04.02.2023 - 08:20 Uhr
Alliage
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Tante Trudi … oder einfach mal die Klappe halten
Meine Tante Trudi meinte schon immer, eine große Dame zu sein. Sie war ein Kriegskind/Jugendliche aus ärmlichen Verhältnissen. Sie hatte viel Tragisches erlebt. Den Krieg, ihre früh verstorbene Mutter und schnell ersetzte kaltherzige Stiefmutter … Immer gut frisiert, immer gut gekleidet, die Wohnung wie eine Puppenstube (unangemeldet brauchte man keineswegs bei ihr antanzen). Große Klappe – hinter der sie ihr möglicherweise großes Herz versteckte. Sie nahm mich als Kind nie in den Arm (als Erwachsene ebensowenig), sondern reckte mir zur Begrüßung und zum Abschied stets distanziert ihre Wange entgegen und verströmte immer den seifig-feinen Duft der Sauberfrau. Dem Weißwein zugetan wurde die Klappe bei Familienfeiern größer und größer – regelrecht verletzend. Bei einem Besuch gab es für mich als Kind – bezeichnenderweise – immer eine Zartbitterschokolade (iiiiihhhh) mit einem 5 DM-Schein verpackt in einer Serviette.
Madame Rochas lässt mich durch diese Assoziationen regelmäßig strammstehen. Orangenblüte, Geißblatt und Neroli lassen den Duft seifig eröffnen. Rose-, Ylang und Iris tragen blumig/pudrig selbstbewusst durch den Lauf, bis dann der holzig warme – etwas distanzierte – Ausgang das Schlusslicht bildet. Der Duft ist für mich ein chypre-feiner Blumenduft, der mit seiner Seifigkeit und seinem holzig-warmen Ausklang ein Sinnbild ist für die Sauberfrau mit tiefer Vergangenheit. Etwas Wärme strahlt er dennoch letztenendes aus. Das kalte Herz, welches sich nicht wirklich wieder aufwärmen lässt …
Trotz aller Widersprüche liebe ich diesen Duft – und vielleicht im tiefsten Inneren auch Tante Trudi ...
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