19.12.2019 - 16:59 Uhr
Profumo
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Profumo
Analyse Top Rezension
59
Von wegen Oma- bzw. Opaduft: Chypre kann auch im neuen Jahrtausend eine Menge!
Ich glaube, man muss ein bestimmtes – um nicht zu sagen: reiferes – Alter haben, um Chypre-Düfte schätzen zu können. Nicht anders kann ich es mir erklären, dass zuverlässig eine Vielzahl der Konsumenten behauptet, zu jung für den einen oder anderen Duft dieser Gattung zu sein. Gelegentlich werden sie auch mit Attributen wie Oma- oder Altherrenduft belegt, was mich immer ein wenig erbost, aber vermutlich nur, weil ich selbst so langsam beginne dieser Generation anzugehören.
Und da ich Chypre-Düfte liebe, lasse ich mir ungern einreden, dass es ja nur deswegen sei, weil ich schon mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel habe...
Im Gegenteil: Chypre-Düfte habe ich schon gemocht, als ich in den Zwanzigern war. ‚Eau Sauvage’ und ‚Armani pour Homme’ (heute: ‚Eau pour Homme’) waren Düfte, die ich häufig trug. Gerade die bitteren Facetten dieser Düfte mochte (und mag) ich besonders.
Viele junge Menschen aber lieben vor allem Süßes – je süßer, desto besser. Bitterem wird häufig misstraut und meist mit Giftigem assoziiert.
Es mag also ein Privileg des Älterwerdens sein, dass man peu à peu toleranter gegenüber Bitterem wird, womöglich aber ist es doch weniger eine Frage des Alters, als vielmehr eine des Zeitalters.
Chypre-Düfte hatten ihre große Zeit in den 50er, 60er und 70er Jahren. Schon in den 80ern galten sie als altmodisch, erst recht in den 90ern, bis die IFRA diesem Genre zu Beginn des neuen Jahrtausends den Gnadenschuss gab.
Nochmals verging ein Jahrzehnt, bis die ersten Parfümeure sich an neuen Chypres versuchten. Kreativität war nun wirklich gefragt, da an eine klassische Machart des inkriminierten Eichenmooses wegen nicht zu denken war.
Jacques Polge versuchte es mit einer Kombination aus Iris, Patchouli und Labdanum (‚31 Rue Cambon’), Ralf Schwieger seinerseits mit Rose, Immortelle und einigen Harzen (‚Afternoon of a Faun’), Bertrand Duchaufour verwendete ein vom Allergen Atranol weitestgehend befreites Eichenmoos (‚Chypre Palatin’), während andere gleich auf einen Ersatzstoff wie Evernyl bzw. Veramoss (IFF), oder Orcinyl 3 (Givaudan) auswichen.
James Heeley lancierte 2015 sein ‚Chypre 21’, einen Duft, der schon im Namen den Anspruch in sich trägt, das in die Jahre gekommene Genre zu erneuern.
Ist ihm das gelungen? Ich meine, ja.
Häufig wird aber schon der Begriff ‚Chypre’ für diesen Duft in Zweifel gezogen.
Ist er also ein Chypre-Duft? Jein, würde ich sagen - es kommt auf den Standpunkt an.
Nein, wenn man eher orthodoxe Maßstäbe anlegt, nach denen die Verwendung von Eichenmoos in jedem Fall zwingend ist.
Ja, wenn man bereit ist von dieser Orthodoxie nur ein klein wenig abzuweichen. Denn allzu groß ist der Schritt nicht, mit dem sich Heeley vom klassischen Chypre-Gerüst entfernt.
Die bitter-herbe Zitrus-Schale der Bergamotte ist da, die Rose ist da (ebenfalls ein beinahe schon integraler Bestandteil des klassischen Chypres), Patchouli ebenfalls, und sogar ein ganz klein wenig Eichenmoos. So weit, so gut, aber für einen veritablen Chypre-Duft ist das noch recht wenig, zumal Heeley auch auf die Verwendung von Labdanum verzichtet – ein weiterer typischer Bestandteil vieler Chypre-Fonds.
Vor einiger Zeit hatte ich in einem Interview mit James Heeley gelesen (es war auf Scentury.com, ist aber leider nicht mehr online), dass er versuchte den Mangel an Eichenmoos mit dem ähnlich komplexen Duft der Alge auszugleichen. Vermutlich kam ihm die Idee schon, als er wenige Jahre zuvor an seinem Duft ‚Sel Marin’ arbeitete, in dessen Zentrum sich geradezu ein ganzer Algenteppich ausbreitet. Das ist bei ‚Chypre 21’ zwar nicht der Fall, aber das günlich-herbe, leicht salzige Aroma der Alge ist durchaus erkennbar. Auch das Eichenmoos hat ja diese grünlich-herbe, leicht salzige Facette, neben einigen weiteren mehr, die es wieder vom Duft-Spektrum der Algen unterscheidet. Dennoch besteht eine gewisse Schnittmenge, und ich finde, dass James Heeley sie sehr schön herausgearbeitet hat.
Die Verwendung der Alge ist aber nicht das einzige moderne Element, das aus ‚Chypre 21’ einen wirklich zeitgenössischen Duft macht – auch der Safran spielt hier eine nicht unwesentliche Rolle. Ebenso vielschichtig im Duft wie Alge und Eichenmoos, verstärkt er den für Chypre-Düfte so charakteristisch bitteren Nachhall.
Schon in den Kopfnoten versucht Heeley diesen Nachhall unter Verwendung von Bergamotte und einer Spur Rosmarin aufzubauen, trägt ihn im Herzen mit Safran fort, um ihn im Fond mit Eichenmoos und Alge zu verstärken.
Ob zusätzlich noch synthetische Moose im Spiel sind, weiß ich nicht, aber ich habe nicht den Eindruck. Vielmehr vermute ich, dass Heeley zeigen wollte, wie der berühmte Chypre-Effekt auch ohne übermäßigen Einsatz von Synthetik zu erzielen ist.
Das ist ihm auf jeden Fall gelungen – wie ich überhaupt den ganzen Duft gelungen finde!
Heeley selbst nennt seinen Duft ‚eine Ode an den Pariser Chic’. Zudem verlinkt er ihn mit Persönlichkeiten wie Jackie Onassis, Grace Kelly und dem Duke, sowie der Duchess of Windsor, aka Wallis Simpson, nebst royalem Gatten, dem einstigen Kurzzeitkönig Edward VIII.
Schwere Geschütze, aber sei´s drum: wer nicht laut bellt, wird nicht gehört – gerade heute.
Interessant aber: alles keine Franzosen, sondern Amerikanerinnen und ein Engländer. Allerdings mit starkem Hang zu Frankreich, insbesondere zu Paris. Und James Heeley selbst? Auch er ein Engländer, mit Wahlheimat Paris.
So passt der von ihm gewählte Eichenmoos-Ersatz Alge auch hier wieder gut, mussten sie doch alle über’s Meer nach Paris. Und wer, wenn nicht die Alge, steht olfaktorisch für das Meer?
Ein bisschen spekulativ, ich weiß.
Zwei Jahre nach ‚Chypre 21’ hat jedenfalls ein weiteres Pariser Parfumhaus - Ex Nihilo - erneut einen beachtlichen Chypre-Duft dem Chic der französischen Hauptstadt gewidmet: ‚French Affair’. Auch er beschwört die gute alte, Chypre-Zeit, diesmal jedoch eher die 70er Jahre und weniger die 50er, wie im Falle von ‚Chypre 21’.
Wie diesem gelingt aber auch ‚French Affair’ der Spagat zwischen Tradition und Moderne.
Zudem sind beide recht ähnlich konstruiert: Bergamotte im Kopf, ein Rosenakkord im Herzen, Patchouli und Eichenmoos in der Basis, modern akzentuiert durch Litschi und Angelika hier, durch Rosmarin, Safran und Alge dort.
Bezugspunkte von ‚Cypre 21’ sind einerseits das originale ‚Miss Dior’, andererseits ‚Eau Sauvage’, während ‚French Affair’ ‚Aromatics Elixir’ und ‚Armais 900’ zitiert.
Beide Düfte, und das gefällt mir besonders gut, belassen es aber nicht beim Zitat, sondern betonen vor allem ihr modernes Outfit. Ganz so, als wollten James Heeley und Quentin Bisch (und nicht zu vergessen: Bertrand Duchaufour!) uns zurufen: seht her, was ‚Chypre’ heute noch kann – eine Menge!!
‚Chypre 21’ ist absolut unisex, hat eine wunderbare, nicht zu laute, aber auch nicht zu leise Präsenz und enorme Ausdauer.
Ein toller Duft!
Und da ich Chypre-Düfte liebe, lasse ich mir ungern einreden, dass es ja nur deswegen sei, weil ich schon mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel habe...
Im Gegenteil: Chypre-Düfte habe ich schon gemocht, als ich in den Zwanzigern war. ‚Eau Sauvage’ und ‚Armani pour Homme’ (heute: ‚Eau pour Homme’) waren Düfte, die ich häufig trug. Gerade die bitteren Facetten dieser Düfte mochte (und mag) ich besonders.
Viele junge Menschen aber lieben vor allem Süßes – je süßer, desto besser. Bitterem wird häufig misstraut und meist mit Giftigem assoziiert.
Es mag also ein Privileg des Älterwerdens sein, dass man peu à peu toleranter gegenüber Bitterem wird, womöglich aber ist es doch weniger eine Frage des Alters, als vielmehr eine des Zeitalters.
Chypre-Düfte hatten ihre große Zeit in den 50er, 60er und 70er Jahren. Schon in den 80ern galten sie als altmodisch, erst recht in den 90ern, bis die IFRA diesem Genre zu Beginn des neuen Jahrtausends den Gnadenschuss gab.
Nochmals verging ein Jahrzehnt, bis die ersten Parfümeure sich an neuen Chypres versuchten. Kreativität war nun wirklich gefragt, da an eine klassische Machart des inkriminierten Eichenmooses wegen nicht zu denken war.
Jacques Polge versuchte es mit einer Kombination aus Iris, Patchouli und Labdanum (‚31 Rue Cambon’), Ralf Schwieger seinerseits mit Rose, Immortelle und einigen Harzen (‚Afternoon of a Faun’), Bertrand Duchaufour verwendete ein vom Allergen Atranol weitestgehend befreites Eichenmoos (‚Chypre Palatin’), während andere gleich auf einen Ersatzstoff wie Evernyl bzw. Veramoss (IFF), oder Orcinyl 3 (Givaudan) auswichen.
James Heeley lancierte 2015 sein ‚Chypre 21’, einen Duft, der schon im Namen den Anspruch in sich trägt, das in die Jahre gekommene Genre zu erneuern.
Ist ihm das gelungen? Ich meine, ja.
Häufig wird aber schon der Begriff ‚Chypre’ für diesen Duft in Zweifel gezogen.
Ist er also ein Chypre-Duft? Jein, würde ich sagen - es kommt auf den Standpunkt an.
Nein, wenn man eher orthodoxe Maßstäbe anlegt, nach denen die Verwendung von Eichenmoos in jedem Fall zwingend ist.
Ja, wenn man bereit ist von dieser Orthodoxie nur ein klein wenig abzuweichen. Denn allzu groß ist der Schritt nicht, mit dem sich Heeley vom klassischen Chypre-Gerüst entfernt.
Die bitter-herbe Zitrus-Schale der Bergamotte ist da, die Rose ist da (ebenfalls ein beinahe schon integraler Bestandteil des klassischen Chypres), Patchouli ebenfalls, und sogar ein ganz klein wenig Eichenmoos. So weit, so gut, aber für einen veritablen Chypre-Duft ist das noch recht wenig, zumal Heeley auch auf die Verwendung von Labdanum verzichtet – ein weiterer typischer Bestandteil vieler Chypre-Fonds.
Vor einiger Zeit hatte ich in einem Interview mit James Heeley gelesen (es war auf Scentury.com, ist aber leider nicht mehr online), dass er versuchte den Mangel an Eichenmoos mit dem ähnlich komplexen Duft der Alge auszugleichen. Vermutlich kam ihm die Idee schon, als er wenige Jahre zuvor an seinem Duft ‚Sel Marin’ arbeitete, in dessen Zentrum sich geradezu ein ganzer Algenteppich ausbreitet. Das ist bei ‚Chypre 21’ zwar nicht der Fall, aber das günlich-herbe, leicht salzige Aroma der Alge ist durchaus erkennbar. Auch das Eichenmoos hat ja diese grünlich-herbe, leicht salzige Facette, neben einigen weiteren mehr, die es wieder vom Duft-Spektrum der Algen unterscheidet. Dennoch besteht eine gewisse Schnittmenge, und ich finde, dass James Heeley sie sehr schön herausgearbeitet hat.
Die Verwendung der Alge ist aber nicht das einzige moderne Element, das aus ‚Chypre 21’ einen wirklich zeitgenössischen Duft macht – auch der Safran spielt hier eine nicht unwesentliche Rolle. Ebenso vielschichtig im Duft wie Alge und Eichenmoos, verstärkt er den für Chypre-Düfte so charakteristisch bitteren Nachhall.
Schon in den Kopfnoten versucht Heeley diesen Nachhall unter Verwendung von Bergamotte und einer Spur Rosmarin aufzubauen, trägt ihn im Herzen mit Safran fort, um ihn im Fond mit Eichenmoos und Alge zu verstärken.
Ob zusätzlich noch synthetische Moose im Spiel sind, weiß ich nicht, aber ich habe nicht den Eindruck. Vielmehr vermute ich, dass Heeley zeigen wollte, wie der berühmte Chypre-Effekt auch ohne übermäßigen Einsatz von Synthetik zu erzielen ist.
Das ist ihm auf jeden Fall gelungen – wie ich überhaupt den ganzen Duft gelungen finde!
Heeley selbst nennt seinen Duft ‚eine Ode an den Pariser Chic’. Zudem verlinkt er ihn mit Persönlichkeiten wie Jackie Onassis, Grace Kelly und dem Duke, sowie der Duchess of Windsor, aka Wallis Simpson, nebst royalem Gatten, dem einstigen Kurzzeitkönig Edward VIII.
Schwere Geschütze, aber sei´s drum: wer nicht laut bellt, wird nicht gehört – gerade heute.
Interessant aber: alles keine Franzosen, sondern Amerikanerinnen und ein Engländer. Allerdings mit starkem Hang zu Frankreich, insbesondere zu Paris. Und James Heeley selbst? Auch er ein Engländer, mit Wahlheimat Paris.
So passt der von ihm gewählte Eichenmoos-Ersatz Alge auch hier wieder gut, mussten sie doch alle über’s Meer nach Paris. Und wer, wenn nicht die Alge, steht olfaktorisch für das Meer?
Ein bisschen spekulativ, ich weiß.
Zwei Jahre nach ‚Chypre 21’ hat jedenfalls ein weiteres Pariser Parfumhaus - Ex Nihilo - erneut einen beachtlichen Chypre-Duft dem Chic der französischen Hauptstadt gewidmet: ‚French Affair’. Auch er beschwört die gute alte, Chypre-Zeit, diesmal jedoch eher die 70er Jahre und weniger die 50er, wie im Falle von ‚Chypre 21’.
Wie diesem gelingt aber auch ‚French Affair’ der Spagat zwischen Tradition und Moderne.
Zudem sind beide recht ähnlich konstruiert: Bergamotte im Kopf, ein Rosenakkord im Herzen, Patchouli und Eichenmoos in der Basis, modern akzentuiert durch Litschi und Angelika hier, durch Rosmarin, Safran und Alge dort.
Bezugspunkte von ‚Cypre 21’ sind einerseits das originale ‚Miss Dior’, andererseits ‚Eau Sauvage’, während ‚French Affair’ ‚Aromatics Elixir’ und ‚Armais 900’ zitiert.
Beide Düfte, und das gefällt mir besonders gut, belassen es aber nicht beim Zitat, sondern betonen vor allem ihr modernes Outfit. Ganz so, als wollten James Heeley und Quentin Bisch (und nicht zu vergessen: Bertrand Duchaufour!) uns zurufen: seht her, was ‚Chypre’ heute noch kann – eine Menge!!
‚Chypre 21’ ist absolut unisex, hat eine wunderbare, nicht zu laute, aber auch nicht zu leise Präsenz und enorme Ausdauer.
Ein toller Duft!
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