Ich gestehe. Ich bin vanillesüchtig. Seit 1989. Es begann in den großen Pausen einer niedersächsischen Grundschule. Am Milchverkaufstisch. Die Auswahl war übersichtlich: normale Milch, Kakao oder Vanillemilch. Das Päckchen zu je 35 Pfennig. "Vanille, bitte", sagte mein siebenjähriges Ich. Zack, angefixt!
Diese Vorliebe, weniger für die Milch als für die Vanillenote, hat sich bis heute wacker gehalten. Umso schwieriger gestaltet sich die Suche nach einem alltagstauglichen Vanilleduft. Von DEM Vanilleduft traue ich mich gar nicht zu träumen - es scheint hoffnungslos. Je tiefer man in der Sucht hängt, desto empfindlicher reagiert man auf Substitute, die nicht exakt das abzubilden vermögen, wonach man sich verzehrt.
Vaniglia Eau de Parfum lernte ich im Herbst 2020 in einer Parfümerie am Hafen von Portoferraio kennen, in der ich die Wartezeit bis zur Abfahrt meiner Fähre totzuschlagen versuchte. Er gefiel mir auf Anhieb, fast hätte ich ihn gekauft.
Zurück in Deutschland versorgte ich mich dann mit einer Abfüllung, die mich ein wenig entzauberte. Ich nahm den Duft kaum wahr, er schien mir zu sanft, zu wenig intensiv.
Ich vergaß ihn, widmete mich anderen Vanilledüften.
Im September entdeckte ich dann in einem süßen Lädchen in einer korsischen Kleinstadt einen einsamen Restflakon.
Ich testete ihn erneut, war wieder genauso verzückt wie bei der ersten Begegnung, erinnerte mich an meine damaligen Zweifel und ... ließ ihn abermals stehen.
Einen Tag später erreicht mich eine Tauschanfrage einer anderen Parfuma. Ob ich nicht einen Duft aus meinem Souk gegen
Vaniglia Eau de Parfum tauschen wolle ...
Glauben Sie an Zufälle? Ich mittlerweile nicht mehr.
Seit der Flakon bei mir eingezogen ist, bin ich begeistert von dieser eierlegenden Vanillemilchsau.
Der Duft ist leichter als andere Vanilledüfte. Irgendwie blumig-beseelt und ätherisch. Da klebt nichts Sämig-Schweres, Übersüßtes.
Alle Ingredienzen wirken hochwertig und natürlich. Auf die mir so verhasste Synthetik zum Zwecke der künstlichen Intensivierung und Haltsbarkeitsverlängerung hat man dankenswerterweise gänzlich verzichtet. Der Start ist leicht bergamottig-zitrisch, aber das ist zum Glück nur ein wirklich kurzes Intermezzo. Wenn ich irgendetwas noch mehr hasse als Ambrocenide, dann ist es eine zitrisch-versäuerte Vanillenote. Da kann ich mir auch gleich Nutella-Matjes unter die Achseln reiben. Ähnlich harmonisches Gesamtbild. Also keine Bange, unter der Kopfnote schält sich Stück für Stück eine federleichte, blumig-pudrige Vanille hervor, die niemals nervt und mich stundenlang freundlich und hell umschmeichelt. Und Heliotrop, herrje, der ist hier so schön harmonisch verbaut - gar nicht mandelklebrig, sondern eher als zarter Puderschatten. Jasmin passt ebenfalls ganz wunderbar ins Bild. Der Duft bleibt stets luftig, driftet nicht ins Kitschblumige ab.
Stundenlanges Umschmeicheln? Ja. Tatsächlich. Ich trage den Duft inzwischen mehrmals wöchentlich bei der Arbeit und auch fünf Stunden nach dem Aufsprühen "docken" meine Klienten bei mir an und wollen an mir riechen (falls das jetzt komisch klingen sollte, ich arbeite in einem Kinderheim und werde ca. 480 x pro Tag umarmt). Wohlgemerkt bei maximal drei Sprühstößen.
Es ist zwar etwas schade, dass ich den Duft nach etwa drei Stunden selbst nicht mehr intensiv wahrnehme, aber die Sillage ist definitiv gegeben.
Ich fühle mich mit diesem sympathischen Duft einfach wohl, nahbar und positiv beseelt. Eine sanfte und elegante Vanille ohne süßgourmandig-schwere Betulichkeit, die viel mehr an das beschwingte italienische Dolcefarniente als an kalorienreiche Zuckerwaren auf deutschen Weihnachtsmärkten erinnert.
Mein Arbeitsduft. Meine Alltagsvanille. Endlich gefunden.