19.11.2019 - 18:54 Uhr
Helena1411
104 Rezensionen
Helena1411
Sehr hilfreiche Rezension
35
Grand Dame
Der Vorhang fällt.
Stille.
Dann setzt tosender Applaus ein. Brandend.
Schweißüberströmt richtet sie sich auf, freundlich entgegenkommende Hände der um sie stehenden Kollegen, nicht minder erschöpft, aber euphorisiert ob der hervorragend gelungenen Aufführung, helfen ihr beim Aufrichten in ihrem prunkvollen, jedoch äußerst schweren und sie in die Unbeweglichkeit zwingenden Kostüm. Bevor der Vorhang sich das erste Mal wieder öffnet, müssen alle von der Bühne sein, um dann nach und nach unter dem anhaltenden Beifall des Publikums wieder zum Entgegennehmen desselbigen als Honorar für die erbrachte künstlerische Leistung der vergangenen Stunden auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu erscheinen.
Während sie mit den anderen hinter die Bühne eilt, steigt ihr wie schon in den vergangenen Stunden ein Hauch von Gewürznelke in die Nase. Ein eigenwilliger Geruch, nicht von jedem gemocht, von ihr aber geliebt, gerade aufgrund seiner Eigenwilligkeit. Zudem ist er jetzt, nach all den Stunden des Getragenwerdens, mit dieser klar identifizierbaren Weihrauchnote versehen; eine wunderbare Mischung, harmonisch, feierlich, aussagekräftig und doch nicht alltäglich. Passend zu ihr.
Der Vorhang öffnet sich, der Applaus steigt wellenähnlich wieder an, als der Chor geschlossen auf die Bühne tritt. Sie gönnt es dem Chor, seine Leistung ist beträchtlich, auch wenn er hin und wieder von der gemeinen Masse vollkommen unterschätzt wird, der geneigte Operngänger ihn aber durchaus in seinem Wert für das Gesamtwerk zu schätzen weiß.
Noch auf der Bühne im vierten und letzten Akt konnte sie den Weihrauch nur als eine undefinierbar rauchige Note wahrnehmen, fast schon erdig-süß mit balsamischen Anklängen. Nicht, dass ihr diese Duftentwicklung unbekannt wäre, letztlich trägt sie ihn, seitdem sie denken kann, er ist im Laufe ihrer diversen Engagements zu ihrem auserwählten Bühnenduft geworden, weil er sie trägt, stützt, sie durch die Aufführung begleitet.
Nun tritt der Hohepriester des Baal auf die Bühne, um seinen wohl verdienten Teil des Applauses entgegenzunehmen. Ihm folgt der Kollege, der den babylonischen Wächter Abdallo als Tenor seine Stimme verliehen hat. Der Beifall brandet auf und ab.
Ähnlich dem Duft der Gewürznelke, welcher rückblickend genauso immer wieder auf- und abbrandet, auftaucht, sie dunkelwürzig umschwebt, dann wiederum sich zurückzieht, um hellen Blütenschein in Form von einem leichten, zarten Blumenduft Platz einzuräumen. So ergibt sich ein stetiges Wechselspiel von hell und dunkel in dem Duftverlauf, der sie auch an ihre eigene Karriere erinnert, ihre großen Rollen wie die der äthiopischen Königstochter Aida, innerhalb der sie bei jeder Aufführung das Gefühl hatte, am Ende ein kleines Stück mit ihrer Rolle, eingemauert in der dunklen Gruft unter dem Tempel, zu sterben. Eine anspruchsvolle Rolle, die sie so sehr vereinnahmt hatte, dass sie danach tatsächlich eine längere Tournierpause einlegen musste, um sich ganzheitlich wieder fangen zu können. Eine dunkle Phase, welche sich für sie in den von ihr dunkel empfundenen Phasen des Duftes widerspiegelt.
Mittlerweile läuft der hebräische Hohepriester Zaccaria bzw. vielmehr der diese Rolle verkörpernde Bass auf die Bühne, um sich vor dem begeisterten Publikum dankend zu verneigen. Ein aus ihrer Sicht hervorragender Sänger, vibrierend voller Leben und vollkommen in seinen Rollen aufgehend, dahingehend ihr sehr ähnlich.
Auch hier muss sie an den sie ihre Gesangskarriere begleitenden Duft denken, der ebenso durchaus lebendig wahrgenommen werden kann; immer wieder wandelbar, mal hellblumig, dann wieder dunkelwürzig, auch schien es ihr schon häufig, als sei eine Prise Zimt ebenso wie die Gartennelke vertreten, wenngleich es nicht allzeit riechbar ist und wenn auch nur als dezente Noten im Hintergrund. Nichtsdestotrotz verleihen diese Duftaspekte dem Duft ein schillerndes Gewand, in dem sie sich so verstanden und wohl fühlt, gleichzeitig wunderbar duftgekleidet, weil es ihrer Persönlichkeit eine Entsprechung gibt.
Sie nimmt wahr, dass nacheinander Ismaele und der Mezzosopran als ihre in der Oper auftretende Schwester Fenena auf die Bühne tritt sowie dann unter tosenden Beifallsstürmen Nabucco als König von Babylon.
Diese Vielfalt an fantastischen Sängern und fulminanten Stimmen beflügelt sie jedes Mal aufs Neue, lässt sie staunen und sich als Teil eines in sich stimmigen Großen und Ganzen zu fühlen, auch wenn sie zumeist die oder zumindest einer der Hauptrollen einnahm und bis zum heutigen Tage auch -nimmt. Ob es die Freia in der Nibelungensaga war, die sie noch vor Kurzem sang, paradoxerweise die Göttin der ewigen Jugend dargestellt von ihr als mittlerweile schon die zweite Lebenshälfte weit beschritten, oder ob es die große Liebe von Tschaikowskis Eugen Onegin war, sie war und ist immer eine der ganz Großen.
Vielleicht hatte sie sich auch aus diesem Grund schon früh für diesen Duft entschieden, einen Duft, der wie eine Grand Dame aufzutreten weiß, wenn gleich zu Beginn eine fulminante Aldehyde-Wolke sie umfängt. Ein Duft, der aus der Zeit gefallen ist und doch die Zeit in sich hält und trägt, Erinnerungen zu Duft werden und Altes neu aufleben lässt. Der unnahbar und doch so warmherzig erscheint, wenn zu Beginn gemeinsam mit der pudrigen Aldehyde-Seifigkeit eine zitrische, fast schon leicht schweißige Note, sie vermutet Bergamotte dahinter, ein Duett bildet. Ein Duft, der sich nie festzulegen vermag, sondern seinen großen Auftritt plant, hervorhebt, abbricht und wieder aufnimmt. Der sich aber dennoch treu bleibt, wenn die Gewürznelke trotz des Abtauchens und Wiederkehrens den gesamten Duftverlauf von Anfang an dem Duft sein Fundament bereitet, aber den auf dem roten Teppich vielerlei gestreuten Blüten ihren Platz einräumt und sich den finalen Akt geradezu feierlich mit dem Weihrauch teilt.
Und sie betritt als Letzte die Bühne. Der Beifall überschlägt sich schier. Sie verbeugt sich, vor dem Publikum, vor Cinnabar.
Der Vorhang fällt.
Sie ist noch da.
Stille.
Dann setzt tosender Applaus ein. Brandend.
Schweißüberströmt richtet sie sich auf, freundlich entgegenkommende Hände der um sie stehenden Kollegen, nicht minder erschöpft, aber euphorisiert ob der hervorragend gelungenen Aufführung, helfen ihr beim Aufrichten in ihrem prunkvollen, jedoch äußerst schweren und sie in die Unbeweglichkeit zwingenden Kostüm. Bevor der Vorhang sich das erste Mal wieder öffnet, müssen alle von der Bühne sein, um dann nach und nach unter dem anhaltenden Beifall des Publikums wieder zum Entgegennehmen desselbigen als Honorar für die erbrachte künstlerische Leistung der vergangenen Stunden auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu erscheinen.
Während sie mit den anderen hinter die Bühne eilt, steigt ihr wie schon in den vergangenen Stunden ein Hauch von Gewürznelke in die Nase. Ein eigenwilliger Geruch, nicht von jedem gemocht, von ihr aber geliebt, gerade aufgrund seiner Eigenwilligkeit. Zudem ist er jetzt, nach all den Stunden des Getragenwerdens, mit dieser klar identifizierbaren Weihrauchnote versehen; eine wunderbare Mischung, harmonisch, feierlich, aussagekräftig und doch nicht alltäglich. Passend zu ihr.
Der Vorhang öffnet sich, der Applaus steigt wellenähnlich wieder an, als der Chor geschlossen auf die Bühne tritt. Sie gönnt es dem Chor, seine Leistung ist beträchtlich, auch wenn er hin und wieder von der gemeinen Masse vollkommen unterschätzt wird, der geneigte Operngänger ihn aber durchaus in seinem Wert für das Gesamtwerk zu schätzen weiß.
Noch auf der Bühne im vierten und letzten Akt konnte sie den Weihrauch nur als eine undefinierbar rauchige Note wahrnehmen, fast schon erdig-süß mit balsamischen Anklängen. Nicht, dass ihr diese Duftentwicklung unbekannt wäre, letztlich trägt sie ihn, seitdem sie denken kann, er ist im Laufe ihrer diversen Engagements zu ihrem auserwählten Bühnenduft geworden, weil er sie trägt, stützt, sie durch die Aufführung begleitet.
Nun tritt der Hohepriester des Baal auf die Bühne, um seinen wohl verdienten Teil des Applauses entgegenzunehmen. Ihm folgt der Kollege, der den babylonischen Wächter Abdallo als Tenor seine Stimme verliehen hat. Der Beifall brandet auf und ab.
Ähnlich dem Duft der Gewürznelke, welcher rückblickend genauso immer wieder auf- und abbrandet, auftaucht, sie dunkelwürzig umschwebt, dann wiederum sich zurückzieht, um hellen Blütenschein in Form von einem leichten, zarten Blumenduft Platz einzuräumen. So ergibt sich ein stetiges Wechselspiel von hell und dunkel in dem Duftverlauf, der sie auch an ihre eigene Karriere erinnert, ihre großen Rollen wie die der äthiopischen Königstochter Aida, innerhalb der sie bei jeder Aufführung das Gefühl hatte, am Ende ein kleines Stück mit ihrer Rolle, eingemauert in der dunklen Gruft unter dem Tempel, zu sterben. Eine anspruchsvolle Rolle, die sie so sehr vereinnahmt hatte, dass sie danach tatsächlich eine längere Tournierpause einlegen musste, um sich ganzheitlich wieder fangen zu können. Eine dunkle Phase, welche sich für sie in den von ihr dunkel empfundenen Phasen des Duftes widerspiegelt.
Mittlerweile läuft der hebräische Hohepriester Zaccaria bzw. vielmehr der diese Rolle verkörpernde Bass auf die Bühne, um sich vor dem begeisterten Publikum dankend zu verneigen. Ein aus ihrer Sicht hervorragender Sänger, vibrierend voller Leben und vollkommen in seinen Rollen aufgehend, dahingehend ihr sehr ähnlich.
Auch hier muss sie an den sie ihre Gesangskarriere begleitenden Duft denken, der ebenso durchaus lebendig wahrgenommen werden kann; immer wieder wandelbar, mal hellblumig, dann wieder dunkelwürzig, auch schien es ihr schon häufig, als sei eine Prise Zimt ebenso wie die Gartennelke vertreten, wenngleich es nicht allzeit riechbar ist und wenn auch nur als dezente Noten im Hintergrund. Nichtsdestotrotz verleihen diese Duftaspekte dem Duft ein schillerndes Gewand, in dem sie sich so verstanden und wohl fühlt, gleichzeitig wunderbar duftgekleidet, weil es ihrer Persönlichkeit eine Entsprechung gibt.
Sie nimmt wahr, dass nacheinander Ismaele und der Mezzosopran als ihre in der Oper auftretende Schwester Fenena auf die Bühne tritt sowie dann unter tosenden Beifallsstürmen Nabucco als König von Babylon.
Diese Vielfalt an fantastischen Sängern und fulminanten Stimmen beflügelt sie jedes Mal aufs Neue, lässt sie staunen und sich als Teil eines in sich stimmigen Großen und Ganzen zu fühlen, auch wenn sie zumeist die oder zumindest einer der Hauptrollen einnahm und bis zum heutigen Tage auch -nimmt. Ob es die Freia in der Nibelungensaga war, die sie noch vor Kurzem sang, paradoxerweise die Göttin der ewigen Jugend dargestellt von ihr als mittlerweile schon die zweite Lebenshälfte weit beschritten, oder ob es die große Liebe von Tschaikowskis Eugen Onegin war, sie war und ist immer eine der ganz Großen.
Vielleicht hatte sie sich auch aus diesem Grund schon früh für diesen Duft entschieden, einen Duft, der wie eine Grand Dame aufzutreten weiß, wenn gleich zu Beginn eine fulminante Aldehyde-Wolke sie umfängt. Ein Duft, der aus der Zeit gefallen ist und doch die Zeit in sich hält und trägt, Erinnerungen zu Duft werden und Altes neu aufleben lässt. Der unnahbar und doch so warmherzig erscheint, wenn zu Beginn gemeinsam mit der pudrigen Aldehyde-Seifigkeit eine zitrische, fast schon leicht schweißige Note, sie vermutet Bergamotte dahinter, ein Duett bildet. Ein Duft, der sich nie festzulegen vermag, sondern seinen großen Auftritt plant, hervorhebt, abbricht und wieder aufnimmt. Der sich aber dennoch treu bleibt, wenn die Gewürznelke trotz des Abtauchens und Wiederkehrens den gesamten Duftverlauf von Anfang an dem Duft sein Fundament bereitet, aber den auf dem roten Teppich vielerlei gestreuten Blüten ihren Platz einräumt und sich den finalen Akt geradezu feierlich mit dem Weihrauch teilt.
Und sie betritt als Letzte die Bühne. Der Beifall überschlägt sich schier. Sie verbeugt sich, vor dem Publikum, vor Cinnabar.
Der Vorhang fällt.
Sie ist noch da.
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