09.10.2024 - 01:40 Uhr

Intersport
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40
"When I presented L’eau to my team, I felt like Saint-Just…"
“When I presented L’eau to my team, I felt like Saint-Just informing the nobles they were going to lose their privileges”
(Serge Lutens)
…so angeblich Serge Lutens bei der internen Vorstellung der vor rund 14 Jahren erstmals gestarteten 'Eaux' Reihe.
Wer Louis Antoine de Saint-Just war musste ich erst nachlesen - was Lutens damit sagen wollte war mir dann schnell klar: das Image der 'Eaux' Linie [L'Eau (2010), L'Eau Froid (2012), usw. ] war gegensätzlich, ja widersprechend zur Reputation der Marke, die seit ihrem Start 1993 lange synonym war für teils eigenwillige, und noch mehr, in den 90'er und 00'er Jahren sich so ganz und gar dem Zeitgeist entziehende, solitäre Düfte veröffentlichte. Viele in außergewöhnlich konsequenter Komposition und Qualität. Genau dieses hart erackerte Terroir und damit gewonnene Privilegien & Ruf schien Lutens sich selbst unter den Füssen wegziehen zu wollen…?!
Etwas suspekt war sie mir schon diese 'Eaux', zu sehr erinnerte mich das Konzept 'Wasser' als zentrales Thema an Issey Miyake's erste Düfte, und dem daraus resultierenden Reinlichkeits-Fieber. Aber auch an die sequentielle Reduktion und gekonnt eingesetzte Künstlichkeit wie sie Comme des Garçons in den Jahren zuvor exerzierte. Erstmal getestet war mir klar dass Lutens auch hier mit der Umsetzung von C. Sheldrake äusserst solide gearbeitet hat: Favoriten aus dieser Zeit – die Dank lauter Aldehyden nur so sprudelnden samt eindeutig nicht-natürlicher Aura L'Eau Froid (2012) und Laine de Verre (2014).
… fast forward: vielleicht bekam das Team oder jemand im Shiseido Management dann doch noch kalte Füße bzw. es wurde irgendwie wirr: 2022 wurden die vormaligen Eaux bereits ein zweites Mal intern umverteilt. Erst 2019 sollten diese unter dem branding 'Eaux de Politesse' in Quadrat-artige, transparente Flakons umgefüllt werden, und erhielten dabei mit der gezuckerten Beifuss-Immortelle L'Eau d'Armoise (2019) einen soliden, aber zwischenzeitlich auch schon wieder eingestellten Neuzugang, siehe meine Rezension dazu. Zwei interne Neuzuordnungen älterer Parfums: Santal Blanc (2001) und Gris Clair (2006) - vormals brillante Düfte, wurden im Zuge dieses Umzugs leider erheblich ramponiert bzw. kaputt-formuliert. Auch Laine de Verre war zu diesem Zeitpunkt längst Geschichte.
2022/2024: zwischenzeitlich gelang L'Eau Froid das preisliche upgrade in die premium economy class der 75ml bell jars, und die Reihe – schon wieder unter neuer Titelei – 'Matin Lutens' bekam zwei eher unbeachtete Neuzugänge: Parole d'eau (2022), eine sommerliche Hybrid Version die Gegensätzliches wie die Menthol-hafte Labor Kälte von L'Eau Froid mit der Campingplatz Pinien-Harz & Nadel Atmosphäre von Fille en aiguilles (2009) vereint; und Dans le bleu qui pétille (2022), wo ein maritimer Weihrauch Algen Mix auf einer Basis in Richtung von Ambre sultan (1993) sitzt. Beide Düfte verdienen detailliertere Auseinandersetzung, sind sie an sich eigen genug, und dabei aber auch das, was der Idee des Flankers - was Lutens bemerkenswerter Weise bis dato vollkommen ignoriert hat - am nächsten kommt. Aber weiter zum Aktuellen, auch hier gibt es eine ähnliche Zweigeteiltheit.
Point du jour
Point du jour startet wie ein dichtes Bündel trockener Kräuter und Gewürze: Neben zentralen Thymian und Salbei sehe ich hier Kreuzkümmel in gleicher Größenordnung, sowie Nelken, Rosmarin, etwas Eukalyptus und Lavendel. Ein erweitertes Bouquet Garni mit Lutens'schen Einschlag. Ich mag Zitrus-freie aber dennoch erfrischende Düfte die ganz auf derartige ätherische Öle setzen. Die Form ist eng verwoben, austariert, augenblicklich wird klar dass hier auch ein erfahrener Parfumeur am Werk war, nichts ist überbordend; Gewürzlastiges markierte immer wieder das Portfolio der Marke. Dabei muss ich an einen Favoriten in diesem Genre denken, Lorenzo Villoresi's Spezie (1994), ja ein kompakteres, weniger barockes, und weniger grünes Spezie - gerade bei Point du jour's Auftakt …. Und wegen dem deutlichen Cumin, auch Diptyque's Kreuzkümmel-Kleinod L'Autre (1973) - dem kompromisslosesten aller Cumin Düfte. Wer diese beiden mag, könnte Freude mit Point du jour haben.
Die neue Trockenheit
Das alles würde mir schon reichen und Point du jour könnte sich in der Manier eines Eau Fraîche jetzt verziehen - aber es geht weiter. Der jetzt folgende Dreh unterstreicht, wie bei anderen Veröffentlichungen der ehemaligen 'Eaux' Reihe, dass es sich hier eben nicht um reproduzierte impressionistische Landschaften handelt.
Ein verbindendes Element unter den 'Eaux' war ein - mal mehr, mal weniger deutlicher - Kommentar zum Komplex Weihrauch. Dieser reichte vom Konzept des unverbrannten Frankincense Tropfen bei L'Eau Froid, oder Spuren desselben bei L'Eau de Paille (2016) zur erloschenen Kerzenrauch-Aldehyd Note des ursprünglichen Gris Clair. Encens et lavande (1996), ein früher, ruhiger Lutens kann vielleicht als Nukleus zu dieser Konstellation gesehen werden, und schnell wurde bei dem sporadisch präsentierten Point du jour in den englischen Foren eine Neuinterpretation von Encens et lavande erhofft, aber: 2024 ist nicht 1996.
Point du jour verschiebt sich nach einiger Zeit zu einer zunehmend trockener werdender, abstrakten Note bei der zwar leichteste Weihrauch-Aspekte mitschwingen, wo es aber fahrlässig wäre eben diesen Eindruck als monochromen oder lupenreinen Weihrauch abzuhandeln. Schon eher ist es eine ganz und gar künstliche Trockenheit mit leichten mineralischen Schimmer: müsste ich das metaphorisch in eine Noten Liste einbauen, ich würde vermutlich 'Terracotta' oder 'unglasiertes Steingut' vorschlagen. Mir kam diese Note erstmals in Ultræ (2018) prominent unter, und kürzlich im Ausklang des so sorgfältig orchestrieren Sahar (2024) von Prin Lomros. Vielleicht handelt es sich um etwas in die Richtung wie Synarome's Aldambre, das zwischen cleanen Bügeleisen-Schick und staubtrockener woody-amber Nervosität sitzt?!
Diese neue Trockenheit, scheint je nach Konstellation mit anderen Akteure und klimatischen Umständen zu verschiedenen Zeitpunkten aufzutreten: Ist sie bei Ultræ noch zentral spürbar, thematisch auch relevant, so braucht es bei Sahar weit niedrigere Temperaturen und geringere Luftfeuchtigkeit um sie überhaupt wahrzunehmen. Bei Point du jour wiederum erscheint sie bei hoher Luftfeuchtigkeit (80%) schnell, bei geringerer Luftfeuchtigkeit (46%) erst mit grosser Verzögerung und weniger prominent. Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit empfand ich schon immer als eine Art Lackmus Test der Verlauf und Struktur eines Parfums effizient kurzschließen kann. Auch ist das an sich nichts Neues, die meisten Düfte funktionieren eben an einem Ort/Jahreszeit/Klima und an einem anderen eben einfach anders. Hieb- und stichfeste Analysen welchen Einfluss diese 'klimatischen' Faktoren auf die wahrgenommene Präsenz einzelner Riechstoffe haben konnte ich bislang nicht ausfindig machen, auch würden derartige Studien dem Versprechen universaler, permanent gleichbleibender Qualität nicht dienlich sein. Bei Point de jour irritiert - je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit - diese Trockenheit bzw. Terracotta Flair etwas.
(Serge Lutens)
…so angeblich Serge Lutens bei der internen Vorstellung der vor rund 14 Jahren erstmals gestarteten 'Eaux' Reihe.
Wer Louis Antoine de Saint-Just war musste ich erst nachlesen - was Lutens damit sagen wollte war mir dann schnell klar: das Image der 'Eaux' Linie [L'Eau (2010), L'Eau Froid (2012), usw. ] war gegensätzlich, ja widersprechend zur Reputation der Marke, die seit ihrem Start 1993 lange synonym war für teils eigenwillige, und noch mehr, in den 90'er und 00'er Jahren sich so ganz und gar dem Zeitgeist entziehende, solitäre Düfte veröffentlichte. Viele in außergewöhnlich konsequenter Komposition und Qualität. Genau dieses hart erackerte Terroir und damit gewonnene Privilegien & Ruf schien Lutens sich selbst unter den Füssen wegziehen zu wollen…?!
Etwas suspekt war sie mir schon diese 'Eaux', zu sehr erinnerte mich das Konzept 'Wasser' als zentrales Thema an Issey Miyake's erste Düfte, und dem daraus resultierenden Reinlichkeits-Fieber. Aber auch an die sequentielle Reduktion und gekonnt eingesetzte Künstlichkeit wie sie Comme des Garçons in den Jahren zuvor exerzierte. Erstmal getestet war mir klar dass Lutens auch hier mit der Umsetzung von C. Sheldrake äusserst solide gearbeitet hat: Favoriten aus dieser Zeit – die Dank lauter Aldehyden nur so sprudelnden samt eindeutig nicht-natürlicher Aura L'Eau Froid (2012) und Laine de Verre (2014).
… fast forward: vielleicht bekam das Team oder jemand im Shiseido Management dann doch noch kalte Füße bzw. es wurde irgendwie wirr: 2022 wurden die vormaligen Eaux bereits ein zweites Mal intern umverteilt. Erst 2019 sollten diese unter dem branding 'Eaux de Politesse' in Quadrat-artige, transparente Flakons umgefüllt werden, und erhielten dabei mit der gezuckerten Beifuss-Immortelle L'Eau d'Armoise (2019) einen soliden, aber zwischenzeitlich auch schon wieder eingestellten Neuzugang, siehe meine Rezension dazu. Zwei interne Neuzuordnungen älterer Parfums: Santal Blanc (2001) und Gris Clair (2006) - vormals brillante Düfte, wurden im Zuge dieses Umzugs leider erheblich ramponiert bzw. kaputt-formuliert. Auch Laine de Verre war zu diesem Zeitpunkt längst Geschichte.
2022/2024: zwischenzeitlich gelang L'Eau Froid das preisliche upgrade in die premium economy class der 75ml bell jars, und die Reihe – schon wieder unter neuer Titelei – 'Matin Lutens' bekam zwei eher unbeachtete Neuzugänge: Parole d'eau (2022), eine sommerliche Hybrid Version die Gegensätzliches wie die Menthol-hafte Labor Kälte von L'Eau Froid mit der Campingplatz Pinien-Harz & Nadel Atmosphäre von Fille en aiguilles (2009) vereint; und Dans le bleu qui pétille (2022), wo ein maritimer Weihrauch Algen Mix auf einer Basis in Richtung von Ambre sultan (1993) sitzt. Beide Düfte verdienen detailliertere Auseinandersetzung, sind sie an sich eigen genug, und dabei aber auch das, was der Idee des Flankers - was Lutens bemerkenswerter Weise bis dato vollkommen ignoriert hat - am nächsten kommt. Aber weiter zum Aktuellen, auch hier gibt es eine ähnliche Zweigeteiltheit.
Point du jour
Point du jour startet wie ein dichtes Bündel trockener Kräuter und Gewürze: Neben zentralen Thymian und Salbei sehe ich hier Kreuzkümmel in gleicher Größenordnung, sowie Nelken, Rosmarin, etwas Eukalyptus und Lavendel. Ein erweitertes Bouquet Garni mit Lutens'schen Einschlag. Ich mag Zitrus-freie aber dennoch erfrischende Düfte die ganz auf derartige ätherische Öle setzen. Die Form ist eng verwoben, austariert, augenblicklich wird klar dass hier auch ein erfahrener Parfumeur am Werk war, nichts ist überbordend; Gewürzlastiges markierte immer wieder das Portfolio der Marke. Dabei muss ich an einen Favoriten in diesem Genre denken, Lorenzo Villoresi's Spezie (1994), ja ein kompakteres, weniger barockes, und weniger grünes Spezie - gerade bei Point du jour's Auftakt …. Und wegen dem deutlichen Cumin, auch Diptyque's Kreuzkümmel-Kleinod L'Autre (1973) - dem kompromisslosesten aller Cumin Düfte. Wer diese beiden mag, könnte Freude mit Point du jour haben.
Die neue Trockenheit
Das alles würde mir schon reichen und Point du jour könnte sich in der Manier eines Eau Fraîche jetzt verziehen - aber es geht weiter. Der jetzt folgende Dreh unterstreicht, wie bei anderen Veröffentlichungen der ehemaligen 'Eaux' Reihe, dass es sich hier eben nicht um reproduzierte impressionistische Landschaften handelt.
Ein verbindendes Element unter den 'Eaux' war ein - mal mehr, mal weniger deutlicher - Kommentar zum Komplex Weihrauch. Dieser reichte vom Konzept des unverbrannten Frankincense Tropfen bei L'Eau Froid, oder Spuren desselben bei L'Eau de Paille (2016) zur erloschenen Kerzenrauch-Aldehyd Note des ursprünglichen Gris Clair. Encens et lavande (1996), ein früher, ruhiger Lutens kann vielleicht als Nukleus zu dieser Konstellation gesehen werden, und schnell wurde bei dem sporadisch präsentierten Point du jour in den englischen Foren eine Neuinterpretation von Encens et lavande erhofft, aber: 2024 ist nicht 1996.
Point du jour verschiebt sich nach einiger Zeit zu einer zunehmend trockener werdender, abstrakten Note bei der zwar leichteste Weihrauch-Aspekte mitschwingen, wo es aber fahrlässig wäre eben diesen Eindruck als monochromen oder lupenreinen Weihrauch abzuhandeln. Schon eher ist es eine ganz und gar künstliche Trockenheit mit leichten mineralischen Schimmer: müsste ich das metaphorisch in eine Noten Liste einbauen, ich würde vermutlich 'Terracotta' oder 'unglasiertes Steingut' vorschlagen. Mir kam diese Note erstmals in Ultræ (2018) prominent unter, und kürzlich im Ausklang des so sorgfältig orchestrieren Sahar (2024) von Prin Lomros. Vielleicht handelt es sich um etwas in die Richtung wie Synarome's Aldambre, das zwischen cleanen Bügeleisen-Schick und staubtrockener woody-amber Nervosität sitzt?!
Diese neue Trockenheit, scheint je nach Konstellation mit anderen Akteure und klimatischen Umständen zu verschiedenen Zeitpunkten aufzutreten: Ist sie bei Ultræ noch zentral spürbar, thematisch auch relevant, so braucht es bei Sahar weit niedrigere Temperaturen und geringere Luftfeuchtigkeit um sie überhaupt wahrzunehmen. Bei Point du jour wiederum erscheint sie bei hoher Luftfeuchtigkeit (80%) schnell, bei geringerer Luftfeuchtigkeit (46%) erst mit grosser Verzögerung und weniger prominent. Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit empfand ich schon immer als eine Art Lackmus Test der Verlauf und Struktur eines Parfums effizient kurzschließen kann. Auch ist das an sich nichts Neues, die meisten Düfte funktionieren eben an einem Ort/Jahreszeit/Klima und an einem anderen eben einfach anders. Hieb- und stichfeste Analysen welchen Einfluss diese 'klimatischen' Faktoren auf die wahrgenommene Präsenz einzelner Riechstoffe haben konnte ich bislang nicht ausfindig machen, auch würden derartige Studien dem Versprechen universaler, permanent gleichbleibender Qualität nicht dienlich sein. Bei Point de jour irritiert - je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit - diese Trockenheit bzw. Terracotta Flair etwas.
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