Fast hätte ich ein kleines Juwel achtlos verschenkt. Noch aus den Zeiten, als ich blind jeden Yves-Rocher-Duft bestellt habe, der neu auf den Markt kam und zu dem ich ein Rabattmärkchen hatte, besitze ich eine Flasche Nature Millénaire Edt - und damals war ich so enttäuscht davon, dass ich ihn nicht nur nie getragen habe, sondern auch bald danach überhaupt mit dem Bestellen bei Onkel Yves aufgehört habe.
Die Beschreibung klingt ja verlockend - trocken, holzig, würzig, etwas, von dem ich annahm, dass ich es gut tragen kann. Wenn es dazu noch Ähnlichkeiten mit Nature haben sollte, dem allerersten Parfum, das ich mir überhaupt je gekauft habe ... Aber das erste Probesprühen war ein Reinfall. Meiner Hautchemie - alkalisch, wo normale Menschen leicht sauer reagieren - gab ich die Schuld, denn sie hat mir über die Jahre schon manches Dufterlebnis vermiest:
Davidoff Cool Water riecht an mir, als hätte ich mich großzügig am ganzen Körper mit einem Stück Wassermelone eingerieben, und mit dem Yves-Rocher-Duft Magnolia an mir bewegte sich jeder in meiner Umgebung sehr vorsichtig, um nicht auf die Nase zu fallen, verströmte ich doch das nachdrückliche Aroma einer ganzen Flasche Schmierseife. Und mit Nature Millénaire roch ich schließlich so, als ob ich mich gerade ausgiebig im Schlamm gewälzt hätte. Erdige Nuancen eben, nur, dass es an mir nicht bei Nuancen blieb.
Kürzlich telefonierte ich wieder mit meiner besten Freundin - sie, die mich damals überhaupt erst mit Onkel Yves bekannt gemacht hatte - und schwärmte ihr von Parfums im Allgemeinen und Parfumo im Besonderen vor, und, wehmütig in alten Zeiten schwelgend, kamen wir auch auf Onkel Yves zu sprechen.
»Ich habe da schon seit Ewigkeiten nicht mehr bestellt«, sagte sie. »Seit die Nature Millénaire aus dem Programm genommen haben - das war der letzte Duft von denen, den ich richtig gut tragen konnte.«
»Ach«, sagte ich. »Den hattest du?« Und ich schüttelte mich in Gedanken.
»Ja, ich mochte den total gerne, aber er ist alle, und es gibt ihn nicht mehr.«
»Ich habe noch eine ganze Flasche«, erwiderte ich. »Ich schau mal, wenn der noch nicht gekippt ist, kannst du die haben.« Ist ja mal wieder typisch, dass sie das tragen kann und ich nicht. Magnolia und Cool Water haben an ihr auch immer viel besser gerochen als an mir, möff ... Aber wenn jemand mit dem ollen Stinkezeug noch was anfangen kann, um so besser!
Aber in der Zwischenzeit ist allerdings das Sammelfieber bei mir ausgebrochen, und die Vorstellung, einen guten Duft wegzuschenken, der selten und vergriffen ist und mir in vierzig Jahren mal die Rente finanzieren könnte, behagte mir plötzlich nicht mehr. Vor allem habe ich in der Zwischenzeit bei Ebay blind eine ganze Reihe Düfte ersteigert, von denen mir einige wirklich nicht gefallen und die ich doch behalten will, und so habe ich meiner Freundin eine neue Flasche Nature Millenaire ersteigert, die sie zu Weihnachten bekommen soll (ich hoffe, sie liest hier nicht mit ...), und meine eigene will ich behalten.
Und weil ich jedes Parfum in meiner Sammlung einmal benutzt haben will, schon um es hier zu rezensieren, und mir schon eine nette Annekdote vorschwebte, wie man mich nur aufgrund meiner Duftnote für eine passionierte Schlammcatcherin gehalten hätte, habe ich mich heute also an die Millenniumsnatur gewagt. Der Name ist ja schon Programm, Relikt aus einer Zeit, in der plötzlich alles irgendwie das neue dräuende neue Jahrtausend eim Namen tragen musste, und dass der Duft damit nicht lang auf dem Markt bleiben würde, war ja klar. Spätestens im Jahr 2001 ward das Wort »Millennium« nicht mehr gehört, außer vielleicht, wenn Robbie Williams im Radio läuft.
Ich habe extra gewartet, bis mein Mann im Bett ist - der Geruch, mit dem ich rechnete, war so penetrant schlammig, dass ich ihn damit nicht behelligen wollte. Aber, oh Wunder, nichts davon! Kein Schlamm, nirgends! Statt dessen rieche ich eine warme Vanillenote, ungefähr so, wie mir Vanille Noir vorgeschwebt, aber dann doch nicht gerochen hat, und sehr viel Zeder. Ich denke zurück an ein Ei aus Redwood-Holz, das mir mein Vater 1988 von einer USA-Reise mitgebracht hat und dessen Duft ich so sehr liebte, dass ich es mit mir herumgeschleppt habe, bis es mir irgendwann aus der Hosentasche gerutscht sein muss. Und jetzt rieche ich selbst so! Ganz und gar wunderbar! Ich könnte mich reinsetzen!
Was ist passiert? Ich weiß es nicht. Ist das Parfum gekippt? Oder meine Haut? Oder meine Nase? Vermutlich habe ich damals, bei meinem ersten und einzigen Test, einfach einen schlechten Tag erwischt, oder bin bei dem Versuch, die vertrauten Nature-Noten in dem Namensvetter zu finden, vom Weg abgekommen? Eine Ähnlichkeit sehe ich nämlich bis heute nur in der Flaschenform. Aber das ist völlig in Ordnung. Nature Millénaire ist ein ganz eigenständiger Duft, wunderbar warm und holzig, perfekt für dunkle Wintertage und -abende, und er riecht heute so, wie ich es mir vor vierzehn Jahren gewünscht habe. Gut, dass bei mir nichts wegkommt! Vielleicht mussten wir beide reifen, der Duft und ich. Aber jetzt haben wir einander gefunden, und so schnell geb ich ihn nicht mehr her. Ich habe ja noch eine Flasche in Reserve. Und meiner Freundin schenke ich dann einfach ein schönes Buch.