Chnokfir
Verbale Interaktion chnokfir mit Parfum
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 15.05.2022
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Ein Wort gegen den Kapitalismus und für die Planwirtschaft

Um - ganz entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten - vorweg schon mal ein wenig Ärger zu entgehen, schreibe ich diesen Artikel (fast) ganz ohne Nennung von Namen und Orten.

Ich weiss, ich kann mich überaus glücklich schätzen. Lebe und arbeite ich doch an der Peripherie einer grossen südlichen Landeshauptstadt mit Zugang zu fast allem, was eine Parfumo-Nase denn begehren könnte. In angenehmer Laufweite zueinander gibt es in der City neben zahlreichen Filialen der Orangen und Türkisen/Schwarzen sowie einiger Kaufhäuser und kleinerer Parfumerien mit Designerware auch zwei Luxus-Kaufhäuser mit sehr erschöpfenden Beauty-Bereichen und fünf Nischen-Parfumerien. Daneben noch einige Boutiquen und Flagship-Stores, die ebenfalls exklusive Düfte feil bieten. Warum sich also beschweren?

Selbst als Dauernörgler, als der ich nun mal verschrien bin, suche ich nicht 24/7 nach Nadeln in Heuhäufen. Auch wenn es der Job als Buchhalter mitunter so mit sich bringt. Doch an dienstfreien Tagen schlendere ich also durch die Parfumerien der Stadt und werde auf neue Brands hingewiesen, Marken, die es vorher nicht zu Kaufen gab. Aber, hoppla! Hat nicht just 40 Minuten zuvor eine Kollegin dieser Parfumeriefachverkäuferin in einer anderen Nischen-Parfumerie mich auf ebenjene Marke aufmerksam gemacht mit den Worten, diese Nischen-Marke gäbe es nur hier exklusiv für diese Stadt, wenn nicht gar für ganz Deutschland, nur hier in dieser Parfumerie?

Will man mir etwa einen Bären aufbinden? Oder sind die Damen nur schlecht informiert oder sitzen am Ende selber den dreisten Worten eines gewieften Vertriebs-Heinis auf?

Kann mir ja aber eigentlich auch egal sein. Dann haben eben gleich vier oder fünf Parfumerien in Wurfweite zueinander diese neuen exklusiven Düfte, die in ein paar Monaten durch Influencer total gehypt werden und in diesen heiligen Parfumo-Hallen zelebriert und/oder verrissen werden. Vor allem aber kann ich mir sicher sein, dass es hier bei mir im Dorf keine Knappheit geben wird. Ich kann mich jederzeit in die U-Bahn setzen und 20 Minuten später schnuppern und konsumieren. Was will man mehr?

Dumm nur, dass diese heimischen Nischen-Parfumerien nicht allesamt in der Winkelgasse stehen und genau deswegen ein kleines Platzproblem haben, welches Hermine natürlich mit ihrem Verkleinerungszauber mit einem Wink ihres zarten Handgelenkes beheben könnte. Denn wo ein neuer Duft gelistet wird, muss aus Platzgründen ein anderer Duft weichen. Angebot und Nachfrage - ich habe damals aufgepasst.

Es verhält sich aber seit einigen Jahren so, dass wenn eine neue Marke, ein neues Dufthaus auf dem Markt eingeführt wird, dann passiert das nicht mit einem oder vielleicht drei neuen Düften. Nein, unter einem ganzen Dutzend geht es nicht mehr. Da muss das gesamte Können des Dufthauses und seiner Heerschar Parfumeure in Gänze unter Beweis gestellt werden. Wenn man als Inhaber der Parfumerie viel Glück hat, dann begnügt man sich mit einem Regalmeter. Oft aber soll es ein ganzes Regal sein, von den untersten Schubladen bis schwindelerregend hinauf zur Decke. Gerne nimmt man auch noch den Counter davor zur besseren Präsentation gleich noch mit. Schweissausbrüche bekommen die Dekorateure mancher Luxus-Kaufhäuser, wenn für ein neues Brand und den optimalen Auftritt gleich als Shop-im-Shop ein ganzer Raum zur Verfügung gestellt werden muss mit Drehtür, mehreren Vollleder-Sitzecken, Espresso-und-Smoothie-Bars, Spa-Bereich und einem eigenen Labor, in dem die Düfte live vor den erstaunten Augen der zahlungswilligen Kundschaft zusammengepanscht werden. Ist ja alles auch noch OK, so haben wir Parfumos hier unser kleines Disney-World, für das wir gerne etwas tiefer in den Batzen greifen.

Doch ein paar Jahre später wird dann wieder umgebaut und verzweifelt sucht unsereins nach der einen oder anderen liebgewonnenen Marke. Man fällt fast vom Glauben ab, wenn als letzter Versuch die Marke eines Parfumeur-Gottes einen tristen weissen Tisch direkt neben einer Eingangstür unmittelbar im Dunstkreis einer Luftschleieranlage zugewiesen bekommen hat. Das war es dann wohl bald. Wenn man Glück hat, findet man auf einem Grabbeltisch die kläglichen Überreste eines anderen Brand mit fetten %%%-Zeichen darauf oder eine Parfumeriefachverkäuferin muss einem die bitteren Tränen aus dem Gesicht tupfen, weil die Lieblingsmarke aus dem Sortiment genommen wurde. Kann ja mal passieren, dass eine Marke hier nicht so gut verkauft wurde. Aber kein Drama, 300m die Strasse runter bei der Konkurrenz gibt es den Plunder ja auch. Pustekuchen! Auch dort hat ein Chef-Controller zeitgleich mit ganz spitzem Bleistift knallhart kalkuliert und dieses Brand aus den Regalen gefegt. Noch eine Tür weiter dasselbe Bild. Dafür hat man ja jetzt wieder Platz für das nächste geile Zeugs. Was es dann wieder ganz exklusiv nebenan auch geben wird, taggleich mit dem selben Marketing-Gedöns.

Was ich sagen will, in unserer Konsumgesellschaft auf der steten Suche nach dem heissesten Shit gibt es mittlerweile fast überall den gleichen hochgehypten Mist. Die Exklusivität wird en Masse verpackt und der Markt damit geflutet. Dumm nur, wenn der Markt selbst in einer Millionstadt mittel- oder spätestens langfristig nicht gross genug ist, dass diese exklusive Ware an jeder Strassenecke verkauft werden kann. So verschwindet ein Brand, welches es eben nicht geschafft hat, nach dem nächsten wieder aus dieser grossen Stadt. Und mit ihnen dann auch die paar Düfte, die man toll findet und nach drei oder fünf Jahren mal wieder nachkaufen möchte. Das Angebot verödet, wird eintönig, manche Duftmarken findet man überall oder nirgends mehr.

Ich würde mir wünschen, dass Exklusivität wirklich wieder exklusiv wird. Dass manche Düfte auch in einer Metropole wirklich nur an einer Stelle zu finden sind. Da dann aber gerne langfristig. Dass sich die Inhaber oder Einkäufer mancher Parfumerien alle Quartal einmal treffen und sich austauschen, welche Marken bei wem am besten gehen und derjenige dieses Brand dann auch behält, eine andere Parfumerie dann eben eine andere Marke. Ein klein bisschen Planwirtschaft im Kapitalismus. Wäre das schon ein Kartell? Egal. Ich will Vielfalt, nicht nur im Internet.

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