11.05.2019 - 15:24 Uhr
Profumo
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Profumo
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30
Dissonanzen die Spannung erzeugen
Es gibt ein Video zu diesem Duft, das uns eine Geschichte über die Entstehung von ‚Music for a while’ erzählen will: zwei ältere Herren berichten hier, wie sie gemeinsam den Duft erarbeitet haben. Im Gegensatz zu dem Text, mit dem der Duft letztendlich auf der Webseite bzw. der Kartonage beworben wird, ist dieses Video tatsächlich aufschlussreich.
Ausgangspunkt war demnach: wir konzipieren einen Lavendelduft.
Und tatsächlich, im Portfolio der Editions de Parfums fehlt ein Lavendelduft. Überhaupt ist Lavendel ja gerade mal wieder ziemlich populär – Tom Ford haut einen Lavendelduft nach dem anderen raus, Chanel hat den wunderbaren ‚Boy’ lanciert, Bogue das heftig beklatschte ‚Mem’ und wo man hinsieht, poppen Lavendeldüfte auf.
Nichts dagegen, ich liebe Lavendel!
Dieser hier ist nun wirklich ein besonderer – eine Art ‚Lavendel-Fruitychouli’.
Doch zurück zu Carlos und Frédéric: Lavendel sollte also im Zentrum des Duftes stehen, getragen von einer Basis aus Patchouli, Vanille und Labdanum, und eingeführt von einem Hesperiden-Cocktail aus Mandarine, Bergamotte und Zitrone - die Roadmap war verfasst.
So weit, so gut, so unmodern.
Wie also dem recht klassisch geratenen Duftgerüst Modernität einhauchen?
Et voilà: die Ananas.
Creed’s Aventus lässt grüßen. Und der unglaubliche Erfolg dieses Duftes hat wohl auch die Herrschaften der Editions de Parfums staunen gemacht.
Gesagt, getan, und die beigefügte Ananas-Note steht nun ziemlich vorlaut im Zentrum von ‚Music for a while’ und konkurriert mit dem nicht weniger vorlauten Lavendel um die Vorherrschaft.
Als ich mir vor über einem Jahr, anlässlich der Einführung dieses Duftes, dessen Notenpyramide ansah, war es genau diese Ananas-Note, die mich sogar von einem Test abhielt. So sicher war ich mir, dass mir dieser neue Malle nicht gefallen würde.
Weit gefehlt.
Eher aus Langeweile habe ich ihn nun doch getestet und ich muss sagen: Wow, was für ein spannender, kontrastreicher und aufregender Duft!
Vermutlich hätte er mir auch ohne Ananas-Note gefallen, aber ich muss zugeben, dass es tatsächlich sie ist, die diesem Duft das gewisse Etwas, den besonderen Kick verleiht. Hätte ich wirklich nicht gedacht!
Dabei harmoniert der krautig-würzige Lavendel eigentlich so gar nicht mit der fruchtig-süßen Ananas. Aber irgendwie eben doch. So wie man Erdbeeren mit Pfeffer isst, oder eben auch Ananas mit frischer Minze – vermeintliche Disharmonien beleben das Ganze ungemein.
So auch hier. Durch die Anitpoden Ananas/Lavendel bekommt der Duft in der Tat eine innere Spannung, die phantastisch ist, allerdings auch den ein oder anderen, bzw. die ein oder andere überfordern dürfte.
So erkläre ich mir auch die heftige Abwehr, die diesem Duft teilweise entgegenschlägt, während viele ihn wiederum ganz großartig finden. Ein Duft der polarisiert. Interessanterweise aber nicht seiner vermeintlicher animalischer Anteile wegen, die sonst die Geister an so manchem Duft scheiden lassen, nein, einfach nur weil diese innere Spannung anstrengend ist, vielleicht auch zu anstrengend. Dabei mildert die Süße der Ananas die krautige Schärfe des Lavendels, während wiederum genau dieses Krautige den Duft davor bewahrt ins allzu Süße, Sirup-artige zu kippen.
So ist ‚Music for a while’ nun wirklich kein Nasenschmeichler, kein gourmandhaftes Lavendel-Dessert an alles vernebelnder Cashmeran-Tunke und - Gott sei´s gelobt - auch kein Lavendel-Ambroxan-Booster für Muckibuden-Gänger.
Nein, dieser Duft schmeichelt nicht und er kuschelt nicht – er fordert.
Er fordert gleich zu Beginn, wenn seinen beiden Haupt-Noten so unglaublich intensiv aufblühen. Komischerweise habe ich zunächst nur Ananas gerochen, während die Dame in der Parfümerie meinte, sie nehme nur Lavendel war. Als sie den Lavendel erwähnte, war er – zack – auch bei mir der da. Was für ein janusköpfiger Duft!!
Jetzt ist es so, dass ich tatsächlich auch zunächst Lavendel rieche – Lavendel ‚brut’ sozusagen, richtig fett und ungezähmt, mit all seinen würzigen Nuancen. Weit entfernt von der polierten Eleganz und Sanftheit des Caron´schen Lavendels. Aber schon kurz darauf durchdringen die herb-fruchtigen Aromen der Ananas den zuvor fast arrogant auftrumpfenden Lavendel.
Das schon erwähnte Hesperiden-Trio spielt hier allenfalls eine Nebenrolle, allerdings keine unwichtige, denn es bildet in der Anfangsphase eine Art Klammer zwischen den heftig widerstreitenden Protagonisten.
Seltsamerweise erinnerte mich ‚Music for a while’ schon gleich nach dem ersten Aufsprühen an einen völlig anders zu verortenden Duft: an ‚Mitsouko’. Auch hier der Kontrast von reifem, gelbfleischigem Pfirsich einerseits und bitter-moosigem Chypre-Background andererseits. Bei ‚Music for a while’ ist es nun zwar die Ananas, welche die beiden Fougère-Akteure Lavendel und Coumarin (auch Bestandteil des Duftes!) herausfordert, aber eben auch ein dominanter Fruchtakkord, der einen bitter-herben, bzw. krautigen kontrastiert.
Vielleicht ist daher die Einordnung als Lavendel-Fruitychouli auch nicht ganz richtig und ich sollte den Duft eher ein fruchtig-orientalisches Fougère nennen. Doch egal wie man´s dreht und wendet, der Duft bleibt schwer zu fassen – eben ein janusköpfiger Duft, dem man nie in beide Augenpaare gleichzeitig blicken kann, so sehr man sich auch bemüht...
Was den Namen des Duftes angeht: ja, in ihm ist wirklich Musik drin. Aber nicht die Musik Erik Saties, die das Video untermalt. Viel zu harmonisch und einlullend plätschert sie dahin. Nein, eher Musik aus dem Klangkosmos Arnold Schönbergs: aufregend, atonal und spannend.
Die Beschreibung des Duftes auf Webseite und Kartonage betreffend: schlicht Kokolores.
Beim besten Willen assoziiere ich diesen Duft nicht mit einem Frauenrücken, dessen herunterrutschender Pelz den Blick auf nackte Schultern freigibt. Das hätten die beiden älteren Herren wohl gerne!
Nein, viel eher sehe ich hier einen frisch gebarbershopten Hipster genüsslich eine Ananas mampfen – der Duft ist nämlich ziemlich maskulin, um nicht zu sagen: sehr maskulin.
Haltbarkeit und Abstrahlung sind – und das ist wirklich erwähnenswert – schlicht sensationell! Ich habe einmal den Fehler gemacht, zwei Sprühstöße von ‚Music for a while’ übereinander zu sprühen, so wie ich das häufig mit Düften mache, die nicht sonderlich ausdauernd sind. In diesem Fall aber ist die Wirkung verheerend. Der Duft hat nämlich eine unglaubliche Potenz und sollte daher sparsam Verwendung finden. Ein Blick auf den Flakon verrät auch warum: es handelt sich wohl tatsächlich um ein ‚Parfum’. Kein ‚Eau de Parfum’ wie ‚Musc Ravageur’ und auch kein ‚Eau de Toilette’ wie ‚Bigarade Concentrée’ – nein. Unmissverständlich steht ‚Parfum’ drauf, und ich glaube, Frédéric Malle flunkert nicht.
Zu dieser Duftkonzentration passt auch, dass ‚Music for a while’ eine sehr dichte Textur hat – der Duft ist kräftig und schwer, wie ein dicker Teppich. Der Anteil der Duftbausteine ist dabei zum Glück überschaubar, sodass der Duft aller Schwere und Dichte zum Trotz nicht überladen wirkt.
Ein letztes Wort: großartig!
Ausgangspunkt war demnach: wir konzipieren einen Lavendelduft.
Und tatsächlich, im Portfolio der Editions de Parfums fehlt ein Lavendelduft. Überhaupt ist Lavendel ja gerade mal wieder ziemlich populär – Tom Ford haut einen Lavendelduft nach dem anderen raus, Chanel hat den wunderbaren ‚Boy’ lanciert, Bogue das heftig beklatschte ‚Mem’ und wo man hinsieht, poppen Lavendeldüfte auf.
Nichts dagegen, ich liebe Lavendel!
Dieser hier ist nun wirklich ein besonderer – eine Art ‚Lavendel-Fruitychouli’.
Doch zurück zu Carlos und Frédéric: Lavendel sollte also im Zentrum des Duftes stehen, getragen von einer Basis aus Patchouli, Vanille und Labdanum, und eingeführt von einem Hesperiden-Cocktail aus Mandarine, Bergamotte und Zitrone - die Roadmap war verfasst.
So weit, so gut, so unmodern.
Wie also dem recht klassisch geratenen Duftgerüst Modernität einhauchen?
Et voilà: die Ananas.
Creed’s Aventus lässt grüßen. Und der unglaubliche Erfolg dieses Duftes hat wohl auch die Herrschaften der Editions de Parfums staunen gemacht.
Gesagt, getan, und die beigefügte Ananas-Note steht nun ziemlich vorlaut im Zentrum von ‚Music for a while’ und konkurriert mit dem nicht weniger vorlauten Lavendel um die Vorherrschaft.
Als ich mir vor über einem Jahr, anlässlich der Einführung dieses Duftes, dessen Notenpyramide ansah, war es genau diese Ananas-Note, die mich sogar von einem Test abhielt. So sicher war ich mir, dass mir dieser neue Malle nicht gefallen würde.
Weit gefehlt.
Eher aus Langeweile habe ich ihn nun doch getestet und ich muss sagen: Wow, was für ein spannender, kontrastreicher und aufregender Duft!
Vermutlich hätte er mir auch ohne Ananas-Note gefallen, aber ich muss zugeben, dass es tatsächlich sie ist, die diesem Duft das gewisse Etwas, den besonderen Kick verleiht. Hätte ich wirklich nicht gedacht!
Dabei harmoniert der krautig-würzige Lavendel eigentlich so gar nicht mit der fruchtig-süßen Ananas. Aber irgendwie eben doch. So wie man Erdbeeren mit Pfeffer isst, oder eben auch Ananas mit frischer Minze – vermeintliche Disharmonien beleben das Ganze ungemein.
So auch hier. Durch die Anitpoden Ananas/Lavendel bekommt der Duft in der Tat eine innere Spannung, die phantastisch ist, allerdings auch den ein oder anderen, bzw. die ein oder andere überfordern dürfte.
So erkläre ich mir auch die heftige Abwehr, die diesem Duft teilweise entgegenschlägt, während viele ihn wiederum ganz großartig finden. Ein Duft der polarisiert. Interessanterweise aber nicht seiner vermeintlicher animalischer Anteile wegen, die sonst die Geister an so manchem Duft scheiden lassen, nein, einfach nur weil diese innere Spannung anstrengend ist, vielleicht auch zu anstrengend. Dabei mildert die Süße der Ananas die krautige Schärfe des Lavendels, während wiederum genau dieses Krautige den Duft davor bewahrt ins allzu Süße, Sirup-artige zu kippen.
So ist ‚Music for a while’ nun wirklich kein Nasenschmeichler, kein gourmandhaftes Lavendel-Dessert an alles vernebelnder Cashmeran-Tunke und - Gott sei´s gelobt - auch kein Lavendel-Ambroxan-Booster für Muckibuden-Gänger.
Nein, dieser Duft schmeichelt nicht und er kuschelt nicht – er fordert.
Er fordert gleich zu Beginn, wenn seinen beiden Haupt-Noten so unglaublich intensiv aufblühen. Komischerweise habe ich zunächst nur Ananas gerochen, während die Dame in der Parfümerie meinte, sie nehme nur Lavendel war. Als sie den Lavendel erwähnte, war er – zack – auch bei mir der da. Was für ein janusköpfiger Duft!!
Jetzt ist es so, dass ich tatsächlich auch zunächst Lavendel rieche – Lavendel ‚brut’ sozusagen, richtig fett und ungezähmt, mit all seinen würzigen Nuancen. Weit entfernt von der polierten Eleganz und Sanftheit des Caron´schen Lavendels. Aber schon kurz darauf durchdringen die herb-fruchtigen Aromen der Ananas den zuvor fast arrogant auftrumpfenden Lavendel.
Das schon erwähnte Hesperiden-Trio spielt hier allenfalls eine Nebenrolle, allerdings keine unwichtige, denn es bildet in der Anfangsphase eine Art Klammer zwischen den heftig widerstreitenden Protagonisten.
Seltsamerweise erinnerte mich ‚Music for a while’ schon gleich nach dem ersten Aufsprühen an einen völlig anders zu verortenden Duft: an ‚Mitsouko’. Auch hier der Kontrast von reifem, gelbfleischigem Pfirsich einerseits und bitter-moosigem Chypre-Background andererseits. Bei ‚Music for a while’ ist es nun zwar die Ananas, welche die beiden Fougère-Akteure Lavendel und Coumarin (auch Bestandteil des Duftes!) herausfordert, aber eben auch ein dominanter Fruchtakkord, der einen bitter-herben, bzw. krautigen kontrastiert.
Vielleicht ist daher die Einordnung als Lavendel-Fruitychouli auch nicht ganz richtig und ich sollte den Duft eher ein fruchtig-orientalisches Fougère nennen. Doch egal wie man´s dreht und wendet, der Duft bleibt schwer zu fassen – eben ein janusköpfiger Duft, dem man nie in beide Augenpaare gleichzeitig blicken kann, so sehr man sich auch bemüht...
Was den Namen des Duftes angeht: ja, in ihm ist wirklich Musik drin. Aber nicht die Musik Erik Saties, die das Video untermalt. Viel zu harmonisch und einlullend plätschert sie dahin. Nein, eher Musik aus dem Klangkosmos Arnold Schönbergs: aufregend, atonal und spannend.
Die Beschreibung des Duftes auf Webseite und Kartonage betreffend: schlicht Kokolores.
Beim besten Willen assoziiere ich diesen Duft nicht mit einem Frauenrücken, dessen herunterrutschender Pelz den Blick auf nackte Schultern freigibt. Das hätten die beiden älteren Herren wohl gerne!
Nein, viel eher sehe ich hier einen frisch gebarbershopten Hipster genüsslich eine Ananas mampfen – der Duft ist nämlich ziemlich maskulin, um nicht zu sagen: sehr maskulin.
Haltbarkeit und Abstrahlung sind – und das ist wirklich erwähnenswert – schlicht sensationell! Ich habe einmal den Fehler gemacht, zwei Sprühstöße von ‚Music for a while’ übereinander zu sprühen, so wie ich das häufig mit Düften mache, die nicht sonderlich ausdauernd sind. In diesem Fall aber ist die Wirkung verheerend. Der Duft hat nämlich eine unglaubliche Potenz und sollte daher sparsam Verwendung finden. Ein Blick auf den Flakon verrät auch warum: es handelt sich wohl tatsächlich um ein ‚Parfum’. Kein ‚Eau de Parfum’ wie ‚Musc Ravageur’ und auch kein ‚Eau de Toilette’ wie ‚Bigarade Concentrée’ – nein. Unmissverständlich steht ‚Parfum’ drauf, und ich glaube, Frédéric Malle flunkert nicht.
Zu dieser Duftkonzentration passt auch, dass ‚Music for a while’ eine sehr dichte Textur hat – der Duft ist kräftig und schwer, wie ein dicker Teppich. Der Anteil der Duftbausteine ist dabei zum Glück überschaubar, sodass der Duft aller Schwere und Dichte zum Trotz nicht überladen wirkt.
Ein letztes Wort: großartig!
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