Apicius
Apicius’ Blog
vor 12 Jahren - 03.06.2012
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Wie schreibt man einen guten Parfumkommentar?

Jeder Beitrag ist auf Parfumo herzlich willkommen – solange nur ein wenig Bemühung erkennbar ist. Vielleicht helfen die nachfolgenden Tipps dabei, die Schwellenangst zu überwinden - sich hinzusetzen, bewusst wahrzunehmen, was da in der Nase geschieht. Möglicherweise kommen die Worte dann ganz von alleine. Die Tipps entstammen meiner persönlichen Erfahrung als einigermaßen fleißiger Kommentator; man möge sie bitte als Anregungen verstehen, nicht als Regeln.

 

Wie beginnen?

Man nimmt sich Zeit für einen Duft, und man notiert im Kopf oder auch schriftlich, was dazu in den Sinn kommt. Wie wirkt das auf mich? Erinnert mich das an etwas? Bekomme ich irgendwelche „Bilder“? Hat der Duft einen bestimmten Charakter? Lassen sich sogar einzelne Noten heraus riechen? Was passiert mit dem Duft nach längerem Tragen auf der Haut (Duftentwicklung)?... Schließlich: finde ich das Parfum eher gut oder eher schlecht?

Vielleicht macht man dann die Erfahrung, dass sich die Stichwortsammlung fast wie von selbst zu Sätzen und Formulierungen im Kopf zusammenfügt.

 

Die Überschrift und der erste Absatz ...

...sind bei jedem Text besonders wichtig. Wem das Herz voll ist, dem läuft bekanntlich der Mund über. So ist die Versuchung groß, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und alles sofort zu sagen. Das ist manchmal gut, meistens aber nicht.

Es kommt auf eines an: Neugier wecken! Hier muss man sich gedanklich in die Situation des Lesers oder der Leserin versetzen. Würde ich selber Lust haben, bei diesem oder jenem Anfang weiter zu lesen? Oder hätte ich das Gefühl, dass da nichts weiteres mehr kommen kann, oder dass mich das weitere nicht interessieren würde?

 

Ganz schlecht finde ich Überschriften wie: „Ein Langweiler aus Grasse“, „Echter Durchschnitt“, „Mal wieder nichts neues von Dior“.

Wer will sich denn mit Langweilern und Durchschnitt beschäftigen, da klicke ich den Kommentar doch erst gar nicht an! Besser ist es in solchen Fällen, ein wenig zu schummeln: „Zugängliches aus Grasse“, „Duft ohne Allüren“. Im Text kann man dann sagen, was man wirklich damit meint. Die scheinheilige Frage „Neue Wege bei Dior?“ verneine ich erst im letzten Satz.

 

Echt widerlich“, „Geht gar nicht“, „Schlimme Plörre“ - auch damit sorgt der Autor in der Regel für eine kleine Leserschaft. Denn die meisten sind auf der Suche nach schönen Düften, nicht nach schlimmen. Solche Dufterfahrungen sollte man mit Humor nehmen und lieber einen Verriss schreiben.

 

Problematisch können Überschriften sein, die schon eine inhaltliche Charakterisierung des Parfums vorwegnehmen: „Ein Gourmand-Orientale“, „Ein typischer Sommerduft“ - das ist zumindest ehrlich, denn ich teile gleich der Mehrheit der Leser mit, dass sie nicht weiterlesen braucht, da das eh nicht ihr Beuteschema ist. Der Rest wird sich fragen: Noch einer? Besser wären vielleicht: „Ein Gourmand-Orientale mit Pfiff“ oder „Sommer trotz Patchouli“.

 

Bei besonders euphorischen Überschriften kommt es sehr auf den Zusammenhang an: „Einfach himmlisch“, „Mein neuer Favorit“, „Der beste Duft des Jahres“. Wenn das über dem Kommentar zur Neuerscheinung einer bisher unbekannten Nischenmarke steht, ist die Aufmerksamkeit der gesamten Community sicher. Autor und Parfum müssen das Versprochene dann freilich noch einlösen.

Wer solche starken Formulierungen aber für einen billigen Drogerieduft wählt, wird Stirnrunzeln ernten, keine Leser. Dann besser: „Nischenqualität zum kleinsten Preis“. Ansonsten schützt auch ein kleines Fragezeichen hinter solchen Überschriften davor, sich zu verrennen.

 

Gute Überschriften sind diejenigen, die auf einen Widerspruch oder eine Besonderheit hinweisen und dadurch Interesse wecken: „Ein Wässerchen mit Tiefgang“, „Westliches aus Arabien“, „Hohe Kunst im Douglas-Sortiment“, „Experimente mit Zitrusnoten“, „Vetiver in neuer Form“.

 

Für den ersten Satz und den ersten Absatz gilt sinngemäß das gleiche. Hier muss man sich besonders zurückhalten, auf keinen Fall darf man das Endergebnis gleich präsentieren:

Vorweg gesagt - dieser Duft ist nichts Besonderes“, „Das Wichtigste: dieses Parfum ist ein kleines Meisterwerk“. Als Leser bedanke ich mich, dass der Autor mir freundlicherweise die weitere Lektüre erspart, denn das Wesentliche kenne ich somit jetzt schon!

 

Wiederum ist eine Eingrenzung auf einen bestimmten Leserkreis problematisch, sie muss aufgepeppt werden. „Das Vetiver von XYZ ist ein klassischer Vertreter seiner Art“ - So ein Parfum ist mir entweder schon bekannt, oder es interessiert mich nicht. Besser: „Auch Frauen mögen klassische Vetivers, doch nur wenige sind für Damen gut tragbar.“ - Dieser Kommentar wird keine große Zahl an Pokalen abräumen, aber ein kleiner Kreis umso interessierterer Leserinnen ist bei diesem Anfang gewiss. Oder aber man steuert geradewegs auf dasjenige zu, was den Duft von den vielen ähnlichen abhebt. „Seit vielen Jahren gibt es von den klassischen Vetivers kaum neues zu berichten, umso überraschter war ich, als...“

 

Ein Parfum mag todlangweilig sein – wenn es überhaupt nichts mitzuteilen gibt, darf man auch nichts schreiben, und der Test bleibt mein Geheimnis. Was allenfalls geht, ist die Frage nach der Ausnahme von der Regel: „Ist es diesmal besser? Zurecht stand die Marke XYZ als Hersteller sehr beliebiger Düfte nicht im Zentrum des Interesses. Doch nun kommt sie mit einer komplett neuen Linie...“

 

Um Neugier zu wecken, ist vieles erlaubt, hier darf man kreativ sein. Sofern man es nicht inflationär betreibt, kann man auch mal mit einem Thema anfangen, das gar nichts mit Parfum zu tun hat - nur die Überleitung muss man hinkriegen:

Wer heute durch Wuppertal schwebt, mag einiges von der Schwermut wahrnehmen, welche von den einstigen Zentren der Industrialisierung ausgeht. Hier hat über Jahrzehnte der Frühkapitalismus gewütet, ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. Von der radikalen Umweltzerstörung der Färbereien und Textilbetriebe gibt uns schon Friedrich Engels Auskunft. Mit welchen abartigen Gerüchen mag dieser Wuppertaler Industriellensohn aufgewachsen sein? - Fast könnte man unterstellen, auch Serge Luton stamme aus Wuppertal, denn mit seiner neuen Veröffentlichung L'Eau Froide...“

 

Guter Stil - schlechter Stil

Hier beginnt der persönliche Geschmack, und hier kommt die Eigenart der Autoren zum Vorschein. Soll man in Gefühlen und Bildern schwelgen oder versuchen, einen Duft zu sezieren? Beides kann man übertreiben. Eine emotionale Beschreibung mit Bildern und Eindrücken wirkt seriöser, wenn benannt wird, was sie auslöst - und eine Analyse und Einordnung der Duftnoten wirkt sehr viel eingängiger, wenn ein paar starke Bilder das Ergebnis unterstreichen.

 

In jedem Fall soll man den Leser nicht aus den Augen verlieren. Daher muss man sich gut überlegen, ob und wie viel Persönliches mitgeteilt gehört. Man kann sich schon unbeliebt machen, wenn man in aller Ausführlichkeit vom letzten Kauferlebnis berichtet, wie man diese schnuckelige kleine Parfümerie fand, wie nett und kompetent die Verkäuferin war, und dass nach dem Kauf die Ehefrau, die Schwiegermutter, Enkelkinder und Haustiere nur die angenehmsten Reaktionen zeigten!

Hochinteressant wäre dagegen: „Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, die Parfumeurin XY zu treffen, deren neuester Duft mich brennend interessiert. Bei einer Tasse Kaffee kamen wir ins Gespräch – auf ihr Konzept angesprochen verriet sie mir...“

 

Problematisch können allzu drastische Beschreibungen oder Urteile sein, besonders die negativen und mit Ekel behafteten: „Dieses Parfum riecht wie ein Haufen Hundekot“ - eine solche Aussage führt zum sofortigen Leseabbruch, denn derartiges schaue ich mir schließlich auch nicht im Detail an, wenn ich es auf der Straße sehe. Besser: „Das Hervortreten derart starker animalischer und fäkaler Noten ist mehr als ungewöhnlich. Was mag sich der Parfumeur dabei gedacht haben?“ - und schon bleibt das Interesse erhalten!

Inakzeptabel und bereits ein Verstoß gegen die Parfumo-Regeln sind Unwerturteile, die sich über das Parfum hinaus auf deren Träger erstrecken: „Le Mâle ist der reinste Nuttendiesel und wird bekanntlich heute nur noch von Prolls und Alkoholikern getragen.“

 

Der anspruchsvollste Teil eines Parfumkommentars ist das Eingehen auf einzelne Duftnoten. Falls man sich überhaupt dafür entscheidet, sollte man sich bewusst sein, dass viele Leser gar keine klare Dufterinnerung an viele Noten haben. An dieser Stelle nimmt man die Geduld des Lesers am stärksten in Anspruch. Wenn dann fachsimpelnd jede einzelne Note der Pyramide pflichtschuldig abgearbeitet wird, kann das leicht aufgesetzt wirken – vor allem dann, wenn der Leser bei einem eigenen Test kaum eine davon selber erkennen würde. Besser kann es sein, zu fokussieren, das wesentliche herauszuarbeiten: „Der zitrische Kopf, die floralen Herznoten, und die Angabe von Patchouli und Eichenmoos in der Basis deuten auf ein typisches Chypre hin, doch tatsächlich...“ - „Aus der ganzen Vielfalt der angegebenen Noten steht vor allem ein rosenartiger Akkord hervor, sodass besonders Freunde dieser Richtung angesprochen werden“ - „Gut gefällt mir, auf welche Weise eine Ahnung des flüchtigen Lavendels in die Herz- und sogar Basisnote übertragen wird“. Vollkommen in Ordnung ist auch zu sagen: „Die Zusammenstellung ist komplex, zudem steht nichts isoliert hervor, und so fügt sich alles zu einem ganz eigenständigen Duft zusammen, den ich nur allgemein beschreiben kann“. Wenn aber schon auf einzelne Noten eingegangen wird, dann ist es eine gute Idee, sie im Konzept des Duftes einzuordnen: „Eine frische Holznote bildet einen stimmigen Kontrast zu der etwas lieblich geratenen blumigen Herznote.“

Und gerade dieser schwierige Teil verträgt mal ein starkes Bild, darum noch besser: „Ein Duft wie von frisch aufgeschichteten Scheiten nach einem Holzeinschlag bildet einen stimmigen Kontrast...usw.“

 

Manchmal möchte man das Parfum mit anderen, ähnlichen Düften vergleichen. Dann sollte man den Namen des kommentierten Duftes immer komplett nennen, den Vergleichsduft aber nur einmal und sodann immer indirekt bzw. umschreibend: „Wer sich mit Guerlains Homme beschäftigt, kommt derzeit an der Variante Homme L'Eau Boisée nicht vorbei. Während der Kopf von Guerlain Homme die berühmte, etwas verstiegene Mojito-Note aufweist, wählte man für den Flanker...“

Schwierig wird es bei richtigen Namensmonstern: Kouros Cologne Sport Eau d'Eté Summer Fragrance. Das muss man sinnvoll abkürzen.

 

Rechtschreibung und Grammatik...

...interessieren im Grunde nur die Oberlehrer der Duden-Redaktion. Wer im Deutschunterricht gefehlt hat, ist deshalb nicht gleich zu ewigem Schweigen verdammt. Viel wichtiger als genaue Einhaltung von Regeln ist ein lebendiger Textfluss: man soll möglichst keine kurzen, abgehackten Stakkato-Sätze schreiben. Lange Sätze sind ausdrücklich erlaubt, immer vorausgesetzt - sie drücken eine wirkliche Gedankenfolge aus und werden ansprechend gegliedert. Viele kennen ja nur Punkt und Komma, doch da gibt es auch noch: Semikolon, Doppelpunkt, Binde- und Gedankenstrich. Wenn man damit etwas spielt, bekommt man selbst lange Kettensätze in den Griff.

Und außerdem, braucht man Kommaregeln nicht schematisch zu befolgen. Ein Komma sollte einen Gedanken oder einen besonders deutlichen Ausdruck abtrennen und hervorheben – und nicht notwendigerweise einen vollständigen formellen Nebensatz. Hier darf man sich vom eigenen Sprachgefühl leiten lassen, das bei vielen mittlerweile auch durch die englische Kommasetzung beeinflusst ist.

Sofern man Kommentare nicht direkt eingibt, sondern in einer Textverarbeitung vorschreibt, hat man auch eine Rechtschreibprüfung zur Verfügung. Die Spielereien mit Sprache sollten dort eine Grenze finden, wo der Leser vom Inhalt des Textes abgelenkt wird und nur noch über die Sprachverwendung nachdenkt.

 

Ein guter Verriss...

...ist besonders schwierig zu schreiben. Dazu muss die Muse schon einen vollständigen Zungenkuss ausführen. Überzeichnen, karikieren, verblüffen, Ironie und überraschende Wendungen – das fliegt einem nicht jeden Tag zu.

Immer sollte man sich bewusst sein: Humor zielt auf die Lachmuskeln, nicht die Magengegend. Eine bloße Aufzählung von Ekelwörtern und Kraftausdrücken ist nicht lustig und verfehlt ihr Ziel. Ein guter Verriss darf die Grenze des guten Geschmacks berühren, sie aber nicht überschreiten. Meinem Verriss von „Gold Wings“ wurde beispielsweise Diskriminierung des Prekariats vorgeworfen.

 

Literaturtipp:

Bei meinem heutigen Stil lasse ich mich zum Teil von den Empfehlungen leiten, die ich aus Wolf Schneiders kurzem Band erhalten habe: Deutsch für junge Profis – Wie man gut und lebendig schreibt, Rowohlt, Berlin 2010

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