21.07.2014 - 23:25 Uhr
Siebter
49 Rezensionen
Siebter
Top Rezension
50
Wie After Eight, nur ohne Schokolade, dafür mit Rauch, Wachs und Holz [mit Video]
Zuallererst: toller Name! Als ich ihn das erste Mal las, war ich von der sich schnell daraus ableitenden Idee, dass ein Duft auch etwas anderes sein kann als ein mehr oder weniger passender Begleiter, nämlich die Beschreibung einer detaillierten Szenerie, so richtig „What the fuck?“-beeindruckt. Es dauerte noch eine Weile, bis ich ihn erwarb und somit endlich mit meinen Erwartungen abgleichen konnte, trotzdem bedeutete der coole Name schon einen Wendepunkt für mich.
Lush spinnen einen recht dichten Kontext um ihre Düfte und bedienen sich dabei aus allerlei Quellen: Popkultur, alte Mythen, Politik, historische Bezüge, alles sehr liebevoll ausgestaltet und mit Geschichten verwoben, die sich sehr schön weiterspinnen lassen. Damit nutzen sie die sich im Umfeld solcher Marken wie Aesop, Korres oder Molton Brown bietenden Möglichkeiten jenseits der Designerparfümerie einerseits und der gehobenen Nischenparfümerie mit Kunstanspruch andererseits am konsequentesten aus. Parfum ist nur ein Standbein von vielen für Lush, vielleicht ist das aber der Grund, weshalb sich in deren Sortiment eine derartige Fülle an zweifellos experimentellen und herausfordernden Düften befindet, die man kaum einer anderen Marke zutrauen würde. Im Einzelfall mag „Herausforderung“ dann eine diplomatische Umschreibung für „total schlecht“ sein, Weather ist jedoch ein Duft, der zeigt, dass man in einem radikal ausgenutzten Freiraum etwas absolut Unvergleichliches schaffen kann. Weather ist zudem ein tolles Beispiel dafür, was man mit dem Kontext eines Parfums machen kann.
In diesem Fall ist der Kontext archaisch und elementar und somit jeden berührend. Weather vermag es tatsächlich, ein Klima um den Träger zu schaffen - die Luft wird kühler, als ob ein Sturm herannaht, der Dir ob des plötzlichen und unerwarteten Temperaturabfalls eine Gänsehaut unter Deinem T-Shirt verschafft. Eine so unmittelbar kühlende Wirkung auf der Haut kenne ich ansonsten nur von Salben wie Wick Vaporub oder Tiger Balm. Mit Letzterem teilt der sich locker über ein bis zwei Stunden hinziehende Auftakt die medizinische Anmutung, die ein wenig an Kampfer und Wintergrün erinnert. Im Gegensatz zu Tiger Balm steht hier aber eine sehr schwere und stürmische Minze im Zentrum, die viel wütender ist als das, was man sonst so als Minze kennt. Roh, konzentriert, angriffslustig und rauchend vor donnerndem Zorn.
Minze und Rauch sind in den ersten zwei Stunden so ziemlich die einzigen Protagonisten. Woher der zum Teil sehr raumgreifende Rauch eigentlich kommt, lässt sich aus der Notenpyramide nicht ableiten, ich vermute als Grundlage Vetiver oder eines seiner Derivate - ist aber auch ziemlich egal, dieser Rauch jedenfalls ist unglaublich komplex und nirgendwo sonst zu finden: er ist trocken, aber in derselben Art und Weise, wie Staub trocken ist, den ein Regenguss vom Kopfsteinpflaster oder einem Trampelpfad aufwirbelt, die ganze Luft um Dich herum anfüllend, ein wenig bitter und erdig. Toll ist, wie bestimmend Minze und Rauch hier wirken, wie überzeugend sie die Wucht von herannahenden Gewitterstürmen evozieren. Weather ist ein extrem konzentriertes und starkes Extrait, welches aber im Gegensatz zu vielen anderen Extraits nicht hautnah ist, sondern im Gegenteil rücksichtslos in die Umgebung abstrahlt. Wie ein Regen, der auf alles fällt und nichts auslässt.
Mit der Zeit erhöht sich die Zahl der eindeutig auszumachenden Protagonisten auf vier. Das Bienenwachs ist ziemlich vordergründig, wirkt aber nicht wächsern und unscharf, sondern grundiert Minze und Rauch mit einer luftigen und grummelnden Textur, welche die Stimmung unmittelbar vor den ersten Blitzeinschlägen heraufbeschwört und die von der Minze aufgebauten Spannung eine Oktave nach unten stimmt. Den entscheidenden Bruch erfährt Weather durch den splittrigen, trockenen und aufgeheizten Holzakkord, der zeitlupenartig über die nun tiefdunkelgrüne Minze rieselt. Zunächst vor allem rau und faserig wirkend, wird das Holz bald immer süßer und lässt Deine Haut glühen.
Meine Freundin empfindet Weather als Kuschelduft, eine Kategorisierung, der ich erstmal gar nicht folgen konnte. Für mich war dies immer ein stürmischer und wilder Duft voller Spannung und positiver Unruhe, kühl, mitreißend, so sehr, dass ich im Grunde gar nicht verstand, dass Weather tatsächlich einen sehr wuchtigen Umschwung darstellt. Es wird warm, weich, nicht unbedingt kuschelig im Sinne einer warmen Wolldecke, eher Geborgenheit vermittelnd wie die schützende Wohnung, in der Du mit einem Pfefferminztee in der Hand am Fenster stehst und auf die sturmumtoste Straße schaust. Die durch die Minze und den Rauch aufgebaute Spannung ist nach wie vor spürbar, die Perspektive ist jetzt aber eine ganz andere.
Weather ist also vor allem eine rücksichtslose Minze, staubiger Rauch, düsteres Bienenwachs und süßes Holz, in genau dieser Addition mit dem sich daraus ableitenden atmosphärischen Verlauf von Windböen, die das herannahende Gewitter ankündigen über die ersten dicken Regentropfen, die vor Dir auf dem Straßenpflaster zerplatzen bis hin zur gerade noch erreichten schützenden Wohnung, gerade als draußen die Welt richtig anfängt unterzugehen. Interessanterweise ist Weather für meine Freundin übrigens über den gesamten Verlauf ein Kuschelduft.
Die von mir dargestellte Entwicklung ist im Grunde eine Skizze. Weather offenbart innerhalb der etwa 20 Stunden nach dem Aufsprühen zahlreiche wunderbare Details, die durch den dichten Rauch schimmern; gemähtes Gras, Stein, Sand und Rost, sonnengewärmte Haut, ein T-Shirt, das vom Regen durchnässt an Deiner Haut klebt. Die Vorgabe, Weather würde einen Sturm rückwärts erzählen, sehe ich nicht absolut perfekt chronologisch umgesetzt, denn die bildhaften Eindrücke unterschiedlicher Wetterzustände blitzen zum Teil unverhofft an anderer Stelle wieder auf. Der Duft spielt mit Gegensätzen wie Trocken und Feucht, die zunehmende Dunkelheit erscheint sonnendurchflutet und warm, trockene und feuchte Erde mischt sich mit dem honigfarbenen Holz.
Weather handelt von den Momenten, in denen wir bemerken, dass sich etwas um uns herum wandelt.
Lush spinnen einen recht dichten Kontext um ihre Düfte und bedienen sich dabei aus allerlei Quellen: Popkultur, alte Mythen, Politik, historische Bezüge, alles sehr liebevoll ausgestaltet und mit Geschichten verwoben, die sich sehr schön weiterspinnen lassen. Damit nutzen sie die sich im Umfeld solcher Marken wie Aesop, Korres oder Molton Brown bietenden Möglichkeiten jenseits der Designerparfümerie einerseits und der gehobenen Nischenparfümerie mit Kunstanspruch andererseits am konsequentesten aus. Parfum ist nur ein Standbein von vielen für Lush, vielleicht ist das aber der Grund, weshalb sich in deren Sortiment eine derartige Fülle an zweifellos experimentellen und herausfordernden Düften befindet, die man kaum einer anderen Marke zutrauen würde. Im Einzelfall mag „Herausforderung“ dann eine diplomatische Umschreibung für „total schlecht“ sein, Weather ist jedoch ein Duft, der zeigt, dass man in einem radikal ausgenutzten Freiraum etwas absolut Unvergleichliches schaffen kann. Weather ist zudem ein tolles Beispiel dafür, was man mit dem Kontext eines Parfums machen kann.
In diesem Fall ist der Kontext archaisch und elementar und somit jeden berührend. Weather vermag es tatsächlich, ein Klima um den Träger zu schaffen - die Luft wird kühler, als ob ein Sturm herannaht, der Dir ob des plötzlichen und unerwarteten Temperaturabfalls eine Gänsehaut unter Deinem T-Shirt verschafft. Eine so unmittelbar kühlende Wirkung auf der Haut kenne ich ansonsten nur von Salben wie Wick Vaporub oder Tiger Balm. Mit Letzterem teilt der sich locker über ein bis zwei Stunden hinziehende Auftakt die medizinische Anmutung, die ein wenig an Kampfer und Wintergrün erinnert. Im Gegensatz zu Tiger Balm steht hier aber eine sehr schwere und stürmische Minze im Zentrum, die viel wütender ist als das, was man sonst so als Minze kennt. Roh, konzentriert, angriffslustig und rauchend vor donnerndem Zorn.
Minze und Rauch sind in den ersten zwei Stunden so ziemlich die einzigen Protagonisten. Woher der zum Teil sehr raumgreifende Rauch eigentlich kommt, lässt sich aus der Notenpyramide nicht ableiten, ich vermute als Grundlage Vetiver oder eines seiner Derivate - ist aber auch ziemlich egal, dieser Rauch jedenfalls ist unglaublich komplex und nirgendwo sonst zu finden: er ist trocken, aber in derselben Art und Weise, wie Staub trocken ist, den ein Regenguss vom Kopfsteinpflaster oder einem Trampelpfad aufwirbelt, die ganze Luft um Dich herum anfüllend, ein wenig bitter und erdig. Toll ist, wie bestimmend Minze und Rauch hier wirken, wie überzeugend sie die Wucht von herannahenden Gewitterstürmen evozieren. Weather ist ein extrem konzentriertes und starkes Extrait, welches aber im Gegensatz zu vielen anderen Extraits nicht hautnah ist, sondern im Gegenteil rücksichtslos in die Umgebung abstrahlt. Wie ein Regen, der auf alles fällt und nichts auslässt.
Mit der Zeit erhöht sich die Zahl der eindeutig auszumachenden Protagonisten auf vier. Das Bienenwachs ist ziemlich vordergründig, wirkt aber nicht wächsern und unscharf, sondern grundiert Minze und Rauch mit einer luftigen und grummelnden Textur, welche die Stimmung unmittelbar vor den ersten Blitzeinschlägen heraufbeschwört und die von der Minze aufgebauten Spannung eine Oktave nach unten stimmt. Den entscheidenden Bruch erfährt Weather durch den splittrigen, trockenen und aufgeheizten Holzakkord, der zeitlupenartig über die nun tiefdunkelgrüne Minze rieselt. Zunächst vor allem rau und faserig wirkend, wird das Holz bald immer süßer und lässt Deine Haut glühen.
Meine Freundin empfindet Weather als Kuschelduft, eine Kategorisierung, der ich erstmal gar nicht folgen konnte. Für mich war dies immer ein stürmischer und wilder Duft voller Spannung und positiver Unruhe, kühl, mitreißend, so sehr, dass ich im Grunde gar nicht verstand, dass Weather tatsächlich einen sehr wuchtigen Umschwung darstellt. Es wird warm, weich, nicht unbedingt kuschelig im Sinne einer warmen Wolldecke, eher Geborgenheit vermittelnd wie die schützende Wohnung, in der Du mit einem Pfefferminztee in der Hand am Fenster stehst und auf die sturmumtoste Straße schaust. Die durch die Minze und den Rauch aufgebaute Spannung ist nach wie vor spürbar, die Perspektive ist jetzt aber eine ganz andere.
Weather ist also vor allem eine rücksichtslose Minze, staubiger Rauch, düsteres Bienenwachs und süßes Holz, in genau dieser Addition mit dem sich daraus ableitenden atmosphärischen Verlauf von Windböen, die das herannahende Gewitter ankündigen über die ersten dicken Regentropfen, die vor Dir auf dem Straßenpflaster zerplatzen bis hin zur gerade noch erreichten schützenden Wohnung, gerade als draußen die Welt richtig anfängt unterzugehen. Interessanterweise ist Weather für meine Freundin übrigens über den gesamten Verlauf ein Kuschelduft.
Die von mir dargestellte Entwicklung ist im Grunde eine Skizze. Weather offenbart innerhalb der etwa 20 Stunden nach dem Aufsprühen zahlreiche wunderbare Details, die durch den dichten Rauch schimmern; gemähtes Gras, Stein, Sand und Rost, sonnengewärmte Haut, ein T-Shirt, das vom Regen durchnässt an Deiner Haut klebt. Die Vorgabe, Weather würde einen Sturm rückwärts erzählen, sehe ich nicht absolut perfekt chronologisch umgesetzt, denn die bildhaften Eindrücke unterschiedlicher Wetterzustände blitzen zum Teil unverhofft an anderer Stelle wieder auf. Der Duft spielt mit Gegensätzen wie Trocken und Feucht, die zunehmende Dunkelheit erscheint sonnendurchflutet und warm, trockene und feuchte Erde mischt sich mit dem honigfarbenen Holz.
Weather handelt von den Momenten, in denen wir bemerken, dass sich etwas um uns herum wandelt.
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