09.10.2020 - 18:19 Uhr
FvSpee
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FvSpee
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34
Colonialwaren XIII: Pizza Grano Saraceno
Parfüms kann ich nicht mischen, ich hab auch nie so einen Wochenendparfumeurskurs besucht, das überlasse ich den Profis. Aber kochen kann ich ganz gut. Früher nach Kochbuch, in letzter Zeit bin ich selbstbewusst und erfahren genug geworden, um auch auf Zuruf zu experimentieren.
Wenn man mir die Aufgabe stellen würde, eine "Pizza Russa" zu backen, würde ich nicht versuchen, russische Spezialitäten nachzubauen und die Pizza mit Borschtsch statt mit Tomatensauce zu begießen oder den Teig nach Art von Pelmeni zu kochen statt zu backen.
Ich würde ein italienisches Pizza-Grundrezept wählen mit knusprigem Teig, (satt) Tomatensauce mit Oregano und (eher wenig) Käse und dann viel Vegetarisches drauf geben, ein wenig Gemüse, Möhren vielleicht (Zwiebeln eher gar nicht), auf jeden Fall viel Rucola. Und dann Pinienkerne (oder noch besser womöglich Walnüsse, müsste man sehen). Und mein russischer Clou wäre am Ende: Duftig angerösteter Buchweizen (italienisch "grano saraceno") obenauf gestreut. Das wäre eine durch und durch italienische Pizza, aber eben mit einem irgendwie waldig-bärig-slawisch anmutenden Zitat, und ob es "echt" russisch wäre, wäre mir egal und den Gästen wahrscheinlich auch.
Ich denke, so ist auch der (namentlich nicht bekannte) Parfumeur von Santa Maria Novella vorgegangen: Indem er nämlich ein erzklassisches, sehr mediterranes Cologne mit einem neckischen Russentwist hingezaubert hat. "Russisch" steht ja in der Parfümerie oft mehr oder weniger synonym für "Russisch Leder" und das wiederum für "Birkenteer". Diesen Weg ist man hier nicht gegangen. Stattdessen wird die ein bisschen russisch-schwäääääre, braunwürzige Anmutung, die das fröhliche zitrische Cologne-Geschene etwas bricht, durch Gewürznelke und Benzoe erzielt.
Das finde ich eine primige Idee! Der Duft beginnt auf den ersten Schnüffler als ein wunderschönes Bergamottencologne (kein Solifruct, sondern eine zitrischer Cologne-Blend mit Bergamottenpräponderanz; dafür wenig Zitrone, kaum Schärfe oder Säure), einschließlich herber und frischgrüner, fast blumiger Tendenzen. Das wirkt sowas von erzitalienisch und megaklassisch.
Aber das Ganze wirkt auch, wenn man aufmerksam hinriecht, vom ersten Augenblick an ein bisschen eingefangen oder abgefedert, als ob da jemand mit dem einen Fuß auf dem Gaspedal des Ferrari steht und mit dem anderen auf die Bremse tippt. Nicht dass es schwächelt oder in einer Moschus- oder Chemiewolke eingenebelt ist, sondern mehr, als ob sich der Duft bemüht, sein Pulver nicht allzu spritzig zu verschießen, weil noch was anderes kommt. Bald macht sich in der so entstandenen Lücke dann auch eine feine Nelkennote Raum, die nie allzu sehr in den Vordergrund tritt und sich auch nicht zu einem Gewürzsträußchen entfaltet: Das wird nie zu einem Tabac Original oder Old Spice, es bleibt immer zuerst ein zitrisches Cologne, aber eben würzig abgeschmeckt. Und gegen Ende zieht sich dann eine schöne balsamische Benzoe unter den Duft.
Das ist unspektakulär, das ist schlicht, aber das ist gut.
Vorerst sind das bei mir 8 Punkte. Vielleicht justiere ich noch einmal nach. Wenn, dann wahrscheinlich nach oben, wenn ich in einer adäquateren, wärmeren Jahreszeit noch einmal getestet haben werde.
* * *
Zur Geschichte der Firma hat Yatagan in seiner Rezension zum Rasierwasser-Brüderchen dieses Duftes schon einiges gesagt. Darf man den offiziellen Angaben des Herstellers trauen, liegen seine Wurzeln in einer Klosterapotheke in Florenz um das Jahr 1200. Dann im Jahre 1612 gingen die Mönche an die Öffentlichkeit und machten eine förmliche Apotheke außerhalb der Klostermauern auf, mit der sie Geld verdienten und die auch in Adelskreisen gut ankam. 1866 wurde der Kirchenbesitz säkularisiert und der Staat gab die Apotheke an einen Privatmann; im Besitz dieser Familie blieb sie für mehrere Generationen. Heute scheint sie verkauft zu sein, an wen genau bleibt etwas unklar, aber wohl jedenfalls nicht an einen großen Konzern.
Die Firma betreibt zwei miteinander verlinkte Homepages, eine mehr zur Darstellung des Unternehmens und seiner Geschichte - https://www.smnovella.com/ - und eine als Online-Shop - https://buy.smnovella.eu/ENG/
Die Seiten sind wunderbar designt und opulent bebildert (typisch italienisch im besten Sinne), aber leider etwas wirr aufgebaut. Man verläuft sich ständig, weshalb ich auch den historischen Abriss, aus dem ich oben aus dem Gedächtnis zitiert habe, momentan gar nicht mehr wiederfinde.
Kaufen kann man die Produkte nicht nur online oder in Italien, sondern auch in ein paar ausgewählten Geschäften in Deutschland; in Berlin bei MDC in der Knaackstraße, wohin ich demnächst mal einen Duftspaziergang machen will.
Den Flakon finde ich so hammerschön (auf den Bildern), dass ich ausnahmsweise von meiner Regel abweiche und ihn (mit 10) bewerte, ohne ihn in der Hand gehabt zu haben.
Wenn man mir die Aufgabe stellen würde, eine "Pizza Russa" zu backen, würde ich nicht versuchen, russische Spezialitäten nachzubauen und die Pizza mit Borschtsch statt mit Tomatensauce zu begießen oder den Teig nach Art von Pelmeni zu kochen statt zu backen.
Ich würde ein italienisches Pizza-Grundrezept wählen mit knusprigem Teig, (satt) Tomatensauce mit Oregano und (eher wenig) Käse und dann viel Vegetarisches drauf geben, ein wenig Gemüse, Möhren vielleicht (Zwiebeln eher gar nicht), auf jeden Fall viel Rucola. Und dann Pinienkerne (oder noch besser womöglich Walnüsse, müsste man sehen). Und mein russischer Clou wäre am Ende: Duftig angerösteter Buchweizen (italienisch "grano saraceno") obenauf gestreut. Das wäre eine durch und durch italienische Pizza, aber eben mit einem irgendwie waldig-bärig-slawisch anmutenden Zitat, und ob es "echt" russisch wäre, wäre mir egal und den Gästen wahrscheinlich auch.
Ich denke, so ist auch der (namentlich nicht bekannte) Parfumeur von Santa Maria Novella vorgegangen: Indem er nämlich ein erzklassisches, sehr mediterranes Cologne mit einem neckischen Russentwist hingezaubert hat. "Russisch" steht ja in der Parfümerie oft mehr oder weniger synonym für "Russisch Leder" und das wiederum für "Birkenteer". Diesen Weg ist man hier nicht gegangen. Stattdessen wird die ein bisschen russisch-schwäääääre, braunwürzige Anmutung, die das fröhliche zitrische Cologne-Geschene etwas bricht, durch Gewürznelke und Benzoe erzielt.
Das finde ich eine primige Idee! Der Duft beginnt auf den ersten Schnüffler als ein wunderschönes Bergamottencologne (kein Solifruct, sondern eine zitrischer Cologne-Blend mit Bergamottenpräponderanz; dafür wenig Zitrone, kaum Schärfe oder Säure), einschließlich herber und frischgrüner, fast blumiger Tendenzen. Das wirkt sowas von erzitalienisch und megaklassisch.
Aber das Ganze wirkt auch, wenn man aufmerksam hinriecht, vom ersten Augenblick an ein bisschen eingefangen oder abgefedert, als ob da jemand mit dem einen Fuß auf dem Gaspedal des Ferrari steht und mit dem anderen auf die Bremse tippt. Nicht dass es schwächelt oder in einer Moschus- oder Chemiewolke eingenebelt ist, sondern mehr, als ob sich der Duft bemüht, sein Pulver nicht allzu spritzig zu verschießen, weil noch was anderes kommt. Bald macht sich in der so entstandenen Lücke dann auch eine feine Nelkennote Raum, die nie allzu sehr in den Vordergrund tritt und sich auch nicht zu einem Gewürzsträußchen entfaltet: Das wird nie zu einem Tabac Original oder Old Spice, es bleibt immer zuerst ein zitrisches Cologne, aber eben würzig abgeschmeckt. Und gegen Ende zieht sich dann eine schöne balsamische Benzoe unter den Duft.
Das ist unspektakulär, das ist schlicht, aber das ist gut.
Vorerst sind das bei mir 8 Punkte. Vielleicht justiere ich noch einmal nach. Wenn, dann wahrscheinlich nach oben, wenn ich in einer adäquateren, wärmeren Jahreszeit noch einmal getestet haben werde.
* * *
Zur Geschichte der Firma hat Yatagan in seiner Rezension zum Rasierwasser-Brüderchen dieses Duftes schon einiges gesagt. Darf man den offiziellen Angaben des Herstellers trauen, liegen seine Wurzeln in einer Klosterapotheke in Florenz um das Jahr 1200. Dann im Jahre 1612 gingen die Mönche an die Öffentlichkeit und machten eine förmliche Apotheke außerhalb der Klostermauern auf, mit der sie Geld verdienten und die auch in Adelskreisen gut ankam. 1866 wurde der Kirchenbesitz säkularisiert und der Staat gab die Apotheke an einen Privatmann; im Besitz dieser Familie blieb sie für mehrere Generationen. Heute scheint sie verkauft zu sein, an wen genau bleibt etwas unklar, aber wohl jedenfalls nicht an einen großen Konzern.
Die Firma betreibt zwei miteinander verlinkte Homepages, eine mehr zur Darstellung des Unternehmens und seiner Geschichte - https://www.smnovella.com/ - und eine als Online-Shop - https://buy.smnovella.eu/ENG/
Die Seiten sind wunderbar designt und opulent bebildert (typisch italienisch im besten Sinne), aber leider etwas wirr aufgebaut. Man verläuft sich ständig, weshalb ich auch den historischen Abriss, aus dem ich oben aus dem Gedächtnis zitiert habe, momentan gar nicht mehr wiederfinde.
Kaufen kann man die Produkte nicht nur online oder in Italien, sondern auch in ein paar ausgewählten Geschäften in Deutschland; in Berlin bei MDC in der Knaackstraße, wohin ich demnächst mal einen Duftspaziergang machen will.
Den Flakon finde ich so hammerschön (auf den Bildern), dass ich ausnahmsweise von meiner Regel abweiche und ihn (mit 10) bewerte, ohne ihn in der Hand gehabt zu haben.
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