Düfte tauchen wie Menschen oft unmittelbar in unserem Leben auf. Manche von ihnen bleiben, andere nicht.
Ich erfreue mich an sich einer relativ stabilen Gesundheit. Daher lief ich auch nicht gleich zum Arzt, als sich in Gefolgschaft eines starken Hustens so etwas wie eine Magen-Darm-Infektion bei mir einstellte. Wird schon werden. Letzten Sonntag war es aber dann sehr schlimm. Ich hatte tagelang nichts gegessen, fast 10 kg abgenommen und sah entsprechend zombiehaft aus. Ich fühlte mich extrem schwach und elend. Visionen stellten sich ein. Ich hatte das Gefühl, mich in diesem Magic bus zu befinden, in dem der 22-jährige Zivilisationsflüchtling Chris aus dem (wahren) Film „Into the Wild“ vermutlich verhungerte. Da bekam ich Angst. Mein Ex, der jetzt in Budapest lebt, erkannte die Dramatik der Situation, und fuhr sofort zu mir nach Wien. Ein Notarzt wurde gerufen. Er kam nachts um drei, untersuchte mich, gab mir Injektionen gegen die Übelkeit und verschrieb mir eine Latte von Medikamenten – Antibiotika, Hustenmittel und Mittel gegen Durchfall, die mein Ex gleich aus der Nachtapotheke holte.
Inzwischen ist mein vielbeschäftigter Ex längst wieder zurück in Ungarn. Aber Wien ist zum Glück eine Sozialstadt, und es gelingt mir, als Alleinstehender, eine Heimkrankenpflege auf Krankheitsdauer zu organisieren, die zweimal in der Woche eine gute Stunde lang kommt, für mich einkaufen und in die Apotheke geht und ein wenig im Haushalt hilft.
Am Freitag war sie das erste Mal bei mir. Groß, schlank, dunkelhaarig. Die 50 Jahre sieht man ihr nicht an. Sie erzählte mir, dass sie aus Rumänien stammt, aber schon lang in Österreich lebt, allein mit ihrer Tochter. Auch kein leichtes Leben. Ich drücke ihr den Einkaufszettel in die Hand: Apotheke, Hustensaft und Billa – Zwieback, Apfelmus, Milchreis, Packerlsuppen, Bananen, Kartoffelpüree; was ich halt glaub, essen und behalten zu können. Meine Hauptnahrung sind sowieso Proteinshakes.
Sie geht. Aber was ist das? Ich erschnuppere plötzlich einen Duft in meinem frisch gelüfteten Schlafzimmer. Süß, kühl und blumig schwebt er an mir vorbei wie ein rosa Schleier. Meine Duftsensoren aktivieren sich. Frühling, denke ich unwillkürlich. Und: Den Duft kenn ich doch – irgendwie lieblich, romantisch, anmutig und mädchenhaft. Pfingstrose! Fällt mir ein. Ich bin an sich recht gut im Identifizieren von Düften.
Als meine Krankenpflegerin wieder da ist, frage ich sie: „Sie duften so gut. Was ist das?“ „Rituals“, antwortet sie, „die rosa Flasche.“ Sie zeigt sie mir. Der Flakon passt gut zum Duft, finde ich. So schlicht, einfach, klar und zartrosa. Ich darf mir die Blumen des Himalayas sogar aufsprühen.
Während sie mir Kamillentee zubereitet, recherchiere ich den Duft. Und ja, da ist er schon: Oriental Essence - Fleurs de L’Himalaya, ein Parfum aus 2015. Es soll Duftstoffe von Zitrone, Pfirsich, Tee, Calone, Orchidee, Jasmin und Pfingstrose enthalten und sich in einer Basis von Patchouli und Moschus verströmen.
Calone? Ja, gibt’s. Ein synthetischer, aquatischer Duft, der nach Meeresbrise, Blumen und Honigmelone duften soll. Klingt ja spannend. Aber wieso erschnuppere ich dann nur Pfingstrose von Anfang bis Ende?
Ja, der Duft ist gefällig, frisch, dezent, feminin. Doch unter „Fleurs de L’Himalayan“ hätte ich mir schon ein bisschen mehr vorgestellt. Natürlich: die reine, klare Luft des Himalayas. Die kann ich hier auch ein wenig nachvollziehen. Was könnte noch zu einem Parfum mit diesem blumigen Namen passen? Eher etwas Aquatisches, Lilie vielleicht? Unwillkürlich fällt mir L’Eau D'Issey von Issey Myake ein. Doch hier, bei den Fleurs, vollzieht sich ein Umkehrschwung in Richtung „süß“, fast schon zu süß.
Blumig und süß ist eine gefährliche Mischung. Da ist die Assoziation zum Hygieneduft leider nicht weit. Tatsächlich kann ich mir den Duft gut als Raum- oder Toilettenduft vorstellen, als Weichspüler, Seife, was auch immer … Nein, ich hab gelogen. Für mich und meine Wohnung würde ich ihn selbst als Raumduft nicht mögen. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich Raumdüfte ohnehin nicht verwende.
Unaufdringlich, dezent, süß, blumig … Nein, das ist kein Duft, der zu mir passt. Auf mich wirkt er irgendwie billig, zu banal, zu wenig „besonders“. Pfingstrosendüfte hab ich schon genug kennen gelernt. Ich bevorzuge Innovatives, Ausgefallenes, Raffiniertes, Interessantes, Anspruchsvolles, Inspirierendes. Das hier ist leider nur Mittelmaß und wirkt sogar ein wenig altmodisch auf mich.
An meiner Krankenpflegerin finde ich den Duft angenehm. Ich selbst möchte ihn doch lieber nicht tragen. Das bringt mich zu der Frage, ob Niederländer gute Dufthersteller sind. Rituals hat ja ihren Sitz in Amsterdam und ist somit eine Art niederländischer Body Shop - auch vom Portfolio her. Elise Benat, die Nase hinter den Himalayablüten, ist allerdings Französin, soviel ich weiß.
Wie auch immer, der Duft scheint beliebt zu sein, wird er doch weltweit in nicht weniger als 800 Rituals Shops vertrieben. Online natürlich auch. Erschwinglich ist er ebenfalls. Wer einen anspruchslosen, dezenten Blumenduft sucht, mit dem er nirgends aneckt, sofern vernünftig dosiert, kann vielleicht damit froh werden.