11.02.2014 - 09:40 Uhr
Profumo
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'Dandy' reloaded
So sehr ich es begrüße, dass im Orkus der Parfumhistorie verschwunden geglaubte Duftlegenden eine überraschende Wiederauferstehung feiern, so sehr sollten sie doch mit Vorsicht genossen werden. Vor allem ihre Authentizität betreffend, seien erhebliche Bedenken angemeldet.
Zuletzt geschehen mit „Patou pour Homme“, zuvor mit „Ambre de Carthage“, „Fougère Royale“, „Futur“ und vielen anderen. Dass sie nicht mehr duften wie früher – geschenkt. Viele Inhaltstoffe werden mitunter seit Jahrzehnten nicht mehr produziert, andere unterliegen weitgehenden Restriktionen. Aber vermutlich sollen sie auch gar nicht mehr duften wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, denn bei aller Nostalgie die gute alte, ja glorreiche Zeit betreffend, als ein Ernest Beaux ein „No 5“ schuf, ein Jacques Guerlain ein „Shalimar“ oder ein François Coty ein „Chypre“, sind doch die meisten nicht ohne Grund gegangen. In Düften spiegeln sich doch auch immer die modischen Vorlieben ihrer Zeit wieder und manche Mode ist eben unwiederbringlich passé.
So sind die neuen „Alten“ in aller Regel moderne Interpretationen, die sich zwar mal mehr, mal weniger an die originalen Duftkonzepte anlehnen, diese aber zumeist recht freizügig auslegen.
So geschehen auch bei „Chypre Mousse“.
Schon allein das vermeintliche Erscheinungsdatum des ursprünglichen Duftes, 1914, lässt Zweifel aufkommen, wurde doch Cotys epochales, eine ganzes Duftgenre definierendes Werk mit dem schlichten Namen „Chypre“ erst 1917 lanciert.
Aber sei´s drum.
Es mag einen Duft dieses Namens im Hause Oriza L. Legrand gegeben haben, oder nicht, er mag vor rund 100 Jahren das Licht der Welt erblickt haben, oder auch nicht – letztlich ist das alles völlig unerheblich angesichts dessen was uns erwartet, wenn wir die Kappe dieses wirklich schönen, etwas altmodisch anmutenden Flakons aufschrauben um den Inhalt zu erkunden.
Dieser ist nämlich wirklich grandios – ein Meisterwerk!
Allerdings eines, das ganz gewiss nicht jedem gefallen dürfte, erst recht nicht jenen, die eher schmeichelnde, ambrierte Düfte mögen, die Süße benötigen und es gerne kuschelig haben. Alle, die solches suchen, seien gewarnt: Hände weg von „Chypre Mousse“! Denn dieser Duft ist so ziemlich das Gegenteil von heimelig und die Seele streichelnd. Er ist ein Biest, und was für eines: herausfordernd, eigenwillig, komplex, irgendwie schwer zu ergründen und – vor allem für ungeübte Nasen – vermutlich auch verstörend.
Wer jetzt aber an Duft-Punk à la „Tar“ von Comme des Garçons oder „Sécrétions Magnifiques“ von Etat Libre d’Orange denkt, der liegt gründlich daneben, denn „Chypre Mousse“ ist bei aller Andersartigkeit, bei aller Exzentrik doch auch ein ungemein elegantes und wohlproportioniertes Werk.
Interessanterweise eines, dass mich an eine andere Legende, eine noch ältere erinnert: an „Fougère Royale“, bzw. an dessen modernen Wiedergänger.
Hier wie dort erleben wir nämlich ein recht ähnliches Duftmuster: aromatische Auftaktnoten wie Salbei, Minze oder Kamille, ein krautig-pudriges Lavendel-Tonka-Herz und einen gleichermaßen herben wie bitteren, harzigen Ausklang. Unterschiedlich sind aber die Gewichtungen: „Fougère Royale“ tendiert mit deutlich höherem Coumarin-Anteil eher Richtung „Fougère“, während „Chypre Mousse“ mit etwas weniger Puder auskommt und daher als „Chypre“ definiert werden könnte. Wohlgemerkt: könnte, denn als „Fougère“, insbesondere als „aromatisches Fougère“ ginge dieser Duft sicher ebenso durch.
Natürlich duften beide Düfte auch etwas anders: das Houbigant-Werk wird vor allem von einem Rondeletia-Kamille-Akkord charakterisiert, während jenes von Oriza L. Legrand ein Quartett von Minze, Salbei, Galbanum und Veilchenblatt auszeichnet.
„Chypre Mousse“ geht somit, aller aromatischer Beigaben zum Trotz, ein deutliches Stück in Richtung „grünes Chypre“ und erinnert mich, etwas entfernter allerdings, an einen weiteren Duft, an Estée Lauders „Aliage“ – ein ähnlich substanzreicher, grün-aromatisch-pudriger Duft.
Diese Tendenz in Richtung „grünes Chypre“ ist aber nur eine Facette des wahrhaft vielgesichtigen Duftes, ebenso wie es die Tendenz in Richtung „aromatisches Fougère“ ist. Besonders auffallend sind daneben jene Anklänge, die man am ehesten mit dem Begriff „erdig“ umschreiben könnte: genannt werden vom Hersteller Noten von Humus, Kiefernadeln, Pilzen und Kastanien.
Nun, es wäre vermessen zu behaupten, ich könne sie isoliert heraus riechen – ich kann es nicht. Aber ein dunkles, wie gesagt: erdiges Aroma vermag ich durchaus zu erkennen. Wie ein dicker, weicher Teppich unterliegt es den aromatischen und grünen Nuancen, und könnte tatsächlich die von Oriza L. Legrand so arg bemühte Assoziation eines Waldes, nebst dichtem Unterholz, nach einem September-Regen aufkommen lassen.
Eines Waldes allerdings, der nicht wirklich natürlich riecht, eher gezähmt-zivilisiert, sozusagen Salon-tauglich, ja dandyhaft.
Apropos Dandy: der Hersteller widmet diesen Duft „.. for the dandies of this world!“, und hat so Unrecht damit nicht. Denn vor allem dessen pudrig-moosig-krautige Grundstimmung rückt ihn ganz, ganz nah an Dandy-Düfte par excellence wie „Mouchoir de Monsieur“ oder „Zizanie“ und vermutlich auch das alte „Fougère Royale“ heran (das neue ist nur noch bedingt dandyhaft).
Diese Dandyhaftigkeit verleiht dem Duft eine gewisse altmodische Aura, die ich persönlich ganz wunderbar finde, während ich mir vorstellen kann, dass andere sie eher abstoßend, zumindest aber über die Maßen unzeitgemäß finden.
Wer aber mit besagtem „Mouchoir de Monsieur“ keine Probleme hat, wer ein kokett selbstverliebtes fotografisches Portrait eines Oscar Wilde oder Marcel Proust nicht nur ertragen, sondern auch schätzen kann, und wem die moderne Interpretation von „Fougère Royale“ gefällt, für den könnte „Chypre Mousse“ etwas sein.
Haltbarkeit und Sillage sind übrigens enorm.
Fazit: Ein Duft für echte Duft-Liebhaber (besonders für jene, die Düfte von elegant-altmodischer Anmutung schätzen), keinesfalls einer für den Mainstream.
Beide Daumen ganz weit hoch!
Zuletzt geschehen mit „Patou pour Homme“, zuvor mit „Ambre de Carthage“, „Fougère Royale“, „Futur“ und vielen anderen. Dass sie nicht mehr duften wie früher – geschenkt. Viele Inhaltstoffe werden mitunter seit Jahrzehnten nicht mehr produziert, andere unterliegen weitgehenden Restriktionen. Aber vermutlich sollen sie auch gar nicht mehr duften wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, denn bei aller Nostalgie die gute alte, ja glorreiche Zeit betreffend, als ein Ernest Beaux ein „No 5“ schuf, ein Jacques Guerlain ein „Shalimar“ oder ein François Coty ein „Chypre“, sind doch die meisten nicht ohne Grund gegangen. In Düften spiegeln sich doch auch immer die modischen Vorlieben ihrer Zeit wieder und manche Mode ist eben unwiederbringlich passé.
So sind die neuen „Alten“ in aller Regel moderne Interpretationen, die sich zwar mal mehr, mal weniger an die originalen Duftkonzepte anlehnen, diese aber zumeist recht freizügig auslegen.
So geschehen auch bei „Chypre Mousse“.
Schon allein das vermeintliche Erscheinungsdatum des ursprünglichen Duftes, 1914, lässt Zweifel aufkommen, wurde doch Cotys epochales, eine ganzes Duftgenre definierendes Werk mit dem schlichten Namen „Chypre“ erst 1917 lanciert.
Aber sei´s drum.
Es mag einen Duft dieses Namens im Hause Oriza L. Legrand gegeben haben, oder nicht, er mag vor rund 100 Jahren das Licht der Welt erblickt haben, oder auch nicht – letztlich ist das alles völlig unerheblich angesichts dessen was uns erwartet, wenn wir die Kappe dieses wirklich schönen, etwas altmodisch anmutenden Flakons aufschrauben um den Inhalt zu erkunden.
Dieser ist nämlich wirklich grandios – ein Meisterwerk!
Allerdings eines, das ganz gewiss nicht jedem gefallen dürfte, erst recht nicht jenen, die eher schmeichelnde, ambrierte Düfte mögen, die Süße benötigen und es gerne kuschelig haben. Alle, die solches suchen, seien gewarnt: Hände weg von „Chypre Mousse“! Denn dieser Duft ist so ziemlich das Gegenteil von heimelig und die Seele streichelnd. Er ist ein Biest, und was für eines: herausfordernd, eigenwillig, komplex, irgendwie schwer zu ergründen und – vor allem für ungeübte Nasen – vermutlich auch verstörend.
Wer jetzt aber an Duft-Punk à la „Tar“ von Comme des Garçons oder „Sécrétions Magnifiques“ von Etat Libre d’Orange denkt, der liegt gründlich daneben, denn „Chypre Mousse“ ist bei aller Andersartigkeit, bei aller Exzentrik doch auch ein ungemein elegantes und wohlproportioniertes Werk.
Interessanterweise eines, dass mich an eine andere Legende, eine noch ältere erinnert: an „Fougère Royale“, bzw. an dessen modernen Wiedergänger.
Hier wie dort erleben wir nämlich ein recht ähnliches Duftmuster: aromatische Auftaktnoten wie Salbei, Minze oder Kamille, ein krautig-pudriges Lavendel-Tonka-Herz und einen gleichermaßen herben wie bitteren, harzigen Ausklang. Unterschiedlich sind aber die Gewichtungen: „Fougère Royale“ tendiert mit deutlich höherem Coumarin-Anteil eher Richtung „Fougère“, während „Chypre Mousse“ mit etwas weniger Puder auskommt und daher als „Chypre“ definiert werden könnte. Wohlgemerkt: könnte, denn als „Fougère“, insbesondere als „aromatisches Fougère“ ginge dieser Duft sicher ebenso durch.
Natürlich duften beide Düfte auch etwas anders: das Houbigant-Werk wird vor allem von einem Rondeletia-Kamille-Akkord charakterisiert, während jenes von Oriza L. Legrand ein Quartett von Minze, Salbei, Galbanum und Veilchenblatt auszeichnet.
„Chypre Mousse“ geht somit, aller aromatischer Beigaben zum Trotz, ein deutliches Stück in Richtung „grünes Chypre“ und erinnert mich, etwas entfernter allerdings, an einen weiteren Duft, an Estée Lauders „Aliage“ – ein ähnlich substanzreicher, grün-aromatisch-pudriger Duft.
Diese Tendenz in Richtung „grünes Chypre“ ist aber nur eine Facette des wahrhaft vielgesichtigen Duftes, ebenso wie es die Tendenz in Richtung „aromatisches Fougère“ ist. Besonders auffallend sind daneben jene Anklänge, die man am ehesten mit dem Begriff „erdig“ umschreiben könnte: genannt werden vom Hersteller Noten von Humus, Kiefernadeln, Pilzen und Kastanien.
Nun, es wäre vermessen zu behaupten, ich könne sie isoliert heraus riechen – ich kann es nicht. Aber ein dunkles, wie gesagt: erdiges Aroma vermag ich durchaus zu erkennen. Wie ein dicker, weicher Teppich unterliegt es den aromatischen und grünen Nuancen, und könnte tatsächlich die von Oriza L. Legrand so arg bemühte Assoziation eines Waldes, nebst dichtem Unterholz, nach einem September-Regen aufkommen lassen.
Eines Waldes allerdings, der nicht wirklich natürlich riecht, eher gezähmt-zivilisiert, sozusagen Salon-tauglich, ja dandyhaft.
Apropos Dandy: der Hersteller widmet diesen Duft „.. for the dandies of this world!“, und hat so Unrecht damit nicht. Denn vor allem dessen pudrig-moosig-krautige Grundstimmung rückt ihn ganz, ganz nah an Dandy-Düfte par excellence wie „Mouchoir de Monsieur“ oder „Zizanie“ und vermutlich auch das alte „Fougère Royale“ heran (das neue ist nur noch bedingt dandyhaft).
Diese Dandyhaftigkeit verleiht dem Duft eine gewisse altmodische Aura, die ich persönlich ganz wunderbar finde, während ich mir vorstellen kann, dass andere sie eher abstoßend, zumindest aber über die Maßen unzeitgemäß finden.
Wer aber mit besagtem „Mouchoir de Monsieur“ keine Probleme hat, wer ein kokett selbstverliebtes fotografisches Portrait eines Oscar Wilde oder Marcel Proust nicht nur ertragen, sondern auch schätzen kann, und wem die moderne Interpretation von „Fougère Royale“ gefällt, für den könnte „Chypre Mousse“ etwas sein.
Haltbarkeit und Sillage sind übrigens enorm.
Fazit: Ein Duft für echte Duft-Liebhaber (besonders für jene, die Düfte von elegant-altmodischer Anmutung schätzen), keinesfalls einer für den Mainstream.
Beide Daumen ganz weit hoch!
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