26.10.2019 - 02:32 Uhr
Duftsucht
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Duftsucht
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Zum narrischen Kastanienbaum – eine Zeitreise
Aufgesprüht – Zack – Zeitsprung: Wien, 8. Bezirk, Josefstadt, anno 2005, Gasthaus „Zum narrischen Kastanienbaum“, Innenhof, auf dem Teller „Wiener Wäschermädel“ (für Nichtwiener: urgute Mehlspeisverführung mit Marillen –ääähhh Aprikosen), über uns breitet der narrische Kastanienbaum seine alten Äste aus. Er steht in voller Blüte und der honigsüße Duft mit einer leichten Herbe legt sich wie eine duftende Decke über den Gastgarten.
So startet für mich „Azalea“. Nicht mit der namensgebenden Azalee, die sich erst geraume Zeit später dazugesellt und dann das Duftgeschehen bestimmt, sondern mit süßer Kastanienblüte, Honig und Vanille inklusive. Wer Kastanienhonig oder den wundervollen üppigen Duft der Kastanienblüte kennt, der erriecht hier auch den charakteristischen leicht bitter-herben Unterton. Ich liebe den, bei meinen Kindern stieß er lange Zeit auf Ablehnung – sie verlangten schlicht „echten“ Honig. In dieser Phase des Duftes ist „Monte Bianco“, das Floramalia in ihrem Kommentar ebenso schön wie appetitanregend beschreibt, nicht von der Hand zu weisen. Für mich eigentlich DER Alptraum schlechthin. Vieles, was ich in Düften fürchte und vermeide, vereint sich hier: Honig, Vanille, Süße und sahnige, üppige Cremigkeit. Daher kann ich auch Caligaris Statement, den der Duft offenbar nicht wirklich überzeugte, gut nachvollziehen.
Das wäre es wohl gewesen mit mir und „Azalea“, wenn da nicht, ja, wenn da nicht eine weitere Komponente dazukommen würde. Die Blüte der Azalee. Wir lebten einige Zeit in den USA und dort gab es das „National Arboretum“, ein Landschaftsgarten, eingeteilt nach Themengebieten, darunter ein „Holly Park“ – aus unterschiedlichsten Ilex-Sorten, und auch das „Azalea Valley“. Als wir das Arboretum das erste Mal besuchten, machten wir uns auf dem Weg dorthin noch über die Bezeichnungen lustig, frei nach dem Motto: Die hauen ja wieder mal ganz schön auf die Pauke, die Amis: Park, Tal – wie groß kann das schon wirklich sein? Nun ja, mehrere Stunden später wussten wir es: gigantisch groß!
In diesem Azaleengarten erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Azaleenblüte, die im feucht-warmen Klima einen Duft entwickelte, der wie eine Glocke über dem Tal lag. Ich konnte mich gar nicht sattriechen an dem feinen, zart-süßen Naturduft und in diesem und allen weiteren Jahren dort war das Arboretum zur Blütezeit der Azaleen ein absolutes Muss. Zur Zeit lebe ich in einer kleinen Stadt, die aber ebenfalls einen wunderbaren alten Landschaftspark hat. Wenn die Linden blühen, ziehe ich lange Runden alleine mit dem Fahrrad, wenn aber Azaleen und Rhododendron in voller Blüte stehen, dann müssen auch meine drei Männer mit – zu groß ist hier der Wunsch, dieses Naturschauspiel mit ihnen zu teilen und gemeinsam zu genießen.
In Bottega Venetas „Azalea“ zieht sich die vanillige Süße des Beginns allmählich zurück und macht Platz für den Duft der Azaleen. Es wird transparenter und durchscheinender und entwickelt sich zu einem zart-romantischem Blütenduft von erstaunlicher Haltbarkeit. Er umschwebt mich wie ein Gespinst, gewoben aus Staubfäden der Azaleen. Lange bleibt es bei mir, bis es sich mit einem letzten melancholischen Seufzer löst und entschwindet. Zurück bleibt nur eine Ahnung von Blüte, ein Hauch von Vanille.
Unter den Parfums, die ich benutze, gibt es nicht viele Düfte dieser Art. Normalerweise bevorzuge ich Parfums mit Struktur und Profil, einer spannenderen Entwicklung und Ecken und Kanten.
Die Ausnahmen „La Chasse aux Papillons“, mein Lindenblütenwunder und „Azalea“ sind beide Düfte, die mich berühren, weil sie Erinnerungen wachrufen, die zutiefst emotional und persönlich sind. Erinnerungen an vergangene Zeiten, Orte und Menschen in meinem Leben, sie aber gleichzeitig das Versprechen in sich tragen, dass alles im Leben seine Stunde hat – und dass die Linden, die Kastanien und die Azaleen auch im nächsten Jahr wieder für uns blühen werden.
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