Profumo
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Der blaue Engel im Frack
Angélique bedeutet zum einen: engelhaft; zum anderen ist es der französische Name der Pflanze Angelika, die im Deutschen wiederum den Beinamen Engelwurz trägt.
Angelika ist extrem vielseitig verwendbar, vor allem aber bekannt als Arzneipflanze, deren ätherische Öle aber auch in Kräuterlikören wie Benedictine und Chartreuse zu finden sind, ebenso wie in so manchem Parfum, dem sie eine grün-herbe, pfefferartige Note verleihen (siehe auch Angélique sous la pluie oder French Lover/Bois d’Orage).
Im Falle von Creeds Angélique Encens kommt noch eine weitere Bezugnahme dazu, denn der Duft wurde ursprünglich – so behauptet Creed jedenfalls (und Creed behauptet viel wenn der Tag lang ist...) - für Marlene Dietrich kreiert, den weltberühmten Blauen Engel.
Ziemlich viel Engelseeligkeit also: Engelwurz, engelhaft, blauer Engel – aber so engelsgleich, weiß und unschuldig ist der Duft nun wahrlich nicht. Ganz Marlene Dietrich ist er vielmehr eine große Diva nebst divenhaftem Auftritt in sexuell zweideutiger Herrenkleidung – so geschehen als sie 1929 im Berliner Hotel Adlon zum Presseball in Frack und Zylinder erschien, vermutlich lässig eine filterlose Zigarette rauchend und man allseits ‚Skandal, Skandal!’ rief.
Nun, die Zeiten haben sich gottlob geändert und eine Frau im Hosenanzug ist heute keine aufregende Neuheit mehr, geschweige denn ein öffentliches Ärgernis.
Sieht man aber die Bilder von Marlene in diesem, speziell für sie geschneiderten Aufzug so kann man auch heute noch durchaus die erotische Wucht nachvollziehen, mit der sie augenblicklich den Raum elektrisierte, und Männer wie Frauen erstarren ließ (sehr schön auch in ihrem Film ‚Marokko’ zu erleben, wo sie – als Gipfel des Skandals – in diesem Outfit eine Frau auf den Mund küsst!).
Ähnlich verhält es sich mit Angélique Encens – ein lasziver, divenhafter und opulenter Duft (Tuberose und Vanille) in maskulinem Gewand (Angelika und Weihrauch), in dem enorm viel Drama und nicht weniger Erotik steckt.
Weiche Vanille nimmt dem sirenenhaften Auftritt der Tuberose die Spitzen und der Angelika wie dem Weihrauch ihre harschen Seiten, während jede Menge graue Ambra die vermeintlich widerstreitenden Pole sexueller Zweideutigkeit vereint, und die buttrige Süße mit den herben, rauchigen Akzenten zu einer vor Sinnlichkeit vibrierenden Melange verschmelzen lässt.
Alles wirkt dabei wie in Milch getaucht und mit Vanillezucker bestreut, doch ist das Süße und Delikate stetes mit herber, verführerischer Frivolität unterlegt.
Man mag den Duft altmodisch und plüschig nennen, in gewisser Weise ist er es auch. Aber wie andere seines Kalibers – genannt seien Carons Tabac Blond, Chanels Cuir de Russie oder Piguets Bandit – steht er für eine Ära, in der die Parfumkunst in höchster, seither nie mehr ganz erreichter Blüte stand. Ihre Kreationen waren Meisterwerke androgyner Uneindeutigkeit (heute schnöde: Unisex bezeichnet), gepaart mit rauschhafter Sinnlichkeit und überbordender Lebensfreude.
Leider soll die Produktion des Duftes vor kurzem eingestellt worden sein, zum einen weil er angeblich voller von der IFRA inkriminierten Inhaltstoffe sei, zum anderen weil er einige Bestandteile enthalte, deren Produktion und Verarbeitung mittlerweile zu teuer sei.
Schade, schade.
Ohnehin war er ja nur in den gigantischen 250ml fassenden Apotheker-Flaschen der Private Collection erhältlich, und nicht in sonst üblichen 75ml Flakons, die dem Duft vermutlich eine größer Verbreitung und somit stetigere Nachfrage gesichert hätten – und auf diese Weise vielleicht auch das Überleben.
Zum Glück war ich vor ein paar Jahren derart von diesem Duft besessen, dass ich mich dazu durchringen konnte eine große Flasche zu kaufen. Ob ich sie je leeren werde weiß ich nicht. Sie wird mich jedenfalls noch viele Jahre begleiten – und das ist auch gut so!