei einem
Freund ein paar tüchtige Sprüherchen aufgedonnert
hatte, nein, es war auch nicht der Rauch (im Bohème
darf man ja wieder rauchen, seit es diese neuen
Zigaretten gibt, die erwiesenermaßen sehr gesund sind.)
Es war eher etwas wie eine Art elektrischer Spannung,
die im Raum hing wie feiner Nebel.
Voll war es, ungewöhnlich voll für kurz vor Mitternacht.
Aber genau mein Lieblingstisch, der leicht erhöht am
hinteren Fenster neben dem weißen Kachelofen lag,
war frei.
Ich bestellte mir einen Cappucino und Tomatensaft,
lehnte mich zurück und begann, mich zu entspannen.
„Tomatensaft is‘ aus“, sagte die hübsche Bedienung,
„…Absinth trinkste ja sonst auch!“ Sprach’s und stellte
mir ein Glas des grünlichen Getränks neben meine
Tasse.
Nun ja.
Ein feiner Hauch des Eau de L’Occitan stieg mir in die
Nase. Ich lehnte mich entspannt zurück und fühlte
einen angenehmen Anflug von Melancholie. Kennt ihr
diese softe Art von Wehmut, die einen so angenehm
tragen kann? Vielleicht ist Melancholie ja nur die kleine
Schwester der Entspannung.
Oder ich bin einfach nur zu gefühlsduselig.
Mit einem Mal zog es leicht, die Tür öffnete sich weit
und herein kam eine hagere Gestalt, die wahrlich
seltsam gekleidet war. Was im „Bohème“ schon was
heißen will. Der Mann – um einen solchen handelte
es sich - trug einen grauen Umhang, der mit einer
violetten Spange über der Brust verschlossen war,
darunter leuchtete ein blass orange-farbener Anzug
hervor. Der weite Umhang war mit Sternen aus einer
Art Seide übersät, die in blau und grün changierten.
Zielstrebig durchquerte er den Raum und kam direkt
zu mir an den Tisch.
„Hier ist noch Platz, das passt…“, sprach er mit etwas
schnurrender, leicht heiserer Stimme. Und schon saß er
neben mir.
„Ähm, guten Abend…“, sagte ich.
„Danke, es geht so…“, erwiderte er. „Was magst du an
diesem Wässerchen von L’Occitan am meisten?“
„Ich… also – am ehesten…“
„Den Lavendel, weil er so weich und fast cremig und
irgendwie eher un-lavendelig daher kommt…?“
„Genau!“
„Das rührt daher, dass der Parfümör seine eigene
Vorstellung von Lavendel umsetzen konnte, was eher
selten ist. Er setzte dafür behutsam ein wenig Pfeffer
und andere Gewürze ein, vielleicht auch Strohblume.
Ist das alles, was dir dran gefällt?“
„Nein, nicht nur, da ist noch was Spezielles…“
„Erzähl’s mir ruhig. Alles, auch vom Milchtopf...“
„Also gut… Als ich ihn das erste Mal roch, war da bald
diese Holznote. Ich meine, die ist natürlich immer da,
so eine gewisse warme, holzige, leicht rauchig-süße
und saubere Aura, nicht auffällig, aber harmonisch
und so anschmiegsam selbstverständlich. Mit dem
besonderen Lavendel gibt das eine leichte Barber-
shop-Aura, da fallen mir Begriffe ein wie Vintage-
Hipness oder provencalische Sommerfrische. Nur -
beim ersten Mal war da noch etwas anderes… so
eine Art Flashback…“
„Berichte mir davon genauer…“
„Es war plötzlich genau der Geruch wieder da, den
ich aus meiner Kindheit kenne… Wenn meine Oma
den Ofen in der Küche anmachte. Trockene, gut
gelagerte Holzscheiter, die gerade heiß werden,
sie duften noch nach frischem Holz, aber auch schon
nach zartem Rauch, dabei auch nach frisch brennendem
Zeitungspapier… Und sogar nach dem Topf mit Milch,
der auf dem Ofen dampft, die Milch brennt vielleicht
ein bisschen an…“
„Und diesen Akkord suchst du jetzt…“
„Ja, doch, schon… Aber er will sich irgendwie nicht
mehr so recht einstellen… kann man nix machen…“
Das letzte murmelte ich eigentlich mehr in meinen
Absinth.
„Jetzt pass mal auf. So ein Parföng mit all seinen
kuriosen Ingredenzien kann vielleicht zu 50, wenn’s
hoch kommt zu 70 Prozent das auslösen, was du als
Duft vernimmst. Den Rest machst du selbst, allein mit
deiner Vorstellung.“
Seine Augen funkelten ein wenig, als er das sagte.
„Ja, gut, kann schon sein…“, sagte ich. So richtig
wusste ich nicht, worauf er hinaus wollte.
„Nur das du darüber keine Kontrolle hast. Denn genau
genommen machst du es nicht, sondern es macht
es mir dir. Und genau deshalb sind solche wunderbaren
Akkorde nicht jedesmal wahrnehmbar, sondern nur
manchmal. Oder nur sehr selten.“
Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich
ihn wirklich verstanden hatte.
„Du musst lernen, Wille und Vorstellung voneinander
abzukoppeln. Wie beim Reiten – die Zügel ganz locker
lassen und nur anziehen, wenn es nötig ist. Gute
Parfümöre können das, denn das braucht man für ein
richtig gutes Elixir. Genau so braucht man‘s in der Musik
als Kompositör, wo’s auch um Akkorde geht, wie auch
in der Malerei, vielleicht auch in der Architektur und
überhaupt allenthalben…“
Allmählich schien aus seinen Worten so etwas wie ein
greifbarer Sinn zu entstehen – nur dass ich ihn noch
nicht recht greifen konnte.
„Wichtig ist nur, dass der Akkord in dir drin ist – du
weißt ja, was schon der Meister gesagt hat – nur der
kann die Sonne sehen, dessen Auge sonnenhaft ist.
Das gilt freilich auch für die Nase…“
Mit einem Mal war wieder ein kühler Hauch im Raum,
die Türe stand auf und hereinkam eine sonderbare
Dame. Sie trug einen Trenchcoat und ein verwegenes
Pepita-Hütchen. Selbstsicher wirkte sie, dabei ziemlich
elegant und eher resolut. Zügigen Schrittes kam sie
an unseren Tisch.
„Mein Lieber, du kommst jetzt, und zwar sofort…“,
sagte sie mit einer festen Stimme, die mir irgendwie
bekannt vor kam. „Du weißt, wir sind bei Geheimrat
Schlüter zum Parfumraten verabredet!“
Mein Tischgast zögerte nicht lang, sondern erhob
sich sogleich. Er nickte mir zu und zwinkerte.
„Schönen Abend noch, wir sehen uns sicher bald mal
wieder…“
Als sie ein paar Schritte Richtung Ausgang gegangen
waren, drehte er sich noch mal nach mir um.
„Schöne Grüße auch noch von Anselm!“
„Komm jetzt, Nelson!“ Sie zupfte ihn an seinem
Umhang in Richtung Tür.
Und schon waren die beiden komplett verschwunden,
fast so, als ob sie nie dagewesen wären.
Und dann fiel mir ein, an wen sie mich erinnerte.
Konnte das sein? War das vielleicht Richies Tante?
Allzu lang blieb ich auch nicht mehr. Ich schnupperte
noch mal kurz an meinem Handgelenk, in der
Hoffnung die Omaofen-Milchtopfnote zu erwischen.
Hach – da – nein… vielleicht… doch nicht…
Ich nahm mir vor, daran zu arbeiten.
Für heute war ich aber einfach zu müde dazu.
Mit einem ganz leichten Taumeln begab ich mich
zum Ausgang und stapfte hinaus in den Nebel,
den wir Realität nennen.
Figuren, die einem irgendwie am Herzen liegen,
real rum laufen oder nur ausgedacht sind?
Ich glaube eher nicht.
Erst neulich saß ich mal wieder in meinem Lieblingscafé,
dem Bohème. (Ich weiß, Lockdown etc., aber das Cafè
befindet sich an einem relativ sicheren, virenfreien Ort,
nämlich in meiner Phantasie.)
Schon beim Reinkommen hatte ich bemerkt, dass heute
irgendwas Komisches in der Luft lag. Nein, es war nicht
Eau de L’Occitan, von dem ich mir grad bei einem
Freund ein paar tüchtige Sprüherchen aufgedonnert
hatte, nein, es war auch nicht der Rauch (im Bohème
darf man ja wieder rauchen, seit es diese neuen
Zigaretten gibt, die erwiesenermaßen sehr gesund sind.)
Es war eher etwas wie eine Art elektrischer Spannung,
die im Raum hing wie feiner Nebel.
Voll war es, ungewöhnlich voll für kurz vor Mitternacht.
Aber genau mein Lieblingstisch, der leicht erhöht am
hinteren Fenster neben dem weißen Kachelofen lag,
war frei.
Ich bestellte mir einen Cappucino und Tomatensaft,
lehnte mich zurück und begann, mich zu entspannen.
„Tomatensaft is‘ aus“, sagte die hübsche Bedienung,
„…Absinth trinkste ja sonst auch!“ Sprach’s und stellte
mir ein Glas des grünlichen Getränks neben meine
Tasse.
Nun ja.
Ein feiner Hauch des Eau de L’Occitan stieg mir in die
Nase. Ich lehnte mich entspannt zurück und fühlte
einen angenehmen Anflug von Melancholie. Kennt ihr
diese softe Art von Wehmut, die einen so angenehm
tragen kann? Vielleicht ist Melancholie ja nur die kleine
Schwester der Entspannung.
Oder ich bin einfach nur zu gefühlsduselig.
Mit einem Mal zog es leicht, die Tür öffnete sich weit
und herein kam eine hagere Gestalt, die wahrlich
seltsam gekleidet war. Was im „Bohème“ schon was
heißen will. Der Mann – um einen solchen handelte
es sich - trug einen grauen Umhang, der mit einer
violetten Spange über der Brust verschlossen war,
darunter leuchtete ein blass orange-farbener Anzug
hervor. Der weite Umhang war mit Sternen aus einer
Art Seide übersät, die in blau und grün changierten.
Zielstrebig durchquerte er den Raum und kam direkt
zu mir an den Tisch.
„Hier ist noch Platz, das passt…“, sprach er mit etwas
schnurrender, leicht heiserer Stimme. Und schon saß er
neben mir.
„Ähm, guten Abend…“, sagte ich.
„Danke, es geht so…“, erwiderte er. „Was magst du an
diesem Wässerchen von L’Occitan am meisten?“
„Ich… also – am ehesten…“
„Den Lavendel, weil er so weich und fast cremig und
irgendwie eher un-lavendelig daher kommt…?“
„Genau!“
„Das rührt daher, dass der Parfümör seine eigene
Vorstellung von Lavendel umsetzen konnte, was eher
selten ist. Er setzte dafür behutsam ein wenig Pfeffer
und andere Gewürze ein, vielleicht auch Strohblume.
Ist das alles, was dir dran gefällt?“
„Nein, nicht nur, da ist noch was Spezielles…“
„Erzähl’s mir ruhig. Alles, auch vom Milchtopf...“
„Also gut… Als ich ihn das erste Mal roch, war da bald
diese Holznote. Ich meine, die ist natürlich immer da,
so eine gewisse warme, holzige, leicht rauchig-süße
und saubere Aura, nicht auffällig, aber harmonisch
und so anschmiegsam selbstverständlich. Mit dem
besonderen Lavendel gibt das eine leichte Barber-
shop-Aura, da fallen mir Begriffe ein wie Vintage-
Hipness oder provencalische Sommerfrische. Nur -
beim ersten Mal war da noch etwas anderes… so
eine Art Flashback…“
„Berichte mir davon genauer…“
„Es war plötzlich genau der Geruch wieder da, den
ich aus meiner Kindheit kenne… Wenn meine Oma
den Ofen in der Küche anmachte. Trockene, gut
gelagerte Holzscheiter, die gerade heiß werden,
sie duften noch nach frischem Holz, aber auch schon
nach zartem Rauch, dabei auch nach frisch brennendem
Zeitungspapier… Und sogar nach dem Topf mit Milch,
der auf dem Ofen dampft, die Milch brennt vielleicht
ein bisschen an…“
„Und diesen Akkord suchst du jetzt…“
„Ja, doch, schon… Aber er will sich irgendwie nicht
mehr so recht einstellen… kann man nix machen…“
Das letzte murmelte ich eigentlich mehr in meinen
Absinth.
„Jetzt pass mal auf. So ein Parföng mit all seinen
kuriosen Ingredenzien kann vielleicht zu 50, wenn’s
hoch kommt zu 70 Prozent das auslösen, was du als
Duft vernimmst. Den Rest machst du selbst, allein mit
deiner Vorstellung.“
Seine Augen funkelten ein wenig, als er das sagte.
„Ja, gut, kann schon sein…“, sagte ich. So richtig
wusste ich nicht, worauf er hinaus wollte.
„Nur das du darüber keine Kontrolle hast. Denn genau
genommen machst du es nicht, sondern es macht
es mir dir. Und genau deshalb sind solche wunderbaren
Akkorde nicht jedesmal wahrnehmbar, sondern nur
manchmal. Oder nur sehr selten.“
Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich
ihn wirklich verstanden hatte.
„Du musst lernen, Wille und Vorstellung voneinander
abzukoppeln. Wie beim Reiten – die Zügel ganz locker
lassen und nur anziehen, wenn es nötig ist. Gute
Parfümöre können das, denn das braucht man für ein
richtig gutes Elixir. Genau so braucht man‘s in der Musik
als Kompositör, wo’s auch um Akkorde geht, wie auch
in der Malerei, vielleicht auch in der Architektur und
überhaupt allenthalben…“
Allmählich schien aus seinen Worten so etwas wie ein
greifbarer Sinn zu entstehen – nur dass ich ihn noch
nicht recht greifen konnte.
„Wichtig ist nur, dass der Akkord in dir drin ist – du
weißt ja, was schon der Meister gesagt hat – nur der
kann die Sonne sehen, dessen Auge sonnenhaft ist.
Das gilt freilich auch für die Nase…“
Mit einem Mal war wieder ein kühler Hauch im Raum,
die Türe stand auf und hereinkam eine sonderbare
Dame. Sie trug einen Trenchcoat und ein verwegenes
Pepita-Hütchen. Selbstsicher wirkte sie, dabei ziemlich
elegant und eher resolut. Zügigen Schrittes kam sie
an unseren Tisch.
„Mein Lieber, du kommst jetzt, und zwar sofort…“,
sagte sie mit einer festen Stimme, die mir irgendwie
bekannt vor kam. „Du weißt, wir sind bei Geheimrat
Schlüter zum Parfumraten verabredet!“
Mein Tischgast zögerte nicht lang, sondern erhob
sich sogleich. Er nickte mir zu und zwinkerte.
„Schönen Abend noch, wir sehen uns sicher bald mal
wieder…“
Als sie ein paar Schritte Richtung Ausgang gegangen
waren, drehte er sich noch mal nach mir um.
„Schöne Grüße auch noch von Anselm!“
„Komm jetzt, Nelson!“ Sie zupfte ihn an seinem
Umhang in Richtung Tür.
Und schon waren die beiden komplett verschwunden,
fast so, als ob sie nie dagewesen wären.
Und dann fiel mir ein, an wen sie mich erinnerte.
Konnte das sein? War das vielleicht Richies Tante?
Allzu lang blieb ich auch nicht mehr. Ich schnupperte
noch mal kurz an meinem Handgelenk, in der
Hoffnung die Omaofen-Milchtopfnote zu erwischen.
Hach – da – nein… vielleicht… doch nicht…
Ich nahm mir vor, daran zu arbeiten.
Für heute war ich aber einfach zu müde dazu.
Mit einem ganz leichten Taumeln begab ich mich
zum Ausgang und stapfte hinaus in den Nebel,
den wir Realität nennen.
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