23.03.2020 - 13:37 Uhr
SchatzSucher
107 Rezensionen
SchatzSucher
Geschichte Top Rezension
71
Zuversicht und Hoffnung im Flakon
Momentan bin ich wie sehr viele von uns zu Hause zum Nichtstun verdammt und da ich nicht die geringste Lust habe, immer wieder darüber nachzugrübeln, ob mein kleines Ein-Mann-Unternehmen das alles übersteht, beschäftige ich mich lieber mit schönen Düften und einer kleinen Reise durch die Zeit und mit so manchen Gedanken, die mir durch den Sinn gehen.
Zurück in eine Zeit, die sich viele kaum vorstellen können, außer durch Reportagen und Erzählungen von älteren Verwandten und Bekannten, die das live miterlebt haben.
1948, eine Zeit, in der die Welt noch von den Folgen des Zweiten Weltkrieges gebeutelt war und man intensiv mit dem Wiederaufbau von Städten, Wirtschaft und politischen Strukturen war. Dem Wiederherstellen einer gewissen Ordnung. Eine Zeit, in der es in Deutschland alles andere als rund lief, da die vier alliierten Mächte, die Deutschland verwalteten, zunehmend in Konflikte gerieten, welche dann in die Berlin-Blockade und einer Währungsreform gipfelten.
Und wie wir wissen, teilte sich Deutschland wenig später für gut 40 Jahre in zwei Republiken.
Dennoch wollte man sich nicht nur mit ungemütlichen Themen beschäftigen, denn mit dem Wiederaufbau und der Neustrukturierung der Welt erwachte auch der Sinn für Schönheit neu.
Nina Ricci (1883 - 1970, unter dem richtigen Namen Maria Adélaide Nielli) gründete zusammen mit ihrem Sohn Robert 1932 ihr Modehaus in Paris. Als eine der wenigen konnte sie sich bereits kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1929 in der Modewelt mit ihren romantischen und femininen Designs behaupten.
1946 wurde unter ihrem Namen der Duft Coeur Joie auf den Markt gebracht. Doch wesentlich größere Berühmtheit errang das 1948 erschienene L´Air du Temps, das sich noch heutzutage großer Beliebtheit erfreut.
Und das zu vollem Recht, möchte ich behaupten.
Übrigens ist Romano Ricci, der Gründer von Juliette Has A Gun, der Urenkel von Nina Ricci.
L´Air du Temps ist ein pracht- und gehaltvoller blumig-würziger Duft, dem ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Es beginnt schon beim Flakon, der im Original nach einem Entwurf von Marc Lalique gestaltet wurde.
Und der Flakon symbolisiert mit den Friedenstauben diese unruhige und widersprüchliche Zeit mit ihren Irrungen und dem Wunsch nach Frieden und Zufriedenheit perfekt. Auch wenn der Deckel mittlerweile aus Kunststoff besteht, bewundere ich diesen bezaubernd schön gestalteten Flakon immer wieder.
Ebenso bezaubernd ist auch der Duft.
Schon der Start ist sehr blumig, die Herznoten treten gleich zusammen mit den Kopfnoten auf, ein wenig Bergamotte ist bemerkbar in der Blumenfülle, dazu viele Gewürze, ich meine u.a. etwas Zimt wahrzunehmen, denn ich spüre eine schöne Wärme. Die Blüten entfalten sich immer mehr, tonangebend ist allerdings die Gartennelke mit ihrem unverwechselbaren Duft, der stets auch eine leichte Schärfe mitbringt. Ein wenig Lilie und Ylang-Ylang nehme ich noch unterstreichend wahr. Diese Blumigkeit ist ohne jede Süße und wirkt auf mich sehr erwachsen. Doch kann ich ihre Anmut und Freundlichkeit erkennen.
Später vertieft sich der warme und würzige Eindruck noch durch Spuren von Holz und einer Ahnung vom Harz und Moos. Das könnte eine Andeutung von Chypre sein, doch L´Air du Temps ist für mich kein Chypre im engeren Sinn. Dazu ist das Moos in der Basis nicht ausgeprägt genug, es fehlen der typische Chypre-Knarz und diese gewisse Strenge, die Chypredüften innewohnt. Und L´Air du Temps macht auch eher einen etwas seifigeren Eindruck.
Der Duft ist wunderbar komponiert, da keine Note stört oder unrund auf mich wirkt.
L´Air du Temps ist für mich ein sehr berührender Duft, da in der gesamten Komposition eine gewisse Wehmut mitschwebt. Eine Wehmut, die aufkommt, wenn man über vergangene Zeiten sinniert und in eine ungewisse Zukunft blickt. Das verkörpern Duft und Flakon in meinen Augen auch sehr gut.
Diese damalige Zeit, die Irrungen und Wirrungen auf der Welt, die Unsicherheit, viele Einschnitte und Verluste, die die Menschen hinnehmen mußten. Vieles das auf drastische Weise beendet wurde und ein Zeichen für einen völlig neuen Beginn, verbunden mit der großen Hoffnung auf bessere und schönere Zeiten.
Dazu ist auch der Name perfekt gewählt, Zeitgeist, so lautet die wörtliche Übersetzung. Der damalige Zeitgeist war voll von Hoffnung und damit ist eine Brücke zur heutigen Zeit geschlagen. Denn irgendwie wiederholt sich alles auf die eine oder andere Weise.
Momentan schwanken wir alle zwischen Hoffen und Bangen, hoffen daß diese nervenaufreibende und zermürbende Zeit möglichst bald ein Ende hat.
Draußen herrscht gerade schönstes Frühlingswetter und die ersten Frühlingsblüten sind schon hier und da zu sehen. Und doch ist da immer diese nicht zu greifende Bedrohung, gesundheitlich, wirtschaftlich, persönlich. Und ich ertappe mich immer wieder dabei, daß ich da an andere Zeiten denke. Auch wenn es damals auch immer wieder unruhig gewesen ist und man mitunter nicht wußte, wie alles weitergehen sollte.
Und dann hilft oft auch ein Duft, der schwere Zeiten zwar nicht wegzaubern kann, aber für eine Weile etwas Trost und Zuversicht spenden mag. Und in diesen Momenten wünscht man sich, daß die Zeit für einen Augenblick stillstehen möge.
In das Jahr 1948 möchte ich jetzt nicht zurück, aber 2020 macht gerade auch keinen besonderen Spaß und das werden wir uns wohl auch anders vorgestellt haben...
Dennoch bleiben uns Hoffnung, Zuversicht und positive Gedanken. Und keiner vermag zu sagen, wieviele schon in gerade diesem Duft ein wenig Zuflucht gesucht haben und Freude hatten in diesen nunmehr 72 Jahren, die der Duft schon auf dem Markt ist.
Hier kann ich nichts anderes als die volle Punktzahl für diesen Seelenduft vergeben.
Und mit ganz vielen positiven Gedanken wünsche ich allen lieben Schnuppernasen herzlich das Allerbeste! Mögen wir diesen Alptraum möglichst rasch und möglichst ohne große Blessuren überstehen.
Danke für´s Lesen.
Zurück in eine Zeit, die sich viele kaum vorstellen können, außer durch Reportagen und Erzählungen von älteren Verwandten und Bekannten, die das live miterlebt haben.
1948, eine Zeit, in der die Welt noch von den Folgen des Zweiten Weltkrieges gebeutelt war und man intensiv mit dem Wiederaufbau von Städten, Wirtschaft und politischen Strukturen war. Dem Wiederherstellen einer gewissen Ordnung. Eine Zeit, in der es in Deutschland alles andere als rund lief, da die vier alliierten Mächte, die Deutschland verwalteten, zunehmend in Konflikte gerieten, welche dann in die Berlin-Blockade und einer Währungsreform gipfelten.
Und wie wir wissen, teilte sich Deutschland wenig später für gut 40 Jahre in zwei Republiken.
Dennoch wollte man sich nicht nur mit ungemütlichen Themen beschäftigen, denn mit dem Wiederaufbau und der Neustrukturierung der Welt erwachte auch der Sinn für Schönheit neu.
Nina Ricci (1883 - 1970, unter dem richtigen Namen Maria Adélaide Nielli) gründete zusammen mit ihrem Sohn Robert 1932 ihr Modehaus in Paris. Als eine der wenigen konnte sie sich bereits kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1929 in der Modewelt mit ihren romantischen und femininen Designs behaupten.
1946 wurde unter ihrem Namen der Duft Coeur Joie auf den Markt gebracht. Doch wesentlich größere Berühmtheit errang das 1948 erschienene L´Air du Temps, das sich noch heutzutage großer Beliebtheit erfreut.
Und das zu vollem Recht, möchte ich behaupten.
Übrigens ist Romano Ricci, der Gründer von Juliette Has A Gun, der Urenkel von Nina Ricci.
L´Air du Temps ist ein pracht- und gehaltvoller blumig-würziger Duft, dem ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Es beginnt schon beim Flakon, der im Original nach einem Entwurf von Marc Lalique gestaltet wurde.
Und der Flakon symbolisiert mit den Friedenstauben diese unruhige und widersprüchliche Zeit mit ihren Irrungen und dem Wunsch nach Frieden und Zufriedenheit perfekt. Auch wenn der Deckel mittlerweile aus Kunststoff besteht, bewundere ich diesen bezaubernd schön gestalteten Flakon immer wieder.
Ebenso bezaubernd ist auch der Duft.
Schon der Start ist sehr blumig, die Herznoten treten gleich zusammen mit den Kopfnoten auf, ein wenig Bergamotte ist bemerkbar in der Blumenfülle, dazu viele Gewürze, ich meine u.a. etwas Zimt wahrzunehmen, denn ich spüre eine schöne Wärme. Die Blüten entfalten sich immer mehr, tonangebend ist allerdings die Gartennelke mit ihrem unverwechselbaren Duft, der stets auch eine leichte Schärfe mitbringt. Ein wenig Lilie und Ylang-Ylang nehme ich noch unterstreichend wahr. Diese Blumigkeit ist ohne jede Süße und wirkt auf mich sehr erwachsen. Doch kann ich ihre Anmut und Freundlichkeit erkennen.
Später vertieft sich der warme und würzige Eindruck noch durch Spuren von Holz und einer Ahnung vom Harz und Moos. Das könnte eine Andeutung von Chypre sein, doch L´Air du Temps ist für mich kein Chypre im engeren Sinn. Dazu ist das Moos in der Basis nicht ausgeprägt genug, es fehlen der typische Chypre-Knarz und diese gewisse Strenge, die Chypredüften innewohnt. Und L´Air du Temps macht auch eher einen etwas seifigeren Eindruck.
Der Duft ist wunderbar komponiert, da keine Note stört oder unrund auf mich wirkt.
L´Air du Temps ist für mich ein sehr berührender Duft, da in der gesamten Komposition eine gewisse Wehmut mitschwebt. Eine Wehmut, die aufkommt, wenn man über vergangene Zeiten sinniert und in eine ungewisse Zukunft blickt. Das verkörpern Duft und Flakon in meinen Augen auch sehr gut.
Diese damalige Zeit, die Irrungen und Wirrungen auf der Welt, die Unsicherheit, viele Einschnitte und Verluste, die die Menschen hinnehmen mußten. Vieles das auf drastische Weise beendet wurde und ein Zeichen für einen völlig neuen Beginn, verbunden mit der großen Hoffnung auf bessere und schönere Zeiten.
Dazu ist auch der Name perfekt gewählt, Zeitgeist, so lautet die wörtliche Übersetzung. Der damalige Zeitgeist war voll von Hoffnung und damit ist eine Brücke zur heutigen Zeit geschlagen. Denn irgendwie wiederholt sich alles auf die eine oder andere Weise.
Momentan schwanken wir alle zwischen Hoffen und Bangen, hoffen daß diese nervenaufreibende und zermürbende Zeit möglichst bald ein Ende hat.
Draußen herrscht gerade schönstes Frühlingswetter und die ersten Frühlingsblüten sind schon hier und da zu sehen. Und doch ist da immer diese nicht zu greifende Bedrohung, gesundheitlich, wirtschaftlich, persönlich. Und ich ertappe mich immer wieder dabei, daß ich da an andere Zeiten denke. Auch wenn es damals auch immer wieder unruhig gewesen ist und man mitunter nicht wußte, wie alles weitergehen sollte.
Und dann hilft oft auch ein Duft, der schwere Zeiten zwar nicht wegzaubern kann, aber für eine Weile etwas Trost und Zuversicht spenden mag. Und in diesen Momenten wünscht man sich, daß die Zeit für einen Augenblick stillstehen möge.
In das Jahr 1948 möchte ich jetzt nicht zurück, aber 2020 macht gerade auch keinen besonderen Spaß und das werden wir uns wohl auch anders vorgestellt haben...
Dennoch bleiben uns Hoffnung, Zuversicht und positive Gedanken. Und keiner vermag zu sagen, wieviele schon in gerade diesem Duft ein wenig Zuflucht gesucht haben und Freude hatten in diesen nunmehr 72 Jahren, die der Duft schon auf dem Markt ist.
Hier kann ich nichts anderes als die volle Punktzahl für diesen Seelenduft vergeben.
Und mit ganz vielen positiven Gedanken wünsche ich allen lieben Schnuppernasen herzlich das Allerbeste! Mögen wir diesen Alptraum möglichst rasch und möglichst ohne große Blessuren überstehen.
Danke für´s Lesen.
50 Antworten