loewenherz
Sehr hilfreiche Rezension
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Almack's
Orte, die es schon lange nicht mehr gibt, umgibt seit jeher etwas Mythisches. Wenn es dann noch ein Ort ist, von dem Schriftsteller und Dichter hundertfach berichtet haben, und einer, an dem gesellschaftliche Karrieren in die Wege geleitet und Dynastien begründet wurden, um so mehr. Almack's - vollständig: 'Almack's Assembly Rooms' - in der King Street, St. James, in London, ist ein solcher Ort - einer, der Ende des 18. Jahrhunderts zunächst ein Gesellschaftsclub nicht ganz einwandfreien Rufes war. Die Aristokratie mied ihn in diesen ersten Jahren, da Damen hier Glücksspiel gestattet war, was als der Halbwelt vorbehalten galt. Erst um 1800 wurde der Club zu dem, wofür besonders die Literatur des Regency ihn kennt und liebt - ein ebenso eleganter wie sittlich archaischer Heiratsmarkt, an dem nur junge Damen allermakellosesten Rufes in die Gesellschaft eingeführt wurden. Geld oder Titel alleine genügten nicht, um zugelassen zu werden - vielmehr bedurfte es eines tadellosen Leumunds.
Den Zutritt zu Almack's zu erlauben oder zu verweigern - ergo: über den gesellschaftlichen Erfolg einer Debütantin (und ihrer Familie) zu entscheiden - oblag dem strengen Urteil der sogenannten Patronessen: sieben Damen der Londoner Gesellschaft, die beim leisesten Verdacht einer Ungezogenheit diese Erlaubnis zu widerrufen in der Lage waren. Die führenden unter ihnen waren Lady Jersey, Lady Sefton und Mrs. Drummond-Burrell. Hinzu kamen Lady Cowper, Lady Castlereagh, die Gräfin Lieven und die Fürstin Esterházy, letztere die Ehefrauen des russischen bzw. österreichischen Botschafters in London. Selbst dem Duke of Wellington wurde der Zutritt in die Clubräume verweigert, als er wenige Minuten zu spät und in unpassender Kleidung erschien. Es wurden nur ein Imbiss und kein Alkohol gereicht, und keine Debütantin durfte es wagen, den seinerzeit noch als anrüchig geltenden Walzer ohne die ausdrückliche Billigung einer der Patronessen dort zu tanzen.
Almack's war ein Ort des eleganten Lebens und gesellschaftlich von kaum zu hoch einschätzbarer Relevanz. Anmutige Bescheidenheit galt (nicht nur dort) als 'comme il faut' in jenen Tagen, und ein aufdringliches, gar sittlich zweifelhaftes Duftwasser hätte keiner Debütantin, keiner hoffnungsvollen Mutter einer solchen und auch keinem heiratswilligen Herrn gut zu Gesicht gestanden. Stattdessen war man klug beraten, die Zofe oder den Kammerdiener ein einfaches, doch elegant anmutendes und über den geringsten Verdacht der Vulgarität erhabenes Parfum auswählen zu lassen - englisch und wohlanständig. Ein solches ist Limes von Floris, am Vorabend des Regency - so heißen die 1810er Jahre - als herrlich britisches Zitrus-Blütenparfum erschaffen, das einer Debütantin ebenso uneingeschränkt empfohlen werden konnte wie ihrer taubenblau gekleideten Mama oder dem etwas täppischen Grafen mit dem zu eng gebundenen Halstuch, der sich beim Kontertanz so schwer tut.
Limes ist ein feiner Duft von hochanständiger Leichtigkeit und Zartheit. Wie die weiße Florentiner Spitze am schwellenden Busen der Debütantin, auf primelgelbem Musselin. Oder das monogrammbestickte Taschentuch des jungen Grafen, der ahnt, dass er - die Güter seines Vaters hoch belastet wissend - kaum eine Chance auf die Heirat mit der bezaubernden ausländischen Prinzessin hat, sondern - schrecklichster aller Schrecken - der Verlobung mit der wohlhabenden Tochter eines gewöhnlichen Kaufmanns entgegensieht, will er denn die Familienschulden je begleichen. Hell leuchtendes Petitgrain, eine wunderbar weiche Lindenblüte und ein liebliches Maiglöckchen illustrieren diese Zartheit und Distinktion auf das Charmanteste - in einer Lautstärke, die den Hauch auf einem parfümierten Taschentuch in der Tat kaum übersteigt, was angenehm ist und sehr britisch - auch heute noch, wo die Verlobung mit wohlhabenden Kaufmannstöchtern deutlich an Schrecken verloren hat.
Fazit: Almack's und das den Clubs einstmals beherbergende Gebäude gibt es schon lange nicht mehr. Heute steht dort ein Bürohaus, das in Erinnerung an jene Tage nur noch den Namen 'Almack House' trägt. Doch wenn man dort langsam vorbei schlendert, mag man manchmal vielleicht noch eine Ahnung von Lindenblüten im Abendwind erhaschen - ganz sachte nur, wer weiß?