20.02.2023 - 12:32 Uhr
Axiomatic
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Axiomatic
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59
Wegbegleiter durchs Leben
„Pssst Sie da, ja Sie!
Kommen Sie mal kurz rüber!
Na kommen Sie schon, ich zeige Ihnen was!
Nicht so zögerlich, junger Mann, es wird Ihnen gefallen!“
Unser junger Held ist sich unschlüssig ob der unerwarteten Herausforderung Ende der 1980er in der Parfümabteilung eines Kaufhauses.
Etwas versteckt lugt eine kleine Werbetafel im Meer von plakativen Angeboten. Dort ist der Torso eines Sportlers am Strand zu sehen, flankiert von einem eigenwilligen Flakon mit seitlichen Rillen an beiden Seiten.
L’instant d’éternité.
Was für ein Versprechen!
Und jener Flaschengeist meldet sich bestimmend wieder, nachdem er wenig Beachtung findet.
„Wie, Sie wollen schon wieder gehen? Ich sage Ihnen was, kommen Sie morgen frisch geduscht und unparfümiert wieder und ich lade Sie zu einem Abenteuer ein. Sie werden Spaß haben, ich verbürge mich dafür. Nur sollten Sie ein paar Regeln befolgen, die ich Ihnen mit auf dem Weg geben werde.“
Das Regelwerk läßt unser Held im Unterbewusstsein verschwinden, denn die Duftecke wird gerade von „You win again“ der Bee Gees beschallt.
Ja, die Disco-Könige haben sich neu erfunden und triumphieren in den Charts.
Eine Dekade zuvor lernte unser Jüngling als Kind das Disco-Tanzen von seinem älteren Nennbruder, welcher ab und an auf den kleinen Knirps aufpasste.
So wie der Schlaghosenträger wollte er werden als Erwachsener!
Und nun, zehn Jahre später, sollte sich die Stimmung völlig verändert haben. Kein nettes, Generationen umfassendes Tanzen mehr.
Seine ersten Ausgehversuche mündeten atomisiert auf der Tanzfläche an Lederjacke, Jeans und „I need you tonight“ von INXS. Kalt alles. Und kein großer Nennbruder weit und breit, der ihm Ratschläge erteilen könnte.
Der junge Mann faßt sich Mut und erscheint am nächsten Tag am Regal vor dem merkwürdigen grauen und ziemlich vorlauten Flakon.
„Ah, siehe da, Sie sind doch nicht so ängstlich, wie ich dachte!
Kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Ziehen Sie Ihre Ärmel hoch und weiten Sie den Kragen etwas. Gleich wird es ein wenig kühl werden, erschrecken Sie nicht!
Am besten Sie schließen die Augen.
Zisch!
So, der kleine Eingriff ist geglückt. Es hat nicht weh getan, oder?“
Doch jagt dem Versuchskarnickel Folgendes durch den Kopf.
Enjoy this trip, enjoy this trip
And it is a trip
Countdown is progressing
Uno, dos, uno, dos, tres, cuatro
S’express
Knallharte Hesperiden an Ananas weiten seine Lungen!
Boah, was passiert hier?
Der geilste Jasmin reibt ihm den Kümmel: Junge, Du bestehst nicht nur aus Geist und Seele!
Dabei ist ihm die Struktur des Gebräus doch so vertraut, klassisches Chypre an Rose, Balsamisches und Eichenmoos.
Doch hier wurde brachial eingegriffen. Blüten, allen voran Orangenblüte und Jasmin, Kräuter, Hölzer und mächtige Animalik werden in Honig eingefangen.
Völlig benebelt torkelt er zur Kasse und kauft den Flaschengeist.
Der lauscht gespannt mit estragon-großen Ohren.
Denn es stand auch ein weiteres Versuchskarnickel am Regal. Und es verwickelt das andere in ein Gespräch beim Rausgehen.
Sie kommen an einer Litfasssäule vorbei, die Mozart-Gesellschaft wirbt mit einem besorgten Leporello für den abendlichen Don Giovanni.
Signorino, il catalogo è questo
Delgi belli che amò il padron mio;
un catalogo egli è che ho fatt'io;
Osservate, leggete con me.
In Italia seicento e quaranta;
In Alemagna duecento e trentuno;
Cento in Francia, in Turchia novantuno;
Ma in Ispagna son già mille e tre.
Doch unser Held ist in Gedanken ganz woanders.
Mahnend meldet sich der Duft wieder.
„Beachten Sie die Regeln, Bürschchen!“
Beide junge Männer tauschen sich über den Duft aus, für den selbstsicheren, lasziv lächelnden Schönling kommt er sehr sauber und sportlich rüber. Für unseren Helden aber wird es langsam brenzlich, der dezente Geruch von Männlichem in frischer Form an seinen Unterarmen bringt seine Hände zum Zittern.
Und in der Weite braut sich am Himmel was zusammen.
„Kleener, glauben Sie ja nicht, ich hätte Ihren Puls nicht bemerkt. Ja, ich muß gestehen, sportlich herausfordernd ist eine Eigenschaft meiner Komposition, dafür kühle ich in unerwarteter Weise, mein Petitgrain und Moschus halt.
Wie sind wir bloß in diese Wohnung gekommen?
Das Regelheft, das Regelheft!“
Ein heftiger Windschlag stößt ein Fenster auf und reißt eine Gardine nach draußen. Beide Duftende erschrecken und eilen zum Fenster.
„Moment mal, Sie wollen doch beide sich jetzt nicht etwa aus dem Fenster lehnen? Es wird doch gleich donnern und gießen!
Sie, ich habe Ihnen doch die Regeln gegeben, damit Sie Schlimmeres…“
Noch ehe der Satz zu Ende ist, ergießt sich ein Platzregen über die Gardine. Die Beiden ziehen das Stück Stoff hoch und wringen es von beiden Enden aus, bevor sie es reinholen. Naß bis auf die Knochen stehen sie sich gegenüber.
„Beim Teutates! Wissen Sie denn nicht. was Regen durch die Kleidung auf Ihrer Haut mit Jasmin, Orangenblüte und tierischem Eichenmoos macht, Sie Wahnsinniger? Und das während der blauen Stunde?
Ja lesen Sie denn etwa keinen Roald Dahl, Sie dumme Nuss, Sie?
Bei den Trollen des Römerwalls, Sie haben die Schranke überschritten, Sie Gurke!
Oh weh!“
Unser Held wird von einer nicht irdischen Wandlung übermannt. Ein tosender Tornado ergreift ihn und schleudert ihn in die Höhe. Er verliert den Boden unter den Füßen und landet mit voller Wucht in einer rauen See. Die kalten Wellen des Hexengebräus erschlagen seine Sinne, Kopf-, Herz- und Basisnote peitschen wild durcheinander ein. Wo eben noch oben war, ist jetzt unten und umgekehrt, alles dreht sich, Licht und Schatten flackern in seinen Augen. Ein steuerloses Schiff inmitten des Malstroms. Ihm wird ein wenig schwarz vor Augen.
Gestrandet muß er sich erst wieder sammeln. Alles riecht nach sportlichen Weißblühern. Langsam ertastet er wieder Raum und Zeit.
„Na, wieder bei den Lebenden? Herrschaftszeiten, ich habe Sie gewarnt!
Man sollte bloß keinen Zauberlehrling mit so einer Mixtur hantieren lassen!
Oh weh, Sie werden gleich auf den harten Boden der Realität landen. Wie gerne hätte ich Ihnen was folgt erspart.“
Das Schicksal hat den beiden jungen Männern nur eine kurze Begegnung gegönnt. Das schöne Karnickel wird weiter hopsen und unseren Held zurücklassen.
„Ja, das wollte ich Ihnen noch erklären, ungefährlich bin ich nicht. Steht aber alles im Regelheft.
Jetzt machen Sie zu, dass Sie heil nach Hause kommen!
Ich unterdrücke ja auch schon eine Träne, Kleener!
Und richten Sie den Kragen ihres Rugbyhemdes hoch, nicht nur ich habe Spuren hinterlassen!“
Unser Held taumelt noch ganz benommen zu „Doot Doot“ von Freur aus dem Walkman durch den tosenden Regen, der letzte Bus ist bereits weggefahren.
Daheim angekommen wischt er sich vor dem Spiegel die Regentropfen und Tränen vom Gesicht.
Langsam wird es ruhig im Haus, alle begeben sich in ihre Schlafzimmer. Seine Eltern um ein paar graue Haare und Sorgenfalten, er um eine Lebenslektion reicher.
„Können Sie bitte aufhören, meine Rillen zu streicheln? Es kitzelt!
Außerdem bin ich müde!
Oh bitte, schalten Sie endlich dieses Doot Doot aus!
Morgen ist ein neuer Tag!
Diese Jungend von heute!“
Unser Held schaut sich seinen Flaschengeist an.
Träume von Deinem Mare Magnum an Blüten und Kräutern!
Überquere die Herkules Säulen mit Bravur!
Strahle wie ein Held!
Tröste auf steinigem Weg!
Und schlafe gut, mein Freund!
Kommen Sie mal kurz rüber!
Na kommen Sie schon, ich zeige Ihnen was!
Nicht so zögerlich, junger Mann, es wird Ihnen gefallen!“
Unser junger Held ist sich unschlüssig ob der unerwarteten Herausforderung Ende der 1980er in der Parfümabteilung eines Kaufhauses.
Etwas versteckt lugt eine kleine Werbetafel im Meer von plakativen Angeboten. Dort ist der Torso eines Sportlers am Strand zu sehen, flankiert von einem eigenwilligen Flakon mit seitlichen Rillen an beiden Seiten.
L’instant d’éternité.
Was für ein Versprechen!
Und jener Flaschengeist meldet sich bestimmend wieder, nachdem er wenig Beachtung findet.
„Wie, Sie wollen schon wieder gehen? Ich sage Ihnen was, kommen Sie morgen frisch geduscht und unparfümiert wieder und ich lade Sie zu einem Abenteuer ein. Sie werden Spaß haben, ich verbürge mich dafür. Nur sollten Sie ein paar Regeln befolgen, die ich Ihnen mit auf dem Weg geben werde.“
Das Regelwerk läßt unser Held im Unterbewusstsein verschwinden, denn die Duftecke wird gerade von „You win again“ der Bee Gees beschallt.
Ja, die Disco-Könige haben sich neu erfunden und triumphieren in den Charts.
Eine Dekade zuvor lernte unser Jüngling als Kind das Disco-Tanzen von seinem älteren Nennbruder, welcher ab und an auf den kleinen Knirps aufpasste.
So wie der Schlaghosenträger wollte er werden als Erwachsener!
Und nun, zehn Jahre später, sollte sich die Stimmung völlig verändert haben. Kein nettes, Generationen umfassendes Tanzen mehr.
Seine ersten Ausgehversuche mündeten atomisiert auf der Tanzfläche an Lederjacke, Jeans und „I need you tonight“ von INXS. Kalt alles. Und kein großer Nennbruder weit und breit, der ihm Ratschläge erteilen könnte.
Der junge Mann faßt sich Mut und erscheint am nächsten Tag am Regal vor dem merkwürdigen grauen und ziemlich vorlauten Flakon.
„Ah, siehe da, Sie sind doch nicht so ängstlich, wie ich dachte!
Kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Ziehen Sie Ihre Ärmel hoch und weiten Sie den Kragen etwas. Gleich wird es ein wenig kühl werden, erschrecken Sie nicht!
Am besten Sie schließen die Augen.
Zisch!
So, der kleine Eingriff ist geglückt. Es hat nicht weh getan, oder?“
Doch jagt dem Versuchskarnickel Folgendes durch den Kopf.
Enjoy this trip, enjoy this trip
And it is a trip
Countdown is progressing
Uno, dos, uno, dos, tres, cuatro
S’express
Knallharte Hesperiden an Ananas weiten seine Lungen!
Boah, was passiert hier?
Der geilste Jasmin reibt ihm den Kümmel: Junge, Du bestehst nicht nur aus Geist und Seele!
Dabei ist ihm die Struktur des Gebräus doch so vertraut, klassisches Chypre an Rose, Balsamisches und Eichenmoos.
Doch hier wurde brachial eingegriffen. Blüten, allen voran Orangenblüte und Jasmin, Kräuter, Hölzer und mächtige Animalik werden in Honig eingefangen.
Völlig benebelt torkelt er zur Kasse und kauft den Flaschengeist.
Der lauscht gespannt mit estragon-großen Ohren.
Denn es stand auch ein weiteres Versuchskarnickel am Regal. Und es verwickelt das andere in ein Gespräch beim Rausgehen.
Sie kommen an einer Litfasssäule vorbei, die Mozart-Gesellschaft wirbt mit einem besorgten Leporello für den abendlichen Don Giovanni.
Signorino, il catalogo è questo
Delgi belli che amò il padron mio;
un catalogo egli è che ho fatt'io;
Osservate, leggete con me.
In Italia seicento e quaranta;
In Alemagna duecento e trentuno;
Cento in Francia, in Turchia novantuno;
Ma in Ispagna son già mille e tre.
Doch unser Held ist in Gedanken ganz woanders.
Mahnend meldet sich der Duft wieder.
„Beachten Sie die Regeln, Bürschchen!“
Beide junge Männer tauschen sich über den Duft aus, für den selbstsicheren, lasziv lächelnden Schönling kommt er sehr sauber und sportlich rüber. Für unseren Helden aber wird es langsam brenzlich, der dezente Geruch von Männlichem in frischer Form an seinen Unterarmen bringt seine Hände zum Zittern.
Und in der Weite braut sich am Himmel was zusammen.
„Kleener, glauben Sie ja nicht, ich hätte Ihren Puls nicht bemerkt. Ja, ich muß gestehen, sportlich herausfordernd ist eine Eigenschaft meiner Komposition, dafür kühle ich in unerwarteter Weise, mein Petitgrain und Moschus halt.
Wie sind wir bloß in diese Wohnung gekommen?
Das Regelheft, das Regelheft!“
Ein heftiger Windschlag stößt ein Fenster auf und reißt eine Gardine nach draußen. Beide Duftende erschrecken und eilen zum Fenster.
„Moment mal, Sie wollen doch beide sich jetzt nicht etwa aus dem Fenster lehnen? Es wird doch gleich donnern und gießen!
Sie, ich habe Ihnen doch die Regeln gegeben, damit Sie Schlimmeres…“
Noch ehe der Satz zu Ende ist, ergießt sich ein Platzregen über die Gardine. Die Beiden ziehen das Stück Stoff hoch und wringen es von beiden Enden aus, bevor sie es reinholen. Naß bis auf die Knochen stehen sie sich gegenüber.
„Beim Teutates! Wissen Sie denn nicht. was Regen durch die Kleidung auf Ihrer Haut mit Jasmin, Orangenblüte und tierischem Eichenmoos macht, Sie Wahnsinniger? Und das während der blauen Stunde?
Ja lesen Sie denn etwa keinen Roald Dahl, Sie dumme Nuss, Sie?
Bei den Trollen des Römerwalls, Sie haben die Schranke überschritten, Sie Gurke!
Oh weh!“
Unser Held wird von einer nicht irdischen Wandlung übermannt. Ein tosender Tornado ergreift ihn und schleudert ihn in die Höhe. Er verliert den Boden unter den Füßen und landet mit voller Wucht in einer rauen See. Die kalten Wellen des Hexengebräus erschlagen seine Sinne, Kopf-, Herz- und Basisnote peitschen wild durcheinander ein. Wo eben noch oben war, ist jetzt unten und umgekehrt, alles dreht sich, Licht und Schatten flackern in seinen Augen. Ein steuerloses Schiff inmitten des Malstroms. Ihm wird ein wenig schwarz vor Augen.
Gestrandet muß er sich erst wieder sammeln. Alles riecht nach sportlichen Weißblühern. Langsam ertastet er wieder Raum und Zeit.
„Na, wieder bei den Lebenden? Herrschaftszeiten, ich habe Sie gewarnt!
Man sollte bloß keinen Zauberlehrling mit so einer Mixtur hantieren lassen!
Oh weh, Sie werden gleich auf den harten Boden der Realität landen. Wie gerne hätte ich Ihnen was folgt erspart.“
Das Schicksal hat den beiden jungen Männern nur eine kurze Begegnung gegönnt. Das schöne Karnickel wird weiter hopsen und unseren Held zurücklassen.
„Ja, das wollte ich Ihnen noch erklären, ungefährlich bin ich nicht. Steht aber alles im Regelheft.
Jetzt machen Sie zu, dass Sie heil nach Hause kommen!
Ich unterdrücke ja auch schon eine Träne, Kleener!
Und richten Sie den Kragen ihres Rugbyhemdes hoch, nicht nur ich habe Spuren hinterlassen!“
Unser Held taumelt noch ganz benommen zu „Doot Doot“ von Freur aus dem Walkman durch den tosenden Regen, der letzte Bus ist bereits weggefahren.
Daheim angekommen wischt er sich vor dem Spiegel die Regentropfen und Tränen vom Gesicht.
Langsam wird es ruhig im Haus, alle begeben sich in ihre Schlafzimmer. Seine Eltern um ein paar graue Haare und Sorgenfalten, er um eine Lebenslektion reicher.
„Können Sie bitte aufhören, meine Rillen zu streicheln? Es kitzelt!
Außerdem bin ich müde!
Oh bitte, schalten Sie endlich dieses Doot Doot aus!
Morgen ist ein neuer Tag!
Diese Jungend von heute!“
Unser Held schaut sich seinen Flaschengeist an.
Träume von Deinem Mare Magnum an Blüten und Kräutern!
Überquere die Herkules Säulen mit Bravur!
Strahle wie ein Held!
Tröste auf steinigem Weg!
Und schlafe gut, mein Freund!
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