Olfaktorische Stimmungsschwankungen - Teil 3

Vor einigen Jahren kam mir an einem kalten, verregneten Wochenende in den Sinn, ich könnte ja mal wieder ein paar meiner etwas selteneren Parfum-Flakons fotografieren und bei Parfumo hochladen. Doch kaum schoss mir diese Idee durch den Kopf, überkam mich auch schon eine grosse Desillusion, gefolgt von einer leichten Depression.

Denn seit knappen 30 Jahren bin ich nun Buchhalter und da manifestieren sich schon so einige Verhaltensweisen. Ich bin ein sehr strukturierter Mensch, mein Leben teile ich schlicht in Soll und Haben, in Gewinn und Verlust, in Aktiva und Passiva, Gut und Böse, Hell und Dunkel, Pizza und Pasta. Böse Zungen behaupten gar, ich ginge nicht mal aufs Klo ohne einen Plan. Kontenplan, schiebe ich dann für gewöhnlich trocken hinterher. Freunde wenden sich gähnend ab.

Ähnlich strukturiert sehen dann auch meine Fotos für gewöhnlich aus: Die Motive schön zentriert, Vordergrund und Hintergrund klar abgegrenzt, keine Unschärfe, kein Bokeh, kein Wackler, alles in der Waage. Die Neue Sachlichkeit verkommt dagegen zur Avantgarde. Es ist ein Drama, wie auch die besten Freunde nebst Familie bei Dia-Abenden meiner Urlaubsbilder vom FKK-Strand an der Ostsee komatös vom Kanapee gleiten.

Wirklich kreativ bin ich selbst mit Vorbereitung nie. Daher kommt es mir gar nicht erst in den Sinn, mir für meine Flakons alle möglichen Hintergründe im Internet zusammenzusuchen und das dann mit den Flakons akribisch zusammenzubasteln. Ich sehe es auch gar nicht ein, meine Fotos stundenlang mit Photoshop nachzubearbeiten, bis endlich Licht, Kontrast, Farbsättigung oder Schärfe passen.

Leider habe ich auch keinen Garten, dass ich die Flakons vor allen möglichen Blumen, Büschen, Bäumen, Gartenzwergen ablichten könnte. Ich hege aber auch tiefverwurzelte Zweifel, dass ich der Typ bin, der seine Flakons zwischen Gänseblümchen und Schachtelhalmen fotografiert. Auch unser winziger Balkon ist dank der fehlenden grünen Daumen deutlich spartanisch angelegt und der wunderbar grüne und prächtig blühende Johannisbrotbaum davor wurde mittlerweile aus Gründen der Verkehrssicherheit ziemlich un-fotogen gekappt.

Wie gesagt, weder meine schwebende Pfirsichblüte noch ich verfügen über grüne Daumen, weswegen wir auch keine Zimmerpflanzen besitzen. Ich würde sogar soweit gehen, dass selbst Trockengestecke bei uns eingehen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst Yucca-Palmen, Kakteen und Sukkulenten bei uns kein langes Leben beschieden ist. Usambaraveilchen sollen ja nicht so teuer sein, allerdings anfällig gegen Staunässe und Läuse sollen sei auch dauernd haben. Alles Mist! Schnittblumen wäre wohl ein win:win, ein schönes Geschenk für SIE, ein schöner Hintergrund für mich und meine Flakons. Doch wenn SIE rausbekommt, dass das der Grund ist, darf ich meine Koffer packen.

Einer inneren Eingebung folgend lud ich eines kommenden Wochenendes die Kamera-Akkus auf und packte mit knappe zwanzig Flakons in meine Umhängetasche. Das Wetter war prächtig, ich wollte mit meiner schwebenden Pfirsichblüte im nahen Naherholungsgebiet um den Tümpel spazieren gehen und vielleicht, ja vielleicht ergäbe sich dann ja das eine oder andere schöne Motiv für den einen oder anderen Flakon. Doch dann wollte SIE mir noch eine Picknickdecke mit in die bereits gut befüllte Tasche packen, es klimperte leicht gläsern, IHRE grossen Augen klimperten nicht mehr: "Was ist das?" Wie ein kleiner Schuljunge versuchte ich stotternd zu erklären, was kaum zu erklären ist, aber von der guten Laune war an diesem Tag nicht mehr viel zu retten. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?!" Wir gingen dann ohne Flakons und Kamera, dafür mit Picknickdecke, aber mit trauter Zweisamkeit und Erholung war es dann auch leider ziemlich vorbei.

Ein paar Tage später fuhr ich dann wie immer recht früh noch vor 05:00 Uhr in Richtung Büro, vorbei an einem Baggersee mit seinem ollen Schwimmbagger. Ich bin ja jetzt nicht so der Typ, der in baufällige Häuser einsteigt, aber ein rostiges Förderband vor einem rötlichen Sonnenaufgang sollte doch ein fulminanter Lost-Space-Hintergrund für meine Flakons sein. Am kommenden Morgen war ich noch etwas früher unterwegs, kein "Betreten Verboten" konnte mich aufhalten. Doch wie ich dann so in knappen drei Meter Höhe auf einem rostigen Ausleger balanciere und urplötzlich unter mir die Augen eines nicht ganz sortenreinen Dobermanns und eines Schäferhundes mit zweifelhaftem Stammbaum nebst gelblochen Zahnreihen erblicke, komme ich mir vor wie seinerzeit Thomas Sullivan Magnum IV. Higgins kam dann mitsamt dem grünweissen Partybus knappe zwei Stunden später. Meine Speicherkarte durfte ich wenig später ebenso abgeben, wie die eidesstattliche Versicherung, das Betriebsgelände dieses Kieswerkes auf Lebzeiten nicht erneut zu betreten.

Also etwas ohne Risiko, ohne grossartige Vorbereitung und vor allem ohne die Teilnahme meiner Frau. Wenig später, während die schwebende Pfirsichblüte stundenlang am Telefon hing, suchte ich nach einer sinnvollen Beschäftigung. Nach dem Geschirrspüler rief das volle Wäschegestell laut meinen Namen. Und während die abgenommene Wäsche da so vor mir auf der Komode lag und wartete, von mir in die Schubladen verteilt zu werden, stand da auf einmal ein Flakon und ich hatte mein Handy in der Hand.
Flakon auf der Beflockung eines AC/DC-Tour-Shirts ist zwar sehr anmutend, aber das Grössenverhältnis von Flakon zu Hintergrundmotiv wollte mir nicht so recht gefallen, ebenso wie die zahllosen kleinen Fusel. Ich parkte auch verschiedenste Flakons zwischen meinen kunterbunten Socken, aber auch das sah aus wie gewollt und nicht gekonnt. Aber wie dann da der eine Flakon so belanglos zwischen der Unterwäsche lag, das hatte auf einmal sehr viel Schönes. Unterschiedlichste Farben und Muster standen zur Auswahl und die verschiedenen Arten Spitze sorgten auch für eine hohe Variabilität der Hintergrundstruktur. Heureka! Schnell mal eine Stunde durch die besten Parfumfotos der letzten Jahre gescrollt ... auf diese grandiose Idee kam wohl noch niemand! Diabolisches Grinsen. Wie viele Fotos passen auf eine 512er Speicherkarte.

Machen wir es kurz: Ich hätte mir irgendwie denken können, wenn ich denn nachgedacht hätte, dass es nicht die allerbeste Idee sein wird, einen langen, zylindrischen Flakon fein säuberlich zwischen die Cups eines BHs zu platzieren und ein Foto davon hochzuladen. Menschen könnten davon ähnlich peinlich berührt sein, wie sie bei dem Anblick der Schlüppis wildfremder anderer Menschen ähnlich Schamesröte annehmen. So musste dann die bunte, aber kurze Dessous-Reihe irgendwann auch wieder enden.
Und wenn man dann so - den Tränen nahe - wieder mal vor einem Berg Wäsche steht und seine Business-Hemden auf die Kleiderbügel hängt, überkommt einen früher oder später die absolute Gewissheit, dass ein gebügeltes kleinkariertes Langarmhemd das personifizierte Gegenteil eines Spitzentangas ist und dem absolut nichts Verwerfliches innewohnen kann.

Leider war man wohl kurz darauf der Meinung, dass die Menschheit bereits hinlänglich Flakons auf karierten Hemden gesehen habe und dem eher früher als später genug sein müsse. Auch bei anderen Motiven mussten wenig später im Schnitt drei Fotos hochgeladen werden, damit wenigstens eines angenommen wird. Auch wurden über Nacht auf einen Schwung knappe 20, teilweise Jahre alte Fotos von der Plattform genommen. Keine Ahnung wieso. Aber mit meiner Ahnungslosigkeit befinde ich mich scheinbar nicht allein und doch zumindest in allerbester Gesellschaft.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich es vielleicht noch mal mit einem Lost Place oder einem anderen rostigen Hintergrund versuchen oder dem Usambaraveilchen doch eine Chance geben soll. Einen Bollerwagen voller Flakons werde ich auf jeden Fall nicht beim Spaziergang hinter mir her zerren. Was kostet eigentlich Photoshop und wieviel muss man für eine anständige KI-Lizenz berappen?

Jedenfalls küsst mich die Muse aktuell nicht sonderlich und auf eigene Kreativität brauche ich ja bekanntlich auch nicht zu hoffen. Werde folglich erst einmal künstlerisch etwas kürzer treten und aktuell keine Bildchen und anderen Content mehr hochladen. Etwas Digital Detox.

Sollte mich jemand vermissen, ich bin ... Schaukeln.