Was die Nase riechen soll …
P.S.: Das Post Scriptum gehört allein dem Namen nach ans Ende; dennoch möchte ich es vorwegstellen. Also im Grunde ein A.S. - Ante Scriptum, wenn man so will. Und falls es das überhaupt gibt. Naja, jetzt schon, ich verfasse es ja gerade. Wie dem auch sei … ich möchte hiermit eine Entschuldigung an all diejenigen aussprechen, denen ich vor gut zwei Jahren nicht mehr geantwortet habe, bei deren Wanderbriefen ich mich still und ohne Nachricht ausgeklinkt habe, bei denjenigen, die an meinen Wanderbriefen teilgenommen haben und keine Auflösung mehr von mir erhalten habe, schlichtweg allen, denen ich durch mein plötzliches Abtauchen vor den Kopf gestoßen habe(n könnte). Es tut mir leid. Ich will auch nicht mit irgendwelchen weitschweifenden Erklärungen ausholen, denn das ist weder der Ort, an den es hingehört, noch ist es von Interesse. Nur so viel: Manchmal kommt das Leben dazwischen. Manchmal auch mehr. Es gab keinen anderen Weg. Und dennoch bedauere ich es. Und möchte mich bei all denen, die das (definitiv zurecht aus ihrer Sicht) daneben fanden, entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, irgendjemandem auf den Schlips zu treten oder, wie man neudeutsch zu sagen pflegt, zu ghosten.
Und nun zum eigentlichen Anliegen.
Meine Nase und mein Gehirn sind ganz schön ausgefuchste Ganoven. Sie kollaborieren. Und zwar gegen mich. Entdeckt habe ich das diese Woche, und zwar um genauer zu werden, beim Test zweier Düfte.
Der erste Duft war das Eau de Cartier EdT (lässt sich leider nicht verlinken). Der zweite Duft war Herbal Aquatica . Beim ersten Duft, der auch in meiner Sammlung beheimatet ist und den ich gerne im Alltag auflege, habe ich gedacht, dass er ein kurzes Statement sehr wohl verdient hätte, vor allem, da ich seinem Bruder, dem EdP, bereits vor langer Zeit diese Ehre habe zuteil werden lassen. Dementsprechend habe ich natürlich erneut den Duft aufgelegt (kein Test ohne Testung, und hat man den Duft noch sooft getragen; das ist man seinen Mit-Parfuma/os schließlich schuldig) und ausführlich gerochen. Und notiert und gerochen und notiert und nochmal gerochen. Und schlussendlich auch ein Statement verfasst.
Und dann habe ich einen Fehler gemacht, bevor ich mein Statement veröffentlicht habe. Ich habe die anderen Statements gelesen. Und war irritiert. Gelinde gesagt. Frisch? Grünfrisch? Zitrischfrisch? Minzfrisch? Vor allem aber, und ich schrieb es bereits, frisch? Wieso roch ich denn Puder? Und ich roch Puder. Und zwar nicht wenig. Definitiv.
Dann kam der nächste Fehler. Ich unternahm einen neuen Test, wobei das nicht der Fehler war. Neu zu testen ist ja nicht verkehrt, vielleicht hat sich meine Nase ja vertan. Kann passieren. Der Fehler war aber, ich studierte vor der zweiten Testung die Pyramide. Und nun setzte das ein, was die Kollaboration meines Gehirns und meiner Nase ausmachte (zumindest unterstelle ich genau das den beiden Angeklagten): Ich roch auf einmal auch etwas Frisches. Zart Zitrisches. Immer noch durch Puder hindurch, der blieb hartnäckig. Aber es war etwas da, was zuvor nicht da war. Welch Wunder! Die Frage, die sich mir jedoch stellte, war nun aber: War es wirklich da oder war es nur da, weil mein Gehirn „Yuzu“ und „Veilchenblatt“ gelesen hatte und meiner Nase nun das „Go“ gab: „Du riechst jetzt Zitrisch-Frisches und Grün-Herbes, steht schließlich in der Duft-Pyramide!“. Und die Nase, folgsam, wie sie ist, nickte und roch das, was das Gehirn ihr befahl, ganz gleich, was sie zuvor nur mit mir allein ohne diese graue Walnuss da oben errochen hatte. Kollaborateurin erster Güte, sage ich da nur!
Und das Interessante war ja: Der Puder war gleichbleibend da, obwohl die anderen Statement-Verfasser:innen nichts dergleichen schrieben. Also blieb ein Teil meiner vorherigen Wahrnehmung doch bestehen (ein letzter Versuch der Loyalität meiner Nase ihrer Besitzerin gegenüber? Wer weiß das schon …). Es kam eben nur etwas dazu, was ich zuvor nicht so gerochen habe. Dann habe ich in meiner Verwirrung in einem dritten Test noch das EdP und das EdT zum Vergleich aufgesprüht und - siehe da! - das EdT hatte einen helleren, minimal zitrischen Einschlag. Aha!
Aber: Beide Düfte blieben und bleiben gleich pudrig bei mir. Und so frage ich mich: Riecht meine Nase, was mein Gehirn ihr befiehlt zu riechen, vor allem wenn ich vor, während oder auch nach der Testung die Pyramide studiere? Oder ist das, was ich lese, nur eine Unterstützung des Riechvorganges? Beim zweiten Duft, dem Herbal Aquatica, habe ich nämlich auch erst einmal getestet und nicht gelesen. Da jedoch kam meine Voreingenommenheit hinzu, denn die Montale-Düfte und ich … sagen wir, es ist kompliziert. Entsprechend konnotiert war meine Erwartungshaltung, welche sich dann im weiteren Verlauf auch bestätigt sehen durfte. Brackig anstatt frisch-aquatisch, Synthetikbombe anstatt Naturgenuss, eine Zumutung sowie ein „Wie-krieg-ich-das-schnellstmöglich-wieder ab“-Kandidat. Im Grunde wie alle bisherigen Montale-Testungen bei mir auch schon.
Wäre der Test wohl genauso ausgefallen, hätte ich das Pröbchen unbeschriftet, ohne das Wissen um das Dufthaus und somit einhergehend ohne bereits bestehende Vorurteile und negative Erwartungshaltung getestet? Haben auch hier Hirn und Nase kollaboriert?
Oder unterstelle ich meinem Denk- und Riechorgan fälschlicherweise eine Beeinflussung meiner Wahrnehmung, die so gar nicht vorhanden ist? Ist die Veränderung nach dem Lesen der Pyramide nur eine Schärfung der Sinne? Und meine Voreingenommenheit nur eine reine Vorsichtsmaßnahme von Hirn und Nase? (Okay, ersteres klingt noch plausibel, letzteres dagegen doch ein wenig nach Erklärungsnot, um ehrlich zu sein.)
Und nun kommt die entscheidende Frage an Euch:
Sind Euer Hirn und Eure Nase auch Kollaborateure oder sind sie gänzlich unvoreingenommen?
Meine Nase ist enervierend desinteressiert an Pyramiden und Wahrnehmungen von Anderen. Sie schafft es nicht, auf eine kollektive Begeisterung einzuschwenken, nur, weil es da steht. Sie kann auch kein ungelistetes Patchouli ignorieren, nur, weil es da nicht steht. Daraufhin fühl ich mich öfters allein mit meinen Impressionen. Aber ich komm damit klar 🫣😇
Ich lasse mich mittlerweile viel zu sehr von Duftnoten beeinflussen. Früher habe ich mehr auf die Durchschnittsbewertung sowie auf die Beschreibungen von anderen Usern geachtet. Mein Blick war darauf gerichtet, wie kommt der Duft an und wie könnte der Duft ungefähr riechen.
Heute bin ich sehr offen gegenüber neuen Tests.
Da ich mittlerweile doch eine ganz schöne Menge von Düften getestet habe, meine ich mir manchmal einzureden, bestimmte Düfte wegen einzelnen Duftnoten zu meiden. Je nach Laune, Temperatur, Düfte die im Raum stehen und natürlich wie die einzelnen Noten miteinander harmonieren, riecht sie natürlich immer anders. Leider bin ich da teils sehr voreingenommen. Plötzlich finde ich dann doch einen Duft mit Rose, den ich mag, auch wenn es der Erste von 50 ist. Das sollte ich in der Zukunft mal vermeiden.
https://www.fragrantica.com/perfume/Cartier/Eau-de-Cartier-309.html
Vielleicht hast du eine 'angelsächsische' Nase?
Ich frage mal bei meiner Nase nach …
Aber auch mich irritiert, dass ich oft Düfte beim zweiten, dritten, vierten Tragen ganz anders wahrnehme als beim ersten Mal. Das ist auch für mich rätselhaft und wirft Fragen auf! Vielleicht müsste man da mal einen Philosophen der Hermeneutik, einen Gehirnforscher und Herrn Ellena zusammen diskutieren lassen...
Danke für diese niveauvolle Diskussion! Haben wir nicht mehr so oft...
P.S.: Mein Partner ist fast anosmisch, bei ihm riecht einfach alles eher in Oberkategorirn, d.h., eher unangenehm, eher gut, eher muffig, etc.
https://www.parfumo.de/Benutzer/Turandot/Blog/Eintrag/Riechen_wir_wirklich_was_wir_riechen____
Und sei herzlich bedankt für Drin Lob 🙏🏼 Das freut mich sehr!
Aber das, was Du berichtest, kenne ich tatsächlich auch. Wie schon @Seejungfrau zuvor schrieb: „Der eigenen Nase vertrauen.“
Aber Reset-Mode klingt gut ☺️
Weil dann kommen plötzlich Noten zum Vorschein, die die eigene Nase nicht herausgerochen hat 😁
(jedenfalls bei mir so)
Schöner Blog, sympathisch geschrieben🙂
überlegen, ob ich wohl wirklich Erwartungen erfüllt sehen möchte. Und ja, zum Teil stimme ich Dir da zu.
P.S.: Ich mag Murmeltiere!
Ich zum Beispiel lasse seit Jahren so gut wie alle Móntale Düfte links liegen, weil mir das Blech, die gesamte Optik und das Drumherum des Marketings einfach zuwider ist.Mein Vorurteil, meine Subjektivitaet und meine persönliche Überheblichkeit bezüglich dieser Firma sind mir bewusst, und ich denke, da bin ich auch nicht völlig alleine bei denjenigen, die ähnliche Aversionen, wegen anderen Faktenbei anderen Dufthaeusern haben. Sicher entgeht mir da auch etwas, und vermutlich ist da der eine oder andere tolle Duft dabei, aber Kismet….
Unvoreingenommen testen könnte ich nur blind.
Meist wurde man im Vorfeld schon in irgendeiner Weise getriggert. :-)
Kurz : Sprühen.Warten.Assoziationen eingeben.Diagramm.Notizen.Duftnoten studieren.Parfumeur.Herstellertext...
Rezensionen/Statements lesen.Zuerst alle Negativwertungen.:D
Nach mehreren Tests bewerten.
Der eigenen Nase vertrauen!
Schöner Artikel. 😊 Und JA - es wird abgeschrieben.Was nicht unbemerkt bleibt.
Und meine Nase und ich haben uns wieder versöhnt.
Zum Thema: Mir geht es häufig ähnlich. Darum bemüh‘ ich mich nach dem Erstsprüh alle Eindrücke + Gedanken sacken zu lassen und dann die Pyramide schnell überscrollend in die Notizen frei von der Nase weg niederzuschreiben. Dann kommentiere ich oft in den Notizen noch, ob die Pyramide und/oder gewisse Noten für meine Nase (nicht) passen. Und wenn ich dem Tenor der Statements so gar nicht beipflichte, gibt es auch noch ein knapp verkürzeltes „hä?“ oder „wtf?“ (neudeutsch für „Niemals im Leben!“ 😉). Statements werden daraus aber (noch) (mittlerweile) selten, was ich aber ändern will. Kennen tu ich das aber sehr gut, aber bleibe in meiner Nasenwahrnehmung unbeeindruckt. Eben vielleicht genau, weil ich es in meinen Notizen unsichtbar und daher unkommentierbar lassen kann. Dann kann niemand sagen „wtf, die riecht aber komisch!“ 👻