15.10.2012 - 05:11 Uhr
Profumo
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Profumo
Top Rezension
20
Avantgardistischer Einzelgänger
Düfte über die man jahrelang soviel Gutes hört, die allerorten und von den verschiedensten Menschen als Meisterwerke gepriesen werden, die man aber dennoch, trotz aller Bemühungen, nicht unter die Nase bekommt, entwickeln über die Zeit eine gewisse mystische Aura, versehen mit einem imaginären Heiligenschein.
Und kommt dann doch der Tag an dem der langgehegte Wunsch wider Erwarten wahr wird, ist häufig die Enttäuschung groß: keine mythische Aura, kein Heiligenschein, allein ein schnöder Duft, nicht besser und nicht schlechter als so manch anderer.
Nicht so bei ‚Or Black’ von Pascal Morabito: dieser Duft hat meine ohnehin schon hohe Erwartungen tatsächlich erfüllt, ja sogar übertroffen.
Aber was erwartete ich?
Nach all den hymnischen Beschreibungen, schwebte mir ein tiefdunkles, braunes Elixier vor, mit derben Ledernoten, viel Räucherei, jeder Menge Harze, kräftigen Tee-Nuancen und einer voluminösen bitter-moosigen Chypre-Basis.
Doch siehe da, gar so üppig wurde es dann doch nicht: ‚Or Black’ ist nämlich nicht einer jener berühmt-berüchtigten „Powerhouse“-Düfte der 80er Jahre, auch wenn manche ihn dafür halten.
Von ‚Antaeus’ oder gar ‚Kouros’ trennen ihn Welten: kein raumsprengender, alles überrumpelnder und herrischer Auftritt, keine durchdringende Süße und auch keine übermäßige animalische Präsenz. Stattdessen tritt einem mit ‚Or Black’ ein Duft entgegen, der zwar Statur hat, seinen Träger und dessen Gegenüber aber weder an die Wand drückt, noch vor lauter Dezenz ins Schleierige, Nichtige verhaucht.
Für seine Zeit ist er also erstaunlich zurückhaltend.
Zugleich ist ‚Or Black’ aber auch eigenwillig, erst recht wenn man bedenkt wann der Duft auf den Markt kam: 1982, also vor nunmehr dreißig Jahren. Wenn ich heute an ihm schnuppere habe ich keine Sekunde das Gefühl, dass es sich um einen halbwegs betagten Duft, sondern vielmehr um einen ziemlich modernen, irgendwie heutigen handelt.
Ja, ‚Or Black’ war seiner Zeit voraus, vermutlich meilenweit.
Seltsamerweise erinnert mich der Duft an einen anderen, der ebenfalls seiner Zeit um einiges voraus war: an das unglaubliche ‚Yatagan’ von Caron. Auf der anderen Seite erinnert mich ‚Or Black’ aber auch ein noch immer ziemlich aktuelles Werk von Andy Tauer: an ‚L’Air du Désert Marocain’. Als habe es die ganzen olfaktorischen Eskapaden der 80er und 90er Jahre nicht gegeben, zieht ‚Or Black’ einen roten Faden von Vincent Marcellos Meisterwerk aus den 70ern bis hin zum modernen Meisterwerk des jungen Schweitzer Autodidakten. Zwar fehlt ihm die durchdringende animalische Komponente des ersteren, ebenso die dunkel ambrierte, orientalische Seite des letzteren, doch was sie verbindet ist eine prägnante Lederchypre-Struktur mit trocken-holzigen Akzenten und einer gewissen würzigen Schärfe. Man könnte sie daher mit dem Begriff aromatische Lederchypre bezeichnen, mit einem mal mehr, mal weniger deutlichen Drall ins Orientalische.
‚Or Black’ leistet sich mit einer klar erkennbaren Coumarin-Note aber auch einen kleinen Ausfallschritt in Richtung Fougère, sodass manche – wie z.B. Luca Turin – es auch eher als solches bezeichnen (‚dark fougère’).
Wie auch immer, hier – ähnlich Guerlains ‚Derby’ – überschneiden sich die Genres und eine klare Kategorisierung fällt schwer.
Ohnehin ist es nicht sonderlich erheblich, ob dem Duft nun eine aromatische Lederchypre- oder eine ‚dark-fougère’-Struktur zugrunde liegt, vielmehr charakterisierend ist das ledrig-rauchige Herz mit seinen prägnanten Ylang-Ylang Akzenten. Dieser ungewöhnliche Dreiklang prägt und dominiert den Duft, ohne von einer für seine Zeit und deren maßgeblichen Lederchypres üblichen Patchouli/Moos/Castoreum-Basis getragen und im weiteren Duftverlauf überlagert zu werden.
Hier darf sich das floral-ledrig-rauchige Herz bis in die Tiefen des Fonds entwickeln, ohne das dieser ein besonderes Eigenleben und übermäßiges Volumen entwickelt.
Das bedeutet allerdings auch, dass man leicht das Gefühl bekommen kann, die Haltbarkeit von ‚Or Black’ sei nur von kurzer Dauer, besonders dann, wenn man den Duft wiederum mit anderen seiner Zeit vergleicht.
Doch das stimmt nicht ganz: Intensität, Sillage und Haltbarkeit sind nämlich eher klassisch gearbeitet, orientieren sich also stärker an Düften wie Givenchys ‚Vetyver’ oder Chanels ‚Pour Monsieur’, die sich durch zunächst deutliche Vernehmbarkeit, gefolgt von dauerhafter aber vor allem dezenter Präsenz auszeichnen. Herrenparfums dieser Kategorie waren nicht so konzipiert, dass sie raumfüllend in Konkurrenz zum Damenparfum treten sollten – sie traten zurück und ließen der Dame den Vortritt.
‚Or Black’ ist nun so ein später Nachkomme dieser klassisch proportionierten Herrendüfte, doch für diesen ansatzweise „extremen“ Duft (dieses Attribut trägt er häufig) war dieser Zuschnitt wohl auch zu Beginn der 80er Jahre noch das Mittel der Wahl.
Heute aber, da wir ganz andere Düfte - gerade im Nischenbereich - erleben dürfen, wirkt ‚Or Black’, zumindest auf einigermaßen versierte Nasen, so gar nicht mehr „extrem“. Ja, man könnte sogar bedauern, dass er kein größeres Volumen entwickelt, aber wie gesagt: Jean-Louis Sieuzac wollte mit diesem Duft allem Anschein nach gar keinen Götternamen tragenden Überduft mit atomarer Abstrahlung schaffen, sondern eher ein elegant-eigenwilliges, trocken-würziges Werk in klassischer Manier.
Viel besser als „extrem“ passt für diesen Duft ohnehin das Attribut „avantgardistisch“, und wie es häufig bei wirklich avantgardistischen Düften der Fall ist, erreichen sie kaum Verbreitung. Dabei hat kaum ein anderer so großartige „Crowd-Pleaser“ geschaffen wie Jean-Louis Sieuzac: man denke allein an ‚Opium’ oder ‚Fahrenheit’. Auf der anderen Seite aber auch Ladenhüter wie ‚Bel Ami’ oder eben kaum beworbene Einzelgänger wie ‚Or Black’.
Überhaupt, das Marketing: wurde je ein Duft eines bekannten Designer weniger beworben und obendrein restriktiver vertrieben? Man könnte den Verdacht hegen, ‚Or Black’ solle gar keine sonderliche Verbreitung finden um so seinen Status als eigenwilliger Außenseiter zu bewahren.
Wie auch immer. Der Duft ist jedenfalls momentan nur als EdT-Refill in der Pariser Boutique von Pascal Morabito erhältlich, als Eau-de-Parfum im exklusiven, versilberten „Collector“-Flakon allerdings seit langem schon „non-disponible“.
Lange Rede, kurzer Sinn: ein Meisterwerk!
Und kommt dann doch der Tag an dem der langgehegte Wunsch wider Erwarten wahr wird, ist häufig die Enttäuschung groß: keine mythische Aura, kein Heiligenschein, allein ein schnöder Duft, nicht besser und nicht schlechter als so manch anderer.
Nicht so bei ‚Or Black’ von Pascal Morabito: dieser Duft hat meine ohnehin schon hohe Erwartungen tatsächlich erfüllt, ja sogar übertroffen.
Aber was erwartete ich?
Nach all den hymnischen Beschreibungen, schwebte mir ein tiefdunkles, braunes Elixier vor, mit derben Ledernoten, viel Räucherei, jeder Menge Harze, kräftigen Tee-Nuancen und einer voluminösen bitter-moosigen Chypre-Basis.
Doch siehe da, gar so üppig wurde es dann doch nicht: ‚Or Black’ ist nämlich nicht einer jener berühmt-berüchtigten „Powerhouse“-Düfte der 80er Jahre, auch wenn manche ihn dafür halten.
Von ‚Antaeus’ oder gar ‚Kouros’ trennen ihn Welten: kein raumsprengender, alles überrumpelnder und herrischer Auftritt, keine durchdringende Süße und auch keine übermäßige animalische Präsenz. Stattdessen tritt einem mit ‚Or Black’ ein Duft entgegen, der zwar Statur hat, seinen Träger und dessen Gegenüber aber weder an die Wand drückt, noch vor lauter Dezenz ins Schleierige, Nichtige verhaucht.
Für seine Zeit ist er also erstaunlich zurückhaltend.
Zugleich ist ‚Or Black’ aber auch eigenwillig, erst recht wenn man bedenkt wann der Duft auf den Markt kam: 1982, also vor nunmehr dreißig Jahren. Wenn ich heute an ihm schnuppere habe ich keine Sekunde das Gefühl, dass es sich um einen halbwegs betagten Duft, sondern vielmehr um einen ziemlich modernen, irgendwie heutigen handelt.
Ja, ‚Or Black’ war seiner Zeit voraus, vermutlich meilenweit.
Seltsamerweise erinnert mich der Duft an einen anderen, der ebenfalls seiner Zeit um einiges voraus war: an das unglaubliche ‚Yatagan’ von Caron. Auf der anderen Seite erinnert mich ‚Or Black’ aber auch ein noch immer ziemlich aktuelles Werk von Andy Tauer: an ‚L’Air du Désert Marocain’. Als habe es die ganzen olfaktorischen Eskapaden der 80er und 90er Jahre nicht gegeben, zieht ‚Or Black’ einen roten Faden von Vincent Marcellos Meisterwerk aus den 70ern bis hin zum modernen Meisterwerk des jungen Schweitzer Autodidakten. Zwar fehlt ihm die durchdringende animalische Komponente des ersteren, ebenso die dunkel ambrierte, orientalische Seite des letzteren, doch was sie verbindet ist eine prägnante Lederchypre-Struktur mit trocken-holzigen Akzenten und einer gewissen würzigen Schärfe. Man könnte sie daher mit dem Begriff aromatische Lederchypre bezeichnen, mit einem mal mehr, mal weniger deutlichen Drall ins Orientalische.
‚Or Black’ leistet sich mit einer klar erkennbaren Coumarin-Note aber auch einen kleinen Ausfallschritt in Richtung Fougère, sodass manche – wie z.B. Luca Turin – es auch eher als solches bezeichnen (‚dark fougère’).
Wie auch immer, hier – ähnlich Guerlains ‚Derby’ – überschneiden sich die Genres und eine klare Kategorisierung fällt schwer.
Ohnehin ist es nicht sonderlich erheblich, ob dem Duft nun eine aromatische Lederchypre- oder eine ‚dark-fougère’-Struktur zugrunde liegt, vielmehr charakterisierend ist das ledrig-rauchige Herz mit seinen prägnanten Ylang-Ylang Akzenten. Dieser ungewöhnliche Dreiklang prägt und dominiert den Duft, ohne von einer für seine Zeit und deren maßgeblichen Lederchypres üblichen Patchouli/Moos/Castoreum-Basis getragen und im weiteren Duftverlauf überlagert zu werden.
Hier darf sich das floral-ledrig-rauchige Herz bis in die Tiefen des Fonds entwickeln, ohne das dieser ein besonderes Eigenleben und übermäßiges Volumen entwickelt.
Das bedeutet allerdings auch, dass man leicht das Gefühl bekommen kann, die Haltbarkeit von ‚Or Black’ sei nur von kurzer Dauer, besonders dann, wenn man den Duft wiederum mit anderen seiner Zeit vergleicht.
Doch das stimmt nicht ganz: Intensität, Sillage und Haltbarkeit sind nämlich eher klassisch gearbeitet, orientieren sich also stärker an Düften wie Givenchys ‚Vetyver’ oder Chanels ‚Pour Monsieur’, die sich durch zunächst deutliche Vernehmbarkeit, gefolgt von dauerhafter aber vor allem dezenter Präsenz auszeichnen. Herrenparfums dieser Kategorie waren nicht so konzipiert, dass sie raumfüllend in Konkurrenz zum Damenparfum treten sollten – sie traten zurück und ließen der Dame den Vortritt.
‚Or Black’ ist nun so ein später Nachkomme dieser klassisch proportionierten Herrendüfte, doch für diesen ansatzweise „extremen“ Duft (dieses Attribut trägt er häufig) war dieser Zuschnitt wohl auch zu Beginn der 80er Jahre noch das Mittel der Wahl.
Heute aber, da wir ganz andere Düfte - gerade im Nischenbereich - erleben dürfen, wirkt ‚Or Black’, zumindest auf einigermaßen versierte Nasen, so gar nicht mehr „extrem“. Ja, man könnte sogar bedauern, dass er kein größeres Volumen entwickelt, aber wie gesagt: Jean-Louis Sieuzac wollte mit diesem Duft allem Anschein nach gar keinen Götternamen tragenden Überduft mit atomarer Abstrahlung schaffen, sondern eher ein elegant-eigenwilliges, trocken-würziges Werk in klassischer Manier.
Viel besser als „extrem“ passt für diesen Duft ohnehin das Attribut „avantgardistisch“, und wie es häufig bei wirklich avantgardistischen Düften der Fall ist, erreichen sie kaum Verbreitung. Dabei hat kaum ein anderer so großartige „Crowd-Pleaser“ geschaffen wie Jean-Louis Sieuzac: man denke allein an ‚Opium’ oder ‚Fahrenheit’. Auf der anderen Seite aber auch Ladenhüter wie ‚Bel Ami’ oder eben kaum beworbene Einzelgänger wie ‚Or Black’.
Überhaupt, das Marketing: wurde je ein Duft eines bekannten Designer weniger beworben und obendrein restriktiver vertrieben? Man könnte den Verdacht hegen, ‚Or Black’ solle gar keine sonderliche Verbreitung finden um so seinen Status als eigenwilliger Außenseiter zu bewahren.
Wie auch immer. Der Duft ist jedenfalls momentan nur als EdT-Refill in der Pariser Boutique von Pascal Morabito erhältlich, als Eau-de-Parfum im exklusiven, versilberten „Collector“-Flakon allerdings seit langem schon „non-disponible“.
Lange Rede, kurzer Sinn: ein Meisterwerk!
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