Spritzig frische Zitrone, fast schon golden anmutend und ihr Saft in ebenso edlem Farbton sprühen mir funkelnd aus dem Flakon entgegen, den man fast nur mit Sonnenbrille geniessen kann ;-) ! Bergamotte intensiviert fruchtig gleich darauf noch, aber dimmt die Spritzigkeit ein wenig. Wermut steuert, wie der Name auch noch fast sagt, eine Prise Schwermut bei, die das Zitronige vom Anfang etwas einfängt und dämpft, damit der Duft nicht zu zitrisch wird. Das ist gut so für mich, denn sonst wäre hier der Duft für mich zu Ende. Allzuviel Zitrone ist nicht mein Ding und so bin ich heilfroh, dass gleich noch die schöne Wendung kommt.
Den Faden habe ich am Handgelenk fest verknüpft. Das andere Ende ist an einer Säule im Garten befestigt. Wenn beide Enden halten, werde ich aus dem bevorstehenden Abenteuer herausfinden. Kurz an beiden etwas zuppeln, ja es hält. Dann mache ich mich auf den Weg. Die grünen, haushohen Buschmauern des Labyrinths kommen immer näher. Da ist der Eingang. Ich gehe hindurch. Die Anordnung der ersten grünen Wand steuert mich nach links. Einige Meter weiter steht ein Tischchen mit einer Schale frisch aufgeschnittener Zitronen. Schon davor steigt mir ihr intensiv frischer und erfrischender Duft in die Nase. Neben den Zitronen liegen einige Bergamotten, grünschalig aber im Geruch leicht süsslicher. Ich inhaliere auch sie. Gestärkt von Beiden gehe ich weiter. Hier um eine Ecke, da um die Nächste. Es liegt ein bitterkrautiger Nebel in der Luft und führt mich an ein nächstes Tischchen. Darauf befinden sich eine Flasche Wermut und ein damit halbgefülltes Gläschen, daneben ein Stück Würfelzucker. Ich schnuppere an Flasche und Glas, tränke den Zucker und lasse ihn mir auf der Zunge zergehen. Die aufsteigenden Dämpfe vermischen sich mit der kräftigen Zitronennote von vorhin, die sich hartnäckig in meiner Nase hält und ergibt mit ihr zusammen einen Duftton, der mir immer besser gefällt. Das Spritzigfrische wird etwas gedimmt, bleibt aber erkennbar. Neugierig gehe ich weiter, die Düfte nach wie vor in meinen Sinnen verankert. Zweimal links, einmal rechts und ich komme an einen üppigen, hochgewachsenen Rosenbusch, der im ersten Augenblick farbiger erscheint, als er sollte. Beim näheren Betrachten sehe ich, dass er an einigen Ästchen noch andere Blüten hat, als hätte jemand einen Tannenbaum mit Schmuck behängt. Hier und da sind weisse Jasmin- und Orangenblüten angebracht. Die tiefrote Rose erhält dadurch eine Blumigkeit, die ihre Eigene unterstreicht und gar intensiviert. Mit den zitrischen Noten und den Wermutdämpfen in meiner Nase ergibt das ein edles Duftmélange, das mein Interesse immer noch mehr weckt. Meine Duftreise geht also noch weiter. Ich merke mittlerweile, dass ich an Verzweigungen der Buschwege meiner Nase folgen muss, um ans Ziel zu gelangen. Ich lasse mich lenken und komme an Holzstapel mit verschieden farbigen Hölzern. Als wären sie frisch geschlagen, vermengen sie sich mit meinen bereits inhalierten Wahrnehmungen und steuern eine würzigaromatische Richtung bei, die sich hervorragend mit den Anfangsnoten verträgt und diese in der Frische wieder etwas verstärkt. Viele Rosendüfte mit Blüten und Hölzern driften ins Dunkle, Mystische ab, dieser hier aber scheint mit aller Kraft auf der hellen Seite bleiben zu wollen. Das merkt man an der Auswahl in der Pyramide vielleicht nicht sofort, aber beim Aufsprühen wird der geplante Verlauf immer klarer. So komme ich auch zum Schluss, dass wer Rosendüfte dunkel, üppig und schwer nicht so mag, den hier vielleicht lieben könnte. Einfach weil er ein sonniges Gemüt hat. Da er bei mir dasselbe Gefühl auslöst, gehe ich beschwingt an den Holzstapeln vorbei und weiter in den nächsten grünen Gang. Es wird blumiger und süsser, etwas Schokoladiges, Weichduftiges liegt in der Luft. Etwas, was mir beinahe Wasser im Mund ansammeln lässt. Schon gehe ich merkbar schneller. Was lockt mich da so unwiderstehlich? Eine Biegung im mauerhohen Gebüsch führt mich wieder an ein Tischchen. Hier ist fein aufgedeckt, als würde jemand zu Kaffee und Kuchen erwartet. Mittig prangt eine Etagère mit leckeren Dingen bestückt. Ich sehe Pralinen, dunkle wie helle, Tonkabohnen mit ihrem süssholzigen bis vanille-karamelligen Geschmack liegen einzeln in einem Schälchen und möchten degustiert werden. Ich sauge die feinen Düfte von allem in mich auf und lasse sie mit all den anderen zuvor in mich Aufgenommenen verschmelzen. Ein herrlicher leicht zitronig-rosig-süsser Duft entsteht, der sehr haftet, hat sich doch keine der Aromen von Anfang bis hierher verflüchtigt. Jede ist nach wie vor abrufbar. Ich stiebitze noch eine Praline und gehe schliesslich weiter. Um drei Ecken gebogen komme ich eine grüne Wand mit Bildern. Eines zeigt einen Moschusochsen. Daneben auf einem kleinen Simschen ein Fläschchen mit dem Öl. Ich schnuppere daran, merke aber, dass sich diese Substanz nur dezent mit dem bisherigen Dufteindruck vermischt. Das Bild daneben zeigt Ambra. Wohl weiss ich, dass das Amber jedem Duft eine sinnliche Weichheit beisteuert und allzu würzige, frische oder hellblütige Noten in Watte packt, sodass sie erträglich werden und selbst zum Träumen einladen können. Auch hier in dieser Duftfolge tut Ambra was es am besten kann und steuert eine Wohlfühlnote bei, die aber nicht beschwert, sondern nur auffängt. Mein Blick geht zur Seite, da fällt Licht ins Grün ein. Ob das der Ausgang ist? Ich folge dem Schein und sehe tatsächlich den ausgeschnittenen Durchgang in der Buschwand. Gleich davor aber steht eine meterhohe weisse Säule mit einem goldfarbigen Gebilde darauf. Im ersten Moment erkenne ich etwas kantiges, leuchtendes, im Lichtschein glitzerndes und kann es nicht recht zuordnen. Beim Näherkommen aber sehe ich sehr wohl, was es ist. Es ist ein Flakon Maze von Al Haramain. In ihm schlummert das Ergebnis meiner Duftreise. Ich habe mich nicht verirrt und habe so hier viel mehr als nur den Ausgang gefunden. Denn der Weg ist hier das Ziel...