LaurelDean
LaurelDeans Blog
vor 8 Jahren - 22.05.2016
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Aufbruch - kein Parfumblog

Nachfolgenden Text habe ich vor mehr als zwei Monaten geschrieben und zurückgehalten, weil ich das Refugium der Duftliebhaber nicht beschweren will. Angeregt und ermutigt durch Frankas Blog vor zwei Wochen zu eben diesem Thema - Tod - will ich meine Worte nun doch öffentlich machen. Eine Verbindung zu Verlust und Loslassen von Parfum, so wie es Franka wunderbar geschafft hat, habe ich erst gar nicht versucht.


Aufbruch

Ich bin nun schon dreieinhalb Jahre hier angemeldet, als stiller Leser einiges länger und ich hätte nie gedacht einen Blog zu schreiben, schon gar nicht einen persönlichen und noch weniger zu einem schweren Thema.

In den letzten Wochen und Monaten konnte ich erfahren wie heilsam es sein kann auszusprechen und zu erzählen was geschehen ist, wie ich mich fühle und meinen Schmerz teilen, mit Menschen, die damit umgehen können - nicht um Mitleid oder Trost, sondern um im Mitteilen mich zu öffnen und die Erstarrung zu lösen. Ebenso, dass ich mit meiner tiefen Erfahrung nicht alleine bin, dass ich mich mit ähnlich Betroffenen austauschen konnte, hat mir Hoffnung zur Bewältigung gegeben.

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Die Unendlichkeit ist hereingebrochen.

Fassungslos stehe ich ohnmächtig vor der Unberechenbarkeit des Lebens.

Am Morgen des 19. Dezember habe ich meinen Partner tot am Sofa liegend gefunden. Plötzlich und völlig unerwartet, viel zu früh aus dem Leben gerissen. Gehirnblutung. Jede Hilfe wäre zu spät gewesen.

Schock, Panik, Verzweiflung, Trauer, Schmerz, Wut, Sehnsucht und Liebe. Alle Gefühle durcheinander, nacheinander und gleichzeitig. Dazu die Angst vor der Zukunft, wie sollte ich das alleine schaffen? Keine zwei Wochen zuvor haben wir unsere gemeinsame Wohnung gekauft, wir hatten uns so sehr auf unser neues Zuhause und die Fülle an positiven Perspektiven gefreut. Alles schien perfekt. Vieles war vorbereitet, erst die Sanierung, der Umzug, dann die neuen beruflichen Projekte. Voller Freude mittendrin waren wir in einem neuen Himmel. Jetzt stand ich alleine vor einem riesigen Abgrund.

Ich fühle mich wie weggeschwemmt.Der Halt in meinem Leben ist entschwunden, der Boden unter meinen Füßen verloren.Weltbild, Weltsicht, Lebenskonzepte, Lebensentwürfe, Pläne und Träume zerfallen. Sinn weicht dem Un-Sinn. Ich will in die Welt hinaus schreien ...

Die Trauer mit ihren vielen Gesichtern kommt in Wellen und rafft mich hinweg, reißt mich aus dem scheinbar ruhig gefasst und klar den Alltag bewältigen, fließt wieder ab und lässt mich mechanisch funktionieren zurück, was getan werden muss wird getan. Der Körper entwickelt Ressourcen, über die ich rückblickend staune.

Über diese erschütternde Erfahrung ist mir klar geworden, dass die Warum-Frage verboten ist. Diese Frage ist einfach nicht zulässig. Weder kann sie beantwortet werden, noch würde sie etwas ändern. Der Verstand will verstehen, gibt vor durch Verständnis annehmen und loslassen zu können und scheitert letztlich daran nicht kontrollieren zu können. Denn es bleibt nur das Schweigen vor dem Unausweichlichen, Demut vor dem was-ist. Was geschehen ist, ist geschehen, die Vergangenheit ist unveränderlich. Die Narben der Erinnerung werden immer bleiben, doch will ich weitergehen und nicht an der Wunde verbluten, bin ich bereit gehen zu lassen, kann ich nur annehmen, mich hingeben und verneigen vor dem was-jetzt-ist - ohne Erklärung. Diese Demut bedeutet offen und empfänglich zu sein für das große Geheimnis Leben, wie es sich täglich, stündlich ereignet - ohne Warum, ohne Wenn und Aber …

... und das Leben geht weiter.

Der Frühling kehrt ein.

Die Vögel singen.

Langsam, ganz langsam gewinne ich wieder Boden.

Ich finde zurück und doch nicht zurück, ich beginne neu.

Und immer sind da Spuren deines Lebens -

Gedanken, Bilder, Augenblicke und Gefühle - (und auch Düfte)

sie werden mich immer an Dich erinnern.

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Nach Wochen des Rückzugs aus Reizüberforderung, in denen ich kein Parfum tragen konnte, ist die Lust am Parfümieren zurückgekehrt. Wieder vermögen mich Düfte wie ein Freund zu begleiten. Besonders an Tagen an denen ich mich unsicher und schwach fühle, kann ich unterstützt mit dem richtigen Parfum Kraft und Mut finden, mich den Anforderungen des Lebens zu stellen und Ja zu sagen. An guten Tagen kann ich sie, zumindest für Momente, flüstern hören: Das Leben ist schön.

Parfumo sehe ich als wertvolle Möglichkeit mich über Parfum zu informieren, mich inspirieren zu lassen und Anregungen für meine Merkliste zu sammeln. Obwohl sich über die Jahre eine gewisse Sättigung eingestellt hat, nicht zuletzt weil sich meine Sammlung für mich rund und voll anfühlt, die Freude und Lust neues zu entdecken bleibt. Meine Souk-Kontakte waren meist kurz, manchmal amüsant und manchmal wurde mein Humor nicht verstanden - meine Entschuldigung dafür an dieser Stelle, es tut mir leid, wenn ich jemanden verletzt habe.

Parfumo war in dieser schweren Zeit ein Anker, ein abendlicher Fixpunkt, eine kurze Flucht in eine heile Welt. Am Rande der parfumo-Familie mitzulesen hat mir Halt gegeben.

Ich bedanke mich bei parfumo, danke allen Parfumas und Parfumos für eure Kommentare, Beiträge, Erfahrungen, Geschichten, Statements und Blogs.

Schön, dass Ihr eure Leidenschaft teilt.

Schön, dass ihr da seid.

Mit einer großen Verneigung bin ich euch verbunden.


Vergangenen Sonntag hatte ich eine Gedenkfeier organisiert. ’ Spaziergang mit J. ’ um einen kleinen See, den wir beide oft gegangen waren, mit anschließendem Picknick zu seinem Geburtstag, sein 1. in einer anderen Welt. Rituale des Abschieds, so auch dieser Blog, drücken die Bereitschaft des Loslassens und Gehenlassens aus. Ich bin bereit weiter zu gehen und dabei auch die Gefühle und Gedanken von Trauer und Verlust zuzulassen und wieder abfließen zu lassen. Verdrängte und nicht gelebte Trauer, so bin ich überzeugt, findet, oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten, ihre Wege und Möglichkeiten beachtet zu werden, meist als Krankheit, physisch oder psychisch.

Heute ist ein neuer Tag und wieder der 1. Tag meines neuen Lebens.

Jeder Tag ist ein Neubeginn, immer wieder Aufbruch.

Das Leben geht weiter.

Der Flieder ist verblüht,

die Pfingstrosen stehen in üppiger Pracht,

die Erdbeeren reifen

und die Vögel bauen Nester und singen ihre Lieder.

Der Duft der Holunderblüten beim Spazieren durch den Prater heute Nachmittag hat mein Herz tief berührt und geöffnet. In solchen Glücksmomenten vermisse ich J. ganz besonders. Glück und Tränen liegen so nahe beisammen.

Die Wohnung, wenn auch noch nicht fertig eingerichtet, ist sehr schön geworden. Ich kann mich noch nicht richtig darüber freuen und genießen, doch fühle ich mich angekommen und lebe mich ein. Dass wir hier noch keine gemeinsame Zeit hatten empfinde ich in diesem Prozess als erleichternd.

Und nebenbei warte ich seit Wochen auf meine Parfumbestellung.

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