Yatagan
12.07.2013 - 11:45 Uhr
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10Duft 7Haltbarkeit 6Sillage 9Flakon

Durch die Wüste

Timbuktu, die Oasenstadt, die in den letzten Jahren Schlagzeilen machte, weil sie zwischen Tuareg und den Ansar Dine umkämpft und zum Spielball eines furchtbaren Bürgerkriegs wurde, war einst eine glanzvolle Wüstenmetropole, die größte und bedeutendste Stadt des afrikanischen Reiches der Songhai, das im 15. und 16. Jahrhundert gigantische Ausmaße hatte und sich über mindestens ein halbes Dutzend heutiger afrikanischer Staaten erstreckte. Timbuktu war ein Hort der Kultur, der Kunst und afrikanischer Machtentfaltung, die man bis heute in Europa zumeist nicht zur Kenntnis nimmt, verbindet man mit Afrika doch leider oftmals nur Armut und Entwicklungsrückstände. Tatsächlich war Timbuktu für die damalige Zeit auch nach mitteleuropäischen Maßstäben eine bedeutende Großstadt, deren Größe vermutlich bis zu 25.000 Einwohner betrug, größer als die meisten Städte in Mitteleuropa. Eher ins Reich der Legende gehören Vermutungen, dass Tibuktu damals womöglich mehr als 100.000 Einwohner gehabt haben könnte, vollkommen auszuschließen ist es aber nicht.

Timbuktu wurde zum Mittelpunkt des Geisteslebens im Reich der Songhai, es gab zahlreiche Koranschulen, von denen mindestens eine mit einer mittelalterlichen Universität vergleichbar war. Nicht umsonst wurde die scheinbar unermesslich reiche Stadt in Afrika im heutigen Mali zu einem Ort der Sehnsucht anderer afrikanisch-arabischer Potentaten und der Europäer, zu einem Ort, an dem man im Rahmen kolonialer Expansion Reichtümer zu gewinnen hoffte, die dort gehandelt wurden: Gold, Elfenbein, Pfeffer, Leder, Moschus...

Was hat das alles mit L‘Artisans Timbuktu zu tun?

Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass Düfte nicht ganz zufällig sprechende Namen tragen. Zumeist verbindet sich mit einer Bezeichnung eine Konnotation, entstehen Assoziationen, die uns neugierig machen sollen auf den Duft, natürlich auch Teil des Marketingkonzepts sind: letztlich aber legitim, notwendig und manchmal sogar im Sinne der Abrundung eines Gesamtkunstwerks. Und ein Gesamtkunstwerk ist Timbuktu für mich allemal. Neugierig gemacht hat mich zunächst aber nicht der Name, sondern Luca Turin, der in seinen Publikationen immer wieder auf Timbuktu hinweist. Der berühmteste Parfümkritiker sieht in Timbuktu gar einen der zehn besten Herrendüfte (oder Unisex-Düfte, je nach der eigenen Perspektive), ordnet ihm aber Attribute wie leise und dezent zu und erinnert sich gar, das Potential dieses Duftes zunächst gar nicht erkannt zu haben.

Dass wir es bei Timbuktu mit einem leisen Duft zu tun haben, wird sicherlich auch der Grund gewesen sein, warum es mir genauso ging, ich zunächst mit dem Duft nicht viel anfangen konnte. Als ich es vor Jahren zum ersten Mal testete, war meine Nase nicht aufnahmefähig, ich erinnere mich noch Timbuktu als einen Duft unter mehreren getestet und schließlich beiseite gelegt zu haben: was für ein Fehler! Timbuktu ist eine Diva, braucht seinen eigenen Auftritt ohne Konkurrenz, will mit Geduld wahrgenommen werden. Ich gebe es zu: nicht eben eine besondere Stärke von mir.

Nach Luca Turins Kritik zu diesem Duft war ich aber bereit, mich erneut mit diesem Duft zu befassen und dank einer großzügigen Abfüllung (ganz herzlichen Dank an Zionist!), konnte ich das ausgiebig tun. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Nach wenigen Tagen des Testens habe ich mir einen Flakon geleistet, denn dieser Duft fasziniert mich mehr als fast alle anderen Düfte, die ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe, mehr als viele alte Klassiker und mehr als die meisten anderen Nischendüfte, die ohne Zahl auf den Markt geworfen werden.

Gelegentlich gelingt es mir zwar bei einem Duft Inhaltsstoffe zu riechen, zu ahnen, was in einem Duft verarbeitet wurde, - ebenso oft benötige ich als Stütze aber die Duftangaben des Herstellers, diejenigen hier auf Parfumo oder aus einer anderen versierten Parfumkritik (z.B. denen von Luca Turin), um mich wirklich souverän orientieren zu können. Für Timbuktu gilt das in jedem Fall. Weiß man jedoch, dass der Duft Kardamom, Pfeffer und Weihrauch enthält (die Karawanenstadt Timbuktu lässt grüßen), dann erscheint alles vollkommen offensichtlich, wird der Duft transparent, fast durchsichtig, zumal vor allem der Weihrauch auch für ungeübte Nasen gut erkennbar ist.

Auch die Komponenten Myrrhe und Papyrus lassen Assoziationen mit der glorreichen Vergangenheit von Timbuktu zu, da die Oasenstadt in Mali auch für ihre bedeutenden antiken Bibliotheken berühmt war (erst im vergangenen Jahr wurde wieder bekannt, dass bei den Kämpfen eine bedeutende historische Bibliothek in den Flammen aufging): als Reminiszenz der Geruch von Papyrus.

Für mich besonders dominant ist aber überraschenderweise der Geruch der Mango, der einen exotischen, frisch-fruchtigen Akzent setzt und der in Kombination mit dem lichten, wenig schweren Weihrauch, dem Pfeffer und dem Vetiver einen kongenialen Kontrast bildet. Benzoe und Patchouli, beides Töne, die ich nicht besonders liebe, sind nur dezent wahrnehmbar und sorgen eher für die Grundierung in diesem pastellfarbenen olfaktorischen Gemälde, das Frauen ebenso gut gefallen dürfte wie Männern.

Für mich ist ein Duft, der keinen starken fruchtigen Akzent enthält, zu stark, zu wuchtig, zu schwer. Betrand Duchaufour geht hier andere Wege: er ersetzt die klassischen Hesperiden oder den Lavendel (die traditionellen helle Töne des Auftakts) durch Mango, wagt viel und gewinnt alles. Ein frischer und delikater Geruch, der gemeinsam mit dem Vetiver bis in die Basisnote wahrnehmbar ist.

Eine klassische Duftentwicklung gibt es hier m.E. nicht zu beschreiben. Die genannten Noten (insbesondere Mango, Pfeffer, lichter, dezenter Weihrauch, Vetiver) sind von Anfang an präsent, entwickeln sich allenfalls mit der Zeit stärker und kontrastreicher. Dabei wird der Duft nur noch schöner und angenehmer: ein Gemälde, das zwar harmonisch und hell gestaltet wurde, das aber dennoch Raum für Spekulationen und Interpretationen lässt (so wie die Gemälde der späten Impressionisten am Rande zum Expressionismus: Lovis Corinth).

Ich bin froh durch die Anregung von Zionist in diese duftende Oasenstadt gereist zu sein, denn dieser Aufenthalt hat mir meinen Sommerduft beschert. Nun wäre zu wünschen, dass das wirkliche Timbuktu zur Ruhe käme, dass seine historischen Gebäude und seine Bedeutung für die afrikanische Geschichte wieder zur Geltung kämen und es wieder zu einem Ort der Sehnsucht würde, den man auch tatsächlich gefahrlos betreten könnte. Einstweilen müssen wir uns mit L‘Artisans Timbuktu behelfen, auch ein Kunstwerk von besonderem Rang.
31 Antworten
DjeffDjeff vor 4 Monaten
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Ich habe ihn gestern Nacht blind bestellt , jetzt macht es das warten noch spannender.
YataganYatagan vor 4 Monaten
Würde mich freuen, wenn er dir gefiele! Ich hörte zwar von einer Reformulierung, aber vor Kurzem beim Test in der Parfümerie war er noch super! 😀
FoxearFoxear vor 4 Jahren
Welch eine fulminante Rezension, die einmal mehr beweist: der erste Eindruck ist oft nur das: der erste Eindruck.
StulleStulle vor 6 Jahren
Soderle, endlich trage ich den mal - und gebe Dir vollumfänglich recht. Das ist wirklich ein beeindruckender Duft! Klasse Kommentar, wie immer.
BlauemausBlauemaus vor 7 Jahren
Den mag ich auch gern. Ein ruhiger, bei verhaltener Dosierung durchaus recht körpernaher, enspannender Duft. Sehr lesenswerter Kommi!
FittleworthFittleworth vor 12 Jahren
Hervorragender Kommentar - wieder mal! Und eine Karawane bringt Dir einen goldenen Pokal aus Timbuktu ...
ExUserExUser vor 12 Jahren
Vor kurzem ist mir mal wieder Timbuktu begegnet. Auf die S-Bahn wartend hab ich direkt gewittert, was da auf mich zukommmt ;) Die Nummer war echt stilecht! Ein klassisch elegant gekleideter Afrikaner der mMn Timbuktu trug. Ich fand das echt großartig!
MoriartyMoriarty vor 12 Jahren
Nice!
0815abc0815abc vor 12 Jahren
Ich glaube,dass man Orte der Sehnsucht niemals gefahrlos betreten kann,das macht ja ihren Reiz aus.Grandioser Kommentar.
AuraAura vor 12 Jahren
Begeisterung ist die beste (Schreib-)Muse, hast mich auch erreicht, aber auf die Merkliste mit Timbuktu
PaloneraPalonera vor 12 Jahren
Gute Güte, Goethe - äh: Yatagan! Nach diesem furiosen Kommentar hast Du Dir Deinen Urlaub mehr als verdient!
FlorblancaFlorblanca vor 12 Jahren
Ich liebe Deine Kommentare, Deinen Schreibstil, Deine Erzählweise. Dieser Kommentar ist olfaktorische Literatur. Luca Turin würde Dich auch einen Pokal verleihen.
MandelmausMandelmaus vor 12 Jahren
Sehr schön geschrieben, wieder was gelernt und total fasziniert. Wie lange bereitest du dich denn auf solche Kommis vor? Liebe Grüße und Pokal für dich.
HasiHasi vor 12 Jahren
Mei! ("mei" sagt der Bayer, wenn er sprachlos ist)
ChypienneChypienne vor 12 Jahren
Steht schon auf der Merkliste, jetzt wird aber getestet. Hilfreich, informativ, sorgfältig und überlegt geschrieben, ausgezeichnet!
AavaAava vor 12 Jahren
Ich wage mal die These, dass Duchaufour vielleicht sogar eine kleine heimliche Vorliebe für Fruchtnoten hat ;) Toller Kommentar, aber ich rieche die Mango in der Kopfnote leider gar nicht und finde Timbuktu auch nicht allzu leise.
SisyphosSisyphos vor 12 Jahren
Klasse Kommentar. Den Duft halte ich persönlich jedoch für überschätzt.
SabiSabi vor 12 Jahren
Vielen Dank für diesen wundervollen Ausflug in die Oasenstadt, Merkliste unbedingt und Pokal für dich :-)
ZoraZora vor 12 Jahren
Wieder ein toller und informativer Kommi. Fang ja nicht an die Damendüfte zu testen ( Warnfingerstreck ), sonst sehe ich mich als durftreiche arme Frau im Alter:).
RivegaucheRivegauche vor 12 Jahren
Ein schöner Kommentar. Bei Timbuktu muss ich immer die Donald Duck Comics denken, wenn Donald mal wieder vor Dagobert flüchten musste und dann mit einem Schild "Timbuktu" am Straßenrand stand. Trotz allem auch ein großartiger Duft :-)
ZionistZionist vor 12 Jahren
Welch ein informativer und fundierter Kommentar gewohnter Standard der Lust auf mehr macht- Danke
DobbsDobbs vor 12 Jahren
Schön! Ich mag mir gar nicht die Auswirkungen auf mein Konto ausmalen, würdest du auch noch anfangen, vermehrt Damendüfte zu kommentieren ;o)
DannyboyDannyboy vor 12 Jahren
In einen (pfui!) Nischenduft verknallt, wie konnte das denn passieren?! *g* ;)
KiengiraKiengira vor 12 Jahren
Hab den vor ca 3 Wochen gekauft, eben wegen der Top 10! Pokal mit Unterschrift! ( Das mit dem Mango find ich genauso!)
NightFighterNightFighter vor 12 Jahren
Nicht zuletzt durch deine Kommentare, füllt sich meine Merkliste zusehends! :)
Feiner Kommi!
Amber9Amber9 vor 12 Jahren
Ein faszinierender Kommentar zu einem faszinierenden Duft. Vielen Dank!
GaukeleyaGaukeleya vor 12 Jahren
Oh! Du hast einen Hundertprozentigen! Glückwunsch! Das klingt aber auch wirklich über alle Maßen, ähm, hundertprozentig ;-D. Wird getestet, MUSS. Leises und dennoch Geheimnisvolles lässt mich den olfaktorischen Speichelfluss erfahren. Inspirierend!
CallasCallas vor 12 Jahren
Ich bin ehrlich - ich bin nicht die große Freundin der allzu langen Kommentare aber Deine und u.a. die von ParfumAholic lese ich gerne, da sie trotzdem kurzweilig und informativ sind ;)
LakshmiLakshmi vor 12 Jahren
Hat mich neugierig gemacht. :) Shukran!
TaurusTaurus vor 12 Jahren
Yepp - Timbuktu muss erhalten bleiben. Großes Statement für Stadt und Duft :-)
ErgoproxyErgoproxy vor 12 Jahren
Toller Kommentar, nur das mit dem leise, dass kann ich so nicht wirklich unterschreiben. Ich finde den schon ziemlich deutlich wahrnehmbar.