Gold
Top Rezension
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"She only does what marketing wants" oder zur Sache, Schätzchen!
Madame Alix Grès (1903-1993) eröffnete ihr Modehaus 1934.
Im Jahre 1942 präsentierte sie trotzig in Paris eine Kollektion, die nur aus roten, weißen und blauen Kleidungsstücken bestand. Ein klarer Bezug zur Trikolore und eine Anspielung, die die Nazis zunächst ignorierten. Als Madame jedoch vor ihrem Laden die französische Fahne hisste, zwangen die Besatzer sie dazu, zu schließen.
Vielleicht speist sich Grès' Ruf, besonders willensstark gewesen zu sein, unter anderem aus dieser Geschichte.
Auf jeden Fall war Alix Grès zusammen mit Balenciaga und Dior eine der ganz großen Modedesigner*innen des 20. Jahrhunderts.
Ihr berühmtester Duft "Cabochard", geschaffen von Bernard Chant, bezieht sich in seinem zentralen Lederakkord auf Germaine Celliers "Bandit".
(Meine Mutter pflegte früher "Cabochard" tagsüber und "Bandit" abends zu tragen. Die beiden ergänzen sich perfekt.)
Das Besondere am klassischen "Cabochard" ist die Einbeziehung eines feinen Zitrusakkords in die Komposition, eines Akkords, der kaum Säure aufweist und so einen wunderschönen Kontrast zur holzig-ledrigen Basis bildet.
Dies nur als kurze Einleitung. Es brauchte diese Vorrede, um den Flanker "Chérie", der 2019 anlässlich des 60. Jubiläums von "Cabochard" kreiert wurde, vorzustellen und von der Mutter abzugrenzen.
Auf Fragrantica.com findet sich ein aufschlussreicher Artikel des Parfumspezialisten Miguel Matos über "Chérie".
Matos hat die Herstellerfirma beraten und war maßgeblich an der Konzeption des Flankers beteiligt.
Das Ziel war, C. zu modernisieren, ohne dabei den coolen Esprit der Mutter baden gehen zu lassen.
Parfumeurin Dorothée Piot erhielt das anspruchsvolle Briefing der Auftraggeber und entschloss sich dazu, ein kontrastreiches Parfum zu schaffen, das jüngere Käuferinnen für die Marke gewinnen soll.
Nun gehöre ich nicht zur Zielgruppe, daher wundert es Euch wahrscheinlich nicht, dass Piots Neuentwicklung mich - gelinge gesagt - nicht vom Hocker reisst.
Für meinen Geschmack ist in den Duft zu viel hineingepackt worden, auf dass er modern und ansprechend gerate, quasi ein "eierlegender Wollmilchsauduft".
Hierbei scheint mir nicht das alte "Cabochard" die Bezugsgröße gewesen zu sein, sondern andere Megaseller der letzten 10 Jahre. Man möchte jüngere Kundinnen also mit einem Duft ködern, der ihre bisherigen Konsumgewohnheiten lediglich aufgreift, anstatt sie in eine neue Richtung zu entwickeln.
"Chérie 2019" startet mit Zitrus und Obst (künstlicher Birne), im Herzen finden sich die seit Jahren beliebten Weißblüher gleich im Dreierpack (Orangenblüte, Narzisse, Freesie) und sehr schnell nehme ich den für mich dominierenden Part des Duftes wahr: kratziges, wahrscheinlich synthetisches Patchouli, zu meinem großen Leidwesen gepaart mit einer sogenannten "Praliné-Note."
Auf meiner Haut ist dieser Mix weder angenehm noch wirkt er innovativ, da man (wie bereits weiter oben ausgeführt) Ähnliches in den letzten Jahren schon sehr oft gerochen hat.
Außerdem empfinde ich "Chérie" nicht als Chypre, sondern würde ihn eher in die Kategorie Fruitchouly packen.
Und das Leder?
Man kann es wahrnehmen, aber es verhält sich völlig anders als beim Klassiker. Es ist hier im "Chérie" sehr schüchtern und lässt der Praline den Vortritt.
Von der Firma selbst wird der Duft als
"offering enhanced radiance, tenderness and a gourmet touch" beschrieben.
Zärtlichkeit kann ich bei der mich sehr störenden Patch-Variante nicht ausmachen, den "gourmet touch" jedoch auf jeden Fall.
Werbeslogen: "She only does what she wants. Do you?"
Of course I do !
Und das bedeutet in diesem Fall, "Chérie" als Fehlkauf abzuschreiben.
Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?
Da war doch mal was bei Dior...
aus "Miss Dior", dem bitteren, eleganten Chyprefräulein, wurde "Miss Dior Chérie" (wobei der erste "Chérie" ja noch toll war - und dann folgten diverse Flanker über Flanker, die heute kaum mehr jemand auseinanderhalten kann... (aber irgendwie heißen sie öfter "Chérie").
Parfums Grès gehören jedoch einem anderen Konzern als Dior, werden von der Lalique-Gruppe produziert. Auf der Webseite der Firma wird der Duft für 69 Euro angeboten, doch man findet ihn bereits ab 18 Euro/100 ml im Netz.
Sillage und Haltbarkeit sind sehr gut, für mich, die ich von dem Duft Kopfschmerzen bekomme, kein Vorteil. Eines möchte ich abschließend nicht unerwähnt lassen: Die sich in unserem Haushalt befindliche jugendliche Testerin K. (18 Jahre alt) möchte den Duft auch nicht geschenkt haben.
"Chérie" wird auf keinen Fall unser neues Schätzchen.