Chnokfir
Verbale Interaktion chnokfir mit Parfum
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 20.05.2022
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Vielen Dank und Tschüs, Servus, Bye-Bye

Vielen Dank und Tschüs, Servus, Bye-Bye

Liebe Parfumas und Parfumos,

ich möchte mich bei euch allen für die zahllosen Ideen, Meinungen und positive Kritik, aber vor allem für den Zuspruch, Rückhalt, aufmunternde Worte und die positiven Vibes bedanken.

Dennoch habe ich mich nach all dem Bashing, unendlichen Querelen, zahllosen Rückschlägen und zur Wahrung des häuslichen Friedens schweren Herzens entschlossen, meinen Parfum-youtube-Channel für immer zu schliessen.

Kurz nach dem Beginn des ersten Lockdowns überkam mich eine grosse Langeweile und tiefe Leere. Doch schnell wurde mir klar, dass mich der Digital Content da wieder rausholen kann. Immerhin habe ich ja in puncto Parfum eine Menge Wisdom zu sharen. Ausserdem ist es ja nicht verkehrt, ein klein wenig an all den Give-Aways teilzuhaben, die die grossen Luxuskonzerne dem Heer von Influencer-Hyänen in ihre gierigen Rachen werfen. Spreche ich also über geschenkte Parfums und lasse die Welt an meiner weisen Worten teilhaben.

Anfangs dachte ich mir, ich mach es mal auf die gemütlich-legere Art. Lässig von der Chesterfield-Ledercouch aus, mit einem gepflegten Hefeweissbier in der einen, einem Flakon in der anderen Hand und locker-flockig drauf los gequatscht. Im Nachhinein wäre es sicherlich besser gewesen, ich hätte unseren Fliesen-Couchtisch im unteren Bildrand verschwinden lassen, ausserdem ist die Couch nicht vegan, sowas kostet Follower in der besonders sensitiven Zielgruppe, da hilft auch keine wehende Regenfahne im Hintergrund. Und selbst mit einem organischen Veggie-Smoothie im Rattansessel vom Balkon aus konnte ich nicht so recht punkten - Rasenmäher der verständnislosen Nachbarn und durchfahrende Linienbusse verwässern den Content und sorgen streckenweise für deutliche Verständnisprobleme. Also noch mal von vorne.

Um dem Ganzen einen etwas seriöseren Anklang zu verschaffen, habe ich mich mit einem frisch gebügelten Businesshemd hinter meinen Schreibtisch, flankiert von zwei Yucca-Palmen, vor eine weisse Wand gesetzt und habe meine bereits existierenden Parfum-Rezensionen mal vom Papier, mal aus dem Laptop heraus mehr oder minder frei in die Kamera eingelesen oder aus dem Stegreif wiedergegeben. Schnell wurde ich mit Menschen wie Karl-Heinz Köpcke, Dagmar Berghoff, Ernst Dieter Lueg, Gundula Gause oder Hans-Dieter Lange verglichen. Nein, so stocksteif wollte ich nicht rüberkommen! Also alles wieder gelöscht und nochmal von vorne.

Doch positive Vorbilder gibt es bei den Influencern ja zu genüge. Also ein grosses Stativ und Profibeleuchtung bestellt und ab ins coronabedingt verwaiste Office. Schnell hatte ich ein paar Takes im Kasten, die mich mit einem Flakon in der Hand wahlweise im Büroflur oder auf einem Absatz im Treppenhaus zeigen. Nachdem man im Büro selbst im Lockdown allerdings nie so wirklich ganz allein ist und immer entweder ein paar rein zufällig anwesende Kollegen sich verwundert die Augen rieben oder der Hausmeister mich entgeistert fragte, wieso ich in eine Kamera spreche und dabei wild mit Rasierwasser um mich sprühe, wusste ich, influencen tut man am besten tunlichst alleine. Ausserdem riecht die Auslegeware in so einem Büroflur nach Videos mit Titel wie "Meine 25 schlimmsten Oud-Fehltritte" oder "Die 69 wirkungsvollsten Panty-Dropper von 1989 bis heute" auch ein paar Wochen trotz Dauerlüften und literweise Einsatz von Febreeze doch noch ein klein wenig nach. Auch das ist allgemein nur schwer zu vermitteln, insbesondere, wenn der Vorstand mal spontan einen Besuch abstattete. Corona ist mittlerweile so gut wie vorbei und somit fällt diese Location auch flach.

Einem omnipräsenten, glänzenden Vorbild folgend war daheim der Esstisch dann auch schnell leer geräumt. Doch trotz seiner stattlichen Ausmasse von 2,40 x 1,50 m war die Tafel schnell vollgestellt. Auch den Rest aus meinem Bunker konnte ich auf der Anrichte dahinter nicht einmal ansatzweise aufbauen. Es wirkte alles ein wenig gedrängt und lies wenig Raum für Details. Fatalerweise dauert das ja so alles auch seine Zeit und als meine schwebende Pfirsichblüte dann abends aus ihrem Job heim kam, gab es erneut ein paar Verständnisschwierigkeiten ihrerseits, wieso das denn so sein müsse und ob ich damit nicht übergriffig wäre. Aber nach dem dritten schweigsamen Abendessen am Fliesen-Couchtisch, der sich dummerweise wegen der abgebrochenen Kurbel nicht mehr aus der niedrigsten Position hochkurbeln lässt, habe ich dann zähneknirschend den Esstisch wieder abgeräumt, was allerdings auch fast wieder einen gesamten Tag dauerte. SHE was not amused!

Statt dessen meinte SIE, ich könnte mich ja mit einem Flakon in der Hand lasziv räkelnd aufs Bett legen und dabei meinen Unsinn in die Kamera säuseln. Wenn man einmal konstruktive Unterstützung braucht ...

Bleibt als letzte Hoffnung noch der schmale Gang zwischen Wohnzimmer, Bad und Schlafzimmer, in dessen hinterstem Eck meine 50 Düfte für den täglichen Gebrauch dunkel und kühl in einem Regal lagern. Leider ist der Ort scheisse auszuleuchten und wenn ich mich locker neben das Regal stelle - Wusstet ihr eigentlich, das Regal rückwärts Lager heisst? Lustig, ne!? - und in die Kamera spreche, dann wandert der Autofocus dauernd von mir auf irgendeinen Flakon. Keine Ahnung wieso. Erst mit einer neuen Kamera war dieses technische Problem in den Griff zu bekommen. Mittlerweile erahne ich, wieso die Öffentlichen für die Tagesschau jedes Jahr die GEZ erhöhen müssen: Das Equipment frisst die Ersparnisse, die ich eigentlich in ein paar Roja Absolue Précieux investieren wollte.

Da stehe ich nun und referiere über dies und das und meine Frau, die "rein zufällig" zugegen ist, muss den Ort des Geschehens verlassen, um nicht Gefahr zu laufen einzunässen. Halte ich nicht gerade einen Flakon in der Hand, hatte ich die Angewohnheit, wie seinerzeit Mutti die Raute zu machen. Man kann gar nicht zählen, wie viele Takes es braucht, um eine rautenfreie Rezension hinzubekommen. Statt dessen entwickelte ich dann die Marotte der meisten Youtuber, beim Sprechen die wichtigen Passagen mit einem erhobenen Zeigefinger zu untermalen und zu verdeutlichen oder sinnfrei herumzufuchteln. Noch mehr Takes, noch mehr Schneiden, ein Drama. Verschränkte Arme und Hände in den Hosentaschen sehen aber auch nicht besser aus.

Hatte ich dann endlich einen Platz gefunden, um meine Hände aufzuräumen, kam meine Frau wieder ins Spiel. SIE wolle sich ja nicht einmischen oder gar verunsichern, aber wenn man sich mal ein fertiges Video ansehe, oder besser, anhöre, dann wäre da für sie eine gewisse Ähnlichkeit zu Mickey Mouse zu erkennen. Stimmt natürlich nicht, aber der Saat des Selbstzweifels war in mir gesät und sie keimte. Ausserdem bot SIE mir an, SIE würde gerne mein rechtes Ohr mit Foundation und Puder und sonstwas überdecken, weil es ja immer so arg rot leuchtet, wenn ich ein wenig aufgeregt bin. Ja, sie hat Recht, und meine Follower und Hater stossen mit ihr ins selbe Horn - aber mit SOWAS fange ich gar nicht erst an.

Mittlerweile sind zwei Jahre ins Land gezogen, Corona ist so gut wie vorbei und ich kann meine Freizeit auch wieder anderweitig ausserhalb der eigenen vier Wände mit anderen Menschen verbringen. Auch habe ich inzwischen um ein vielfaches mehr Videos wieder gelöscht als ich jemals eingestellt habe und auch die Anzahl an freundlich gesonnenen Followern ist mehr als spärlich geblieben. Von fehlenden Kooperationsangeboten und mangelnden Paketen mit Give-Aways und Goodies mal ganz abgesehen.

Zeit also, meinen Parfum-youtube-Channel für immer zu schliessen und mich wieder dem realen Leben zu widmen. Aber meine Rezensionen und Blogs tippe ich weiterhin. Das kann ich wenigstens einigermassen und muss dabei nicht "gezwungen grenzdebil" (Zitat SIE) in eine Kamera grinsen.

Danke nochmal an dieser Stelle für euren Support und eure Liebe. Auf Wiederlesen ...

PS:

Ist der gendergerechte Plural von Parfumo und Parfuma eigentlich Parfumos und Parfumas oder Parfumen und Parfuwomen? Ich frage für einen Freund.

Aktualisiert am 20.05.2022 - 14:11 Uhr
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