26.05.2014 - 03:08 Uhr
Naaase
109 Rezensionen
Naaase
Top Rezension
Die muntere Forelle in wilden Gewässern
Die muntere Forelle in wilden Gewässern
"In einem Bächlein helle,
Da schoß in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber, wie ein Pfeil:
Ich stand an dem Gestade
Und sah in süsser Ruh
Des muntern Fischleins Bade
Im klaren Bächlein zu.
Ein Fischer mit der Ruthe
Wol an dem Ufer stand,
Und sah’s mit kaltem Blute,
Wie sich das Fischlein wand.
So lang dem Wasser Helle,
So dacht’ ich, nicht gebricht,
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.
Doch endlich ward dem Diebe
Die Zeit zu lang; er macht
Das Bächlein tückisch trübe:
Und eh’ ich es gedacht,
So zuckte seine Ruthe;
Das Fischlein zappelt dran;
Und ich, mit regem Blute,
Sah die Betrogne an."
"Die Forelle" (op. 32 / D 550) ist eines der bekanntesten Kunstlieder von Franz Schubert. Der Text stammt von Christian Friedrich Daniel Schubart. Es ist eines der beliebtesten Schubert-Lieder, liegt uns in fünf verschiedenen Fassungen vor und entstand zwischen November 1816 und Juli 1817. Dieses Lied steht in der Originalfassung für hohe Stimme in Des-Dur, im "2/4-Takt". Die Klavierbegleitung ist stets geprägt von Sextolen, die durch die Tempoangabe „etwas lebhaft“ den Eindruck der fröhlichen, lebendigen Forelle widerspiegeln. Die Melodie der Gesangsstimme ist fast durchgehend heiter, nur drei Takte vermitteln kurzzeitig den Eindruck der Traurigkeit bzw. des Mitleids seitens des Sängers, wobei die Melodieführung kurz darauf wieder in Dur zurückfällt. Christian Friedrich Daniel Schubart schrieb das zugrunde liegende Gedicht zwischen 1777 und 1783 während seiner bis 1787 dauernden Gefangenschaft auf der Festung Hohenasperg. In der Fabel der Forelle symbolisierte er sein eigenes Schicksal: Die ersten beiden Strophen, in denen von der Beobachtung einer Forelle im klaren Bach und dem vergeblichen Warten des Anglers erzählt wird, bestehen aus einer Reprise des Hauptmotivs, die dritte Strophe ist dann unterteilt in einen dramatischen Part, in dem der Bach getrübt und die Forelle gefangen wird, und eine weitere Reprise, die die Beobachtung dieses Akts und die Deutung des Beobachters enthält.
An Schubert's Forelle muss ich bei dem Geruch von "Eau Sauvage" von Christian Dior stets denken. Ist es denn möglich, "wildes Wasser" auch olfaktorisch umzusetzen ? Christian Dior hat es versucht: "Die Mutter" aller "Wildwasser-Düfte" ist das von Edmond Rodnitska für dieses Haus im Jahre 1966 kreierte "Eau Sauvage". Es folgte dann 1982 das -inzwischen eingestellte- "Eau Sauvage Extrême", das dann 2010 unter François Demachy seine Fortsetzung finden sollte. Im Jahr 2001 erhielten wir noch ein "Eau Sauvage 100 % Glaçon" und 2007 ein "Eau Sauvage Fraîcheur Cuir" geschenkt. Auch deren Produktion ist inzwischen eingestellt. Letztlich erreichte 2012 das "Eau Sauvage Parfum" die Regale der einschlägigen Parfum-Tempel.
Das "Eau Sauvage" aus dem Jahre 1966 wird von Dior wie folgt vorgestellt: "Als großer Klassiker unter den Herrendüften ist Eau Sauvage der Inbegriff von Eleganz nach Monsieur Dior: Eine Balance zwischen Schlichtheit, Natürlichkeit und Individualität."
Sein Schöpfer Edmond Roudnitska verwendete bei seinem Werk -wie hier auf Parfumo auch zu lesen ist- nach allgemeiner Fachmeinung erstmalig den synthetischen Duftstoff "Hedion" (Methyldihydrojasmonat) mit einer Konzentration von 2 % zur Verwirklichung seines Vorhabens, da dieser Duftstoff den Parfums eine jasminartige, transparente und frische Note verleihen soll.
Eau Sauvage (EdT) beginnt herrlich frisch. Einfach erfrischend wie ein eiskalter Gebirgsbach an einem heißen und schwülen Sommertag. Eine säuerliche Zitrone und eine wundervoll natürliche Bergamotte begrüßen uns. Vor meinem geistigen Auge kann ich geradezu das Wasser spritzen sehen. Wild und ungezähmt. Diese erfrischenden Zitrusfrüchte sind mit Gewürzen unterlegt: Ich verspüre Basilikum und Lavendel. Aber auch eine gewisse -jedoch milde- Schärfe. Fast etwas pfeffrig, jedoch nicht brennend. Einfach nur würzig. Ich sehe dieses eiskalte wilde Wasser unseres Gebirgsbaches über eine raue Erde und über felsigen Stein fließen. Immerfort und immerfort.
Unser sprudelnder Gebirgsbach kommt an einer Blumenwiese vorbei: Der Duft bleibt indes erfrischend. Wird keinesfalls lieblich. Ich kann einen zarten Rosenduft erschnuppern. Eine sanfte Rose. Nicht besonders prägnant. Jedoch spürbar. Daneben etwas würzige Nelke und ein Hauch von sanftem Jasmin. Ja, diese Blumenwiese ist hier nicht der Hauptdarsteller. Das ist nach wie vor unser wilder Gebirgsbach. Unaufhörlich fließt er sprudelnd den Berg hinab und sein unentwegtes Rauschen wird eben durch diese floralen Noten bereichert.
Weitere -diesmal erdig-holzige- Noten kommen hinzu: Würziges Patchouli und edle Hölzer begleiten unseren Gebirgsbach nun auf seiner steten Reise. Doch irgendwann findet jeder Tag einmal sein Ende: Die Sonne geht unter und macht Platz für ihren Bruder, den Mond. Dieser schimmert nunmehr in dem nach wie vor unaufhörlich sprudelnden Wasser unseres Gebirgsbaches. Es wird dunkler: Tiefgründiges Amber, würziges Eichenmoos und geheimnisvoller Moschus treten nunmehr hinzu. Ohne jedoch dem Duft seine unentwegte Leichtigkeit und Spritzigkeit zu nehmen. Unser Gewässer fließt und fließt und fließt. Nur: Nunmehr nicht mehr wild-sprudelnd unter der heißen Mittags-Sonne, sondern nunmehr geheimnisvoll unter den liebevollen Augen des stolzen Mondes. Nach wie vor unnachgiebig fließend; nur eben eine andere Facette. Einfach wunderbar.
Dieser traumhaft schöne Duft sollte etliche Jahre später (nach der namens gleichen, jedoch inzwischen eingestellten Version aus dem Jahr 1982) einen weiteren Bruder bekommen: Dior sieht sein "Eau Sauvage Extrême" aus dem Jahr 2010 wie folgt:"Mit Eau Sauvage Extrême präsentiert Dior eine moderne Version seines großen Klassikers: noch kühner, kraftvoller und tiefgehender. Der Ursprüngliche Akkord erreicht in Eau Sauvage Extrême seinen Höhepunkt und bereichert ihn mit edlen holzig-umhüllenden Noten, die einen absolut zeitgemäßen, ausgeprägten Charakter besitzen und seine Männlichkeit unterstreichen. Ein zeitloser Schick mit demselben olfaktorischen Selbstvertrauen wie Eau Sauvage."
Das "Eau Sauvage Extrême" (2010) startet auch fruchtig. Auch hier sind wieder Zitrone und Bergamotte mit von der Partie. Sie sind jedoch -im Gegensatz zum "Eau Sauvage EdT"- nicht so säuerlich-frisch. Mir erscheinen sie vielmehr als gereiftere Früchte. Unser Gebirgsbach ist hier nicht mehr so wild sprudelnd. Er wirkt tiefer und auch etwas gemächlich. Das Wasser fließt nach wie vor. Aber nicht mehr so wild.
Auch diese Zitrusfrüchte sind würzig untermalt. In Übereinstimmung mit dem "Eau Sauvage EdT" finden wir auch hier Lavendel. Und da ist auch noch etwas Basilikum. Daneben bemerke ich noch eine weitere Note. Eine Note, die im "Eau Sauvage EdT" nicht vorhanden ist. Es ist eine sehr interessante Note: Eine Minze in der Herznote ! Das finde sehr bemerkenswert ! Ausgehend von dem nach wie vor bestehenden Grundthema des "wilden Wassers" wird hier offensichtlich zunächst zwar -dem Grunde nach- mit den gleichen Früchten in der Kopfnote gearbeitet. Diese wirken jedoch reifer und damit runder. Zugegeben: Das geht zunächst zu Lasten des nach wie vor gesetzten Themas eines wild sprudelnden Wassers. Aber nunmehr werden diese reifen Früchte als Variation des Themas "Wildes Wasser" in der Herznote mit dieser frischen Minze unterlegt. Genau das führt wieder zu diesem (allerdings etwas schwächeren) Eindruck eines fließenden Gewässers: Wir haben zwar nicht mehr den wild sprudelnden Gebirgsbach unter flirrender Sonne von vorhin. Aber dennoch ein anderes -auch fließendes- Gewässer. Ein Tieferes. Ein etwas Ruhigeres. Ein Anderes.
Und auch für dieses -wie gesagt: andere- Gewässer geht mal der Tag vorüber und die Nacht bricht herein.
Eine Nacht, in der sich das Mondlicht nunmehr auch in diesem Gewässer spiegelt und dunkle Bäume ihre geheimnisvollen Schatten über das fließende Nass werfen. Erdiges Patchouli und edle Hölzer begleiten uns in diesen Stunden. Stunden, in denen wir nunmehr diesen -anderen- Gebirgsbach betrachten.
Doch damit nicht genug. Im Jahr 2012 folgte dann noch das "Eau Sauvage Parfum". Zu diesem findet sich auf der Internet-Seite von Dior Folgendes: "Im Jahr 2012 kreiert François Demachy Eau Sauvage Parfum: das neue Kapitel einer legendären Geschichte. Mit der gleichen zeitlosen Eleganz und so aufsehenerregend wie gewohnt, wagt sich der große Klassiker zum ersten Mal an die edelste Konzentration: das Eau de Parfum für einen „Black Tie“-Charme. Diese neue Handschrift ist mit ihrem intensiven, hesperiden und holzigen Ambra-Duftschleier eine Signatur, die sich gut für den Abend eignet. Geheimnisvolle und sinnliche Myrrhe sowie die maskuline Stärke des Haitianischen Vetivers umschmeicheln den charakteristischen Akkord von Eau Sauvage. Eine neue Intensität: magnetisch und tiefgründig. Der Gipfel der maskulinen Raffinesse."
Auch diese Version des zeitlosen Klassikers "Eau Sauvage" startet mit unserer bereits allseits bekannten Bergamotte. Diese ist -wie bei einem Parfum ja schon zu erwarten war- reif und fruchtig. Es ist eine sehr schön natürliche Bergamotte, die uns hier begrüßt. Es wird dann sogleich würziger und tiefgründiger: ich nehme Myrrhe wahr. Ein sehr schöner, warmer, leicht würzig-süßer Duft von balsamischer Feinheit macht sich breit. Das ist keinesfalls mehr unser eiskalter und wilder Gebirgsbach vom "Eau Sauvage EdT" und auch nicht mehr das ruhig aber bestimmt vor sich hin fließende Gewässer des "Eau Sauvage Extrême " (2010). Nein, das ist nunmehr ein ruhiger Fluss, der sich nunmehr erhaben vor uns dartut. Da spritz keine wilde Gischt mehr. Es ist ein -durchaus klares- aber nunmehr ruhiges und tiefes Gewässer. Geheimnisvoll, von der heißen Tagessonne gewärmt. Ruhig und besonnen. Mit ein paar Gräsern an seinem Ufer (Vetiver !).
Mein Fazit:
Über das "Eau Sauvage EdT" aus dem Jahr 1966 kann man nicht viel sagen. Nur das: Ein grandioses Meisterwerk der Parfum-Geschichte. Das gesetzte Thema perfekt und originell umgesetzt. Vielleicht neben "Pour Monsieur" (Chanel) und "Habit Rouge" (Guerlain) DER Männerduft schlechthin.
Das 2010 erschienene (und im Gegensatz zu der 82er-Version auch heute noch gut erhältliche) "Eau Sauvage Extrême" stellt nach meiner Ansicht eine gelungene Variation des einstmals gesetzten Themas dar. Nur: Unser wilder Gebirgsfluss von einst fließt nun etwas ruhiger und gemächlicher. Aber er ist durchaus noch als Gewässer zu erkennen.
Nun, das "Eau Sauvage Parfum" ist zweifellos ein sehr gut gemachter Duft. Ein ruhiger und erhabener Fluss ist es nunmehr, der hier olfaktorisch vor uns liegt. Aber ist es noch ein "Eau Sauvage", ein wildes Wasser ? Ist es noch ein Wasser, in dem unsere muntere Forelle von eingangs fröhlich ihre Bahnen ziehen würde ? Oder ist da schon der Bach getrübt ? Oder gar die fröhliche Forelle schon Beute unseres Anglers ?
"In einem Bächlein helle,
Da schoß in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber, wie ein Pfeil:
Ich stand an dem Gestade
Und sah in süsser Ruh
Des muntern Fischleins Bade
Im klaren Bächlein zu.
Ein Fischer mit der Ruthe
Wol an dem Ufer stand,
Und sah’s mit kaltem Blute,
Wie sich das Fischlein wand.
So lang dem Wasser Helle,
So dacht’ ich, nicht gebricht,
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.
Doch endlich ward dem Diebe
Die Zeit zu lang; er macht
Das Bächlein tückisch trübe:
Und eh’ ich es gedacht,
So zuckte seine Ruthe;
Das Fischlein zappelt dran;
Und ich, mit regem Blute,
Sah die Betrogne an."
"Die Forelle" (op. 32 / D 550) ist eines der bekanntesten Kunstlieder von Franz Schubert. Der Text stammt von Christian Friedrich Daniel Schubart. Es ist eines der beliebtesten Schubert-Lieder, liegt uns in fünf verschiedenen Fassungen vor und entstand zwischen November 1816 und Juli 1817. Dieses Lied steht in der Originalfassung für hohe Stimme in Des-Dur, im "2/4-Takt". Die Klavierbegleitung ist stets geprägt von Sextolen, die durch die Tempoangabe „etwas lebhaft“ den Eindruck der fröhlichen, lebendigen Forelle widerspiegeln. Die Melodie der Gesangsstimme ist fast durchgehend heiter, nur drei Takte vermitteln kurzzeitig den Eindruck der Traurigkeit bzw. des Mitleids seitens des Sängers, wobei die Melodieführung kurz darauf wieder in Dur zurückfällt. Christian Friedrich Daniel Schubart schrieb das zugrunde liegende Gedicht zwischen 1777 und 1783 während seiner bis 1787 dauernden Gefangenschaft auf der Festung Hohenasperg. In der Fabel der Forelle symbolisierte er sein eigenes Schicksal: Die ersten beiden Strophen, in denen von der Beobachtung einer Forelle im klaren Bach und dem vergeblichen Warten des Anglers erzählt wird, bestehen aus einer Reprise des Hauptmotivs, die dritte Strophe ist dann unterteilt in einen dramatischen Part, in dem der Bach getrübt und die Forelle gefangen wird, und eine weitere Reprise, die die Beobachtung dieses Akts und die Deutung des Beobachters enthält.
An Schubert's Forelle muss ich bei dem Geruch von "Eau Sauvage" von Christian Dior stets denken. Ist es denn möglich, "wildes Wasser" auch olfaktorisch umzusetzen ? Christian Dior hat es versucht: "Die Mutter" aller "Wildwasser-Düfte" ist das von Edmond Rodnitska für dieses Haus im Jahre 1966 kreierte "Eau Sauvage". Es folgte dann 1982 das -inzwischen eingestellte- "Eau Sauvage Extrême", das dann 2010 unter François Demachy seine Fortsetzung finden sollte. Im Jahr 2001 erhielten wir noch ein "Eau Sauvage 100 % Glaçon" und 2007 ein "Eau Sauvage Fraîcheur Cuir" geschenkt. Auch deren Produktion ist inzwischen eingestellt. Letztlich erreichte 2012 das "Eau Sauvage Parfum" die Regale der einschlägigen Parfum-Tempel.
Das "Eau Sauvage" aus dem Jahre 1966 wird von Dior wie folgt vorgestellt: "Als großer Klassiker unter den Herrendüften ist Eau Sauvage der Inbegriff von Eleganz nach Monsieur Dior: Eine Balance zwischen Schlichtheit, Natürlichkeit und Individualität."
Sein Schöpfer Edmond Roudnitska verwendete bei seinem Werk -wie hier auf Parfumo auch zu lesen ist- nach allgemeiner Fachmeinung erstmalig den synthetischen Duftstoff "Hedion" (Methyldihydrojasmonat) mit einer Konzentration von 2 % zur Verwirklichung seines Vorhabens, da dieser Duftstoff den Parfums eine jasminartige, transparente und frische Note verleihen soll.
Eau Sauvage (EdT) beginnt herrlich frisch. Einfach erfrischend wie ein eiskalter Gebirgsbach an einem heißen und schwülen Sommertag. Eine säuerliche Zitrone und eine wundervoll natürliche Bergamotte begrüßen uns. Vor meinem geistigen Auge kann ich geradezu das Wasser spritzen sehen. Wild und ungezähmt. Diese erfrischenden Zitrusfrüchte sind mit Gewürzen unterlegt: Ich verspüre Basilikum und Lavendel. Aber auch eine gewisse -jedoch milde- Schärfe. Fast etwas pfeffrig, jedoch nicht brennend. Einfach nur würzig. Ich sehe dieses eiskalte wilde Wasser unseres Gebirgsbaches über eine raue Erde und über felsigen Stein fließen. Immerfort und immerfort.
Unser sprudelnder Gebirgsbach kommt an einer Blumenwiese vorbei: Der Duft bleibt indes erfrischend. Wird keinesfalls lieblich. Ich kann einen zarten Rosenduft erschnuppern. Eine sanfte Rose. Nicht besonders prägnant. Jedoch spürbar. Daneben etwas würzige Nelke und ein Hauch von sanftem Jasmin. Ja, diese Blumenwiese ist hier nicht der Hauptdarsteller. Das ist nach wie vor unser wilder Gebirgsbach. Unaufhörlich fließt er sprudelnd den Berg hinab und sein unentwegtes Rauschen wird eben durch diese floralen Noten bereichert.
Weitere -diesmal erdig-holzige- Noten kommen hinzu: Würziges Patchouli und edle Hölzer begleiten unseren Gebirgsbach nun auf seiner steten Reise. Doch irgendwann findet jeder Tag einmal sein Ende: Die Sonne geht unter und macht Platz für ihren Bruder, den Mond. Dieser schimmert nunmehr in dem nach wie vor unaufhörlich sprudelnden Wasser unseres Gebirgsbaches. Es wird dunkler: Tiefgründiges Amber, würziges Eichenmoos und geheimnisvoller Moschus treten nunmehr hinzu. Ohne jedoch dem Duft seine unentwegte Leichtigkeit und Spritzigkeit zu nehmen. Unser Gewässer fließt und fließt und fließt. Nur: Nunmehr nicht mehr wild-sprudelnd unter der heißen Mittags-Sonne, sondern nunmehr geheimnisvoll unter den liebevollen Augen des stolzen Mondes. Nach wie vor unnachgiebig fließend; nur eben eine andere Facette. Einfach wunderbar.
Dieser traumhaft schöne Duft sollte etliche Jahre später (nach der namens gleichen, jedoch inzwischen eingestellten Version aus dem Jahr 1982) einen weiteren Bruder bekommen: Dior sieht sein "Eau Sauvage Extrême" aus dem Jahr 2010 wie folgt:"Mit Eau Sauvage Extrême präsentiert Dior eine moderne Version seines großen Klassikers: noch kühner, kraftvoller und tiefgehender. Der Ursprüngliche Akkord erreicht in Eau Sauvage Extrême seinen Höhepunkt und bereichert ihn mit edlen holzig-umhüllenden Noten, die einen absolut zeitgemäßen, ausgeprägten Charakter besitzen und seine Männlichkeit unterstreichen. Ein zeitloser Schick mit demselben olfaktorischen Selbstvertrauen wie Eau Sauvage."
Das "Eau Sauvage Extrême" (2010) startet auch fruchtig. Auch hier sind wieder Zitrone und Bergamotte mit von der Partie. Sie sind jedoch -im Gegensatz zum "Eau Sauvage EdT"- nicht so säuerlich-frisch. Mir erscheinen sie vielmehr als gereiftere Früchte. Unser Gebirgsbach ist hier nicht mehr so wild sprudelnd. Er wirkt tiefer und auch etwas gemächlich. Das Wasser fließt nach wie vor. Aber nicht mehr so wild.
Auch diese Zitrusfrüchte sind würzig untermalt. In Übereinstimmung mit dem "Eau Sauvage EdT" finden wir auch hier Lavendel. Und da ist auch noch etwas Basilikum. Daneben bemerke ich noch eine weitere Note. Eine Note, die im "Eau Sauvage EdT" nicht vorhanden ist. Es ist eine sehr interessante Note: Eine Minze in der Herznote ! Das finde sehr bemerkenswert ! Ausgehend von dem nach wie vor bestehenden Grundthema des "wilden Wassers" wird hier offensichtlich zunächst zwar -dem Grunde nach- mit den gleichen Früchten in der Kopfnote gearbeitet. Diese wirken jedoch reifer und damit runder. Zugegeben: Das geht zunächst zu Lasten des nach wie vor gesetzten Themas eines wild sprudelnden Wassers. Aber nunmehr werden diese reifen Früchte als Variation des Themas "Wildes Wasser" in der Herznote mit dieser frischen Minze unterlegt. Genau das führt wieder zu diesem (allerdings etwas schwächeren) Eindruck eines fließenden Gewässers: Wir haben zwar nicht mehr den wild sprudelnden Gebirgsbach unter flirrender Sonne von vorhin. Aber dennoch ein anderes -auch fließendes- Gewässer. Ein Tieferes. Ein etwas Ruhigeres. Ein Anderes.
Und auch für dieses -wie gesagt: andere- Gewässer geht mal der Tag vorüber und die Nacht bricht herein.
Eine Nacht, in der sich das Mondlicht nunmehr auch in diesem Gewässer spiegelt und dunkle Bäume ihre geheimnisvollen Schatten über das fließende Nass werfen. Erdiges Patchouli und edle Hölzer begleiten uns in diesen Stunden. Stunden, in denen wir nunmehr diesen -anderen- Gebirgsbach betrachten.
Doch damit nicht genug. Im Jahr 2012 folgte dann noch das "Eau Sauvage Parfum". Zu diesem findet sich auf der Internet-Seite von Dior Folgendes: "Im Jahr 2012 kreiert François Demachy Eau Sauvage Parfum: das neue Kapitel einer legendären Geschichte. Mit der gleichen zeitlosen Eleganz und so aufsehenerregend wie gewohnt, wagt sich der große Klassiker zum ersten Mal an die edelste Konzentration: das Eau de Parfum für einen „Black Tie“-Charme. Diese neue Handschrift ist mit ihrem intensiven, hesperiden und holzigen Ambra-Duftschleier eine Signatur, die sich gut für den Abend eignet. Geheimnisvolle und sinnliche Myrrhe sowie die maskuline Stärke des Haitianischen Vetivers umschmeicheln den charakteristischen Akkord von Eau Sauvage. Eine neue Intensität: magnetisch und tiefgründig. Der Gipfel der maskulinen Raffinesse."
Auch diese Version des zeitlosen Klassikers "Eau Sauvage" startet mit unserer bereits allseits bekannten Bergamotte. Diese ist -wie bei einem Parfum ja schon zu erwarten war- reif und fruchtig. Es ist eine sehr schön natürliche Bergamotte, die uns hier begrüßt. Es wird dann sogleich würziger und tiefgründiger: ich nehme Myrrhe wahr. Ein sehr schöner, warmer, leicht würzig-süßer Duft von balsamischer Feinheit macht sich breit. Das ist keinesfalls mehr unser eiskalter und wilder Gebirgsbach vom "Eau Sauvage EdT" und auch nicht mehr das ruhig aber bestimmt vor sich hin fließende Gewässer des "Eau Sauvage Extrême " (2010). Nein, das ist nunmehr ein ruhiger Fluss, der sich nunmehr erhaben vor uns dartut. Da spritz keine wilde Gischt mehr. Es ist ein -durchaus klares- aber nunmehr ruhiges und tiefes Gewässer. Geheimnisvoll, von der heißen Tagessonne gewärmt. Ruhig und besonnen. Mit ein paar Gräsern an seinem Ufer (Vetiver !).
Mein Fazit:
Über das "Eau Sauvage EdT" aus dem Jahr 1966 kann man nicht viel sagen. Nur das: Ein grandioses Meisterwerk der Parfum-Geschichte. Das gesetzte Thema perfekt und originell umgesetzt. Vielleicht neben "Pour Monsieur" (Chanel) und "Habit Rouge" (Guerlain) DER Männerduft schlechthin.
Das 2010 erschienene (und im Gegensatz zu der 82er-Version auch heute noch gut erhältliche) "Eau Sauvage Extrême" stellt nach meiner Ansicht eine gelungene Variation des einstmals gesetzten Themas dar. Nur: Unser wilder Gebirgsfluss von einst fließt nun etwas ruhiger und gemächlicher. Aber er ist durchaus noch als Gewässer zu erkennen.
Nun, das "Eau Sauvage Parfum" ist zweifellos ein sehr gut gemachter Duft. Ein ruhiger und erhabener Fluss ist es nunmehr, der hier olfaktorisch vor uns liegt. Aber ist es noch ein "Eau Sauvage", ein wildes Wasser ? Ist es noch ein Wasser, in dem unsere muntere Forelle von eingangs fröhlich ihre Bahnen ziehen würde ? Oder ist da schon der Bach getrübt ? Oder gar die fröhliche Forelle schon Beute unseres Anglers ?
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