28.01.2022 - 04:20 Uhr
Intersport
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Detour XII: Balanceakt auf dem Lakritz Äquator
Der Lakritz Äquator ist eine dieser unsichtbaren Linien, die sich irgendwo auf der Frankfurter Mainlinie entlang schlängelt, und, so die Pressestellen von Katjes und Haribo, potentielle Kundschaft in lakritzophile und lakritzophobe trennt. Es gibt sicher noch weitere solcher Äquatoren, der Weißwurstäquator verlauft auf ähnlichen Breiten, hört aber auch an der Grenze zu Österreich ebenso schnell wieder auf, bei Pilzen wird gerne gleich von mycophilen und mycophoben Länder, fast Kontinenten gesprochen. Die Süßwarenhersteller können mit konkreten Absatzzahlen aufwarten, und verweisen dabei auch schon mal darauf, dass südlich vom Lakritz Äquator abwertend von Bärendreck gesprochen wird - ob diese Bezeichnung eher vom Namen der ehemaligen Nürnberger Süßwarenfabrikanten Karl Bär samt dessen Lakritz Patenten stammt - einem der wenigen Süßholzanbaugebiete nördlich der Alpen, wird dabei nicht näher diskutiert.
Ich schätze einige Parfums bei denen eine Süßholznote mit ihren Anis - und Fenchelfacetten eine Rolle spielt: allen vorweg, Jean-Michel Duriez' charmant diskretes Yohji Homme (1999), Dior's brilliantes Eau Noire (2004), Ellena's fluff Lavendel Brin de Réglisse (2005), Caron's Caron-untypische Powerhouse Zitrone + Süßholz Kombination Eau de Reglisse (2006) – auch Eau de Gloire (2005) mit dem bonapartschen Süßholzpulverdetail oder Annick Menardo's ursprüngliche Version von Body Kouros (2000). Bei La proie pour l'ombre spielt Süßholz in einem breiterem, tieferen, voluminöseren Register. Ähnlich wie bei der Wandlung von Süßholz zu Lakritz, wo ausgequetschten Wurzeln zu einem zähen, molasse-artigen Sud verkocht werden, der letztendlich nur noch entfernt mit dem bitter-süss-holzigen Geschmack beim Süßholzkauen, zu tun hat. Der Auftakt ist dicht, undurchdringlich, monolithisch. Viel schimmert da nicht durch, eine glänzend versiegelte Oberfläche lässt genauere Inspektionen nicht zu. Die angeführten Leder und Vanille Noten bleiben unter dieser eingekochten Süßholznote verdeckt und Leder ganz und gar nicht klassisch wie bei Lutens' Gewürz Knize-Caron Kommentar Cuir Mauresque (1996), eher wie das Leder der Lakritz-Schuhsolen die Charlie Chaplin en masse verspeiste. La proie pour l'ombre reiht sich vielmehr neben Le participe passé (2018) und L'Innommable (2018) ein. Das sympathisch kakophone Le participe war origineller und L'Innommable reduzierter, cumin-lastig und herber, beide gelungene takes on Immortelle-Noten. La proie pour l'ombre bespielt auch eine Szene in der erwähntes Eau Noire mit gegebener Distanz auftreten könnte, kaffeeartiges erscheint, erinnert in dieser Kombination entfernt an Series 7: Sweet - Wood Coffee (2005). Gerade im Ausklang werden diese Koordinaten in Ferne sichtbar - in diesem schönsten Abschnitt von La proie, der im Grunde mehr Des-Intensivierung als ein Auftauchen noch nicht bereits da erkenntlicher Komponenten ist, entdecke ich eine Struktur wieder die, mit einer leicht rauchigen Vanille, Süßholz samt Bitterstoffen (noch nicht eingekocht) erahnen lässt. Der Verlauf ist WYSIWYG, Überraschungen gibt es hier kaum, die ausklingende Intensivitätskurve, hinterlässt eine feine, ausdauernde Spur von La proie pour l'ombre, bei der dann alles gut sitzt. Ich habe mit holländischer, ungesalzener Lakritze und kalabrischen Süßholz aus zwei Quellen gegengetestet, trotz zwei gelisteter Kochzutaten handelt es sich hier nicht um ein vollwertiges Desert - zu unterschiedlich sind die Sensationen beim Verzehr.
Ob sich bei Shiseido der Lakritz Äquator auch schon rumgesprochen hat? Äquatoren enden ja nicht an Landesgrenzen, und wenn ich diese Linie auf der Landkarte, Erdkrümmung inklusive, weiterziehe bleibt fraglich, wo dieses, nach einem Beziehungsdrama von Alexandre Astruc betitelte Parfum Freunde finden wird. Unter den zum Teil doch skurril guten Veröffentlichungen die Lutens seit ein paar Jahren hin und wieder vorstellt, ist La proie pour l'ombre in guter Gesellschaft.
P.S. Ein Ausgangspunkt war sicherlich Bourreau des Fleurs (2017), das in der hochpreisigen Section d'Or erschienen ist. Sowohl La proie pour l'ombre wie auch L'Innommable, stehen für mich in Zusammenhang mit Bourreau des Fleurs.
Ich schätze einige Parfums bei denen eine Süßholznote mit ihren Anis - und Fenchelfacetten eine Rolle spielt: allen vorweg, Jean-Michel Duriez' charmant diskretes Yohji Homme (1999), Dior's brilliantes Eau Noire (2004), Ellena's fluff Lavendel Brin de Réglisse (2005), Caron's Caron-untypische Powerhouse Zitrone + Süßholz Kombination Eau de Reglisse (2006) – auch Eau de Gloire (2005) mit dem bonapartschen Süßholzpulverdetail oder Annick Menardo's ursprüngliche Version von Body Kouros (2000). Bei La proie pour l'ombre spielt Süßholz in einem breiterem, tieferen, voluminöseren Register. Ähnlich wie bei der Wandlung von Süßholz zu Lakritz, wo ausgequetschten Wurzeln zu einem zähen, molasse-artigen Sud verkocht werden, der letztendlich nur noch entfernt mit dem bitter-süss-holzigen Geschmack beim Süßholzkauen, zu tun hat. Der Auftakt ist dicht, undurchdringlich, monolithisch. Viel schimmert da nicht durch, eine glänzend versiegelte Oberfläche lässt genauere Inspektionen nicht zu. Die angeführten Leder und Vanille Noten bleiben unter dieser eingekochten Süßholznote verdeckt und Leder ganz und gar nicht klassisch wie bei Lutens' Gewürz Knize-Caron Kommentar Cuir Mauresque (1996), eher wie das Leder der Lakritz-Schuhsolen die Charlie Chaplin en masse verspeiste. La proie pour l'ombre reiht sich vielmehr neben Le participe passé (2018) und L'Innommable (2018) ein. Das sympathisch kakophone Le participe war origineller und L'Innommable reduzierter, cumin-lastig und herber, beide gelungene takes on Immortelle-Noten. La proie pour l'ombre bespielt auch eine Szene in der erwähntes Eau Noire mit gegebener Distanz auftreten könnte, kaffeeartiges erscheint, erinnert in dieser Kombination entfernt an Series 7: Sweet - Wood Coffee (2005). Gerade im Ausklang werden diese Koordinaten in Ferne sichtbar - in diesem schönsten Abschnitt von La proie, der im Grunde mehr Des-Intensivierung als ein Auftauchen noch nicht bereits da erkenntlicher Komponenten ist, entdecke ich eine Struktur wieder die, mit einer leicht rauchigen Vanille, Süßholz samt Bitterstoffen (noch nicht eingekocht) erahnen lässt. Der Verlauf ist WYSIWYG, Überraschungen gibt es hier kaum, die ausklingende Intensivitätskurve, hinterlässt eine feine, ausdauernde Spur von La proie pour l'ombre, bei der dann alles gut sitzt. Ich habe mit holländischer, ungesalzener Lakritze und kalabrischen Süßholz aus zwei Quellen gegengetestet, trotz zwei gelisteter Kochzutaten handelt es sich hier nicht um ein vollwertiges Desert - zu unterschiedlich sind die Sensationen beim Verzehr.
Ob sich bei Shiseido der Lakritz Äquator auch schon rumgesprochen hat? Äquatoren enden ja nicht an Landesgrenzen, und wenn ich diese Linie auf der Landkarte, Erdkrümmung inklusive, weiterziehe bleibt fraglich, wo dieses, nach einem Beziehungsdrama von Alexandre Astruc betitelte Parfum Freunde finden wird. Unter den zum Teil doch skurril guten Veröffentlichungen die Lutens seit ein paar Jahren hin und wieder vorstellt, ist La proie pour l'ombre in guter Gesellschaft.
P.S. Ein Ausgangspunkt war sicherlich Bourreau des Fleurs (2017), das in der hochpreisigen Section d'Or erschienen ist. Sowohl La proie pour l'ombre wie auch L'Innommable, stehen für mich in Zusammenhang mit Bourreau des Fleurs.
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