Ein Wort gegen den Kapitalismus und für die Planwirtschaft
Um - ganz entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten - vorweg schon mal ein wenig Ärger zu entgehen, schreibe ich diesen Artikel (fast) ganz ohne Nennung von Namen und Orten.
Ich weiss, ich kann mich überaus glücklich schätzen. Lebe und arbeite ich doch an der Peripherie einer grossen südlichen Landeshauptstadt mit Zugang zu fast allem, was eine Parfumo-Nase denn begehren könnte. In angenehmer Laufweite zueinander gibt es in der City neben zahlreichen Filialen der Orangen und Türkisen/Schwarzen sowie einiger Kaufhäuser und kleinerer Parfumerien mit Designerware auch zwei Luxus-Kaufhäuser mit sehr erschöpfenden Beauty-Bereichen und fünf Nischen-Parfumerien. Daneben noch einige Boutiquen und Flagship-Stores, die ebenfalls exklusive Düfte feil bieten. Warum sich also beschweren?
Selbst als Dauernörgler, als der ich nun mal verschrien bin, suche ich nicht 24/7 nach Nadeln in Heuhäufen. Auch wenn es der Job als Buchhalter mitunter so mit sich bringt. Doch an dienstfreien Tagen schlendere ich also durch die Parfumerien der Stadt und werde auf neue Brands hingewiesen, Marken, die es vorher nicht zu Kaufen gab. Aber, hoppla! Hat nicht just 40 Minuten zuvor eine Kollegin dieser Parfumeriefachverkäuferin in einer anderen Nischen-Parfumerie mich auf ebenjene Marke aufmerksam gemacht mit den Worten, diese Nischen-Marke gäbe es nur hier exklusiv für diese Stadt, wenn nicht gar für ganz Deutschland, nur hier in dieser Parfumerie?
Will man mir etwa einen Bären aufbinden? Oder sind die Damen nur schlecht informiert oder sitzen am Ende selber den dreisten Worten eines gewieften Vertriebs-Heinis auf?
Kann mir ja aber eigentlich auch egal sein. Dann haben eben gleich vier oder fünf Parfumerien in Wurfweite zueinander diese neuen exklusiven Düfte, die in ein paar Monaten durch Influencer total gehypt werden und in diesen heiligen Parfumo-Hallen zelebriert und/oder verrissen werden. Vor allem aber kann ich mir sicher sein, dass es hier bei mir im Dorf keine Knappheit geben wird. Ich kann mich jederzeit in die U-Bahn setzen und 20 Minuten später schnuppern und konsumieren. Was will man mehr?
Dumm nur, dass diese heimischen Nischen-Parfumerien nicht allesamt in der Winkelgasse stehen und genau deswegen ein kleines Platzproblem haben, welches Hermine natürlich mit ihrem Verkleinerungszauber mit einem Wink ihres zarten Handgelenkes beheben könnte. Denn wo ein neuer Duft gelistet wird, muss aus Platzgründen ein anderer Duft weichen. Angebot und Nachfrage - ich habe damals aufgepasst.
Es verhält sich aber seit einigen Jahren so, dass wenn eine neue Marke, ein neues Dufthaus auf dem Markt eingeführt wird, dann passiert das nicht mit einem oder vielleicht drei neuen Düften. Nein, unter einem ganzen Dutzend geht es nicht mehr. Da muss das gesamte Können des Dufthauses und seiner Heerschar Parfumeure in Gänze unter Beweis gestellt werden. Wenn man als Inhaber der Parfumerie viel Glück hat, dann begnügt man sich mit einem Regalmeter. Oft aber soll es ein ganzes Regal sein, von den untersten Schubladen bis schwindelerregend hinauf zur Decke. Gerne nimmt man auch noch den Counter davor zur besseren Präsentation gleich noch mit. Schweissausbrüche bekommen die Dekorateure mancher Luxus-Kaufhäuser, wenn für ein neues Brand und den optimalen Auftritt gleich als Shop-im-Shop ein ganzer Raum zur Verfügung gestellt werden muss mit Drehtür, mehreren Vollleder-Sitzecken, Espresso-und-Smoothie-Bars, Spa-Bereich und einem eigenen Labor, in dem die Düfte live vor den erstaunten Augen der zahlungswilligen Kundschaft zusammengepanscht werden. Ist ja alles auch noch OK, so haben wir Parfumos hier unser kleines Disney-World, für das wir gerne etwas tiefer in den Batzen greifen.
Doch ein paar Jahre später wird dann wieder umgebaut und verzweifelt sucht unsereins nach der einen oder anderen liebgewonnenen Marke. Man fällt fast vom Glauben ab, wenn als letzter Versuch die Marke eines Parfumeur-Gottes einen tristen weissen Tisch direkt neben einer Eingangstür unmittelbar im Dunstkreis einer Luftschleieranlage zugewiesen bekommen hat. Das war es dann wohl bald. Wenn man Glück hat, findet man auf einem Grabbeltisch die kläglichen Überreste eines anderen Brand mit fetten %%%-Zeichen darauf oder eine Parfumeriefachverkäuferin muss einem die bitteren Tränen aus dem Gesicht tupfen, weil die Lieblingsmarke aus dem Sortiment genommen wurde. Kann ja mal passieren, dass eine Marke hier nicht so gut verkauft wurde. Aber kein Drama, 300m die Strasse runter bei der Konkurrenz gibt es den Plunder ja auch. Pustekuchen! Auch dort hat ein Chef-Controller zeitgleich mit ganz spitzem Bleistift knallhart kalkuliert und dieses Brand aus den Regalen gefegt. Noch eine Tür weiter dasselbe Bild. Dafür hat man ja jetzt wieder Platz für das nächste geile Zeugs. Was es dann wieder ganz exklusiv nebenan auch geben wird, taggleich mit dem selben Marketing-Gedöns.
Was ich sagen will, in unserer Konsumgesellschaft auf der steten Suche nach dem heissesten Shit gibt es mittlerweile fast überall den gleichen hochgehypten Mist. Die Exklusivität wird en Masse verpackt und der Markt damit geflutet. Dumm nur, wenn der Markt selbst in einer Millionstadt mittel- oder spätestens langfristig nicht gross genug ist, dass diese exklusive Ware an jeder Strassenecke verkauft werden kann. So verschwindet ein Brand, welches es eben nicht geschafft hat, nach dem nächsten wieder aus dieser grossen Stadt. Und mit ihnen dann auch die paar Düfte, die man toll findet und nach drei oder fünf Jahren mal wieder nachkaufen möchte. Das Angebot verödet, wird eintönig, manche Duftmarken findet man überall oder nirgends mehr.
Ich würde mir wünschen, dass Exklusivität wirklich wieder exklusiv wird. Dass manche Düfte auch in einer Metropole wirklich nur an einer Stelle zu finden sind. Da dann aber gerne langfristig. Dass sich die Inhaber oder Einkäufer mancher Parfumerien alle Quartal einmal treffen und sich austauschen, welche Marken bei wem am besten gehen und derjenige dieses Brand dann auch behält, eine andere Parfumerie dann eben eine andere Marke. Ein klein bisschen Planwirtschaft im Kapitalismus. Wäre das schon ein Kartell? Egal. Ich will Vielfalt, nicht nur im Internet.
- Jede Industrie MUSS VERKAUFEN....
Da wird die Ware gestreut, insbesondere übers Internet mit einem ganz eigenen Kauferlebnis..
Der übliche Nischenstandart!
Du hast das schon einmal erwähnt!
Ich verstehe nicht, wovon Du redest!
Also diese komische Querverbindung mit Frankfurt ?!?!?!
Ich habe keinen einzigen Duft mit Verbindungen dieser Stadt oder Personen!
Wurde mir von einem anderen Unternehmer ungefragt bestätigt 😉
Aber ein bisschen Stillstand ist manchmal gar nicht zu verachten.
Letztendlich wäre wohl wie so oft ein gesunder Mittelweg am schönsten: die sollen die, die mir gefallen aus dem Programm schmeißen, und die, die mir nicht zusagen durch Besseres ersetzen. Bittedanke.
Ich habe mich auch schon gefragt, warum ein Duft wie Lumiere Noire von MFK eingestellt wurde? Den lieben doch alle, oder? Es gibt auch Hersteller welche Entscheidungen treffen, die fast niemand verstehen kann.
Danke dir für den Input und die gute, anregende Rezension!
PS: Planwirtschaft hat noch nie Vielfalt und Individualität gefördert.
Versuch doch mal, Konsumententum nicht nur als stumpfen Konsum zu sehen. Du bist Teil des Marktes. Fall nicht auf BS rein, informier dich und hol dir die tatsächlich exklusiven Sachen. Und leb damit, dass niemand nur für dich was "exklusiv" macht, es dann aber bitte zum Durchschnittspreis und nicht zu weit weg von der nächsten Haltestelle anbietet.
Oder lass es dir anfertigen. Das ist nämlich das einzig echte Exklusivprodukt. Alles andere ist, so oder so, das T-Shirt mit dem Aufdruck "unique", von dem 20 am Ständer hängen: ein Produkt, dazu da, gekauft zu werden.
Nachdem ich aber Deinen Text gelesen habe: ja, das ist wirklich ein Problem. Die Ursache liegt aber v.a. im Ansatz von uns Parfumos, Parfüm als Kunst (-handwerk) ansehen. Und Kunst sollte sich schließlich nicht marktwirtschaftlichen Zwängen unterwerfen. Ein von Dir, von mir, von uns erkorenes Kunstwerk kann doch nicht einfach verschwinden, nur weil die Verkaufszahlen es nicht hergeben...
Aber es wird immer so sein: schon allein, weil es Ressourcen bedarf - und die kosten halt.
Ob mit oder Marktwirtschaft: Parfüm kann als flüchtiger olfaktorischer Eindruck einfach nicht die Stellung erlangen, die ein Bild oder eine Skulptur hat - visuell ist vieles schnell und gut reproduzierbar, olfaktorisch bedarf es IMMER bestimmter Ressourcen.
Fun Fact: die Rechtschreibkorrektur will FDP mir FAD ersetzen ;-)
Da sind inzwischen so viele irrsinnige marktwirtschaftliche Bräuche, die einem nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lassen 😑. Viele Denker unserer und vergangener Zeit bringen immer wieder das Wort „Vernunft“ ins Spiel, das aber häufig leider eine leere Floskel bleibt, denn es zählen die Zahlen und der Mensch überholt sich um ein weiteres Mal selbst 🤷🏼♀️.
Schade um die verlorenen Kostbarkeiten…
Ich bin selber jemand, der etwas gebeutelt ist, was die Einstellung geliebter Produkte (nicht unbedingt Parfums) angeht: Wenn es 10 Varianten eines Produktes gibt & ich mag genau eine davon, kann ich davon ausgehen, dass diese eingestellt wird.
Warum das so ist, weiss ich nicht, ist aber statistisch bewiesen (also meine Statistik… ;>)
Auf der anderen Seite finde ich es aber auch gut, dass neue Dinge nachkommen, neu muss ja nicht immer schlecht sein, manchmal ist es auch besser als das alte oder man selber hat sich in eine andere Richtung entwickelt und mag das neue Produkt lieber.
Wenn immer alles gleich bleiben würde, wäre das glaube ich auch nicht gut :)