22.01.2020 - 15:24 Uhr
Duftsucht
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Duftsucht
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Die Träumereien vergangener Tage
Mein erster Weg auf meiner letzten London-Parfumpirsch führte mich direkt in die 89 Jermyn Street zum Stammhaus von Floris. Eigentlich nur als Abstecher geplant, um „Lavender“ kurz aufzusprühen und gleich mitzunehmen. Mit klassischen Lavendeldüften kann man bei mir nicht nur fast nichts falsch machen – nein, man kann mich damit auch wahrhaftig in Verzückung versetzen!
Umso größer war meine Enttäuschung als der nette Verkäufer auf meine Frage nach Lavendel-Düften mir alle möglichen Schätzchen präsentierte, nicht aber diesen schlichten „Lavender“. Auf Nachfrage meinte er, der Duft sei nicht mehr im Programm, dass aber Floris aus ihm unerfindlichen Gründen in irgendeinem Lagerhaus noch etwas horten würde - und dass sie immer beim Abverkauf nach Weihnachten online zu bestellen seien.
Nur halb getröstet begab ich mich stante pede zu Fortnum &Mason, das ganz in der Nähe ist, um mich dort über meinen Kummer mit einem Flakon „Sylvan Song“ von Grossmith hinweg zu trösten. Seitdem lauerte ich und tatsächlich, nach Weihnachten tauchte „Lavender“ zum Spottpreis im Onlineshop von Floris auf und wurde prompt bestellt.
Und nun sitze ich gemütlich in dem Lehnsessel, der noch vom Urgroßvater meines Mannes stammt, so ein richtig wundervoll altmodisches Barockmöbel mit geschwungenen gepolsterten Mahagoni-Armstützen, die Rückenlehne eingefasst von einem aufwändig geschnitzten, verschnörkeltem Holzrahmen. Selbstverständlich mit dazu passendem Fußschemel und wunderbar bequem, wie ich euch versichere.
Vermutlich fragt ihr euch nun, was so ein Uralt-Möbel mit Floris Lavender zu tun haben soll. Sehr viel sogar!
Denn der Duft passt wunderbar stimmig zu diesem Möbelstück: Alt-modisch im besten Sinn des Wortes, gediegen, perfekt gearbeitet, liebevoll gestaltet und dabei absolut zeitlos. So wie der Urgroßvatersessel einen Blickfang in dem sonst ganz modern eingerichteten Zimmer bildet, dabei aber nicht als Fremdkörper oder antiquiert wirkt, sondern mit der ganzen Würde seines Alters einfach IST, so ist auch Lavender ganz selbstverständlich da, als ob er schon immer in diesem Raum geschwebt hätte.
Bisher hätte ich ja behauptet, dass Island Lavender von Caldey der schönste Lavendelduft ist, den ich kenne, nun gerate ich aber ins Grübeln. Zu Beginn finde ich die beiden gar nicht unähnlich, ein glasklarer, transparenter heller Lavendel nimmt mich sofort gefangen. Nicht krautig-drahtig oder scharf, sondern mild, frisch und überhaupt nicht seifig. Doch bei Floris verbirgt sich hinter der wundervollen Kopfnote noch weit mehr. Vielleicht ein Veilchen mitsamt Blatt – oder eine andere bescheidene Blüte. Es ist ein sehr natürlicher, seelenvoller Genuss, bar jeder Synthetik. In der Tiefe vermag ich ein wenig edles Holz zu riechen, das Lavender eine gewisse Substanz verleiht.
Der Duft versucht überhaupt nicht, vorzugeben, etwas anderes zu sein, als das, was er ist. Ein einfacher, eleganter, zurückgenommener Hauch, vielleicht eine vage Erinnerung an frühere Zeiten, als das Schlichte noch großen Genuss bedeutete und die Saturiertheit noch nicht überhand genommen hatte. Eine leise melancholische Träumerei längst vergangener Tage.
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