20.08.2022 - 08:34 Uhr
Bellatrix
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Bellatrix
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16
Sympathy for the violet
Veilchen gehören neben Rosen und Edelweiß zu meinen Lieblingsblumen, und Veilchenparfum liebe ich sehr. Deshalb fühle ich mich auch ein wenig der Ehrrettung des Veilchens verpflichtet, denn es leidet ja selbst noch heute, im 21. Jahrhundert, zu Unrecht unter dem Ruf, altbacken, bieder und spießig zu sein, ein ähnlich vergilbtes Relikt des 19. Jahrhunderts wie Korsett, Reifrock, Spitzenfächer, Puderdöschen, Operngläser, Tanzkarten, Anstandsdamen, Hofräte, Backenbärte oder Duellpistolen.
Um den Grund für diesen biederen Ruf aufzuspüren, muss man wohl weit zurückgehen: Wer unter euch in den Sechziger-, Siebziger- oder Achtzigerjahren schon unterwegs war, hat wahrscheinlich im Straßenbild oder der eigenen Familie noch Großmütter/ ältere Damen erlebt, die noch im 19. Jahrhundert oder zumindest im Kaiserreich geboren worden sind und ihre Kindheit, Jugend, ihre Sozialisation vor dem Ersten Weltkrieg erlebt haben. Sie haben die Accessoires der Jahrhundertwende, die Moden und Gewohnheiten ihrer Jungmädchenzeit noch bis weit ins 20. Jahrhundert getragen. Die letzten Dutts, gern mit Haarnetz, Puderdöschen, Spitzentaschentücher und weißen Spitzenblusen, die letzten mit Kunstblumen besetzten Hüte, langen, schwarzen Röcke und Schnürstiefeletten prägten als letztes modisches Aufgebot des Kaiserreichs noch hier und da das Straßenbild und verlängerten dessen wehmütigen stilistischen Abgesang bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Dies war die Großmüttergeneration, die nach Mottenkugeln und Rosenseife duftete. Und Veilchen, als die Modeblume des 19. Jahrhunderts schlechthin, gehörten durch ihre Sozialisation im ausgehenden Kaiserreich auch noch zu ihrem stilistischen Ensemble. Man duftete nach Veilchen, man lutschte Veilchenpastillen und trug Veilchen-Broschen am Revers, als modische Reminiszenz an die Ansteckblumensträußchen. Wer also diese im Kaiserreich aufgewachsene Großmütter-Generation noch erlebt hat, der wird Veilchen vielleicht tatsächlich mit Puderdöschen aufklappenden, mit Spitzentüchern herumtupfenden "alten Schachteln" in Verbindung bringen und für ein vergilbtes Relikt des 19. Jahrhunderts halten.
Heute sehen Großmütter schon lange nicht mehr so aus. Ich selbst habe besagte Großmütter-Generation leider nicht mehr erlebt. Leider, denn ich glaube, dass jene Generation viele faszinierende Charaktere hervorgebracht hat, die unglaubliche Geschichten zu erzählen gehabt hätten und die Dinge gesehen und erlebt haben, die unsereins nur noch aus Dokumentationen und Geschichtsbüchern kennt, gutes wie schlechtes. Die heutige Großmütter-Generation war oft bei den Achtundsechzigern aktiv, hört Jimi Hendrix und Janis Joplin, die Beatles, Stones oder Elvis Presley, hat oft mehr Drogenerfahrung als ihre pubertierenden und/ oder studierenden Enkel und findet deren Moralvorstellungen spießig. Ja, natürlich, Übertreibung und Klischee, aber dennoch: Pudelmützen, Haarnetze, Rosenseifen und Mottenkugeln? Fehlanzeige. Meine Großmutter ist technisch besser auf dem Stand als ich (für mich selbst ist alles nach der Erfindung des Toasters eine technische Herausforderung... ach was, sagen wir gleich, nach dem Aufkommen der Dampflok!). Sie trägt wahlweise einen Bob oder eine modische Kurzhaarfrisur, während ich diejenige bin, die Dutt, viktorianisch anmutende Schnürstiefel, Sonnenschirm, Puderdöschen und Fächer durchaus in ihrem modischen Repertoire hat. Trotzdem, obwohl kaiserzeitliche Großmütter schon lange passé sind, prägt die Vorstellung vom biederen, kaiserzeitlichen, altmodischen Begleitblümchen alter Schachteln noch heute das Image des Veilchens. Wahrscheinlich haben einfach viele die Vorurteile ihrer Eltern und Großeltern übernommen. Wenn Oma ständig von ihrer in den 1960er-Jahren schon uralten Erdkunde-Lehrerin, dem wadenlange Rüschenunterhosen tragenden Fräulein von M. mit ihrem adretten Haarknoten erzählt, das den ganzen Klassenraum mit einer Duftwolke aus Veilchenparfum vernebelte, ist es vielleicht auch schwierig, Veilchendüfte als etwas anderes als altmodisch, bieder und vergilbt zu betrachten. Heute dagegen ist das Kaiserreich mit seinen modischen Erscheinungen schon wieder so lange dahin, dass heutige Zeitgenossen damit keinen Großvater mehr verbinden, der endlos von der Schlacht an der Somme erzählt oder schimpft, "dass es das unter dem Kaiser nicht gegeben hätte!", und auch keine Großmutter, die Veilchenpastillen lutscht, ihren Dutt nur zum Schlafen öffnet und "diese gräusliche Beatmusik" unerhört und empörend findet (auch dass hätte es unter dem Kaiser natürlich nicht gegeben!). Daher bringe auch ich Veilchen nicht mit alten Schachteln in Verbindung, höchstens mit Nostalgie. Und Retro ist ja eh wieder voll im Trend und der scheißeste Heiß... pardon, der heißeste Scheiß.
Veilchen mag ich seit jeher, mit ihrem zarten, zerbrechlichen, eleganten und nostalgischen Charme, und Veilchenpastillen lutsche ich sehr gern. An den Geruch von Veilchenpastillen erinnert mich auch dieses Parfum. Der nostalgische, pudrige, anmutige Veilchenduft wie vom Frisiertisch einer feinen Dame des Spätbiedermeiers ist es nicht, wie ich mir ursprünglich erhofft hatte. Aber einen solchen Duft habe ich auch in "Eau de Cologne 1920: Fidèle Violette" mittlerweile gefunden, daher ist das nicht weiter schlimm. "Violette" hat nichts pudriges an sich und auch nichts altmodisches oder nostalgisches, wie ich finde. Er ist lauter und fruchtiger als "Fidèle Violette" und bietet genau das, was der Name und die Flakonfarbe versprechen: Veilchen, nicht mehr und nicht weniger. Genauer gesagt, Veilchenpastille. Die weiteren, erst in der Duftbasis auftretenden Noten sind bloßes Beiwerk und nur ganz dezent wahrzunehmen: ein Hauch Sauber-Moschus erdet den Duft und dämmt die Süße ein; er und das Veilchenblatt sorgen für eine etwas herbere, in die Unisex-Richtung gehende Note. Dennoch bleibt es für mich ein reiner Damenduft. Iris untermalt den Duft noch fein und sorgt für etwas zusätzliche erwachsene Eleganz. Diesen Veilchenduft empfehle ich auch allen, die immer noch dem Klischee vom biederen, altmodischen Veilchen anhängen, denn hier kommt die Blume sauber, pur, modern, leicht fruchtig und weder pudrig, noch staubig oder wehmütig-nostalgisch daher. Allen Freunden von Veilchenpastillen empfehle ich das Parfum eh! Sillage und Haltbarkeit sind nicht himmelschreiend, aber durchaus solide; mit zwei Sprühstößen komme ich in jedem Fall durch den Tag. Für mich war es (Duft-)Liebe auf den zweiten Blick, eben nicht mein pudriges, viktorianisches Feine-Damen-Veilchen, aber gerade für den Herbst und Spätsommer ein sauberer, grün unterlegter, leicht würziger und fruchtiger Veilchenpastillenduft, der einen elegant und hochwertig durch den Tag begleitet und sich besonders auf Waldspaziergängen und in der freien Natur wunderbar entfaltet.
"Give seh Veilchen a chance!"
Um den Grund für diesen biederen Ruf aufzuspüren, muss man wohl weit zurückgehen: Wer unter euch in den Sechziger-, Siebziger- oder Achtzigerjahren schon unterwegs war, hat wahrscheinlich im Straßenbild oder der eigenen Familie noch Großmütter/ ältere Damen erlebt, die noch im 19. Jahrhundert oder zumindest im Kaiserreich geboren worden sind und ihre Kindheit, Jugend, ihre Sozialisation vor dem Ersten Weltkrieg erlebt haben. Sie haben die Accessoires der Jahrhundertwende, die Moden und Gewohnheiten ihrer Jungmädchenzeit noch bis weit ins 20. Jahrhundert getragen. Die letzten Dutts, gern mit Haarnetz, Puderdöschen, Spitzentaschentücher und weißen Spitzenblusen, die letzten mit Kunstblumen besetzten Hüte, langen, schwarzen Röcke und Schnürstiefeletten prägten als letztes modisches Aufgebot des Kaiserreichs noch hier und da das Straßenbild und verlängerten dessen wehmütigen stilistischen Abgesang bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Dies war die Großmüttergeneration, die nach Mottenkugeln und Rosenseife duftete. Und Veilchen, als die Modeblume des 19. Jahrhunderts schlechthin, gehörten durch ihre Sozialisation im ausgehenden Kaiserreich auch noch zu ihrem stilistischen Ensemble. Man duftete nach Veilchen, man lutschte Veilchenpastillen und trug Veilchen-Broschen am Revers, als modische Reminiszenz an die Ansteckblumensträußchen. Wer also diese im Kaiserreich aufgewachsene Großmütter-Generation noch erlebt hat, der wird Veilchen vielleicht tatsächlich mit Puderdöschen aufklappenden, mit Spitzentüchern herumtupfenden "alten Schachteln" in Verbindung bringen und für ein vergilbtes Relikt des 19. Jahrhunderts halten.
Heute sehen Großmütter schon lange nicht mehr so aus. Ich selbst habe besagte Großmütter-Generation leider nicht mehr erlebt. Leider, denn ich glaube, dass jene Generation viele faszinierende Charaktere hervorgebracht hat, die unglaubliche Geschichten zu erzählen gehabt hätten und die Dinge gesehen und erlebt haben, die unsereins nur noch aus Dokumentationen und Geschichtsbüchern kennt, gutes wie schlechtes. Die heutige Großmütter-Generation war oft bei den Achtundsechzigern aktiv, hört Jimi Hendrix und Janis Joplin, die Beatles, Stones oder Elvis Presley, hat oft mehr Drogenerfahrung als ihre pubertierenden und/ oder studierenden Enkel und findet deren Moralvorstellungen spießig. Ja, natürlich, Übertreibung und Klischee, aber dennoch: Pudelmützen, Haarnetze, Rosenseifen und Mottenkugeln? Fehlanzeige. Meine Großmutter ist technisch besser auf dem Stand als ich (für mich selbst ist alles nach der Erfindung des Toasters eine technische Herausforderung... ach was, sagen wir gleich, nach dem Aufkommen der Dampflok!). Sie trägt wahlweise einen Bob oder eine modische Kurzhaarfrisur, während ich diejenige bin, die Dutt, viktorianisch anmutende Schnürstiefel, Sonnenschirm, Puderdöschen und Fächer durchaus in ihrem modischen Repertoire hat. Trotzdem, obwohl kaiserzeitliche Großmütter schon lange passé sind, prägt die Vorstellung vom biederen, kaiserzeitlichen, altmodischen Begleitblümchen alter Schachteln noch heute das Image des Veilchens. Wahrscheinlich haben einfach viele die Vorurteile ihrer Eltern und Großeltern übernommen. Wenn Oma ständig von ihrer in den 1960er-Jahren schon uralten Erdkunde-Lehrerin, dem wadenlange Rüschenunterhosen tragenden Fräulein von M. mit ihrem adretten Haarknoten erzählt, das den ganzen Klassenraum mit einer Duftwolke aus Veilchenparfum vernebelte, ist es vielleicht auch schwierig, Veilchendüfte als etwas anderes als altmodisch, bieder und vergilbt zu betrachten. Heute dagegen ist das Kaiserreich mit seinen modischen Erscheinungen schon wieder so lange dahin, dass heutige Zeitgenossen damit keinen Großvater mehr verbinden, der endlos von der Schlacht an der Somme erzählt oder schimpft, "dass es das unter dem Kaiser nicht gegeben hätte!", und auch keine Großmutter, die Veilchenpastillen lutscht, ihren Dutt nur zum Schlafen öffnet und "diese gräusliche Beatmusik" unerhört und empörend findet (auch dass hätte es unter dem Kaiser natürlich nicht gegeben!). Daher bringe auch ich Veilchen nicht mit alten Schachteln in Verbindung, höchstens mit Nostalgie. Und Retro ist ja eh wieder voll im Trend und der scheißeste Heiß... pardon, der heißeste Scheiß.
Veilchen mag ich seit jeher, mit ihrem zarten, zerbrechlichen, eleganten und nostalgischen Charme, und Veilchenpastillen lutsche ich sehr gern. An den Geruch von Veilchenpastillen erinnert mich auch dieses Parfum. Der nostalgische, pudrige, anmutige Veilchenduft wie vom Frisiertisch einer feinen Dame des Spätbiedermeiers ist es nicht, wie ich mir ursprünglich erhofft hatte. Aber einen solchen Duft habe ich auch in "Eau de Cologne 1920: Fidèle Violette" mittlerweile gefunden, daher ist das nicht weiter schlimm. "Violette" hat nichts pudriges an sich und auch nichts altmodisches oder nostalgisches, wie ich finde. Er ist lauter und fruchtiger als "Fidèle Violette" und bietet genau das, was der Name und die Flakonfarbe versprechen: Veilchen, nicht mehr und nicht weniger. Genauer gesagt, Veilchenpastille. Die weiteren, erst in der Duftbasis auftretenden Noten sind bloßes Beiwerk und nur ganz dezent wahrzunehmen: ein Hauch Sauber-Moschus erdet den Duft und dämmt die Süße ein; er und das Veilchenblatt sorgen für eine etwas herbere, in die Unisex-Richtung gehende Note. Dennoch bleibt es für mich ein reiner Damenduft. Iris untermalt den Duft noch fein und sorgt für etwas zusätzliche erwachsene Eleganz. Diesen Veilchenduft empfehle ich auch allen, die immer noch dem Klischee vom biederen, altmodischen Veilchen anhängen, denn hier kommt die Blume sauber, pur, modern, leicht fruchtig und weder pudrig, noch staubig oder wehmütig-nostalgisch daher. Allen Freunden von Veilchenpastillen empfehle ich das Parfum eh! Sillage und Haltbarkeit sind nicht himmelschreiend, aber durchaus solide; mit zwei Sprühstößen komme ich in jedem Fall durch den Tag. Für mich war es (Duft-)Liebe auf den zweiten Blick, eben nicht mein pudriges, viktorianisches Feine-Damen-Veilchen, aber gerade für den Herbst und Spätsommer ein sauberer, grün unterlegter, leicht würziger und fruchtiger Veilchenpastillenduft, der einen elegant und hochwertig durch den Tag begleitet und sich besonders auf Waldspaziergängen und in der freien Natur wunderbar entfaltet.
"Give seh Veilchen a chance!"
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