Tja "wer nicht testen will, muss leiden" oder was rät man jemandem, der sich trotz genügend Erfahrung noch einmal auf 'nen Blindkauf einlässt? Haha … aber es wäre ja nicht ich, wenn die Geschichte nicht gut ausginge ;-) Hier ist sie:
Am Ende einer erfolglosen Suche nach einem frischen Iris-Duft wagte ich einen Blindkauf, der jedoch viel zu süß für mich war und deshalb gleich wieder im Souk landete. Lisalui633 meldete sich, doch weil wir uns preislich nicht einigen konnten, bot sich vielleicht ein Tausch an. Seine Sammlung ist riesig und viele Düfte kannte ich noch nicht. Sehr verlockend …
Hallo? Jemand zuhause? Gehe zurück auf Los und wiederhole den ersten Satz! Der heißt doch nicht "floppt der Blindkauf, versuch's mit 'nem Blindtausch" … Haha, immerhin nannte mich Edda32 mal einen "unverbesserlichen Optimisten", andere würden es vielleicht "naiv" nennen, ich dagegen "kalkulierbares Risiko". Denn es geht hier lediglich um einen Cheapy, und ein bisschen Spaß darf doch sein, drum zog der Venetian bei mir ein (kleiner Reim für euch:)
Erster Gedanke: Wenn der so riecht wie er aussieht ziehe ich in meine Heulecke. Die müsste ich aber erst einrichten, und das mit seinem Flakon ist auch tricky. Denn auf dem Parfumo-Bild wirkt er sehr frisch, hellgrün und modern. Der Witz ist, so riecht er auch, doch so sieht der Flakon gar nicht aus. Denn in Wirklichkeit ist er recht hässlich, eher dunkelgrün, riesengroß und der irre Deckelaufsatz überflüssig und nutzlos (es sei denn, das ist 'ne Schnittstelle zum C-Netz;)
Dann der erste Zisch … ach was, 3-4 dürfen es schon sein. Und das war mutig. Sehr mutig. Denn die ersten Sekunden bestätigen leider "riecht wie er aussieht". Eine bittere Note macht sich bemerkbar: dunkelgrün, pflanzlich sperrig, synthetisch. Die erste Viertelstunde widmete ich also den Plänen für die Ausgestaltung der Heulecke. Aber dann setzte sich der Optimist in mir durch: vielleicht ist das nur einer dieser Düfte, die schon alles beim Start in die Waagschale werfen und mächtig Dampf erzeugen, um anschließend möglichst lange durchzuhalten.
Bingo! Denn der Venetian wirkt zu Beginn wie eine komprimierte Duftbombe, die sich nach einer heftigen Detonation zu einem immer schöneren Duft entfaltet. Ja, das ist es. Niemals hätte ich gedacht, dass aus diesem derben Start ein so feines Wässerchen werden kann. Denn während anfänglich alle Duftnoten wie ein Strauß verschiedenster Farben nur einen dichten braun(grünen) Bitter-Mix erzeugen, löst sich dieser bald auf und wirkt schon nach ca. einer Stunde recht angenehm. Sollte es sogar genau diese Bitter-Note sein, die den besonderen Pfiff des Duftes ausmacht?
Bingo! Denn ab der Stunde 2 dreht der Venetian auf Basis der nunmehr feinen maskulinen Herbe immer mehr ins Leichte, ins Blumelige, ins Lichte. Während sich zuvor die Kopfnoten (außer vielleicht ein wenig Zitrone und Kardamom) innerhalb der grün-bitter-Melange kaum separieren ließen, gelingt dies nun mit den Herznoten besser, zumindest was die Blumen angeht. Und nach 2,5 Stunden beginnt dieser Armaf seinen Tanz der Transparenz …
Ja, an luftige Transparenz denke ich wenn ich nach ihm greife, auch wenn er seine Synthetik nie ganz leugnen kann. Doch die ist nun bei weitem nicht mehr so intensiv wie zu Beginn und äußert sich eher als Gestaltungsmerkmal des Dufts, der zunehmend lieblicher wird, aber dabei konsequent seine kühle Frische beibehält. Wirkt fast ein wenig minzig, ist er aber nicht, sondern raffinierter, tiefer.
Seine Sillage ist zwar nach ein paar Stunden nicht mehr so laut, aber nun genau richtig, umschmeichelt sie seinen Träger doch auf halber Armlänge und ohne Unterlass - bis zu 7 Stunden. Wie gesagt, der Duft wirkt leicht kühlend, doch sein Charakter ist die längste Zeit hellgrün-blümelig, ein wenig bitter, aber synthetisch-frisch und fluffig-leicht. Einfach klasse gemacht!
Der Lavendel trägt sicher auch zur attraktiven Ambivalenz des Venetians bei, lässt sich aber nicht sonderlich herausriechen, und von Eichenmoos konnte ich gar nichts wahrnehmen (zu viel wäre ohnehin unpassend). Dafür aber etwas Moschus, der nach ca. 3-4 Stunden einsetzt und zunehmend zur feinen Lieblichkeit des Dufts beigeträgt. Und die wird auf gewisse Weise auch vom Vetiver gestützt. Der Araber erinnert mich nämlich hinsichtlich des verbauten "Light"Vetivers an Encre Noire Sport, empfinde ihn aber als den besseren Duft. Denn statt der vollsynthetischen Grapefruit des Laliques nehme ich gerne die anfängliche Bitternis des Venetians in Kauf, die ja später (in kleinerer Dosis) den besonderen Reiz ausmacht. Doch beide zeichnet diese Art "Soft-Vetiver" aus, der eher sanft, pflanzlich-hellgrün und im Verbund mit den sonstigen Noten leicht daherkommt.
Und nun noch kurz zu meinem persönlichen Highlight des Dufts:
Der beste Effekt ergibt sich, wenn man ihn (zum Ausdünnnen der Bitternis und heftigen Synthetik) gleich nach dem Aufstehen erstmal für eine gute Stunde (mit 1-2 Spritzern) auf ein Shirt sprüht, dass man erst danach anzieht und anschließend den ganzen Tag bis in die Abendstunden tragen kann, ohne dass der Duft schlapp macht. Diese federleichte Lieblichkeit und Transparenz, die dieser fein-blumige hellgrüne Vetiver auf leichter Bitter-Basis nach ein paar Stunden rüberbringt ist für meine Nase einfach phänomenal. Superfrisch und massenkompatibel ... ein 1a Freizeit- und Büroduft, wie ich finde.
Und so ist mein Blindtausch doch noch ein Hit für mich geworden, DER
Geheimtipp für den Frühling/Sommer!