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Im Colognisten-Cafe: bitter-süß
Im Crellekiez ist Schöneberg wie Kreuzberg 61, ziemlich alternativ, aber inzwischen auch bürgerlich und eher schön als schrill. Und in seiner Magistrale, der Crellestraße, hatte so von 2014 bis 2018 etwa das Cafe bitter-süß seine Tür geöffnet, eines der liebenswertesten und familärsten Cafes, die ich in Berlin kannte. Sehr klein, und die Möblierung (schön, aber tendenziell wirr vom Sperrmüll zusammengesucht) ebenso unkonventionell wie das Angebot: Ich erinnere mich an selbstgebackenes Haferbrot schottischer Art zum Frühstück, exzellente englische Scones mit clotted cream zum Kaffee (es gibt sogar in Berlin nur sehr wenige Adressen, wo man das bekommt), kuriose Kaffeespezialzubereitungen (bitter) und Schokoladenspezialitäten (süß) aus aller Welt.
Die Inhaberin (mit kurdischen Wurzeln) hatte ihre multikulturelle Lebensgeschichte seinerzeit bekenntnisfreudig ins Internet gestellt: da war die Rede von einer Sozialarbeitertätigkeit in Großbritannien, von langen Wanderungen durch Südamerika mit einer Art Erweckungserlebnis unter einem Kakaobohnenstrauch und einer plötzlich erfolgten Rückkehr in die Berliner Heimat. Berührend fand ich es, wie die Chefin einmal zu früher Stunde eine traurig und ärmlich wirkende alte Frau fürsorglich bewirtete - ich vermute, es war ihre Mutter. Das bitter-süß war auf dem Weg zu einer Art Stammcafe von uns, als es so plötzlich wieder verschwand, wie es auftauchte. Mögen die Inhaberin und die alte Frau heute glücklich sein.
Bitter-süß geht es heute auch in unserem Colognisten-Cafe zu. 4711 hat inzwischen ja ein ganzes Imperium an den verschiedenartigsten Colognes in mehreren Serien aufgebaut, und vieles davon gefällt mir sehr gut! Da gibt es die Klassiker (neben dem Echt Kölnisch Wasser auch z.B. das eher orangige 'Portugal' und das etwas schräge 'Ice'), dann die Aqua-Colonia-Reihe, die Serie mit den Landschaftsimpressionen ('Scandinavian Woods' & Co) und hier die Remix-Reihe mit jährlich exakt einer Neuerscheinung. Ob diese Editionen wirklich limitiert sind, scheint mir unklar zu sein. Einen Flakon dieses Wässerchens hier habe ich jüngst regulär im Handel erworben, und unten auf dem Etikrett steht zwar "Limited Edition", aber nicht mehr, wie noch auf dem Parfumo-Bild "2018". Das sieht danach aus, als wolle man sich von einer bestimmten Jahreszahl lösen.
Die Ausgabe gehört zu den orangigen Produktionen aus dem Hause 4711. Sie ist aber anders als 'Portugal' oder auch anders als der 'Anniversary Remix' ziemlich weit vom klassischen Farina-Cologne entfernt und garantiert 100% kraut- und grünzeugfrei. Insbesondere fehlen die klassischen Zutaten Lavendel und Rosmarin komplett und werden auch nicht durch Ähnliches ersetzt. Fast alles bewegt sich hier im Bereich "bittersüße, orangige Zitrik". Demnach ist die Zitrik fast ganz ohne Säure (sogar die Zitrone kommt eher kandiert daher), und die grünen Noten sind allenfalls ein zitrisches Grün (wie die Schalen von Limetten oder noch grünen Pomeranzen). Auch Gewürze (wie in Mandarine Cardamom aus der Aqua-Colonia-Serie) fehlen.
Trotz des im Grunde sehr begrenzten Notenspektrums, was die Hauptduftrichtungen angeht, ist der Remix 2018 für ein Cologne ziemlich komplex. Und obwohl er (bitter-) süß und weich ist, kippt er nie ins Kitschige oder Klebrige ab. Die blumigen Noten (Enzian) und die synthetischen Beigaben (Cashmeran und Moschus, die hier offenbar höchst zurückhaltend eingesetzt werden und mitnichten in den Fluffpuff führen) runden die Zitrik nur ab und geben ihr Tiefe und Originalität, ohne echtes Eigengewicht mitzubringen.
Insgesamt halte ich den Remix zwar nicht für einen Geniestreich wie den Anniversary-Remix. Trotzdem ist Nicolas Beaulieu, der nach zahlreichen eher preiswerten Designerdüften inzwischen immerhin auch einen Armani Prive in seinem Portfolio vorzuweisen hat, hier ein mehr als ordentlicher, ein schöner, gefälliger, runder bittersüßer Orangenduft gelungen, den alle Freunde dieser Richtung durchaus einmal nasal verkosten sollten.
Dritter Besuch im Colognisten-Cafe.
Blog wurde aktualisiert.
Die Inhaberin (mit kurdischen Wurzeln) hatte ihre multikulturelle Lebensgeschichte seinerzeit bekenntnisfreudig ins Internet gestellt: da war die Rede von einer Sozialarbeitertätigkeit in Großbritannien, von langen Wanderungen durch Südamerika mit einer Art Erweckungserlebnis unter einem Kakaobohnenstrauch und einer plötzlich erfolgten Rückkehr in die Berliner Heimat. Berührend fand ich es, wie die Chefin einmal zu früher Stunde eine traurig und ärmlich wirkende alte Frau fürsorglich bewirtete - ich vermute, es war ihre Mutter. Das bitter-süß war auf dem Weg zu einer Art Stammcafe von uns, als es so plötzlich wieder verschwand, wie es auftauchte. Mögen die Inhaberin und die alte Frau heute glücklich sein.
Bitter-süß geht es heute auch in unserem Colognisten-Cafe zu. 4711 hat inzwischen ja ein ganzes Imperium an den verschiedenartigsten Colognes in mehreren Serien aufgebaut, und vieles davon gefällt mir sehr gut! Da gibt es die Klassiker (neben dem Echt Kölnisch Wasser auch z.B. das eher orangige 'Portugal' und das etwas schräge 'Ice'), dann die Aqua-Colonia-Reihe, die Serie mit den Landschaftsimpressionen ('Scandinavian Woods' & Co) und hier die Remix-Reihe mit jährlich exakt einer Neuerscheinung. Ob diese Editionen wirklich limitiert sind, scheint mir unklar zu sein. Einen Flakon dieses Wässerchens hier habe ich jüngst regulär im Handel erworben, und unten auf dem Etikrett steht zwar "Limited Edition", aber nicht mehr, wie noch auf dem Parfumo-Bild "2018". Das sieht danach aus, als wolle man sich von einer bestimmten Jahreszahl lösen.
Die Ausgabe gehört zu den orangigen Produktionen aus dem Hause 4711. Sie ist aber anders als 'Portugal' oder auch anders als der 'Anniversary Remix' ziemlich weit vom klassischen Farina-Cologne entfernt und garantiert 100% kraut- und grünzeugfrei. Insbesondere fehlen die klassischen Zutaten Lavendel und Rosmarin komplett und werden auch nicht durch Ähnliches ersetzt. Fast alles bewegt sich hier im Bereich "bittersüße, orangige Zitrik". Demnach ist die Zitrik fast ganz ohne Säure (sogar die Zitrone kommt eher kandiert daher), und die grünen Noten sind allenfalls ein zitrisches Grün (wie die Schalen von Limetten oder noch grünen Pomeranzen). Auch Gewürze (wie in Mandarine Cardamom aus der Aqua-Colonia-Serie) fehlen.
Trotz des im Grunde sehr begrenzten Notenspektrums, was die Hauptduftrichtungen angeht, ist der Remix 2018 für ein Cologne ziemlich komplex. Und obwohl er (bitter-) süß und weich ist, kippt er nie ins Kitschige oder Klebrige ab. Die blumigen Noten (Enzian) und die synthetischen Beigaben (Cashmeran und Moschus, die hier offenbar höchst zurückhaltend eingesetzt werden und mitnichten in den Fluffpuff führen) runden die Zitrik nur ab und geben ihr Tiefe und Originalität, ohne echtes Eigengewicht mitzubringen.
Insgesamt halte ich den Remix zwar nicht für einen Geniestreich wie den Anniversary-Remix. Trotzdem ist Nicolas Beaulieu, der nach zahlreichen eher preiswerten Designerdüften inzwischen immerhin auch einen Armani Prive in seinem Portfolio vorzuweisen hat, hier ein mehr als ordentlicher, ein schöner, gefälliger, runder bittersüßer Orangenduft gelungen, den alle Freunde dieser Richtung durchaus einmal nasal verkosten sollten.
Dritter Besuch im Colognisten-Cafe.
Blog wurde aktualisiert.
27 Antworten


Deine Rezension habe ich wieder sehr gerne gelesen, der Duft ist sowieso schon in meiner kleinen Cologne- Sammlung :-)!
Mit 4711 wurde ich in der Kindheit traktiert, besonders in der Urlaubszeit und den legendären Erfrischungstüchern. Von daher war die Skepsis groß als die vielen, bunten Variationen erschienen.
Der ein oder andere Vertreter gefällt mir sogar sehr, vor allem Lilac und Woods of Scandinavia.
Diesen hier werde ich auf jeden Fall einmal probieren :)
Mit dir war ich sehr gern in diesem Cafe und würde dort noch gern weiter verweilen, habe die Atmosphäre aufgesaugt.
Den Duft finde ich grad im Sommer richtig klasse und fein.