04.10.2014 - 15:58 Uhr
Palonera
467 Rezensionen
Palonera
Geschichte Top Rezension
35
die Frau
Ein wenig blutleer hatte er sie sich vorgestellt, blaß und still und vergeistigt, so wie manche jener zarten, fast durchscheinenden Wesen, die manchmal vor ihm lagen auf dem Tisch in der Pathologie und ihm Geschichten erzählten vom Leben und vom Sterben.
Was hätte er auch erwarten sollen von einer Frau, die sich Ophélia nannte und John Everett Millais' Gemälde als Avatar gewählt hatte?!
Nicht daß er sich viel aus Kunst gemacht hätte, zumindest nicht aus dieser Richtung – es war Zufall gewesen, daß er an jenem Tag in der Tate Gallery gestanden und vor eben diesem Bild auf eine Frau gewartet hatte, die...
Nun ja.
Er wußte, daß er es ihnen nicht leicht machte, daß er es sich selbst nicht leicht machte – vielleicht hatte er einfach vergessen, wie es sich anfühlte, das Leben, vielleicht hatte er schon zuviel Zeit in Gesellschaft seiner stillen Gäste verbracht.
Er wußte es nicht.
Vielleicht spielte es auch keine Rolle – jetzt nicht mehr.
Sie hatte auf der Bank gesessen hinten am See, halb verborgen hinter der Trauerweide.
Er war stehengeblieben, die Hände tief in den Manteltaschen, der Atem flach in seiner Brust.
Ganz ruhig saß sie da, als wüßte sie nicht, daß er kommen würde, daß sie miteinander reden würden, Fragen und Antworten, Blicke und vielleicht Berührungen austauschen, einander fremd und doch nicht mehr fremd.
Der Geruch des Wassers war ihm in die Nase gestiegen, feucht und kühl und ein wenig dumpf, vermischt mit dem schweren Grün der Pflanzen, die in seiner Nähe wuchsen.
Er wußte, daß sie wußte, daß er da war, daß er hinter ihr stand und sie beobachtete, doch sie wandte nicht den Kopf, gab ihm kein Zeichen.
Er hatte sich neben sie gesetzt, wortlos, den Blick auf den See gerichtet, auf dessen Oberfläche sacht die weißen Blüten der Wasserlilien schaukelten.
Keiner von ihnen hatte gesprochen, lange Zeit nicht, und doch hatte er zum ersten Mal seit Jahren, seit Jahrzehnten vielleicht das Gefühl gehabt, daß alles in Ordnung war, daß es gut war, was er tat oder eben nicht tat, daß es kein Falsch gab.
Nicht hier, nicht heute.
Irgendwann waren sie gegangen.
Es hatte nicht viele Worte gebraucht.
Er hatte die Wärme ihrer Haut, die Rundungen ihres Leibes unter seinen Händen gespürt, ihr warmes pulsierendes Leben, das nicht blaß war und nicht zart, hatte seine Nase in ihrem Haar vergraben und in ihrem Duft, ihrer Weiblichkeit, dem salzigen Moschus ihrer Haut.
Er hatte vergessen, wer er war, wo er war, wo er gewesen war all die Zeit, die er nicht mit ihr verbracht hatte, mit ihr, Ophélia, deren weiche Arme ihn hielten, wieder und wieder, während die kühle Nachtluft über seinen Rücken strich und den Duft der Blüten mit ihrer Haut verwob.
In der Dunkelheit des Zimmers blickte er auf sie hinunter, in ihre halbgeschlossenen Augen, die jenen in Millais' Gemälde so ähnlich sahen.
Ophélia.
Morgen würde er sie nach ihrem Namen fragen.
Oder übermorgen.
Oder auch nicht.
Was hätte er auch erwarten sollen von einer Frau, die sich Ophélia nannte und John Everett Millais' Gemälde als Avatar gewählt hatte?!
Nicht daß er sich viel aus Kunst gemacht hätte, zumindest nicht aus dieser Richtung – es war Zufall gewesen, daß er an jenem Tag in der Tate Gallery gestanden und vor eben diesem Bild auf eine Frau gewartet hatte, die...
Nun ja.
Er wußte, daß er es ihnen nicht leicht machte, daß er es sich selbst nicht leicht machte – vielleicht hatte er einfach vergessen, wie es sich anfühlte, das Leben, vielleicht hatte er schon zuviel Zeit in Gesellschaft seiner stillen Gäste verbracht.
Er wußte es nicht.
Vielleicht spielte es auch keine Rolle – jetzt nicht mehr.
Sie hatte auf der Bank gesessen hinten am See, halb verborgen hinter der Trauerweide.
Er war stehengeblieben, die Hände tief in den Manteltaschen, der Atem flach in seiner Brust.
Ganz ruhig saß sie da, als wüßte sie nicht, daß er kommen würde, daß sie miteinander reden würden, Fragen und Antworten, Blicke und vielleicht Berührungen austauschen, einander fremd und doch nicht mehr fremd.
Der Geruch des Wassers war ihm in die Nase gestiegen, feucht und kühl und ein wenig dumpf, vermischt mit dem schweren Grün der Pflanzen, die in seiner Nähe wuchsen.
Er wußte, daß sie wußte, daß er da war, daß er hinter ihr stand und sie beobachtete, doch sie wandte nicht den Kopf, gab ihm kein Zeichen.
Er hatte sich neben sie gesetzt, wortlos, den Blick auf den See gerichtet, auf dessen Oberfläche sacht die weißen Blüten der Wasserlilien schaukelten.
Keiner von ihnen hatte gesprochen, lange Zeit nicht, und doch hatte er zum ersten Mal seit Jahren, seit Jahrzehnten vielleicht das Gefühl gehabt, daß alles in Ordnung war, daß es gut war, was er tat oder eben nicht tat, daß es kein Falsch gab.
Nicht hier, nicht heute.
Irgendwann waren sie gegangen.
Es hatte nicht viele Worte gebraucht.
Er hatte die Wärme ihrer Haut, die Rundungen ihres Leibes unter seinen Händen gespürt, ihr warmes pulsierendes Leben, das nicht blaß war und nicht zart, hatte seine Nase in ihrem Haar vergraben und in ihrem Duft, ihrer Weiblichkeit, dem salzigen Moschus ihrer Haut.
Er hatte vergessen, wer er war, wo er war, wo er gewesen war all die Zeit, die er nicht mit ihr verbracht hatte, mit ihr, Ophélia, deren weiche Arme ihn hielten, wieder und wieder, während die kühle Nachtluft über seinen Rücken strich und den Duft der Blüten mit ihrer Haut verwob.
In der Dunkelheit des Zimmers blickte er auf sie hinunter, in ihre halbgeschlossenen Augen, die jenen in Millais' Gemälde so ähnlich sahen.
Ophélia.
Morgen würde er sie nach ihrem Namen fragen.
Oder übermorgen.
Oder auch nicht.
24 Antworten