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vor 6 Jahren - 21.09.2018
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Zauber der Düfte - Zauber der Kindheit

Letzthin war ich in einem alten Bauernhaus mit einer unpolierten Steintreppe aus Granit- und wurde wieder zum Kind im alten Wochenendhaus meiner Eltern, nahe der Tschechischen Grenze. Ich sog den Geruch nach feuchtem Stein ein, und war in den Sommern meiner Kindheit.

Der würzige Duft des Waldes nach Moos und Harz und Erde an einem heißen Sommertag, der Geruch nach Pilzen und feuchtem, moderndem Laub im Dickicht, wenn es leicht regnete und wir mit quietsch-gelben Gummistiefeln und Regenjacken nach Eierschwammerln suchten. Der süß-säuerliche Duft der Himbeeren, gepflückt in stechender Mittagshitze im Himbeerschlag im längst aufgelassenen Steinbruch.

Jener Steinbruch, aus dem fast 100 Jahre zuvor die Granitsteine gebrochen wurden, aus denen das Haus meiner Kinder-Sommer erbaut wurde. Die Granittreppe, vom Steinmetz, der das Haus für sich und seine Familie erbaute, eingepasst in die Form, die der Hang dem Haus vorgab. Keine Stufe gleicht der anderen, sondern sie ziehen sich in einem harmonischen Schwung nach oben, die Kanten nicht glatt und gleichförmig, sondern liebevoll gemeißelt mit einer perfekt proportionierten Wölbung. Die Treppe, die an heißen Sommertagen die Feuchtigkeit vom letzten Putzen wieder ausschwitzte und dabei diesen einmaligen Geruch verströmte, der für mich eine Zeitreise ist.

Nirgendwo sonst roch es wie hier. Und an diesen Düften hängen Gefühle: Die Delial Sonnencreme, oder das Tiroler Nussöl, untrennbar verbunden mit Großen Ferien, die endlos schienen und in denen es in meiner Erinnerung meist dunkelblauen Himmel und Sommerhitze gab. Geruch und Geschmack der Salzkruste auf der eigenen Haut, die wir Kinder nach langen heißen Wanderungen abschleckten, vermischt mit den Resten der Sonnencreme.

Der feuchte Geruch der Erde, aus der die Nachbarin für uns frisch die Kartoffeln fürs Abendessen grub, der süße Duft der eben gemolkenen, noch warmen Kuhmilch mit einem Fettgehalt, über den sich damals keiner auch nur irgendwie Gedanken machte. Der herbe Duft der selbst gepflückten Heidelbeeren, die wir in Milchkannen brockten, auslasen, und die nie wieder im Leben so gut schmeckten wie mit der Milch der Nachbarin. Ribisel (Johannisbeeren), Zwetschgen, verschrumpelte Äpfel und Birnen vom schlecht gepflegten Spalierobst, eingeweckt und eingerext, entsaftet, zu Apfelmus, Birnenkompott, zu spritzender und blubbernder Marmelade verarbeitet. Düfte der Kindheit: Vollreifes Obst frisch vom Baum und Strauch – und mit ein Grund, warum ich fast alle „gebauten“ Fruchtdüfte in Parfums als minderwertig empfinde. Mein Gehirn hat sie gebunkert, die Erinnerung an diese echten Düfte, ganz tief drinnen, im emotionalsten Teil meines Gedächtnisses.

Aber auch andere Erinnerungen:

Der Geruch des Saueimers, den keines von uns Kindern tragen wollte (eine bekam die Milchkanne, die zweite das Eierschalen-Sackerl und die dritte den Saueimer mit den Grünabfällen und Essensresten, die für die Schweine abgekocht und dann verfüttert wurden). Der Wacholderduft des Räucherspecks aus eben jenen Schweinen, die wir „mitfütterten“, der es mir heute oft noch unmöglich macht, Parfums mit Wacholder zu tragen, weil in meinem Gehirn die Assoziation unauslöschlich verankert ist.

An den Geruch einer meiner Schwestern, als sie beim Weitsprung-Wettbewerb über die Mistlacke vor dem Stall nicht weit genug sprang, kann ich mich nicht mehr erinnern, es wurde mir aber wortreich geschildert – und ich denke, es ist kein Verlust!

Der Heuboden mit flirrenden Staubpartikeln, raschelnd, pieksend und ach so duftend! Ein perfektes Nest für die Jungen der Nachbarskatze – und für uns Kinder. Wie viele waren wir? Die fünf eigenen, die vier des einen Nachbarn, die zwei des anderen – und etwas weiter entfernt drei weitere. Alle im gleichen Alter. Wir halfen beim Heuen und bei der Arbeit, damit unsere Freunde, die im Sommer viel zu Hause zu helfen hatten, am Nachmittag mit uns im Wald Mooshäuser für Puppen und später Plattformen in Bäumen (von uns großsprecherisch „Baumhäuser“ genannt) bauen konnten. Oder mit (mitunter nicht dichten) Gummistiefeln, die man sich aus einem ganzen Wald an zu großen oder zu kleinen spontan aussuchte, im Bach zu waten und beim Nachhause kommen geschimpft zu werden, weil man unweigerlich die Tiefe des Baches und die Kraft des Wassers unterschätzte.

All das, diese Erinnerungen und Gefühle – hervorgerufen durch einen simplen Geruch. Den Geruch von nassem Stein.

Und so ist es manchmal auch mit Parfums. Ein Duft, der mich im Vorübergehen eines Fremden unvermutet einhüllt, bringt einen geliebten Menschen, der schon lange verstorben ist, wieder an meine Seite. Sein Lachen, seine Lebendigkeit, seine Tapferkeit, seine Freude am Leben. Und dann ist es Wehmut, mitunter Trauer, aber auch immer ein Lächeln, eine bittersüße Erinnerung, die ich nicht missen möchte.

Zauber der Düfte, Zauber der Kindheit.

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