BetrRiechen
BetrRiechens Blog
vor 5 Jahren - 21.11.2020
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Vom Maßhalten und Beenden

Liebe Community,

kennt ihr das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun (Psychologe, geb. 1944)?

Dies besagt, dass jede "gesendete" Nachricht vier Seiten beinhalten kann.
Die Emotionale/Beziehungsebene.
Die Inhalts/Sachebene.
Die Appellebene.
Die Selbstoffenbarungsebene.

Damit Kommunikation gelingen kann, müssen Sender und Empfänger die gleiche Ebene wahrnehmen. Dies hängt nicht nur von der Beziehung beider Parteien ab, sondern auch von verbalen, nonverbalen und paraverbalen Faktoren. Jeder der sich schon ein mal mit seinem Partner über Whatsapp/SMS gestritten hat, weiß wovon ich rede.
Beispiel: Person A: "boar ist der Müll voll (Inhaltsebene)" => Person B nimmt wahr: "bring den Müll doch mal raus! (Appellebene)". Ich glaub ihr wisst was ich meine?

Warum nun dieser Einstieg?

Weil ich klar machen will, aus welcher Ebene ich diesen Blog schreibe. Der Selbstoffenbarungsebene, bitte sieht dies also nicht als Belehrung oder Appell an.

So.

Goethe zufolge liegt die Hauptaufgabe eines jeden Menschen darin Maß zuhalten. Spannend in der heutigen Zeit oder? Selbst die konsumkritischen Frugalisten sind Maßlos. Maßlos im Maßhalten. Ich finde diese Betrachtung, gerade auf mich bezogen sehr erhellend.

Wer meine früheren Blogs gelesen hat und mich kennt weiß, ich habe Schwierigkeiten große Sammlungen zu "besitzen". Schnell habe ich das Gefühl des "Zuviel", des "eigentlich redundant und unnötig"?
Um das Leben besser zu Ordnen, bin ich ein sehr rigoroser Mensch. Alles ist Schwarz oder Weiß. Umso übersichtlicher und klarer, umso besser.
Am besten nur eine Duftnote in der Sammlung. Ach nein, am besten nur von einer Marke. Stopp, am besten nur von einem Parfümeur!

Und zack erklärt sich, warum ich nie mehr als 8 Flakons besessen habe und in drei Jahren bereits über 100 Düfte bei mir wieder ausgezogen sind. Hatte ich mich irgendwo eingefahren, wurde ich schon unzufrieden.

Dabei geht es doch bei dieser Leidenschaft nicht um "Klarheit" oder "Einfachheit" sondern um besonnenes Lieben?
Der Parfumo mit 400 Flakons kann genauso Maßhalten, wie der Parfumo, welcher nur von "Proben" lebt? Oder?

Ein Thema welches in Wechselwirkung mit dem Maßhalten steht ist das "Beenden".

In unserer durchgetakteten und digitalisierten Welt beenden wir eigentlich gar nichts mehr. Früher haben wir für 12DM ein Album gekauft und diese10 Lieder rauf und herunter gehört. Warum? Weil allein der Prozess des "Erbringens" schon so "aufwändig" war, dass wir dies wieder amortisieren mussten.



Heute zahlen wir 10 Euro und haben Zugriff auf einfach...ALLE Songs. Die Youtube und Netflix Vorschläge können NIEMALS abgearbeitet werden.
Facebookpinnwände, Instagram-Feeds, Twitter Nachrichten, ein endloses Scrollen, als würde man eine fast verheilte Wunde ständig wieder "aufknibbeln".



Vielleicht liegt das an meinem Alter, aber wann habe ich das letzte mal ein Buch zu Ende gelesen? Einen Film ganz und umfänglich im Kino genossen? Dieses Jahr definitiv nicht.
Düfte können dabei helfen, da sie genügsamer sind. Doch ratet mal wie viel richtige Flakons ich in den letzten Jahren geleert habe? EINEN! 1!
Dabei möchte ich hinzufügen, dass das Gefühl welches wir verspüren, wenn wir einen Flakon beendet haben, die wahre "Bewertung" für diesen Duft ist...
...was haben wir mit dem Duft erlebt? Möchten wir, dass diese Beziehung weiter geht? Wie bleibt er uns in Erinnerung? Sind wir vielleicht sogar erleichtert?


Um nun den Bogen auf das Maßhalten zu spannen, fehlt mir leider die schriftliche Eloquenz, dass überlasse ich den Besseren.

In diesem Sinne.


Bleibt gesund! (gehört auch 2020 irgendwie dazu)

Euer Weihrauch


28 Antworten
SoapSoap vor 4 Jahren
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Die Sache mit dem Maß, ist wie die Sache mit der Gerechtigkeit: immer wieder eine Projektion. Wer nach Maß verlangt, ist Maßlos im Maßhalten - genauso. Maßhalten ist wissentlich nicht machbar - es sind immer wieder nur Ideen über das Maß im Widerstand zu dem, was gerade ist. Goethe sagte doch auch so etwas wie, „es irrt der Mensch solange er strebt“ (nach Maß, nach Glück, etc..)
Und ja, guter Duft ist der, der am schnellsten aufgebraucht ist - dem stimme ich zu..
SerloSerlo vor 4 Jahren
Ja, die vier Seiten kenne ich nur allzu gut. Und das mit dem Maßhalten muss ich auch noch auf die Reihe bekommen.
MCPSMCPS vor 5 Jahren
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Danke, schöner Gedankenanstoss, gut geschrieben. Ich kaufe sehr gerne Abfüllungen, da ich meine Sammlung relativ kompakt halten möchte (
PhiliePhilie vor 5 Jahren
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Maß halten und etwas beenden im Zeitalter des addictive design – pheeew, wer kann/will das schon …
Ich habe übrigens gemerkt, dass der letzte Sprüher eines Parfum alles entscheidet: Entweder, ich kaufe es _sofort_ nach (also mindestens binnen einer Woche), oder wir sehen uns nie wieder. Ist erst mal zu viel Zeit verstrichen, interessiert es mich nicht mehr. Aus der Nase, aus dem Sinn.
reni379reni379 vor 5 Jahren
Hab ich gern gelesen.. und daraufhin erstmal Ordnung in der Abfüllungskiste gemacht.
JackoJacko vor 5 Jahren
Guter Blog, gute Einführung ;) Einerseits versuche ich auch den Weg des Minimalismus' zu gehen, andererseits denke ich 'der Weg ist das Ziel' und da mäandert die Flakonzahl schon mal. Letztlich muss man sich wohlfühlen und danach handeln.
FelixwindsFelixwinds vor 5 Jahren
Eine sehr spannende Parfumo-Philosophische Frage, die du da aufgeworfen hast, die in etwa so lautet: Was soll mit Parfum geben?
Wie du angesprochen hast, beenden viele heutzutage ihr Beziehung mit ihrem Parfum sehr schnell, genauso wie die Partnerschaften heutzutage, die schneller in die Brüche gehen.
Ich verstehe deinen Blog allerdings eher als Appell, nämlich als normative Aussage: Dem Duft eine Chance auf eine längere "Beziehung" geben :)
RobGordonRobGordon vor 5 Jahren
"Dabei möchte ich hinzufügen, dass das Gefühl welches wir verspüren, wenn wir einen Flakon beendet haben, die wahre "Bewertung" für diesen Duft ist..."
Ich mag den Satz, weil riechen ein intuitiver Prozess ist. Demnach ist die Konfrontation mit dem Ergebnis der Nutzung vielsagender, als eine himmelhochjauchzende intellektuelle Einschätzung mit Höchstnoten und der Saft wird dennoch nicht weniger.
Die tats. Nutzung gibt Aufschluss zwischen dem was wir mögen und dem was wir mögen sollen.
TurbobeanTurbobean vor 5 Jahren
Schließe mich ebenfalls den Worten von Susan an.
Nachdenkenswerter Blog :-)
ExUserExUser vor 5 Jahren
Mir haben auch die Bilder gefallen. Alles sehr gut in Szene gesetzt und sehr passend zum Thema Innehalten und Bestandsaufnahme.
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
Sehr guter Beitrag mit Anstößen zum Nachdenken.
Bei Büchern lese ich übrigens nur die nicht zu Ende, die mir nicht gefallen.
Aber darum geht es in Deinem Blog nicht. Treffend beobachtet. Da die Umstände es nicht für uns tun, ist nun eigene Anstrengung gefordert für die Konzentration auf das Wesentliche.
Fr3yAFr3yA vor 5 Jahren
Kommunikationsquadrat - da fühle ich mich wieder in mein Studium zurückversetzt (:
Sehr interessante Gedanken hab ich gerne gelesen!
ExUserExUser vor 5 Jahren
Mir geht's ähnlich wie Toppine. Nie nen Flakon leer, allerdings schon ein paar kaputt bekommen. Ich versuche ebenfalls regelmäßig auszusortieren, weil ich sonst den Überblick und ebenso die Wertschätzung verliere.
SchalkerinSchalkerin vor 5 Jahren
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Recht hast du, ganz bestimmt. Ein bisschen bewußter, das wäre wünschenswert. Mein Motto ist immer, keine Spontankäufe, erst mal eine Nacht drüber schlafen, dann kaufen. Aber, irgendwas sammelt jeder. Und mir macht es halt Spaß, jeden Morgen vor meiner Sammlung zu stehen und zu überlegen, welchen meiner tollen Düfte ich nun trage. Das ist mein Luxus, der macht mich glücklich und den erlaube ich mir. Ansonsten sprichst du mir aus der Seele.
ToppineToppine vor 5 Jahren
Ganz ganz toller Blog! 100 % Zustimmung, mehr kann ich dazu nicht sagen. Ach ja doch: ich hab noch nie einen Flakon leerbekommen..:-)
ChizzaChizza vor 5 Jahren
Das mit der Musik ist natürlich wahr und mit den Düften im Prinzip auch. Die Frage ist, ist Maß halten wenn ich mich diszipliniere, nur relevante Käufe zu tätigen oder ist das exzessive Testen ebenfalls bereits maßlos? Ich weiß es tatsächlich nicht.
HaraellaHaraella vor 5 Jahren
Meine Sammlung umfasst gut 100 Flakons und ich hätte Schwierigkeiten, wenn ich z.B. 20 % davon abgeben müsste. Da müsste ich schon sehr genau überlegen, welche Düfte das sein sollten. Die Flakons, die in diesem Jahr leer geworden sind, habe ich bisher nicht nachgekauft . Nicht, weil ich die Düfte nicht mehr mag, sondern weil ich noch so viel habe. ;-)
Zauber600Zauber600 vor 5 Jahren
Dieser Blog erklärt mir doch einiges über das Auf und Ab in der Sammlung von Herrn Weihrauch ;-))
Aber ich habe mir auch schon länger Gedanken gemacht über das sich verändernde Konsumverhalten (Stichwort Spotify/Carsharing vs eigene CD-Sammlung/Auto) und auch die unterschiedlichen Wahrnehmung von Besitz die ja eine sehr persönliche und oft auch altersabhängig ist.
Mit meiner geringfügig größeren Sammlung kann ich gut leben und erfreue mich jeden Tag daran.
Ach so: Pokälsche!
BlütentraumBlütentraum vor 5 Jahren
Deinen Gedanken, einen Duft erst zu bewerten, wenn der Flakon leer ist, nehme ich mir zu Herzen!
BlütentraumBlütentraum vor 5 Jahren
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Sehr toller Blogeintrag!
Genießen kann ich nur in Maßen, denn nur dann kann ich meine Sachen wirklich wertschätzen.
Ich suche auch nicht mehr nach dem "perfekten" Duft, denn auch darauf beziehe ich das Maßhalten und Beenden. Ein Duft gefällt? Super. Dann interessiert es mich auch nicht mehr ob ich ihn mit einer 8 oder 10 bewerte. Die 8 reicht mir. Ich möchte nicht nach einer möglichen 10 suchen. Die Zeit nutze ich lieber, um meine 8 besser kennenzulernen.
Fresh21Fresh21 vor 5 Jahren
Maßhalten kann insbesondere dann nützlich werden, wenn etwas nicht mehr gut tut. Ich hatte damit zum Glück nie ein Problem und lebe ohnehin eher asketisch als verschwenderisch. Denn "weniger ist mehr" habe ich hinsichtlich der damit verbundenen Intensität an Freude viel häufiger erlebt als umgekehrt, wozu auch die Entschleunigung gehört. Interessante Gedankengänge, schöner Artikel!
ivkoivko vor 5 Jahren
Toll, toll, toll...
Sorry, maßvoll: TOLL! :)
PollitaPollita vor 5 Jahren
Ich sehe das ähnlich wie Susan. Feiner Blogbeitrag!
NorleansNorleans vor 5 Jahren
Ein toller Blog, zu einem Thema, mit dem sich viele von uns hier irgendwann auseinandersetzen werden. Die Sammlungsgröße beschäftigt mich tatsächlich, Ich fühle mich imme erleichtert, wenn ein Duft ausgezogen ist. Der nächste Duft ist dann oft schon wieder im Zulauf. "Furchtbar" :-)
ExUserExUser vor 5 Jahren
Wahnsinnig guter Beitrag! Sinnlichkeit ist omnipräsent und massiv "konsumig" geworden. Ich möchte mir selbst gerne die Appellebene aus Deinem Beitrag herausnehmen, um mich hoffentlich wieder öfter und nachhaltiger daran zu erinnern, wie toll es ist sich mit wenigen anstatt - wie heute üblich - so vielen Eindrücken intensiv auseinanderzusetzen. Ich weiß, das tut mir besser! ;)
KnopfnaseKnopfnase vor 5 Jahren
Mir gefällt deine Selbstoffenbarungsebene. Der Blick auf Maß, Dauer und Intensität ist mir zwar vertraut, aber es ist schön an diese Essenz erinnert zu werden. Danke für den Impuls!
BehmiBehmi vor 5 Jahren
Eine schöne Erinnerung wichtiges im Blick zu halten , auch an das Gefühl des Beenden des Flakons.glücklicherweise könnte ich dieses Jahr einige Dinge zu Ende bringen und entschleunigen. Diesen Blog habe ich sehr gern gelesen!
SusanSusan vor 5 Jahren
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Ich bin ein großer Freund des „Maßhaltens"....Überfluss führt schnell zu Inflation und Wert(schätzungs)verlust.....das gilt m.M.n für so gut wie alle Dinge bzw. Lebensreiche.....je größer der Überfluss umso geringer die Tiefe der Bindung.....

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