Meine Mutter, Yves Saint Laurent und der Arzt...
Meine Mutter ist 84 Jahre alt und erfreut sich bester Gesundheit. Nur ein einziges Mal in ihrem bisherigen Leben musste ein Arzt zu ihr nach Hause kommen – Schuld daran war ein Duft von Yves Saint Laurent. Ein einziges Mal in 84 Jahren – und das auf Sylvester 1977. Aber ich fange mal von vorne an....
Meine große Schwester war zum ersten Mal verliebt und ihr Angebeteter schenkte ihr zu Weihnachten den Duft Opium von Yves Saint Laurent. Sie platzte vor Stolz und bevor wir zum Dinner in ein tolles Restaurant fuhren, sprühte sie sich mit dem geliebten Duft großzügig von oben bis unten ein.
Der Weg zum Restaurant führte über eine kurvige Strecke und den Insassen wurde zunehmend schlecht. Der Duft im Auto war alles überlagernd. Bei gefühlten minus 20 Grad fuhren wir mit offenem Fenster.
Plötzlich sagte meine Mutter: Anhalten!!!! Sie stieg aus, erbrach sich und nachdem sie sich mit großen Anstrengungen wieder ins Auto gesetzt hatte, bat sie meinen Vater , sofort nach Hause zu fahren. Das Abendessen, auf dass wir uns alle so gefreut hatten (der Tisch in diesem schönen Restaurant wurde schon im Sommer reserviert !), fiel aus – stattdessen wurde der Arzt gerufen, denn der Mutter ging es zunehmend schlechter.
Eine Spritze für die Konstitution und eine Menge frische Luft ließen meine Mutter dann Gott sei Dank schnell genesen, aber seitdem wusste ich : Parfum stinkt ekelerregend, macht krank und lässt meine Mutter vergessen, dass sie niemals einen Arzt am Feiertag belästigen möchte.
Ab dem Tag wurde jegliches Parfum aus dem Haus verbannt. Eine Flasche Tosca stand als Deko vor dem Spiegel, wurde aber niemals benutzt.
Als meine Pubertät begann, liebte ich es, auf Party’s zu gehen. Meine Freundinnen benutzten Parfum, um nette Jungs anzulocken. Ich wollte das nicht, hatte ich doch Angst, dass es den Jungs dann auch schlecht werden könnte. Aber dann traute ich mich eines Tages doch, im Drogeriemarkt an dem Duft Nonchalance zu riechen. Der Duft gefiel mir. Stand ein Tester dort, benetzte ich meine Haut damit. Gekauft habe ich ihn mir nie – hatte ich doch Angst, dass dann wieder der Arzt gerufen werden muss. Meine Freundin kaufte sich den Duft „My melody“ – und hin und wieder sprühte ich mir ein wenig davon auf die Haut.
Als ich 30 Jahre alt wurde, las ich einen Artikel über den Duft "Classique Eau de toilette" von "Jean Paul Gaultier". Der Duft wurde so schön beschrieben, ich verschlang jedes Wort des Artikels und wusste: diesen Duft muss ich kennenlernen. Ein paar Tage später fuhr ich nach Köln und ging voller Vorfreude in die Parfümerie auf der Schildergasse und erkundigte mich gleich nach diesem Duft. Die nette Verkäuferin zeigte mir einen Flakon, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Ein Korsettkleid auf einem Frauenkörper aus rosefarbenem matten Glas – wunderschön. Sie sprühte den Duft auf einen Teststreifen und es war um mich geschehen. Niemals vorher habe ich so einen schönen, betörenden Duft gerochen – ich durfte ihn mir auf die Haut sprühen und fühlte mich... weiblich, begehrenswert – toll!!!!!!
16 Jahre, nachdem meine Schwester den Opiumduft zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, schenkte mein Mann mir diesen für mich wahnsinnig tollen Duft. Ich dosierte ihn stets sparsam – verzichtete allerdings ganz darauf, wenn ich in naher Zukunft eine Autofahrt mit meiner Mutter unternahm.
Seitdem liebe ich Parfum – der Classique steht allerdings nicht mehr an erster Stelle, hat aber doch einen ganz besonderen Stellenwert in meinem Leben, denn ohne dieses Dufterlebnis, wäre ich vielleicht nie in die Welt der Düfte gelangt. Ich bin in der Nische angekommen, freue mich, dass es dieses Forum gibt und bin immer auf’s Neue begeistert von dem ein- oder anderen Duft. Ein schöner Duft kann mich trösten, wenn ich traurig bin. Lässt mich an Tagen, wo ich mich selber nicht leiden kann, ein bisschen besser fühlen. Seitdem ich mich für Düfte interessiere, habe ich viele nette Menschen kennengelernt und staune manchmal, über das Wissen von so manchem Verkäufer dieser schönen Wässerchen. Ich habe viele Geschichten kennengelernt von Parfumeuren, bei denen Genie und Wahnsinn ziemlich nah beieinander liegen. Oder von sogenannten Nasen, die nicht nur Düfte kreieren, die nach Hochprozentigem riechen – die solche hochprozentigen Getränke auch im Übermaß konsumieren .
Oft habe ich von ihnen so einiges über die Entstehung der Düfte erfahren und fand die Geschichten sehr spannend. Ebenso wundere ich mich manchmal darüber, dass andere so gar keine Ahnung von Düften haben, obwohl sie diese verkaufen sollen. Es ist eine Leidenschaft, die Spaß macht, nur meiner Mutter konnte ich diese Leidenschaft noch nie nahe bringen ;-)))