Wellington (Cologne) von Geo. F. Trumper

Wellington 1876 Cologne

FvSpee
25.07.2020 - 18:11 Uhr
32
Top Rezension
6Duft 9Haltbarkeit 4Sillage 7Flakon

Neukölln 3: Ich wollt es wäre Nacht, oder die Frische käme!

Zwar bin ich weder generell anglophob (ich mag den Humor, die Herrenmode, die Beatles und Fish&Chips, auch in Zeitungspapier und mit grünen Tiefkühlerbsen) noch aus Prinzip ein Verächter traditioneller englischer Düfte (Eucris, Elite und Imperial Lime mag ich zum Beispiel sehr), aber mit dem very british Herrenduftsound tue ich mich zugegebenermaßen oft schwer.

Insbesondere scheint es mir (jedenfalls bislang) so, als könnten die Angeln und Sachsen kein Cologne. Jedenfalls keines im kontinentalen Sinn, wie es von Madrid über Paris, Köln und Prag bis Istanbul verstanden wird. Keins, das hell kristallin klingend, zitrisch prickelnd und kühlend daherkommt. Vielleicht will man das auf der verregneten Insel auch nicht? Vielleicht soll es da muffig-kuschelig sein, wärmend wie ein gut eingeschwitztes Tweedjacket in der feuchten Herbstluft bei der Fuchsjagd? Wer weiß. Das einzige englische Kontinentalköln, das ich kenne, Eau de Cologne von Penhaligons, ist vielleicht nicht zufällig schon zum zweiten Mal discontinued.

Wellington, benannt nach Arthur Wellesley, dem 1. Duke of Wellington, gradioser Feldherr und mit Blücher Sieger über Napoleon bei Waterloo, beginnt mit einer etwa fünfminütigen Kopfnote, die das gesamte frische Duftnotenspektrum eines traditionellen Farina-Colognes auf engstem Raum zusammengedrängt persifliert. Obgleich alles da ist (außer dem Lavendel), Bergamotte, Zitrone, Neroli, Rosmarin, sogar Orange, hebt das Ding aber sogar in diesen ersten fünf Minuten nicht frischwärts ab. Denn einerseits kriegt man das Cologne-Bild nie richtig scharfgestellt: Es ist wie ein Doppelsehen, wie ein schlingernder Halo, der den Eindruck mal ins Seifige und mal schrill ins Scheuerpulverhafte verrutschen lässt.

Andererseits ist da schon in dieser Frühphase neben den fünf Sechsteln Farina auch ein Sechstel einer obskuren, cremigbraunen, glucksend-schwülen und ölig-saugenden Össeligkeit präsent, hinsichtlich derer ich gleich irgendwelches Blumen-, womöglich Rosengedöns (das für meine beschränkt-horizontierten Begriffe in einem Cologne nichts zu suchen hat) im Verdacht hatte. Das hat ein Blick in die Duftpyramide bestätigt. Nach etwa zehn Minuten ist diese muffelige, die Grenze des Latrinalen streifende britische Aberration auf zwei Drittel angeschwollen. Die Herznote dieses Duftes könnte ich ermorden, egal ob mit dagger, candlestick, rope, revolver oder was Cluedo sonst noch bietet. Wenn Blenheim Bouquet, das mir nicht besonders gefallen hat, dessen Dufteindruck ich aber bereits verdrängt habe, frei davon ist, gefällt es mir jedenfalls besser.

Danach ziehen sich die rotten roses mählich zurück, möglicherweise in die von Wellington in seiner zweiten Karriere als - miserabler - Premierminister so vehement verteidigten rotten boroughs. Nach etwa 15 Minuten besetzen sie nur noch die Hälfte der Bühne, nach 45 Minuten sind sie endlich weg. Glockenläuten!

Danach beginnt die angenehmste Phase dieses Duftes, die zugleich die mit Abstand längste ist. Ich komme auf 15 Stunden (skinny) und kann daher die Durchschnittswertung von 6,7 für die Haltbarkeit nur mit Autosuggestion ("Colognes halten nicht lang") erklären. Diese unendliche Schlussphase ist wieder promiment zitrisch und recht frisch (auch wenn sie nicht strahlend, kristallin und sommerlich kühlend daherkommt), allerdings verbunden mit waldig-krautigen, wacholderig-würzigen und erdigen Anmutungen, für welche der als einzige Basisnote angegebene Moschus keine hinreichende Erklärung liefert.

Auch wenn ich von den Erwartungen, die der Begriff Cologne und die vielen angegebenen zitrischen Noten in mir geweckt haben, abstrahiere und Wellington nicht als Vertreter des Genres, dem diese Serie gewidmet ist, sondern einfach als für sich stehenden Herrenduft betrachte, halte ich ihn für wenig gelungen. Meine Meinung will wenig bedeuten, zumal der Duft seit 150 Jahren am Markt besteht und Yatagan und Fittleworth ihn großartig finden. Es ist aber leider die einzige, die ich habe.
25 Antworten
StulleStulle vor 5 Jahren
Kräutersud. Det Ding riecht wie dicker, sämiger Kräutersud mit scharfer Minze zu Beginn. Uuh....
KonsalikKonsalik vor 5 Jahren
...und ich verstehe genau was du meinst. Wellington habe ich lustigerweise am Samstag zum ersten Mal bei The English Scent aufgesprüht und fand auch, dass er alles Anstrengende, was sehr britische Düfte so haben können, aufweist. Össeligkeitspokal!
CravacheCravache vor 5 Jahren
1
Ich finde, es ist immer ein schmaler Grat zwischen muffiger britischer Steifärschigkeit und wunderbar old-fashioned. Mir gefällt der Duft recht gut.
GoldGold vor 5 Jahren
Köln-Chorweiler. Es ist Nacht. Und ich wollte, ich hätte anstelle der frischen, neuen Wellingtonboots meine Docs an. It rains even harder now.
UnterholzUnterholz vor 5 Jahren
1
Fein beschrieben, nur weil alt, heisst es nicht, dass er jedem gefallen muss. Das Schöne an klassischen Düften ist, dass sie halt gerne polarisieren.
TtfortwoTtfortwo vor 5 Jahren
Dafür einen össeligen Latrinal-Pokal (das reimt sich sogar!) Und sollte es doch zum Duell kommen, dann empfehle ich Tourette als zu wählende Waffe.
TablaTabla vor 5 Jahren
Ich kenne den Duft nicht, aber er klingt furchtbar..... obskuren cremig braun... die Grenze des Latrinalen streifende ... rotten roses.
Das ist mehr als nur ein Verriß, das ist eine Hinrichtung. Mag ihn gar nicht kennen lernen.
Wenigstens können die Briten Seife.
ParmaParma vor 5 Jahren
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Ich finde, du triffst den Duft sehr gut. Mit dem Schwül-Muffigen tue ich mich auch sehr schwer und kann deine Bewertung absolut nachvollziehen. Ich habe ihn dann zur Verträglichkeit vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit - quasi als Kulturgut - bewertet. Dann fiel es mir leichter ;) Und ich finde es in der heutigen Zeit schon ein tolles Statement, so einen alten Duft - wahrscheinlich relativ gering verändert - im Portfolio zu halten.
ParfumateurParfumateur vor 5 Jahren
Oh Dear, das ist ja ein geradezu infamer Geschäfts- äh Souk-schädigender Kommentar, der in einem vorherigen Jahrhundert zum Duell geführt hätte. Wellington ist DAS britische Cologne, dessen wunderschöner zitrusgeschwängerter Duft z.B. Garantiert die Hallen des House of Lords erfüllt. Aber Gut, wir sind zwar etwas disappointed und nicht really amused, aber wer sich so viel Mühebgibt, hat ein Pokälchen verdient, wir bleiben dann mal weiter unter uns und genießen Wellington...Cheerio my Friends
Can777Can777 vor 5 Jahren
Der wäre auch nicht mein Fall. Da passe ich mal!
Gern gelesen!
OtherwiseOtherwise vor 5 Jahren
Es gibt vieles, was die Briten nicht können und einiges, was sie gar nicht können: Parfum gehört - bis auf wirklich blaue-mauritius-rare, positive Ausnahmen - unbedingt dazu. In den Untiefen der Duftwässer mit tradiertem angelsächsischen Gepräge mögen sich deshalb liebend gern die Freunde 'klassischer' (welch ein Euphemismus für stoffgewordenen Biedersinn) Herrenmode suhlen. Ich bedauere - nicht nur kulturell gesehen - derweilen einmal mehr, dass bei Waterloo die falsche Seite siegreich war.
MörderbieneMörderbiene vor 5 Jahren
Town & Country und Blenheim Bouquet schätze ich sehr. Diesen hier würde ich denn vermutlich auch mögen, hatte aber bislang noch nicht Gelegenheit dazu.
YataganYatagan vor 5 Jahren
1
Der ist ja ein Duftzwilling (fast) von Blenheim Bouquet von Penhaligon's und weil ich den grandios finde, muss ich auch den hier grandios finden. ;)
GandixGandix vor 5 Jahren
Vielen Dank. Ich glaube, den kann ich mir zum Testen sparen...
FittleworthFittleworth vor 5 Jahren
Spannend beschrieben! Das "Mufflige" habe ich so gar nicht wahrgenommen, bei mir wird das wohl verdrängt von etwas, das sich eher als Maiglöckchen präsentiert ...
SiebenkäsSiebenkäs vor 5 Jahren
Sehr schön und witzig unter die Lupe genommen! Ich seh da vieles ähnlich wie du, trotz gewisser anglophiler Neigungen... Tea-Time-Pokal jedenfalls! (und bei den Chips bitte nicht den Vinegar vergessen!)
SchatzSucherSchatzSucher vor 5 Jahren
Bei Colognes ziehe ich auch die hellen, frischen und unmuffigen vor. Man kann sie nicht alle lieben. Und dafür wird dir niemand den Kopf abreißen, daß Du nun mit gerade diesem nicht zurechtgekommen bist. Össeligkeit ist mein Wort des Tages ;-)
ChizzaChizza vor 5 Jahren
Kann ich mir gut vorstellen, so wie du die Noten beschrieben hast. Auch ich bin eher konservativ wenn ich mal zu einem Cologne greife.
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
Ich mag Colognes auch lieber frisch, transparent, strahlend und kühlende statt beschwert von rotten roses, muffiger Kuschligkeit und Tweed. Allerdings mochte ich Blenheim Bouquet, wenngleich ich dessen Frische auch ein bisschen getrübt wahrnehme, durch Pfeffer wahrscheinlich.
PollitaPollita vor 5 Jahren
Durchschwitztes Tweedjacket bei der Fuchsjagd. Die spinnen, die Briten ;)
Gern gelesen!
FloydFloyd vor 5 Jahren
Hach, Verrisse können so herrlich humorvoll und mitreißend sein. Danke dafür!
SeeroseSeerose vor 5 Jahren
Es ist eben Dein Nase! die das anders empfindet. Jeder Mensch nimmt (nicht nur) Gerüche anders wahr. Du hast Dir viel Mühe gegeben für einen Duft, der Dir nicht zusagt. Nicht mal einen bissigen Verriß hast Du daraus gemacht.
SniffsniffSniffsniff vor 5 Jahren
Wenn die Össeligkeit ins Latrinale abzudriften droht, ist guter Rat seit jeher teuer. Adjektivischer Diversitätspokal!
MonsieurTestMonsieurTest vor 5 Jahren
Hier kann man wieder sehr vile über Cologne-Kompositionen und originelle Parfumkritisemantik lernen, Danke dafür!
Und fürs exzellent kritisierte 6.Sechstel gibts den Liminallatrinal- Pokal full of rotten roses.
SweetscentSweetscent vor 5 Jahren
1
Sehr gut beschrieben, ich weiß was du meinst, ging mir genau so.
Als klassische Colognes aus England kann ich Arlington und GFT empfehlen. West Indian Extract of Limes ist auch super frisch und toll, aber rein zitrisch.
Geht auch ohne Muff will ich sagen ;-)