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vor 7 Jahren - 15.02.2017
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Divergent – eine Annäherung

Die Divergent-Düfte – als Parfümeur zeichnet Tomaya verantwortlich – sind bislang nicht am Markt erhältlich. Dank Gerdi hatte ich Gelegenheit, fünf davon zu testen - ohne Kenntnis von Duftnoten, Hintergrund etc. Von Tomaya gab es danach zu meinen Als-ob-Kommentaren einige Ergänzungen und Anmerkungen, im Folgenden in eckigen Klammern eingefügt. Die Sortierung folgt der zufällig gewählten Test-Reihenfolge.

Die Düfte sind durchweg spannend, bisweilen allerdings nicht eben unanstrengend, wenngleich spätestens nach hinten raus stets versöhnlich. Drei von ihnen verändern ihren Charakter im Verlauf stark. Das muss man schon mögen. [Es sind ja auch ganz bewusst Düfte mit Ecken, Kanten, und teils schrägen Verläufen, sie dürfen ruhig polarisieren und im wahrsten Sinne des Wortes eigenartig sein. Der Projekt-Name soll ja schon darauf hinweisen.]

Der Parfümeur zeigt eine Vorliebe für bestimmte Grund-Noten, vor allem Holz. Obwohl die verwendeten Varianten durchweg künstlichen Ursprungs sein dürften, entwickele ich nicht mein übliches Störgefühl. Ich kann nur mutmaßen, dass das am offensiv-ehrlichen Einsatz liegt, der zudem nicht baumarkt-spanplatten-mäßig daherkommt. [So viele Kunstholzmoleküle verwende ich eigentlich gar nicht. Gut, bei < grischan > ist so ein Akkord in der Basis, siehe unten. Aber ich verwende gerne Iso E Super in unterschiedlich hohen Konzentrationen. Es gibt oft ein tolles Gerüst, und dieser „mal da, mal weg und dann wieder da“-Aspekt ist auch interessant. Vielleicht riechst Du das stark raus? Natürliches kommt auch gern zum Einsatz, z. B. verschiedene Zeder, Guajak- oder Ho-Holz*]

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< grischan > - Zum hellgrauen Sommeranzug

[Limette, Bergamotte, Combava-Petitgrain - Brauner Rohrzucker, Muskatblüte und -nuss, Piment - Helle Hölzer, heller Amber, heller Weihrauch

Eben hier ist in der Basis u. A. ein Akkord aus holzig-ambratischen Duftstoffen]

Aus dem Röhrchen riecht es likörig. Allein der Transport-Alkohol? Jedenfalls denke ich an Aprikosenlikör. Nach dem Auftragen huscht womöglich eine winzige Spur Bergamotte vorbei. Im Untergrund bildet sich sogleich eine helle Holznote. Darauf etwas Süße, wie von einer schwer identifizierbaren Frucht. Aprikosenmarmelade? Mango? Umweht von einem süßlich-frischen Hauch, vielleicht Anis oder Fenchel? Darauf kommen wir später noch zurück. Ein spontaner Gedanke an Wermut [Sternanis, Fenchel und Wermut kommen später] ist hingegen rasch wieder weg.

Bald wird es latent sauber-seifig, gentleman-mäßig frisch. Helles Holz und seifig-schaumiges Moos. Dazu eine leicht zuckrige Note. Alkoholfreier Rum? Vielleicht eine Variante zuckrigen Ambers, vercremt von der moosig-schaumigen Atmosphäre. Besagte schaumig-anis-/fenchelsüße Sauber-Holznote hält anschließend rund zwei, drei Stunden und genehmigt sich des Öfteren ein guttemplerisches Schlückchen sowie bisweilen ein winziges zitrisches Fragment.

Nach fünf, sechs Stunden dürfte die cremige Note vorwiegend auf hellen Moschus zurückgehen. Plus ein Rest Zucker. Außerdem tippe ich auf eine nennenswerte Cumarin-Beteiligung.

Fazit: Angenehm. Bestimmt schön zu tragen etwa zum hellgrauen Sommeranzug.

Technische Daten: Duft – 7.0; Sillage – 5.0; Haltbarkeit – 6.0

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< fruityver > - Langer Anlauf. Oder Abstand halten!

[Frucht-Akkord, bewusst nicht eine explizite Frucht imitierend, eher eine quasi platonische Duft-Idee von Frucht, in Richtung Kernobst - Milch-Akkord, Coumarin, Rosenholz - Vetiver, Vanille]

Wie bereits in < grischan > riecht es aus dem Röhrchen likörig. Mittlerweile denke ich, dass Transport-Alkohol und Holz für diesen Grund-Gedanken verantwortlich sind. Auf der Haut zeigt sich sogleich eine dunkel-teerig-gummihaften Vetiver-Variante. [War tatsächlich auch einer der Ansätze bei diesem Duft, den Vetiver in einen ungewöhnlichen Kontext zu stellen, um bestimmte, nicht unbedingt standardmäßig mit Vetiver assoziierte Aspekte in den Vordergrund zu stellen.]

Aber zu welcher Frucht soll ich greifen? Stellen wir das einstweilen zurück. Im Untergrund erscheint nämlich gleich wieder die wohlbekannte Holznote, nur dass sie im heutigen Kontext natürlich viel kräftiger und eingedickter wirkt, beinahe gualtieri-haft.

Und immer wieder kreisen die Gedanken zurück zu einer Idee, die bereits beim Schnuppern am Röhrchen da war, jedoch abgetan wurde: Bittermandel? Verfolge ich diese Spur, könnte ich in Sachen Frucht, wie in < grischan >, bei Aprikose landen. Durchaus plausibel, ebenso die anderen „Blausäure-Obstsorten“, wie Pfirsich, Nektarine, Kirsche. Wirklich deutlich wird keine davon, wir haben es im Kern mit einem ins Finster-Staubige gedrehten Holzduft zu tun. Nach ungefähr einer Viertelstunde finde ich ihn gar etwas sehr staubig, doch die diffuse Frucht hilft. Und abermals besänftigt ein schaumig-cremiger Sauber-Dreh. Inzwischen denke ich, dass die Bittermandel-Idee aus dem Holz gespeist ist.

Das ist alles attraktiv: Cremig-dezentes Frucht-Püree mit Edel-Hautcreme-Stolz trifft auf einigermaßen sperriges (Nicht Sperr-!) Lack-Bitter-Holz mit Tischlerwerkstatt-Ambitionen. Der Sauber-Dreh ist das verbindende Element. Ich weiß freilich immer noch nicht, auf welche Frucht ich konkret zeigen soll, ich neige nun primär zu Kojak-Lolli-Kirsche.

Nach rund einer Stunde trägt eine Spur heliotropiger Vanille Süße in den Duft. Gleichwohl gelingt es weder Kojaks zweitbestem Freund noch der neuen Haupt-Verdächtigen namens ‚Vanilla Sweet‘, ein abrundendes Gegengewicht zur streng-intensiven Holznote zu liefern. Erst mit Abstand von der Haut mischt sich das zu einem anspruchsvoll-holzig-süßen Frucht-Duft. Also: Kirschlolli-Vanille auf bitter-fahldunklem Holz mit einem gewissen Synthetik-Einschlag. Das ist schon sehr speziell.

Erst ab mittags rücken süße und bittere Aspekte allmählich zusammen, während die Rätsel-Frucht zurückweicht. Der Duft wird ein bisschen einfacher. Es hilft eine neue, leicht cremige Note. Ich ahne Guajak, denn es geht latent ins H-Sahne-Mäßige. Ein Angebrannt-Dreh lässt sich ebenfalls diagnostizieren. Die Creme mischt sich etwas unglücklich mit dem Holz, bleibt aber immerhin auf genügend Abstand zum „H-“.

Am frühen Nachmittag denke ich unvermittelt an moschus(?)-cremige Vanille mit einem Bitter-Stachel. Wir erreichen nun sozusagen den leichter tragbaren Teil des Duftes, weil die anspruchsvolle Holz-Note mit dem dunkel-bitteren Gummi-Dreh untergründig-still geworden ist. Das war ein langer Anlauf. Wie schon in < grischan > bilde ich mir nach hinten raus eine Art Rum-Dreh ein. Außerdem scheint mir im Abgang Cumarin mit drin zu sein. Ansonsten würde ich das Ende als Vanille und Moschus auf ein bisschen Holz umreißen.

Fazit: In der ersten Hälfte geradezu harsch, erst mit Abstand von der Haut verschmelzen die Gegenpole. Hinten wird der Duft warm und schön, freilich weiterhin mit einer anspruchsvollen Holz-Note. Ich finde ihn insgesamt eher damenhaft, vor allem wegen des Schluss-Teils. Per saldo ist er ein bisschen anstrengend.

Technische Daten: Duft – 7.0; Sillage – 8.0; Haltbarkeit – 8.0

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< trop > - Bis ins Kokoshafte

[Tangerine, Wermut, Fenchel - Sternanis, grüne Noten, Kokosmilch - Zirbelkiefer, trockener Sandelakkord, Atlaszeder]

Abermals eine transport-alkohol-likörige Eröffnung. Eine Spur Zitrusfrucht. Süß-floral, zugleich ein bisschen säuerlich-schwitzig. Die vertraute Holznote deutet sich bereits an. Dazu eine duftige Frische von Anis oder Fenchel, die sich sehr apart mit der minimalen Säure mischt. Das ist schön spätsommerlich geraten! Sollte „trop“ sich auf Heliotrop beziehen – dann muss ich leider passen.

Das Holz wirkt diesmal mehr harzig-karamellig, indes sehr zurückgenommen. Vielleicht fügt eine Spur zuckriger Süße die Holz- und die Anis-Note zusammen. Mir fallen die Lollis vom Jahrmarkt ein und folgerichtig kommt mir Süßholz in den Sinn, wie aus dem Anis entwickelt. Halspastillen-Lakritz, doch keineswegs aufdringlich und schon gar nicht ammoniak-mäßig. Fenchel-Süßholz-Kräutertee im Holzbecher träfe es auch. Nach einer Stunde ist daraus eine luftig-duftige Aura entstanden, geerdet durch das Holz.

Im Laufe der zweiten Stunde verfalle ich auf Heu-Duftigkeit bzw. Cumarin. Ich stelle mir im Rückblick tatsächlich die Frage, ob ich mit „Anis“ nicht falsch lag. Irgendwie becremt wirkt das Ganze – Moschus?

Ich grübele zunehmend, womit ich es zu tun habe. Einerseits denke ich an lackiertes Holz – dafür ist es aber zu mild. Andererseits fühle ich mich an der Schwelle zum Marzipanigen – dafür ist es aber nicht mandelhaft-süß genug. Vielmehr ähnlich jener seltsamen Süße mancher Farben oder Lacke, die gleichermaßen abstößt wie fasziniert. Das in einem Duft nachzubilden, finde ich per se erstmal klasse, versteht sich. Schafft vielleicht helles Holz/Cashmeran plus Cumarin einen solchen Dreh?

Um die Mittagszeit ein kompletter Charakterschwenk. Ich wittere ein Duro-Zitat, allerdings in einer etwas süßeren, schmeichlerischeren Ausprägung. Dennoch ist da eine deutliche Holz-und-Lack-Note. Weniger krass als im Bowmakers von D.S. & Durga, sondern dunkler und runder.

Sogar kokoshaft ließe sich das Holz ab dem frühen Nachmittag nennen (Carbone von Balmain lässt grüßen). Wer hätte gedacht, dass es via Werkstatt-Lack noch ins Grenz-Gourmandige geht! Die cremig-kokoshafte Holz-Lack-Note begleitet mich durch den Nachmittag, wenngleich ab der siebenten Stunde sehr, sehr still. Nach hinten raus rieche ich als gehauchten Rausschmeißer wiederum Cumarin, vielleicht Ecke Tonkabohne. Am Morgen zeigt sich, dass darunter wohl eine Schicht Moschus liegt.

Technische Daten: Duft – 8.5; Sillage – 6.0; Haltbarkeit – 7.5

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< palpat > - Bahnschienen-Kuchen

[Grapefruit, Vanille - Cypriol, Kümmel, Guaiac - Myrrhe, Patchouli, Vetiver, Amyris, Zeder]

Eine rau-ansatzstinkige Ansage eröffnet. Rosengeranie hat solches Potential. Doch auch anämisch-angedeutete, seifig-wässrig-unaromatische (es riecht nicht wirklich nach Rose!) ‚Der General‘-Edelrose scheint mir dabei zu sein. Dazu bald eine überdreht süße Note wie aus einem Back-Aroma. Die drei Eindrücke schrauben sich ineinander – und bei mir in die Nase. Starker Auftakt. Im Fortgang bildet sich im Untergrund eine warm-zuckrige Note, die lustig mit dem Reinigungsmittelhaften kontrastiert. Zimt könnte beteiligt sein.

Nach knapp einer Stunde gibt heliotropige Vanille einen neuen Dreh von Floralität hinein, der dem Rosengeranien-Stink allmählich den Rang abläuft. Es verbleibt ein apartes Wechselspiel aus süß und rau, jeweils flankiert durch die florale Abstammung. Ich finde das sehr gelungen. Eine moosig-saubere, sogar latent seifige Aura liefert gewissermaßen ein Sahnehäubchen und lässt mich erstmals zögern, < palpat > als Eher-Damenduft einzuordnen.

Eine schaumig-moosig-raue Aura ersetzt die Rosengeranie. Gleichzeitig kriegt die Vanille (wenn es denn eine ist) einen neuerlichen Back-Aroma-Dreh. [Backaroma klingt schon a bissl fies:)] Bittermandel-Back-Aroma ist auch eine Option. Sieh an, ich kehre bei Divergent gerne zu ähnlichen Gedanken zurück.

Meine Lieblingkollegin, als Österreicherin meisterhaften Backens mächtig, meinte spontan: „Bahnschienen-Kuchen“. Das ist ein Kuchen in Form einer Bahnschiene aus einem Mürbeteig mit Marzipan, Johannisbeere und pipapo, am Ende Schokolade drüber. Derart gourmandig finde ich selbst den Duft allerdings überhaupt nicht.

Am Nachmittag wird < palpat > cremig, mild und freundlich. Eine feine, hellholzig-staubige Aura wird durch das Vanille-oder-wasweißich-Aroma gebunden. Milde, fein-luftige, vanillige Süße, die in Richtung sanft-staubigen Ambers ver-/geht. Staub-Holz-Vanille begleitet mich fragmentarisch-still bis weit in den Abend hinein. Am nächsten Morgen ist eine Spur Moschus als letzter Rest verblieben.

Technische Daten: Duft – 8.0; Sillage – 7.0; Haltbarkeit – 8.0

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< Im tiefen Wald >

[Nadelbäume, Gestrüpp, wilde Beeren, Büsche, Erde, Pilze, Moos, Wildschweinhaar]

Koniferig-bittergrün. Thuja-Stechen. Mein bisher bitterstes derartiges Erlebnis. Binnen Minuten schwindet das Ätherische. Als habe sich jemand auf einen Waldboden voller frischer Nadeln fallen lassen und gewöhne sich allmählich an den Geruch. Gleichzeitig mischt sich ein muffig-pilziges Aroma bei. Pilze und Moos überwuchern einen am Boden liegenden Baumstamm.

Es hat geregnet. Bloß ein kleiner Schauer, der alles erfrischt und wiederbelebt zurückließ. Tatsächlich kommt nun die Sonne durch. Ein paar Strahlenbündel haben einen Weg durch das Blätterdach gefunden und wärmen den Boden neben mir.

Nach einer Stunde dringt ein anderes Grün-Aroma zu mir. Frischer als Moos, grasiger. Wäre ich profanerer Stimmung, würde ich auf Vetiveryl-Acetat tippen [Nur natürliches Vetiver ;)], heute ist es idealisiert-frisches Gras. Bemerke ich nicht außerdem von Ferne gar den Rauch-Geruch eines kleinen Lager-Feuers?

Irgendwann erhebe ich mich, um dem Rauchgeruch auf die Spur zu kommen. Womöglich ist es ein Schwelbrand, wie bei „Norne“? Saftiges Grün und ein sacht schwelender Rauchgeruch. Das geht fraglos in die „Norne“-Richtung, ist aber naturnäher und ruhiger. Weniger rauchig.

Mit großer Ausdauer reicht diese Phase bis weit in den Nachmittag hinein. Lediglich wärmer und runder wird es im Laufe der Stunden, ohne dass sich der Charakter des Duftes ändert. Eine Spur zuckrigen Ambers sorgt für mildrauchige Süße. Erst ganz nach hinten raus wittere ich leicht kratziges Moos.

Fazit: Das sozusagen „heimeligere“ Norne. Dem dortigen Götterdämmerungs-Donnern setzt Divergent einen verwunschen-idyllischen Wichtelwald entgegen. Ich weiß nicht, welchen der beiden Düfte ich schöner finden soll. Wegen der besseren Tragbarkeit gebe ich „Im tiefen Wald“ ein kleines Plus, mehr passt ja auf meine Norne-Bewertung ohnehin nicht obendrauf.

Technische Daten: Duft – 10.0; Sillage – 7.0; Haltbarkeit – 9.0

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PS: Meine Texte beziehen sich auf frühere Batches. Laut Tomaya hat sich inzwischen „teils schon noch a bissl was getan“. Also: Selbst probieren!

* Ich zitiere Tomaya: „Ho-Holz sieht zwar aus wie ein Tippfehler, aber ist tatsächlich ein Rohstoff :). Geht vom Duftprofil in Richtung Rosenholz, viel Linalool.“
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