Elbchen
Top Rezension
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Du spielst die Melodie meines Herzens!
Still ist es geworden im Herrenhaus. Die Diener löschen noch eben die Lichter und ich warte darauf bis ich die Treppen hinunter schleichen kann.
Es ist verboten, würde man mich erwischen, die Folgen wären nicht auszumalen.
Und doch, es treibt mich hinaus, zu dir, ich weiß du wartest im nahen Park auf mich.
Mein langes Kleid schlägt mir um die Beine, ich renne den unebenen Weg so schnell ich kann, meine Haare lösen sich aus dem Zopf welches das Hausmädchen mir für die Nacht geflochten hat.
Ein Schatten tritt auf meinen Weg, lachend fängst du mich ab und wirbelst mich im Kreise.
Deine Lippen schmecken nach roten Früchten, sind das Beeren?
Mir schwindelt ein wenig, du lässt mich langsam auf den Boden zurück, deine Umarmung lockert sich. Der Mond bricht ein wenig durch die wolkenverhangene Nacht und ich sehe deine blauen Augen, wie können Augen so tiefblau und rein sein?
Du nimmst meine Hand und führst mich auf die kleine Bank und mir fröstelt etwas, nicht weil mir kalt ist sondern weil mein Herz jedesmal aus dem Takt kommt wenn du bei mir bist.
Ein süßer weißer Blumenduft liegt in der Luft, vermischt sich mit deinem Atem und du gibst mir eine hölzerne Schatulle, das Holz verströmt einen wunderbaren holzigen würzigen Duft.
Als ich sie öffne, liegt in einem weißen Blumenmeer ein kleines Medaillon mit einem Bild von dir, schwarz weiß ist es. Ich wünschte ich könnte die Farben einfangen damit ich deine blauen Augen immer bei mir habe..nun weiß ich auch, woher diese wunderschöne Duft kommt!
"Wirst du auf mich warten?"
Stumm nicke ich. Ein bedrückendes Gefühl überkommt mich, mein Hals verschließt sich, ich will nicht daran denken dass du mich verlässt. Nicht daran denken dich für eine lange Zeit nicht zu sehen... aber du bist Musiker, das Angebot auf der neuen Titanic zur Jungfernfahrt aufzuspielen war eine einzigartige Chance für dich. Ich habe dich auf einer großen Gesellschaft spielen gehört, mit jedem Geigenstrich hast du dich in mein Herz gespielt. Wir bemühten uns um zufällige Begegnungen, wir mussten uns einfach sehen. Niemand durfte es erfahren, mein Vater würde mich wohl für den Rest meines Lebens einsperren. Bis uns eines der Dienstmädchen beobachtete und meinen Vater in Kenntnis setzte.
Er hat so furchtbar geschimpft mit mir, nie sah ich ihn so außer sich. Ob ich nicht wüsste was sich gehört, welchen Stand ich hätte, wem ich verpflichtet wäre.
Uns blieb nur die Nacht und ihre heimlichen Stunden. Und ich hörte stets deine Musik in meinem Herzen wenn du bei mir warst. Übermorgen würdest du an Bord gehen, du würdest ohne mich in ein großes wunderbares Land voller Möglichkeiten reisen und wir hofften so, du würdest dort eine Anstellung in einem großen Orchester finden und mich zu dir holen. Das war alles was ich wollte.
Bei dir sein, das Leben mit dir teilen.
Du bist nie in New York angekommen.
Nie hast du in einem großen Orchester spielen können.
In tiefer Meeresnacht liegst du begraben, dein Name stand in der Zeitung bei den anderen die ebenfalls ums Leben gekommen sind.
Ich wusste nicht dass ein Herz wirklich brechen kann. Bis zu diesem Augenblick.
Die Musiker hätten wohl bis zum Schluss gespielt, bis zum Untergang waren sie bei den anderen Menschen und haarten aus. Hast du auf Rettung gehofft? Warst du alleine, ganz alleine im kalten Meer als der Tod nach dir griff?
Der Kirchgang zu dem mich mein Vater gezwungen hat schmerzt so entsetzlich. Ich halte das Medaillon fest umklammert, es ruht warm auf meiner Brust. Mein Vater wollte es mir nehmen, ich war halb wahnsinnig vor Schmerz, doch meine Mutter verstand es. Verstand alles, wusste von meiner Liebe zu dir. Alles was von dir blieb war die wunderschöne Holzkiste und das Medaillon...
Nie haben die Geigen in der Kirche bittersüßer geklungen als an diesem Tag, das Pianoforte nie trauriger. Und ich war wie taub, hatte nicht einmal mehr Tränen die ich hätte weinen können.
Geheiratet habe ich nicht. Ich blieb dir treu, all die Jahre. Viele Konzerte habe ich besucht, Musik bedeutete mir alles. Doch niemals mehr konnte ich meine Herzensmelodie hören, sie verklang am Tage deines Todes. Eine leise Ahnung überfällt mich wenn meine Holzkiste öffne, die Blumen sind lange schon vertrocknet, und doch haftet ein kräftiger wunderschön blumiger Duft an ihr, der sich mit dem holzigen Aroma vermischt hat.
Ich habe mein Vermögen einer Stiftung vermacht, einer Stiftung für junge Menschen die Musik so lieben wie du sie geliebt hast. Sie können dort lernen, wie man Musik für die Herzen macht. Wie man Menschen tief in ihrem Innersten berührt.
"Arme Tante. Sie war immer so alleine. Wollen wir ihr das Medaillon um den Hals legen? Es bedeutete ihr so viel..."
"Ja und ihre kleine Holzschatulle legen wir neben sie. Sie hat sie all die Jahre aufbewahrt und sollte mir ihr zur letzten Ruhe gebettet werden."