20.05.2016 - 12:24 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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Von New York nach Berlin in einem Sprühstoß: Spurensuche in den Roaring Twenties
Eine Reihe von Düften tragen den Namen New York. Darunter auch das berühmte, von Luca Turin über die meisten Herrendüfte gestellte New York von Nicolai (in seiner alten Formulierung), ein Duft von Playboy (sic,), diverse andere unbekanntere und ein Duft der Berliner Manufaktur Harry Lehmann resp. Parfum Individual.
Der Laden von Lutz Lehmann, seit der Gründung 1926 in der Hand der Familie, ist Sehnsuchtsort von Duftliebhabern aus der ganzen Welt, Kultstätte für Freunde der Ästhetik der 50er und 60er Jahre (man beachte nur das wunderschöne Schaufenster in der Berliner Kantstraße) und natürlich ein Hort der guten Düfte; dies alles zu Preisen, die weit unter denen anderer Hersteller liegen, was manchen abschrecken mag: Düfte, die z.T. billiger als Drogeriedüfte sind, scheinen vielen Kunden keinen Blick und erst recht keinen Test wert: ein schwerer Fehler.
Preiswert (und nicht billig) sind die Düfte allein schon deshalb, weil man zunächst einen Flakon (in verschiedenen Größen vorrätig) und sodann das passende Duftwasser dazu bestellt. Möglich ist auch das Befüllen selbst mitgebrachter Behältnisse oder das Auffüllen älterer Flakons.
Duftmischungen verschiedener Lehmann-Düfte sind in vielfältiger Kombination möglich und können individuell registriert und anschließend identisch nachbestellt werden. Selbst Düfte aus den 30er- und 40er-Jahren sind noch im Programm - und ich würde meine Hand dafür ins Feuer dafür legen wollen: vermutlich allenfalls geringfügig reformuliert.
Der Bestellvorgang läuft über E-Mail oder Telefon, zumeist erhält man - mit ein bisschen Glück - Antwort vom Inhaber Lutz Lehmann selbst, und alles ist so persönlich und freundlich, wie man es sich von einer kleinen Manufaktur wünscht.
Alles in allem viele gute Gründe, einen oder gleich mehrere Düfte bei Harry (resp. Lutz) Lehmann zu bestellen und sich anschließend ein wenig in Geduld zu üben, denn auch das gehört hier dazu: Bei einer kleinen, inhabergeführten Manufaktur mit kleinstem Mitarbeiterstamm kommt nicht sofort die Bestellantwort wie bei großen Internetkaufhäusern; in meinem Fall dann aber doch schon zwei Tage später, bemerkenswerterweise an einem Feiertag: Der Selbständige ist immer im Dienst.
In einer größeren Bestellung (Fougère, Fougère Eau de Cologne, Boston Eau de Cologne, Lindenblüte x Neroli: 50/50-Mischung, Russisch Juchten) befand sich auch eine große Flasche New York Cologne, das ich zwar schon kannte und schätzte, kurz zuvor aber zur Neige gegangen war.
Die neue volle Flasche ist eine gute Gelegenheit, mal wieder etwas zu Harry Lehmann zu schreiben, was ich auch schon in der Vergangenheit getan habe (zu Santanyi, leider offenbar nicht mehr vorrätig).
New York ist für mich ein ganz wunderbarer Duft, auch wenn ich im Vergleich mit einem kleinen Rest meiner alten Flasche feststellte, dass es doch ganz leichte Änderungen zu geben scheint. Der alte Duft wirkt kräftiger und haltbarer. Die Eröffnung kommt aber, wie gewohnt, mit einem Korb voller Zitrusfrüchte: Ein klassischer Eau de Cologne-Auftakt mit Zitrus, Orange und oder Neroli. Die von Lutz Lehmann auf seiner Internetseite behauptete herbe Würze kann ich gar nicht ganz nachvollziehen, da der Duft in dieser ersten Phase auf mich besänftigend, ruhig, hell und frisch, fast fruchtig wirkt.
Im Herzen bildet sich mehr und mehr eine leichte Fougère-Note heraus, die meilenweit von der tonnenschweren Fougère-Parfum-Variante aus gleichem Hause entfernt ist. Dezent, hellgrün, fein-pudrig, melancholisch und sympathisch antiquiert. So rochen Düfte in meiner Erinnerung früher, - aber wann eigentlich? Die ganze Komposition wirkt durch die feine Fougère-Unterlage fast aus der Zeit gefallen, weniger im Sinne eines Duftes der 70er oder 60er Jahre, sondern älter, vielleicht im Takt der Gründerzeit dieser Manufaktur: Roaring Twenties in Berlin, Charleston, Ragtime, Jazz, A Capella-Schlager. Das ist natürlich nur eine Assoziation, denn der Duft ist m.E. viel jünger, gehört nicht zu den älteren Kompositionen des Hauses, bedient aber Sehnsüchte nach alten Zeiten.
In der Mitte der Entwicklung zeigt sich ein würziger Ton, den mein Vorredner ganz nachvollziehbar als Anis-Note umschrieben hatte, auch wenn Lutz Lehmann energisch dementierte. Als Referenz dient der Vergleich allemal.
Immer erhalten bleibt auch eine fast fruchtige, strahlende Frische, gepaart mit dezenter Blumigkeit (ohne feminin zu wirken), die an Neroli erinnert. Eine helle Moschusnote wurde mehrfach vermutet. Da fühle ich mich nie so als Spezialist.
In der Basis hat sich der frische Auftakt verflüchtigt, aber es bleibt diese Aura von Fougère, die sich ein wenig kräftiger setzt, der Jazz ist verklungen, der Rauch schwebt noch im Lokal, die Damen sind müde vom Tanz, New York, der Duft, umweht die Herren, die versonnen auf ein Glas Absinth schauen.
Der Duft von Lehmann vereint in einem Sprühstoß moderne Momente der neuen Welt (New York - Big Apple) und klassische des alten Europa (Berlin der Zwanziger) und überbrückt diese zeitliche, kulturelle und räumliche Distanz mühelos und elegant. Er gefällt mir auch deshalb, weil ich ein Liebhaber von leisen Düften bin (Ormonde Jayne Man, L'Artisan Timbuktu, Pour Un Homme de Caron, Balenciaga Ho Hang, Trumper Astor), die sich nicht laut aufdrängen, sondern mit Geduld erschlossen werden wollen. Leise ist Lehmanns New York allemal, dabei aber nie belanglos oder verwechselbar. Ein kleines, bescheidenes Duftkunstwerk. Beachtenswert!
Der Laden von Lutz Lehmann, seit der Gründung 1926 in der Hand der Familie, ist Sehnsuchtsort von Duftliebhabern aus der ganzen Welt, Kultstätte für Freunde der Ästhetik der 50er und 60er Jahre (man beachte nur das wunderschöne Schaufenster in der Berliner Kantstraße) und natürlich ein Hort der guten Düfte; dies alles zu Preisen, die weit unter denen anderer Hersteller liegen, was manchen abschrecken mag: Düfte, die z.T. billiger als Drogeriedüfte sind, scheinen vielen Kunden keinen Blick und erst recht keinen Test wert: ein schwerer Fehler.
Preiswert (und nicht billig) sind die Düfte allein schon deshalb, weil man zunächst einen Flakon (in verschiedenen Größen vorrätig) und sodann das passende Duftwasser dazu bestellt. Möglich ist auch das Befüllen selbst mitgebrachter Behältnisse oder das Auffüllen älterer Flakons.
Duftmischungen verschiedener Lehmann-Düfte sind in vielfältiger Kombination möglich und können individuell registriert und anschließend identisch nachbestellt werden. Selbst Düfte aus den 30er- und 40er-Jahren sind noch im Programm - und ich würde meine Hand dafür ins Feuer dafür legen wollen: vermutlich allenfalls geringfügig reformuliert.
Der Bestellvorgang läuft über E-Mail oder Telefon, zumeist erhält man - mit ein bisschen Glück - Antwort vom Inhaber Lutz Lehmann selbst, und alles ist so persönlich und freundlich, wie man es sich von einer kleinen Manufaktur wünscht.
Alles in allem viele gute Gründe, einen oder gleich mehrere Düfte bei Harry (resp. Lutz) Lehmann zu bestellen und sich anschließend ein wenig in Geduld zu üben, denn auch das gehört hier dazu: Bei einer kleinen, inhabergeführten Manufaktur mit kleinstem Mitarbeiterstamm kommt nicht sofort die Bestellantwort wie bei großen Internetkaufhäusern; in meinem Fall dann aber doch schon zwei Tage später, bemerkenswerterweise an einem Feiertag: Der Selbständige ist immer im Dienst.
In einer größeren Bestellung (Fougère, Fougère Eau de Cologne, Boston Eau de Cologne, Lindenblüte x Neroli: 50/50-Mischung, Russisch Juchten) befand sich auch eine große Flasche New York Cologne, das ich zwar schon kannte und schätzte, kurz zuvor aber zur Neige gegangen war.
Die neue volle Flasche ist eine gute Gelegenheit, mal wieder etwas zu Harry Lehmann zu schreiben, was ich auch schon in der Vergangenheit getan habe (zu Santanyi, leider offenbar nicht mehr vorrätig).
New York ist für mich ein ganz wunderbarer Duft, auch wenn ich im Vergleich mit einem kleinen Rest meiner alten Flasche feststellte, dass es doch ganz leichte Änderungen zu geben scheint. Der alte Duft wirkt kräftiger und haltbarer. Die Eröffnung kommt aber, wie gewohnt, mit einem Korb voller Zitrusfrüchte: Ein klassischer Eau de Cologne-Auftakt mit Zitrus, Orange und oder Neroli. Die von Lutz Lehmann auf seiner Internetseite behauptete herbe Würze kann ich gar nicht ganz nachvollziehen, da der Duft in dieser ersten Phase auf mich besänftigend, ruhig, hell und frisch, fast fruchtig wirkt.
Im Herzen bildet sich mehr und mehr eine leichte Fougère-Note heraus, die meilenweit von der tonnenschweren Fougère-Parfum-Variante aus gleichem Hause entfernt ist. Dezent, hellgrün, fein-pudrig, melancholisch und sympathisch antiquiert. So rochen Düfte in meiner Erinnerung früher, - aber wann eigentlich? Die ganze Komposition wirkt durch die feine Fougère-Unterlage fast aus der Zeit gefallen, weniger im Sinne eines Duftes der 70er oder 60er Jahre, sondern älter, vielleicht im Takt der Gründerzeit dieser Manufaktur: Roaring Twenties in Berlin, Charleston, Ragtime, Jazz, A Capella-Schlager. Das ist natürlich nur eine Assoziation, denn der Duft ist m.E. viel jünger, gehört nicht zu den älteren Kompositionen des Hauses, bedient aber Sehnsüchte nach alten Zeiten.
In der Mitte der Entwicklung zeigt sich ein würziger Ton, den mein Vorredner ganz nachvollziehbar als Anis-Note umschrieben hatte, auch wenn Lutz Lehmann energisch dementierte. Als Referenz dient der Vergleich allemal.
Immer erhalten bleibt auch eine fast fruchtige, strahlende Frische, gepaart mit dezenter Blumigkeit (ohne feminin zu wirken), die an Neroli erinnert. Eine helle Moschusnote wurde mehrfach vermutet. Da fühle ich mich nie so als Spezialist.
In der Basis hat sich der frische Auftakt verflüchtigt, aber es bleibt diese Aura von Fougère, die sich ein wenig kräftiger setzt, der Jazz ist verklungen, der Rauch schwebt noch im Lokal, die Damen sind müde vom Tanz, New York, der Duft, umweht die Herren, die versonnen auf ein Glas Absinth schauen.
Der Duft von Lehmann vereint in einem Sprühstoß moderne Momente der neuen Welt (New York - Big Apple) und klassische des alten Europa (Berlin der Zwanziger) und überbrückt diese zeitliche, kulturelle und räumliche Distanz mühelos und elegant. Er gefällt mir auch deshalb, weil ich ein Liebhaber von leisen Düften bin (Ormonde Jayne Man, L'Artisan Timbuktu, Pour Un Homme de Caron, Balenciaga Ho Hang, Trumper Astor), die sich nicht laut aufdrängen, sondern mit Geduld erschlossen werden wollen. Leise ist Lehmanns New York allemal, dabei aber nie belanglos oder verwechselbar. Ein kleines, bescheidenes Duftkunstwerk. Beachtenswert!
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