18.07.2020 - 12:32 Uhr
Unterholz
54 Rezensionen
Unterholz
Top Rezension
Die Lust ist eine Art Vollendung des Wirkens
Derzeit nähere ich mich dem Weihrauch an. Eine Note, die es bei mir schwer hat. Oft empfinde ich Weihrauch in Parfums als dominant, ablenkend oder gar (zer-)störend. Monothematische Düfte damit sind ganz schwierig, je nachdem, welche Aspekte des Räucherharzes herausgearbeitet werden: balsamische, harzige, kampherische, klebrige, koniferische, rauchige, süssliche, teerige, zitrische…
Lange Vorrede, kurzer Sinn: Ich mag Weihrauch nur „hell“. Unsüss, holzig, grün oder im hesperidischen Kontext. Unter Vorbehalt auch mit floralen Begleitern wie Rose, Lavendel oder Jasmin. Was mich überanstrengt, ist die Kombination mit Vanille oder (zu viel) Amber, Leder, Oud oder wenn es schlicht pappsüss, zu harzig oder klebrig riecht.
Geht es um den Rohstoff, so heisst es, die beste Qualität sei das sogenannte Olibanum. Eine helle Weihrauchsorte von der arabischen Halbinsel, die in „Spätlese“ geerntet wird und in dicken hellgelben „Tränen“ in den Handel kommt. Sie deckt quasi das ganze oben genannte Aromenprofil ab und besitzt die tiefste Strahlkraft.
Es gibt wohl keinen weiteren Duftstoff, der so zwingend mit Spiritualität und Religiosität verknüpft wird wie Weihrauch. Ein Grund, warum es einige Düfte mit religiös inspirierten Titeln gibt: Cardinal, Encens Flamboyant, Messe de Minuit, Avignon, Zagorsk, Passage d‘ Enfer, Mea Culpa etc.
Den Bezug zum heiligen Räucherwerk kann ein Parfumeur, eine Parfumeurin gar nicht missachten. Es gibt eigentlich nur die Möglichkeit diese Vorurteile zu bestätigen oder sie auszukontern, indem man etwas macht, das niemand erwartet… Ich denke da an den abstrahierten Weihrauch in Pradas Infusion d' Homme oder Serge Lutens‘ L‘ Eau froide.
Lorenzo Villoresi muss sich das im Titel stehende Zitat von Thomas von Aquin zur Vorlage für seine Kreation genommen haben. Seine Lust ist die der Verführung, der Täuschung und die Neigung zur Pointe à la „Des Kaisers neue Kleider“! Und sein Incensi – Achtung Plural: Weihräuche! – steht ziemlich zwischen Tischen und Stühlen was meine bisherigen Erfahrungen mit Weihrauch betrifft. Da lächelt sich der Villoresi vielleicht grad ins Fäustchen.
Während des gesamten Duftverlaufs ist ein potenter Weihrauch wahrnehmbar. Ich denke, da wurden verschiedene Rohstoffe verwendet, ev. auch das verwandte Elemiharz. Er wirkt frisch, kaum harzig, auch nicht eigentlich rauchig und ist eher von der zitrisch-koniferischen Art. Interessant ist, wie Villoresi den Duft weiter ausgestaltet. Die gourmandige, fruchtige Startphase mit Apfel, Zimt, angesäuert mit ein wenig Zitrone oder Bergamotte, wirkt fast absurd in diesem Kontext. Kirmes? Weihnachten? Heilige 3 Könige? Pot Pourri? Apfelmus mit Zimt? Holy Moly!
Obwohl Incensi während seines gesamten Verlaufs nie wirklich süss wird, hat er von Anfang an ein gewisses Fruchtvolumen. Birnendicksaft statt Zucker. Zimt ist stets wahrnehmbar, das muss man schon mögen, ich denke, hier wurde eine fiese Portion Styraxharz verarbeitet, welches sehr zimtig riechen kann. Incensi verändert sich wenig, von einem klassischen Duftverlauf in 3 Phasen keine Rede. Schnell kann man sandelholzige, schmelzige, ja auch ein wenig salzige (fast schon wurstig-fleischige) weiche Balsamnoten wahrnehmen, die die Eckpfeiler des Parfums sind und den Weihrauch wie in einer Sänfte mit sich tragen. Er entschwindet eigentlich erst ganz zuletzt ins Nirvana, während ein paar süsslich-balsamische Noten hienieden verbleiben müssen um seine Apotheose zu verwalten.
Eine abgestimmte und doch sehr eigenwillige Komposition. Die Projektion ist bei diesem Parfum nicht zu unterschätzen und die Haltbarkeit ist sehr gut. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich Incensi wirklich gelungen finden soll oder ob es sich wie befürchtet um einen fiesen Scherz des Parfumeurs handelt. Und weiter, ob man oft in Stimmung für einen solchen fruchtig-wollüstigen Duft ist. Ich denke da gleich an den Sündenfall im Paradies und wie Hieronymus Boschs obszöne Wimmelbilder diese Geschichte lustvoll inszenieren. Ewiglich locken Teufel, Weib (oder Kerl), Wollust, Versuchung und Verführung… Ein riesen Aufstand, von Menschen, Engeln und Dämonen!
Aber der Mensch ist bei Villoresi nicht Opfer eines strafenden, zornigen Gottes wie im Alten Testament, sondern Spielball eines ganzen Pantheons. Ein Stück Fleisch, ein Gefäss, das man Verführen, an dem man sich verlustieren, das man füllen, beeinflussen und herumreichen kann. Im sexuellen wie im geistigen Sinn. Die alte Geschichte von Göttern, Priestern und Menschen. Doch die letzte Frage lautet: Wer ist hier Täter, wer ist Opfer?
Sweet dreams are made of this
Who am I to disagree
I travel the world and the seven seas
Everybody's looking for something
Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to abuse you
Some of them want to be abused
(Eurythmics)
Lange Vorrede, kurzer Sinn: Ich mag Weihrauch nur „hell“. Unsüss, holzig, grün oder im hesperidischen Kontext. Unter Vorbehalt auch mit floralen Begleitern wie Rose, Lavendel oder Jasmin. Was mich überanstrengt, ist die Kombination mit Vanille oder (zu viel) Amber, Leder, Oud oder wenn es schlicht pappsüss, zu harzig oder klebrig riecht.
Geht es um den Rohstoff, so heisst es, die beste Qualität sei das sogenannte Olibanum. Eine helle Weihrauchsorte von der arabischen Halbinsel, die in „Spätlese“ geerntet wird und in dicken hellgelben „Tränen“ in den Handel kommt. Sie deckt quasi das ganze oben genannte Aromenprofil ab und besitzt die tiefste Strahlkraft.
Es gibt wohl keinen weiteren Duftstoff, der so zwingend mit Spiritualität und Religiosität verknüpft wird wie Weihrauch. Ein Grund, warum es einige Düfte mit religiös inspirierten Titeln gibt: Cardinal, Encens Flamboyant, Messe de Minuit, Avignon, Zagorsk, Passage d‘ Enfer, Mea Culpa etc.
Den Bezug zum heiligen Räucherwerk kann ein Parfumeur, eine Parfumeurin gar nicht missachten. Es gibt eigentlich nur die Möglichkeit diese Vorurteile zu bestätigen oder sie auszukontern, indem man etwas macht, das niemand erwartet… Ich denke da an den abstrahierten Weihrauch in Pradas Infusion d' Homme oder Serge Lutens‘ L‘ Eau froide.
Lorenzo Villoresi muss sich das im Titel stehende Zitat von Thomas von Aquin zur Vorlage für seine Kreation genommen haben. Seine Lust ist die der Verführung, der Täuschung und die Neigung zur Pointe à la „Des Kaisers neue Kleider“! Und sein Incensi – Achtung Plural: Weihräuche! – steht ziemlich zwischen Tischen und Stühlen was meine bisherigen Erfahrungen mit Weihrauch betrifft. Da lächelt sich der Villoresi vielleicht grad ins Fäustchen.
Während des gesamten Duftverlaufs ist ein potenter Weihrauch wahrnehmbar. Ich denke, da wurden verschiedene Rohstoffe verwendet, ev. auch das verwandte Elemiharz. Er wirkt frisch, kaum harzig, auch nicht eigentlich rauchig und ist eher von der zitrisch-koniferischen Art. Interessant ist, wie Villoresi den Duft weiter ausgestaltet. Die gourmandige, fruchtige Startphase mit Apfel, Zimt, angesäuert mit ein wenig Zitrone oder Bergamotte, wirkt fast absurd in diesem Kontext. Kirmes? Weihnachten? Heilige 3 Könige? Pot Pourri? Apfelmus mit Zimt? Holy Moly!
Obwohl Incensi während seines gesamten Verlaufs nie wirklich süss wird, hat er von Anfang an ein gewisses Fruchtvolumen. Birnendicksaft statt Zucker. Zimt ist stets wahrnehmbar, das muss man schon mögen, ich denke, hier wurde eine fiese Portion Styraxharz verarbeitet, welches sehr zimtig riechen kann. Incensi verändert sich wenig, von einem klassischen Duftverlauf in 3 Phasen keine Rede. Schnell kann man sandelholzige, schmelzige, ja auch ein wenig salzige (fast schon wurstig-fleischige) weiche Balsamnoten wahrnehmen, die die Eckpfeiler des Parfums sind und den Weihrauch wie in einer Sänfte mit sich tragen. Er entschwindet eigentlich erst ganz zuletzt ins Nirvana, während ein paar süsslich-balsamische Noten hienieden verbleiben müssen um seine Apotheose zu verwalten.
Eine abgestimmte und doch sehr eigenwillige Komposition. Die Projektion ist bei diesem Parfum nicht zu unterschätzen und die Haltbarkeit ist sehr gut. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich Incensi wirklich gelungen finden soll oder ob es sich wie befürchtet um einen fiesen Scherz des Parfumeurs handelt. Und weiter, ob man oft in Stimmung für einen solchen fruchtig-wollüstigen Duft ist. Ich denke da gleich an den Sündenfall im Paradies und wie Hieronymus Boschs obszöne Wimmelbilder diese Geschichte lustvoll inszenieren. Ewiglich locken Teufel, Weib (oder Kerl), Wollust, Versuchung und Verführung… Ein riesen Aufstand, von Menschen, Engeln und Dämonen!
Aber der Mensch ist bei Villoresi nicht Opfer eines strafenden, zornigen Gottes wie im Alten Testament, sondern Spielball eines ganzen Pantheons. Ein Stück Fleisch, ein Gefäss, das man Verführen, an dem man sich verlustieren, das man füllen, beeinflussen und herumreichen kann. Im sexuellen wie im geistigen Sinn. Die alte Geschichte von Göttern, Priestern und Menschen. Doch die letzte Frage lautet: Wer ist hier Täter, wer ist Opfer?
Sweet dreams are made of this
Who am I to disagree
I travel the world and the seven seas
Everybody's looking for something
Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to abuse you
Some of them want to be abused
(Eurythmics)
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