29.05.2023 - 15:37 Uhr

Marieposa
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Marieposa
Top Rezension
36
Abstrakter Blütenzauber und Magnolienspaziergänge
„Da drüben!“, ruft das kleine Mädchen und hopst aufgeregt an der ausgestreckten Hand auf und ab. „Da ist einer. Endlich!“
Das Kind ist vielleicht fünf Jahr alt. Die blonden Locken fallen mehr schlecht als recht gezähmt über die Schultern und eine weiße Haarspange mit einem Schmetterling, ein wohlgehüteter Schatz, ist auf dem besten Weg, beim nächsten Hüpfen auf den Boden zu purzeln und für immer verloren zu gehen. Zur Feier des Tages darf das Mädchen das beste Kleid tragen. Das grüne mit den zarten Blumenmustern und dem weißen Spitzenkragen, der mit den Wolken am Frühlingshimmel um die Wette leuchtet. Eine Strickjacke mit Zopfmustern darüber. Die dünnen Beinchen stecken in weißen Rippstrumpfhosen und die Füße in Lackschuhen, die ganz fürchterlich kneifen.
Eigentlich drängt die Zeit. Eigentlich hat das Kind beim Anziehen zu lange getrödelt, musste noch ein Spiel anfangen und noch eins, noch kurz ein Lied singen und eine Geschichte erzählen, die gerade im Kopf auftauchte. Trotzdem lächelt Oma nun und streicht ihr sanft über den Kopf.
„Ich habe den Magnolienbaum auch gesehen. Komm, wir gehen da entlang, dann kannst du die Blüten riechen“, sagt sie mit ihrer leisen, etwas rauen Stimme. „Und dann sehen wir nach, ob es in dieser Straße noch mehr davon gibt.“
Plötzlich ist das alles, was zählt: Eine elegante Frau um die fünfzig mit einem zappelnden, vor sich hin singenden Kind an der Hand auf Umwegen unterwegs durch die Stadt. Auf der Suche nach den zartrosa Wolken blühender Magnolienbäume.
**
Streng genommen duftet Pleasures gar nicht – oder zumindest nicht vordergründig – nach Magnolien. Es ist ein abstrakter Blumenduft, der jede Menge Raum für Assoziationen lässt: Mal rieche ich Pfingstrosen, mal Flieder, Freesien oder eben doch Magnolien. Begleitet werden die zarten Blütenträume von einer ordentlichen Ladung rosa Pfeffer, der dem Duft ein fast schon elektrisches Prickeln verleiht. Da sind frische grüne Akzente, eine etwas undefinierbare holzige Note, schillernde Seifenblasen und jede Menge luftige Moschuswolken, in denen manchmal ein kaum wahrnehmbarer metallischer Ton mitschwingt, meistens aber etwas, das zumindest für meine Nase ein wenig riecht, wie nasser Zement. Karo-Karounde, die mich an Magnolien, Schokoladenpudding und animalischem Moschus erinnert, bewahrt den Duft davor, vollständig in die Waschküche abzudriften und steuert Lebendigkeit, Wärme und Charakter bei.
Wie so viele Düfte aus den 1990er-Jahren ist Pleasures ein Duft, der sehr viel weniger zart ist, als er im ersten Moment erscheint. Er erschafft eine transparente, aber durchaus präsente Duftwolke, strahlt vernehmlich, wenn auch nicht raumfüllend ab, und hält, zumindest an mir, fast den ganzen Tag.
Dass ich die Magnolienspaziergänge mit meiner Oma im Sinn hatte, als ich Pleasures mit vierzehn als mein erstes Parfum auswählte, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Damals war es einfach nur ein leichter, hübscher, grünblumiger Duft, der sich angenehm von CK One Eau de Toilette, L'Eau d'Issey Eau de Toilette Laura Eau de Parfum und Cool Water Woman abhob, die meine Freundinnen trugen. Die Magnolienspaziergänge dagegen waren etwas ganz Besonderes, weil der Winter zur Blütezeit im südlichen Oberbayern oft noch mal zurückkehrt, die Knospen verwelken lässt und es bei Leibe nicht jedes Jahr eine Magnolienblüte gibt. Wenn es dann aber doch einmal so weit war, war ganz klar, dass Oma und ich dieses besondere Ereignis teilen würden.
Ich trug Pleasures viele Jahre lang und entwuchs dem Duft schließlich. Doch als ich damit aufhörte, fing meine Oma damit an – und anders als ich, blieb sie dem Duft von da an treu, sodass er auf diese Weise auch in meinem Leben blieb und sich mit anderen Erinnerungen verknüpfte. Vor ein paar Monaten musste meine Oma in ein Pflegeheim umziehen. Seither steht ihr Flakon in meinem Schrank. Getragen habe ich Pleasures erst heute zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder.
Dieses Jahr sind die Magnolien in der Knospe erfroren. Und meine Oma ist letzte Nacht gestorben. Trotzdem weiß ich, dass die Magnolien nächstes Jahr umso prachtvoller blühen werden. Bestimmt.
Das Kind ist vielleicht fünf Jahr alt. Die blonden Locken fallen mehr schlecht als recht gezähmt über die Schultern und eine weiße Haarspange mit einem Schmetterling, ein wohlgehüteter Schatz, ist auf dem besten Weg, beim nächsten Hüpfen auf den Boden zu purzeln und für immer verloren zu gehen. Zur Feier des Tages darf das Mädchen das beste Kleid tragen. Das grüne mit den zarten Blumenmustern und dem weißen Spitzenkragen, der mit den Wolken am Frühlingshimmel um die Wette leuchtet. Eine Strickjacke mit Zopfmustern darüber. Die dünnen Beinchen stecken in weißen Rippstrumpfhosen und die Füße in Lackschuhen, die ganz fürchterlich kneifen.
Eigentlich drängt die Zeit. Eigentlich hat das Kind beim Anziehen zu lange getrödelt, musste noch ein Spiel anfangen und noch eins, noch kurz ein Lied singen und eine Geschichte erzählen, die gerade im Kopf auftauchte. Trotzdem lächelt Oma nun und streicht ihr sanft über den Kopf.
„Ich habe den Magnolienbaum auch gesehen. Komm, wir gehen da entlang, dann kannst du die Blüten riechen“, sagt sie mit ihrer leisen, etwas rauen Stimme. „Und dann sehen wir nach, ob es in dieser Straße noch mehr davon gibt.“
Plötzlich ist das alles, was zählt: Eine elegante Frau um die fünfzig mit einem zappelnden, vor sich hin singenden Kind an der Hand auf Umwegen unterwegs durch die Stadt. Auf der Suche nach den zartrosa Wolken blühender Magnolienbäume.
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Streng genommen duftet Pleasures gar nicht – oder zumindest nicht vordergründig – nach Magnolien. Es ist ein abstrakter Blumenduft, der jede Menge Raum für Assoziationen lässt: Mal rieche ich Pfingstrosen, mal Flieder, Freesien oder eben doch Magnolien. Begleitet werden die zarten Blütenträume von einer ordentlichen Ladung rosa Pfeffer, der dem Duft ein fast schon elektrisches Prickeln verleiht. Da sind frische grüne Akzente, eine etwas undefinierbare holzige Note, schillernde Seifenblasen und jede Menge luftige Moschuswolken, in denen manchmal ein kaum wahrnehmbarer metallischer Ton mitschwingt, meistens aber etwas, das zumindest für meine Nase ein wenig riecht, wie nasser Zement. Karo-Karounde, die mich an Magnolien, Schokoladenpudding und animalischem Moschus erinnert, bewahrt den Duft davor, vollständig in die Waschküche abzudriften und steuert Lebendigkeit, Wärme und Charakter bei.
Wie so viele Düfte aus den 1990er-Jahren ist Pleasures ein Duft, der sehr viel weniger zart ist, als er im ersten Moment erscheint. Er erschafft eine transparente, aber durchaus präsente Duftwolke, strahlt vernehmlich, wenn auch nicht raumfüllend ab, und hält, zumindest an mir, fast den ganzen Tag.
Dass ich die Magnolienspaziergänge mit meiner Oma im Sinn hatte, als ich Pleasures mit vierzehn als mein erstes Parfum auswählte, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Damals war es einfach nur ein leichter, hübscher, grünblumiger Duft, der sich angenehm von CK One Eau de Toilette, L'Eau d'Issey Eau de Toilette Laura Eau de Parfum und Cool Water Woman abhob, die meine Freundinnen trugen. Die Magnolienspaziergänge dagegen waren etwas ganz Besonderes, weil der Winter zur Blütezeit im südlichen Oberbayern oft noch mal zurückkehrt, die Knospen verwelken lässt und es bei Leibe nicht jedes Jahr eine Magnolienblüte gibt. Wenn es dann aber doch einmal so weit war, war ganz klar, dass Oma und ich dieses besondere Ereignis teilen würden.
Ich trug Pleasures viele Jahre lang und entwuchs dem Duft schließlich. Doch als ich damit aufhörte, fing meine Oma damit an – und anders als ich, blieb sie dem Duft von da an treu, sodass er auf diese Weise auch in meinem Leben blieb und sich mit anderen Erinnerungen verknüpfte. Vor ein paar Monaten musste meine Oma in ein Pflegeheim umziehen. Seither steht ihr Flakon in meinem Schrank. Getragen habe ich Pleasures erst heute zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder.
Dieses Jahr sind die Magnolien in der Knospe erfroren. Und meine Oma ist letzte Nacht gestorben. Trotzdem weiß ich, dass die Magnolien nächstes Jahr umso prachtvoller blühen werden. Bestimmt.
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