24.10.2019 - 05:47 Uhr
Duftsucht
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Duftsucht
Top Rezension
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Verruchte Sauberkeit
Nach langer Wartezeit sind nun die Düfte von Parfum d’Empire endlich wieder erhältlich – und vorgestern konnte ich mein Päckchen von der Post holen. Beim Öffnen die erste Überraschung. „Le Cri de la Lumiere“ heißt nun nur noch „Le Cri“, nix mehr mit Licht, nix mehr mit Leuchten. Nun frage ich mich die ganze Zeit, ob sich auch der Duft verändert hat. Leider habe ich keine Gelegenheit, das im Direktvergleich zu tun, da das Restfläschchen, das ich geschenkt bekam, schon lange leer ist.
Während in meiner Erinnerung der Duft früher mit einem ordentlichen Trommelwirbel begann, ist er nun zarter und zurückhaltender und nicht mehr so ungestüm. Wenn ich mir die Kommentare hier durchlese, dürfte das einigen Parfumos und Parfumas sogar entgegen kommen. Als viel stärker spürbar empfinde ich zu Beginn auch eine holzige Basis, die der leuchtenden Rose einen leichten Dämpfer versetzt. Nach den ersten Minuten ist „Le Cri“ als Komposition dann aber genau so, wie ich ihn in Erinnerung habe – möglicherweise insgesamt etwas weniger raumfüllend, aber das ist sehr schwer einzuschätzen. Und auch Ambrette, mit dem ich in Düften durchaus manchmal auf Kriegsfuß stehe, ist plötzlich weicher. Ich würde es super interessant finden, wenn jemand von euch Gelegenheit hätte, einen ordentlichen Vergleich anzustellen!
Nur der Vollständigkeit halber: Für mich ist eine gewisse Varianz bei Düften kein Problem: Gerade kleinen Manufakturen, die mit natürlichen Produkten arbeiten, muss man Unterschiede zwischen den Chargen einfach zugestehen! Schließlich ist ein Naturprodukt von vornherein immer etwas variabel – und wenn dabei so wunderschöne unangepasste Düfte entstehen, wie bei Parfum d’Empire, dann ist es lediglich meine Neugierde, ob andere es auch so empfinden, die mich fragen lässt – und keinesfalls eine Kritik am Duft!
Nun aber zu „Le Cri“ selbst: Wenn Sauberkeit erotisch sein kann, dann hier! Es hat ein wenig die Anmutung von viktorianischen jungen Mädchen, die zwar ihre Knöchel sittsam durch lange Röcke bedecken mussten, aber (angeblich) die Oberteile mit Wasser befeuchteten, um die Fantasie der jungen Männer zu wecken, die sie nur unter den strengen Augen einer Chaperon trafen. Das ist wohl der endgültige Beweis dafür, dass alles schon mal da war – selbst Wet-T-Shirt-Contests!
Le Cri macht für mich genau das: vordergründig trällert es „Ich bin ein sauberes Rosen-Iris-Lüftchen, das unbeschwert und arglos umhertänzelt“. Doch untergründig ist es die Stimme und Laszivität einer Marlene Dietrich, die das ewige Lied von Erwartung und Verführung summt. Bisher hatte ich immer Schwierigkeiten, die Behauptung, Ambrette sei ein Aphrodisiakum auch nur irgendwie nachzuvollziehen, aber dieser Duft hat es geschafft.
„Le Cri“ ist in sich perfekt austariert: Rose, Iris, Ambrette sind, wenn man sich auf den jeweiligen Duft konzentriert, eindeutig parallel zu riechen und das erweckt vordergründig den Eindruck, es sei ein simpler Duft. Die Rose ist nicht sauer, nicht zu würzig, nicht schwer – der Vergleich mit gelben Teerosen passt auch für mich perfekt. Die Iris ist pudrig, aber auch saftig-fleischig und nicht sanft-flüchtig, daher würde ich ihr eher die Farbe blau zuschreiben. Ambrette hatte ich bisher immer mit (zu) weiß konnotiert, hier ist es für mich eigenartigerweise sowohl strahlend hell, aber auch samtig dunkelrot. Ich merke, dass ich mit meiner Schilderung anstehe – der Duft entzieht sich meiner Beschreibung, weil er für mich zu viele Stimmungen in sich vereint. Er ist in meiner Nase viel mehr als die Summe seiner Einzelteile – und es fällt mir schwer, mich in meiner (zugegebenermaßen eingeschränkten) Duftwelt an ähnliche Gefühle einem Duft gegenüber zu erinnern.
Alles, was ich abschließend sagen möchte, ist ein tiefer Seufzer der Erleichterung und der Dankbarkeit, dass Parfum d’Empire nicht verschwunden ist, was ich schon sehr befürchtete!
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