20.10.2020 - 09:05 Uhr
Gold
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Top Rezension
34
Reingefallen!
Werbung wirkt. Um dies zu begreifen, muß man nicht erst "Emily in Paris" gucken, eine oberflächliche Netflix-Serie, in der eine junge Marketing-Spezialistin aus Chicago eine alteingesessene Werbeagentur in Paris aufmischt (für Parfum-Fans trotz aller berechtigter Kritik dennoch interessant, geht es doch in der Serie hauptsächlich um die Vermarktung von Parfum und Mode in Zeiten von Influencern und "mass market culture".)
Reklame findet immer wieder ihre Opfer, zum Beispiel verrückte Flakon-Sammlerinnen wie mich.
Im Falle der Art Collection 2020 war ich die perfekte Kundin. Vor zwei Wochen drückte man mir in der Parfumerie meines Vertrauens eine neue Ausgabe der "Beauty Talk" in die Hand. Dort las ich einen kleinen Artikel, der überschrieben ist mit
"Kunstsache".
Zitat: "Wer gern mit allen Sinnen genießt, wird seine Freude an den Flakons von RUH ZADEH und Martine Micallef haben - jeder der 1 bis 2000 nummerierten Flakons ist ein handbemaltes Unikat."
Reicht schon. Also, für mich.
Zum einen, weil Martine Micallef berühmt ist für ihre fantastischen, edlen Flakons (hätte ich an der Stelle meinen Verstand eingeschaltet, hätte ich bereits zugeben müssen, daß Micallef jedoch nicht unbedingt aufgrund ihrer Düfte "an sich" bekannt ist....), zum anderen, weil einer der Bestandteile des Namens der hier genannten , sagen wir mal, Protagonisten, in einem sehr persönlichen Kontext zu mir steht.
Der junge Künstler Ruh (schöner Vorname, bedeutet "Seele") Zadeh kommt jedenfalls aus Azerbaïdjan.
Auf seinem Instagram-Account kann man seine durchaus beeindruckende Kunst bewundern. Irgendwo findet sich da auch ein Foto von Ruh und Martine Micallef, die den Maler auf einer ihrer Reisen entdeckt hat. Tja, dann war sie wohl in Baku. Näheres dazu konnte ich allerdings nicht finden.
Wer die Geschichte des Hauses Micallef nicht kennt, dem würde ich am liebsten zitieren, was mir heute morgen eine liebe Freundin hier auf Parfumo dazu in einer PM schrieb (Fleuri, ich umschreibe es mal kurz): "Ein Millionär aus den USA und eine Flakonproduzentin aus Grasse mit einer Vorliebe für Bling-Bling taten sich 1996 zusammen, um Luxusdüfte in aufwendigen Flaschen an reiche Konsument*innen in arabischen Ländern zu verkaufen."
Auf "Basenotes" findet sich die umfangreichste Auflistung aller Micallef-Düfte, die bisher erschienen sind, 153 an der Zahl. Nicht alle dieser Kreationen wurden bisher überhaupt mit einer Kritik bzw. einem Kommentar bedacht. Das allgemeine Echo bzw. die Bewertungen sind jedoch nicht negativ, sondern im oberen Mittelfeld angesiedelt, denn die Parfums werden immerhin in Frankreich hergestellt und zwar von einer Nase, nämlich von Jean-Claude Astier, dem "in-house-perfumer". Für einige Nobel-Parfümerien (so z.B. für Bruckner in München oder Osswald) wurden spezielle Parfums angefertigt und in "limited distribution" vertrieben. Es existieren verschiedene umfangreiche Serien, z.B. Secrets of Love mit "Delice, Glamour, Gourmet" etc. eine Baby-Kollektion ("Petite Fleur, Tendre Douceur"), die Mon Parfum Collection , die Jahreszeiten-Kollektion, die Vanille-Kollektion, die Jewel-Collection und wahrscheinlich für den russischen Markt die Sashka-Kollektion... (und noch viele weitere!).
Keiner der Düfte riecht wirklich schlecht, die meisten sind voluminöse, üppige Kreationen, qualitativ hochwertige Zutaten wie echte Blütenabsolus oder Extrakte aus Grasse scheinen durchaus des öfteren zum Einsatz zu kommen.
Die "Art Collection" begann 2011, wurde nur bis 2014 fortgesetzt und jetzt 2020 wieder aufgegriffen.
Was sagte jetzt "Beauty Talk" über den Duft in der künstlerisch gestalteten Flasche?
Ich will es Euch nicht vorenthalten:
"...eine zauberhafte Kreation aus frischen Aromen von Bergamotte und Mandarine, die auf Cashmeran, Muskatnuss und Leder treffen. Ein Kontrast, der Harmonie versprüht und beim Tragen ein Gefühl von Modernität und Vitalität erzeugt."
Klingt vielversprechen, oder?
Im Eifer des Gefechts oder auch der Vorfreude, als der Bestellfinger schon schlimm juckte, weil ich (Ihr wisst das schon) ein Flakonfreak und eine Namensfetischistin bin, überlas ich - ja, übersah ich DAS kleine Molekül, das mich normalerweise immer triggert (und zwar negativ!) in der Auflistung.
CASH-MER-AN.
Cashmeran. Wie konnte mir das passieren?
Ich überspringe jetzt langweilige "Un-Boxing-"Nummern und komme gleich zum Punkt:
Der Duft ist LAHM. Meinetwegen auch "lame".
Er startet in der Tat toll, frisch und sehr vielversprechend. Aber dann... aber dann.
Cashmeran übernimmt.
Irgend'nen Parfum-Influencer, der in einem sehr schicken Ambiente den Duft "unboxt" und dazu ziemlich unqualifizierte Kommentare aus seinem edlen Apartment in die Welt geblasen hat, erzählt auf YouTube, daß "Art Collection 2020" eine tolle Alternative für alle sei, die mal etwas anderes wollten als "Aventus". Also 'ne Creed_Variante. So iregdnwie. Für ihn ist der "Art Collection" alles: "It's woody, it's fresh, it's aromatic, it's sexy"... balahahabalaha - und vor allem es ist schön teuer!
Yatagan, dem ich eine Abfüllung schickte, um nicht ganz so allein mit meiner Nicht-Begeisterung dazustehen, sieht in dem Duft nur eine repetitive 90er-Nummer. Er hat auf jeden Fall Recht mit seiner Einschätzung. Mich stört (wie schon erwähnt) das Cashmeran massiv - und das macht den Duft dann doch "very 2020". Wenig Grasse/France und viel Drogeriemarkt/Holzminden.
Außerdem ärgert mich, daß das Produkt als "unisex" vermarktet wird, obwohl es einfach nur riecht wie ein durchschnittlicher Herrenduft. Leder und Muskatnuss habe ich überhaupt nicht wahrgenommen.
Lediglich die Kopfnote spricht mich an.
Gestern checkte ich für diesen Kommentar das allseits bekannte Werk von Turin/Sanchez, Perfumes: The Guide. Micallef kommt nicht vor. Weder im ersten Band von 2008 noch im zweiten von 2018.
Dafür möchte ich aber mit einem Zitat von Tania Sanchez schließen (Perfumes: The Guide, 2008, p. 26/27):
"Fragrances for men are mostly identical crap... Largely, they just fail the Guy Robert base criterion: a fragrance must smell good. They are also, for the most part, uniform copies of accepted forms, like varieties of suits, an array of different types of banal."
Diese Kritik trifft leider auf den Art Collection-Duft 2020 zu. Er ist lediglich eine Variante eines traurigen, banalen Trends in der Parfümerie, immer wieder und wieder den alten "Wein" (oder "jus") in einem neuen (hier kunstvoll gestalteten) Behältnis zu präsentieren.
Hoffentlich hat wenigstens der junge Künstler Ruh Zadeh aus Baku etwas davon! Denn ansonsten wären meine 245 Euro wirklich ganz, ganz schlecht investiert gewesen.
Ich elendes Opfer, ey...
Reklame findet immer wieder ihre Opfer, zum Beispiel verrückte Flakon-Sammlerinnen wie mich.
Im Falle der Art Collection 2020 war ich die perfekte Kundin. Vor zwei Wochen drückte man mir in der Parfumerie meines Vertrauens eine neue Ausgabe der "Beauty Talk" in die Hand. Dort las ich einen kleinen Artikel, der überschrieben ist mit
"Kunstsache".
Zitat: "Wer gern mit allen Sinnen genießt, wird seine Freude an den Flakons von RUH ZADEH und Martine Micallef haben - jeder der 1 bis 2000 nummerierten Flakons ist ein handbemaltes Unikat."
Reicht schon. Also, für mich.
Zum einen, weil Martine Micallef berühmt ist für ihre fantastischen, edlen Flakons (hätte ich an der Stelle meinen Verstand eingeschaltet, hätte ich bereits zugeben müssen, daß Micallef jedoch nicht unbedingt aufgrund ihrer Düfte "an sich" bekannt ist....), zum anderen, weil einer der Bestandteile des Namens der hier genannten , sagen wir mal, Protagonisten, in einem sehr persönlichen Kontext zu mir steht.
Der junge Künstler Ruh (schöner Vorname, bedeutet "Seele") Zadeh kommt jedenfalls aus Azerbaïdjan.
Auf seinem Instagram-Account kann man seine durchaus beeindruckende Kunst bewundern. Irgendwo findet sich da auch ein Foto von Ruh und Martine Micallef, die den Maler auf einer ihrer Reisen entdeckt hat. Tja, dann war sie wohl in Baku. Näheres dazu konnte ich allerdings nicht finden.
Wer die Geschichte des Hauses Micallef nicht kennt, dem würde ich am liebsten zitieren, was mir heute morgen eine liebe Freundin hier auf Parfumo dazu in einer PM schrieb (Fleuri, ich umschreibe es mal kurz): "Ein Millionär aus den USA und eine Flakonproduzentin aus Grasse mit einer Vorliebe für Bling-Bling taten sich 1996 zusammen, um Luxusdüfte in aufwendigen Flaschen an reiche Konsument*innen in arabischen Ländern zu verkaufen."
Auf "Basenotes" findet sich die umfangreichste Auflistung aller Micallef-Düfte, die bisher erschienen sind, 153 an der Zahl. Nicht alle dieser Kreationen wurden bisher überhaupt mit einer Kritik bzw. einem Kommentar bedacht. Das allgemeine Echo bzw. die Bewertungen sind jedoch nicht negativ, sondern im oberen Mittelfeld angesiedelt, denn die Parfums werden immerhin in Frankreich hergestellt und zwar von einer Nase, nämlich von Jean-Claude Astier, dem "in-house-perfumer". Für einige Nobel-Parfümerien (so z.B. für Bruckner in München oder Osswald) wurden spezielle Parfums angefertigt und in "limited distribution" vertrieben. Es existieren verschiedene umfangreiche Serien, z.B. Secrets of Love mit "Delice, Glamour, Gourmet" etc. eine Baby-Kollektion ("Petite Fleur, Tendre Douceur"), die Mon Parfum Collection , die Jahreszeiten-Kollektion, die Vanille-Kollektion, die Jewel-Collection und wahrscheinlich für den russischen Markt die Sashka-Kollektion... (und noch viele weitere!).
Keiner der Düfte riecht wirklich schlecht, die meisten sind voluminöse, üppige Kreationen, qualitativ hochwertige Zutaten wie echte Blütenabsolus oder Extrakte aus Grasse scheinen durchaus des öfteren zum Einsatz zu kommen.
Die "Art Collection" begann 2011, wurde nur bis 2014 fortgesetzt und jetzt 2020 wieder aufgegriffen.
Was sagte jetzt "Beauty Talk" über den Duft in der künstlerisch gestalteten Flasche?
Ich will es Euch nicht vorenthalten:
"...eine zauberhafte Kreation aus frischen Aromen von Bergamotte und Mandarine, die auf Cashmeran, Muskatnuss und Leder treffen. Ein Kontrast, der Harmonie versprüht und beim Tragen ein Gefühl von Modernität und Vitalität erzeugt."
Klingt vielversprechen, oder?
Im Eifer des Gefechts oder auch der Vorfreude, als der Bestellfinger schon schlimm juckte, weil ich (Ihr wisst das schon) ein Flakonfreak und eine Namensfetischistin bin, überlas ich - ja, übersah ich DAS kleine Molekül, das mich normalerweise immer triggert (und zwar negativ!) in der Auflistung.
CASH-MER-AN.
Cashmeran. Wie konnte mir das passieren?
Ich überspringe jetzt langweilige "Un-Boxing-"Nummern und komme gleich zum Punkt:
Der Duft ist LAHM. Meinetwegen auch "lame".
Er startet in der Tat toll, frisch und sehr vielversprechend. Aber dann... aber dann.
Cashmeran übernimmt.
Irgend'nen Parfum-Influencer, der in einem sehr schicken Ambiente den Duft "unboxt" und dazu ziemlich unqualifizierte Kommentare aus seinem edlen Apartment in die Welt geblasen hat, erzählt auf YouTube, daß "Art Collection 2020" eine tolle Alternative für alle sei, die mal etwas anderes wollten als "Aventus". Also 'ne Creed_Variante. So iregdnwie. Für ihn ist der "Art Collection" alles: "It's woody, it's fresh, it's aromatic, it's sexy"... balahahabalaha - und vor allem es ist schön teuer!
Yatagan, dem ich eine Abfüllung schickte, um nicht ganz so allein mit meiner Nicht-Begeisterung dazustehen, sieht in dem Duft nur eine repetitive 90er-Nummer. Er hat auf jeden Fall Recht mit seiner Einschätzung. Mich stört (wie schon erwähnt) das Cashmeran massiv - und das macht den Duft dann doch "very 2020". Wenig Grasse/France und viel Drogeriemarkt/Holzminden.
Außerdem ärgert mich, daß das Produkt als "unisex" vermarktet wird, obwohl es einfach nur riecht wie ein durchschnittlicher Herrenduft. Leder und Muskatnuss habe ich überhaupt nicht wahrgenommen.
Lediglich die Kopfnote spricht mich an.
Gestern checkte ich für diesen Kommentar das allseits bekannte Werk von Turin/Sanchez, Perfumes: The Guide. Micallef kommt nicht vor. Weder im ersten Band von 2008 noch im zweiten von 2018.
Dafür möchte ich aber mit einem Zitat von Tania Sanchez schließen (Perfumes: The Guide, 2008, p. 26/27):
"Fragrances for men are mostly identical crap... Largely, they just fail the Guy Robert base criterion: a fragrance must smell good. They are also, for the most part, uniform copies of accepted forms, like varieties of suits, an array of different types of banal."
Diese Kritik trifft leider auf den Art Collection-Duft 2020 zu. Er ist lediglich eine Variante eines traurigen, banalen Trends in der Parfümerie, immer wieder und wieder den alten "Wein" (oder "jus") in einem neuen (hier kunstvoll gestalteten) Behältnis zu präsentieren.
Hoffentlich hat wenigstens der junge Künstler Ruh Zadeh aus Baku etwas davon! Denn ansonsten wären meine 245 Euro wirklich ganz, ganz schlecht investiert gewesen.
Ich elendes Opfer, ey...
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