25.09.2013 - 16:43 Uhr
Palonera
467 Rezensionen
Palonera
Top Rezension
31
Zeitreisen mit dem Zeitgeist
Es läßt sich nicht länger leugnen: Ich bin alt geworden.
Eigentlich erzählt mir mein Spiegel ja etwas anderes, eigentlich mag ich derlei unangenehme Wahrheiten weder akzeptieren noch gar verbreiten, eigentlich werden all jene, die noch früher geboren sind als ich, mir ohnehin einen Vogel zeigen.
Und dennoch: Meine Reisen in die Vergangenheit werden immer länger, immer weiter muß ich zurückgehen bei der zeitlichen Lokalisation einer ganz bestimmten Erinnerung, eines Erlebnisses, einer Person, die mir in den Sinn kommt, wenn der Name eines Duftes fällt oder er mir gar in die Nase steigt.
So erging es mir heute beim Stichwort "Jil Sander".
Wie lange ist es her, seit die vielleicht größte, in jedem Fall aber bekannteste deutsche Designerin und ihre Düfte zu meinem fast täglichen Sprachgebrauch gehörten, seit jedermann und jedefrau, der und die etwas auf sich hielt, mindestens einen Sander-Duft stolz im heimischen Badezimmer präsentierte?
Zwei Jahrzehnte und weiter liegt sie zurück, diese Zeit, in der meine Parfumleidenschaft täglich frische Nahrung erhielt durch immer neue Begegnungen mit Menschen, für die ein Duft unabdingbarer Bestandteil ihrer Garderobe war, die Zeichen setzen und nicht selten ihr Revier markieren wollten.
Das fiel in jener Zeit nicht schwer, denn Dezenz und Understatement gehörten eher nicht zu den herausragenden Eigenschaften der Menschen, Kleider und Düfte, die in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern die Szene beherrschten.
Mit einer Ausnahme vielleicht: Jil Sander zelebrierte in ihrer Mode stets klassisch-kühle Zurückhaltung, puristische Strenge – die sich freilich in ihren Düften nicht wiederfand, denn diese waren durchaus dem Zeitgeist angepaßt und nicht dazu angetan, ihre Träger unbemerkt bleiben zu lassen.
Sie trugen "Background" und "Man III", die Männer, die zu jener Zeit meinen Weg kreuzten, eine kleine Weile oder länger Gast in meinem Leben waren und es in dieser oder jener Hinsicht bereicherten und prägten.
Kolleginnen wie Freundinnen liebten "Jil" und "Sun", mein eigenes Herz gewann "No. 4" und verlor es wieder, während die Frau meines damaligen Vorgesetzten tagein, tagaus "Woman III" trug und den Duft damit auf meine persönliche "Mustn't have"-Liste setzte.
Irgendwann legte sich der Hype, irgendwann nahm man auch wieder andere Düfte wahr, irgendwann war Jil Sander aus meinem Radius verschwunden, bis sie sich mit "Sensations" wieder in mein Blick- und Geruchsfeld schob.
Sehr viel leiser war das als alles, was zuvor den Namen Jil Sander auf dem Flacon getragen hatte, sanft und süß und einmal mehr dem kapriziös-flatterhaften Zeitgeist angedient, mit dem wiederum ich zu jener Zeit nicht viel anfangen konnte.
Und so kam es, wie es kommen mußte: Sie gerieten mir aus den Augen, Jils Düfte, und damit aus dem Sinn.
Bis irgendwann und irgendwie auf verschlungenen Wegen "Stylessence" in meine Sammlung fand.
Wie genau das vonstatten ging, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren – auch mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste -, doch eines Tages war er halt da, der dunkelblaue Quader mit der rosafarbenen Aufschrift.
Lange stand er unbehelligt im Regal und mußte zusehen, wie meine Wahl stets auf den einen oder die andere seiner vielen Brüder und Schwestern fiel, bis ihm anscheinend klar wurde, daß "fallen" sein spezielles Stichwort war, und er sich mir beherzt entgegenwarf, als ich gestern ungeschickt nach seinem Nebenmann griff.
Ich konnte ihn gerade noch auffangen und vor dem Zerschellen retten – und fand, soviel Tollkühnheit müsse belohnt werden.
"Pffft" machte es...
...und ich finde mich wieder inmitten einer Wolke süßester Orangenblüten, dahintreibend auf einem Strom aus Orangensaft - der offensichtlich dem Garten Eden entsprungen ist, denn mein Gehirn meldet unmittelbar Parallelen zu Cacharels "Eden", das mir seinerzeit leider überhaupt nicht paradiesisch erschien.
Zum Glück währt diese Ähnlichkeit nur einen Wimpernschlag lang und weicht einer zunehmenden Holzigkeit, ohne daß freilich die Dominanz der süßen Orange auch nur annähernd in Frage gestellt würde.
"Orangenmarmelade!" denke ich, doch es ist nicht die feinherbe englische Konfitüre, sondern jene Art, die fast ausschließlich aus Zucker zu bestehen scheint und die allein vom Anschauen schon Karies verursacht.
Mir wird ein wenig unwohl und ich hoffe auf die versprochenen grünen und würzigen Noten, die sich jedoch nicht einstellen wollen – stattdessen nimmt die Süße weiter zu und auch der Beste aller Männer rümpft nun die Nase.
Zu diesem Zeitpunkt ist klar: Zum Zwecke trauter Zweisamkeit sollte ich "Stylessence" besser nicht auflegen.
Einige Stunden später hat sich die Süße auf ein sozialverträgliches Maß zurückgezogen, präsentiert "Stylessence" eine warmblumige Basis, der noch immer Spuren von Orange zu entnehmen sind und die durch das Holz etwas ernstere Züge gewinnt, ohne daß es nennenswerten Einfluß auf den Charakter des Duftes nähme.
Das riecht gut, zugegeben, weist jedoch nicht in Ansätzen jenen Wiedererkennungswert auf, den ich einmal mit dem Namen und den Düften von Jil Sander verbunden habe – und so bin ich etwas erstaunt, "Stylessence" demselben Parfümeur zuordnen zu müssen wie die "Beloved"-Creationen des Hauses Amouage, die auf einen gewaltigen Entwicklungssprung hinzudeuten scheinen.
Vielleicht ist auch er einfach älter geworden, der gute Bernard Ellena?!
Eigentlich erzählt mir mein Spiegel ja etwas anderes, eigentlich mag ich derlei unangenehme Wahrheiten weder akzeptieren noch gar verbreiten, eigentlich werden all jene, die noch früher geboren sind als ich, mir ohnehin einen Vogel zeigen.
Und dennoch: Meine Reisen in die Vergangenheit werden immer länger, immer weiter muß ich zurückgehen bei der zeitlichen Lokalisation einer ganz bestimmten Erinnerung, eines Erlebnisses, einer Person, die mir in den Sinn kommt, wenn der Name eines Duftes fällt oder er mir gar in die Nase steigt.
So erging es mir heute beim Stichwort "Jil Sander".
Wie lange ist es her, seit die vielleicht größte, in jedem Fall aber bekannteste deutsche Designerin und ihre Düfte zu meinem fast täglichen Sprachgebrauch gehörten, seit jedermann und jedefrau, der und die etwas auf sich hielt, mindestens einen Sander-Duft stolz im heimischen Badezimmer präsentierte?
Zwei Jahrzehnte und weiter liegt sie zurück, diese Zeit, in der meine Parfumleidenschaft täglich frische Nahrung erhielt durch immer neue Begegnungen mit Menschen, für die ein Duft unabdingbarer Bestandteil ihrer Garderobe war, die Zeichen setzen und nicht selten ihr Revier markieren wollten.
Das fiel in jener Zeit nicht schwer, denn Dezenz und Understatement gehörten eher nicht zu den herausragenden Eigenschaften der Menschen, Kleider und Düfte, die in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern die Szene beherrschten.
Mit einer Ausnahme vielleicht: Jil Sander zelebrierte in ihrer Mode stets klassisch-kühle Zurückhaltung, puristische Strenge – die sich freilich in ihren Düften nicht wiederfand, denn diese waren durchaus dem Zeitgeist angepaßt und nicht dazu angetan, ihre Träger unbemerkt bleiben zu lassen.
Sie trugen "Background" und "Man III", die Männer, die zu jener Zeit meinen Weg kreuzten, eine kleine Weile oder länger Gast in meinem Leben waren und es in dieser oder jener Hinsicht bereicherten und prägten.
Kolleginnen wie Freundinnen liebten "Jil" und "Sun", mein eigenes Herz gewann "No. 4" und verlor es wieder, während die Frau meines damaligen Vorgesetzten tagein, tagaus "Woman III" trug und den Duft damit auf meine persönliche "Mustn't have"-Liste setzte.
Irgendwann legte sich der Hype, irgendwann nahm man auch wieder andere Düfte wahr, irgendwann war Jil Sander aus meinem Radius verschwunden, bis sie sich mit "Sensations" wieder in mein Blick- und Geruchsfeld schob.
Sehr viel leiser war das als alles, was zuvor den Namen Jil Sander auf dem Flacon getragen hatte, sanft und süß und einmal mehr dem kapriziös-flatterhaften Zeitgeist angedient, mit dem wiederum ich zu jener Zeit nicht viel anfangen konnte.
Und so kam es, wie es kommen mußte: Sie gerieten mir aus den Augen, Jils Düfte, und damit aus dem Sinn.
Bis irgendwann und irgendwie auf verschlungenen Wegen "Stylessence" in meine Sammlung fand.
Wie genau das vonstatten ging, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren – auch mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste -, doch eines Tages war er halt da, der dunkelblaue Quader mit der rosafarbenen Aufschrift.
Lange stand er unbehelligt im Regal und mußte zusehen, wie meine Wahl stets auf den einen oder die andere seiner vielen Brüder und Schwestern fiel, bis ihm anscheinend klar wurde, daß "fallen" sein spezielles Stichwort war, und er sich mir beherzt entgegenwarf, als ich gestern ungeschickt nach seinem Nebenmann griff.
Ich konnte ihn gerade noch auffangen und vor dem Zerschellen retten – und fand, soviel Tollkühnheit müsse belohnt werden.
"Pffft" machte es...
...und ich finde mich wieder inmitten einer Wolke süßester Orangenblüten, dahintreibend auf einem Strom aus Orangensaft - der offensichtlich dem Garten Eden entsprungen ist, denn mein Gehirn meldet unmittelbar Parallelen zu Cacharels "Eden", das mir seinerzeit leider überhaupt nicht paradiesisch erschien.
Zum Glück währt diese Ähnlichkeit nur einen Wimpernschlag lang und weicht einer zunehmenden Holzigkeit, ohne daß freilich die Dominanz der süßen Orange auch nur annähernd in Frage gestellt würde.
"Orangenmarmelade!" denke ich, doch es ist nicht die feinherbe englische Konfitüre, sondern jene Art, die fast ausschließlich aus Zucker zu bestehen scheint und die allein vom Anschauen schon Karies verursacht.
Mir wird ein wenig unwohl und ich hoffe auf die versprochenen grünen und würzigen Noten, die sich jedoch nicht einstellen wollen – stattdessen nimmt die Süße weiter zu und auch der Beste aller Männer rümpft nun die Nase.
Zu diesem Zeitpunkt ist klar: Zum Zwecke trauter Zweisamkeit sollte ich "Stylessence" besser nicht auflegen.
Einige Stunden später hat sich die Süße auf ein sozialverträgliches Maß zurückgezogen, präsentiert "Stylessence" eine warmblumige Basis, der noch immer Spuren von Orange zu entnehmen sind und die durch das Holz etwas ernstere Züge gewinnt, ohne daß es nennenswerten Einfluß auf den Charakter des Duftes nähme.
Das riecht gut, zugegeben, weist jedoch nicht in Ansätzen jenen Wiedererkennungswert auf, den ich einmal mit dem Namen und den Düften von Jil Sander verbunden habe – und so bin ich etwas erstaunt, "Stylessence" demselben Parfümeur zuordnen zu müssen wie die "Beloved"-Creationen des Hauses Amouage, die auf einen gewaltigen Entwicklungssprung hinzudeuten scheinen.
Vielleicht ist auch er einfach älter geworden, der gute Bernard Ellena?!
13 Antworten