05.07.2020 - 20:17 Uhr

Pinkdawn
68 Rezensionen

Pinkdawn
Top Rezension
37
In die Tannen geh'n
Wenn die Tage heißer werden, sehnt man sich nach einem Parfum, das Frische und Kühlung bringt.
Meist findet sich das in zitrischen Düften. Doch so spritzig und belebend die auch sind, wünscht man sich auch Abwechslung vom Zitronenhain. Mir ging es jedenfalls so. Auf der Suche nach einem Sommerduft, der ohne Zitrisches erfrischt, stieß ich auf Eau de gentiane blanche, ein Cologne von Hermès, kreiert von Großmeister Jean-Claude Ellena. Von Zufall kann ich hier nicht wirklich sprechen. Mein letzter Sommerduft, Concentré de Pamplemousse Rose, stammt ebenfalls von Ellena, genau wie Un jardin sur le Toit, das ich seit Monaten gerne trage. Von daher und nach den Beschreibungen wage ich einen Blindkauf. Auf ebay um wohlfeile € 58,82.
Ich gebe es zu: Ich bin ich kein Fan von Abfüllungen, bei denen man nie genau weiß, was man bekommt, und die – hochgerechnet – meist teurer sind als das Original. Außerdem liebe ich den Moment, wenn ich die Zellophanhülle eines Parfums öffne – überhaupt, wenn es ein Blindkauf ist -, und ich den Duft das erste Mal erlebe. Vielleicht brauche ich diesen Kick, die Überraschung, das Neue. Zum Glück habe ich bisher meinen Gefühlen vertrauen können und bin bis auf ein einziges Mal (Oud al Misk) nicht enttäuscht worden.
EdGb stand schon lang auf meiner Wunschliste. Was ich bisher über diesen Duft gelesen habe, hat mich neugierig gemacht. Ich mag Düfte, die neue Eindrücke bringen. Beim EdGb hoffte ich, das zu finden – einmal kein Zitrusduft, aber trotzdem erfrischend, und keine Blümchen-Süße. Der Duft wird meist mit Berglandschaften und Gebirgsbächen assoziiert. Es werden ihm Reinheit, Klarheit und Ruhe zugeschrieben.
Welche Erfahrungen werde ich damit machen?
Zunächst der Flacon – wie so oft bei Hermès der berühmten Kutschenlaterne nachgebildet, unterscheidet er sich durch seine dunkle Farbe von den meisten anderen der Cologne-Serie. In seiner Mischung aus Dunkelgrün und Rauchgrau sieht er schon sehr ehrfurchtgebietend aus.
Ich sprühe den Duft auf. Kühle, trockene Frische. „Ich werde in die Tannen geh'n“, ist meine erste Assoziation. Nicht etwa, weil EdGb nach Tannennadeln duftet. Es ist eher das Gefühl, in eine – ich sag mal – wildromantische Berglandschaft katapultiert zu werden. Der Mischwald ist hier bereits einem Nadelwald gewichen. Der hält es auch in hohen Höhen aus, wo andere Bäume respektvoll zurückbleiben.
Es ist keine realistische Alpinlandschaft. Mehr wie diese japanischen Bilder in Grautönen von Hochwäldern und Bergen, bei denen man nie weiß, ob sie Fotos oder Aquarelle sind.
Nadelbäume, die immer spärlicher werden, je weiter es hinaufgeht. Schroffe, steile Felsen, an denen Nebelschwaden hängen.
In die Tannen geh'n. Ja, das trifft es. Ich denke an das Video „Ohne dich“. Da findet sich ja alles: der klare Gebirgsbach, die schroffen Felsen, in denen sich Lindemann & Co in sehr malerischen Retro-Bergsteigerklamotten am Seil kletternd den Mühen des Aufstiegs stellen. Rammstein lieben es heroisch. Sie spielen mit Pathos. Und was kann pathetischer sein als ein Bergdrama mit Schneesturm, wortlosen, bedeutungsschweren Blicken und das unausbleibliche Unglück. Till Lindemann stürzt in die Tiefe, bleibt schwer verletzt liegen und wird am nächsten Tag von seinen Kameraden – nein, natürlich nicht ins Spital - auf den Gipfel geschleppt. Ein letzter Blick aufs imposante Bergpanorama, dann schließt er in diesem Filmchen für immer seine Augen.
Der gewollt schwülstige Text entspricht den Bildern. Ich habe mich immer gefragt, wo Lindemann diese altertümlichen Redewendungen und Ausdrücke hernimmt. Als Germanistin sehe ich natürlich Bezüge zur Sprache der Romantik. Vielleicht liest er täglich in „Des Knaben Wunderhorn“ (oder hat einen fleißigen Assistenten – kann freilich auch eine Assistentin sein, der/die das für ihn erledigt). Die Märchen der Brüder Grimm wird er als Kind einer Journalistin und eines Autors ebenfalls verinnerlicht haben.
Gerade die Lyrics zu „Ohne dich“ wurden zahlreich zu interpretieren versucht. Da finden sich die abstrusesten Deutungen - von Umweltschutz über Suizid und Kokain bis zu Soldaten (?!) und Mord an der Gefährtin ... Ich habe lächeln müssen, wie ernst der Text genommen wird. Und dass niemand zu erkennen scheint, wie viel romantische Ironie und Augenzwinkern dahinterstecken - wie so oft, wenn nicht immer, bei Rammstein.
Nein, ich bin nicht vom Thema abgekommen. Ganz im Gegenteil. Denn auch EdGb spielt mit pathetischen Versatzstücken. Schon der Name „Wasser des Weißen Enzians“ evoziert alpine Assoziationen, obwohl es eigentlich der berühmte blaue Enzian ist, dem man im Gebirge begegnet.
Möglich, dass der Gelbe Enzian, aus dessen Wurzel der beliebte Enzianschnaps gebrannt wird, in Frankreich Weißer Enzian genannt wird. Oder es handelt sich um einen Albinoenzian? Auf jeden Fall passt das Weiß besser zur Stimmung des Dufts als dieses unverschämt strahlende Blau der Gentiana.
Der Duft hat wirklich etwas von der Stimmung des „Ohne dich“-Videos. Er versetzt uns in eine Gebirgslandschaft, die, vielleicht abgesehen vom Rauschen des Windes, ruhig ist – zumindest singen auch hier die Vögel nicht mehr -, aber keineswegs lieblich. Wir befinden uns im Hochgebirge, das per se schon ein Bereich latenter Gefahren ist, wie die Autorin dieser Zeilen bei diversen Bergtouren selbst erlebt hat.
Die Landschaft, die hier suggeriert wird, hat etwas Erhabenes, Majestätisches, Wildes.
Auch der völlig unsüße Duft wirkt elitär, strahlt puristische Strenge aus.
Die trockene Kühle der Kopfnote erinnert an Papyrus. Aber es wäre nicht Jean-Claude Ellena, würde nicht eine gewisse grasige Note auftauchen. Oder besser gesagt, Heu-Nuance. Im Tal hat man wohl heute gemäht. Der Duft des Heus dringt bis hinauf an die Grenzen der Vegetationszone. Freilich ist das kein intensiver Heuduft, sondern nur ein Hauch, der vorüberweht wie Glockengebimmel am Sonntagmorgen.
Man spürt die reine, klare Luft. Etwas Moosiges mischt sich in die Komposition und macht den Duft dunkler. Er wird herb und bitter. Enzianwurzel eben. Aromatisch, ein wenig erdig, aber sehr, sehr trocken.
Die Iris passt sich dem Gesamtbild an und kommt hier nicht blumig, sondern pudrig, mit der Würze von - ich würde sagen - Waldholz.
Ich finde es angenehm, dass dieser Duft nichts Verspieltes oder Fruchtiges hat, sondern sozusagen seiner Linie die ganze Zeit treu bleibt.
Besonders schön wird es, wenn der Weihrauch sanft ins Spiel kommt. Er lässt mich an silbrige Nebel über Bergwäldern denken und gibt dem Ganzen einen feinen, wohldosierten mystischen Touch, der schließlich in der leisen Moschusnote ein – doch ganz kleinwenig süßes - Happyend findet.
Für mich ist EdGb ein Sommerduft, der Erinnerungen an Bergwanderungen weckt, an Felsen, Klettersteige, die Natur in ihrer unberührten Form – schön, eindrucksvoll, aber für akrophobe Stadtmenschen in diesen Höhen auch stets ein wenig bedrohlich. Das alles schwingt mit im EdGb, ohne das Bedrohliche, versteht sich. Es bleibt also angenehm spielerisch. Und das ist gut so.
Gerade in einem Sommer wie diesem, wo es zumindest für mich keinen Urlaub geben wird, obwohl es jetzt einfach wunderbar wäre in den Bergen, bietet EdGb einen kleinen Ersatz. Ich habe eine gute Wahl getroffen.
Nach all dem Lob für diesen außergewöhnlichen Duft, sollte ich aber nicht verschweigen, dass Sillage und Haltbarkeit auch bei diesem Cologne von Hermès enttäuschen. Der Duft hat etwas Eindrucksvolles, das sich diesbezüglich mehr Intensität verdient hätte.
Meist findet sich das in zitrischen Düften. Doch so spritzig und belebend die auch sind, wünscht man sich auch Abwechslung vom Zitronenhain. Mir ging es jedenfalls so. Auf der Suche nach einem Sommerduft, der ohne Zitrisches erfrischt, stieß ich auf Eau de gentiane blanche, ein Cologne von Hermès, kreiert von Großmeister Jean-Claude Ellena. Von Zufall kann ich hier nicht wirklich sprechen. Mein letzter Sommerduft, Concentré de Pamplemousse Rose, stammt ebenfalls von Ellena, genau wie Un jardin sur le Toit, das ich seit Monaten gerne trage. Von daher und nach den Beschreibungen wage ich einen Blindkauf. Auf ebay um wohlfeile € 58,82.
Ich gebe es zu: Ich bin ich kein Fan von Abfüllungen, bei denen man nie genau weiß, was man bekommt, und die – hochgerechnet – meist teurer sind als das Original. Außerdem liebe ich den Moment, wenn ich die Zellophanhülle eines Parfums öffne – überhaupt, wenn es ein Blindkauf ist -, und ich den Duft das erste Mal erlebe. Vielleicht brauche ich diesen Kick, die Überraschung, das Neue. Zum Glück habe ich bisher meinen Gefühlen vertrauen können und bin bis auf ein einziges Mal (Oud al Misk) nicht enttäuscht worden.
EdGb stand schon lang auf meiner Wunschliste. Was ich bisher über diesen Duft gelesen habe, hat mich neugierig gemacht. Ich mag Düfte, die neue Eindrücke bringen. Beim EdGb hoffte ich, das zu finden – einmal kein Zitrusduft, aber trotzdem erfrischend, und keine Blümchen-Süße. Der Duft wird meist mit Berglandschaften und Gebirgsbächen assoziiert. Es werden ihm Reinheit, Klarheit und Ruhe zugeschrieben.
Welche Erfahrungen werde ich damit machen?
Zunächst der Flacon – wie so oft bei Hermès der berühmten Kutschenlaterne nachgebildet, unterscheidet er sich durch seine dunkle Farbe von den meisten anderen der Cologne-Serie. In seiner Mischung aus Dunkelgrün und Rauchgrau sieht er schon sehr ehrfurchtgebietend aus.
Ich sprühe den Duft auf. Kühle, trockene Frische. „Ich werde in die Tannen geh'n“, ist meine erste Assoziation. Nicht etwa, weil EdGb nach Tannennadeln duftet. Es ist eher das Gefühl, in eine – ich sag mal – wildromantische Berglandschaft katapultiert zu werden. Der Mischwald ist hier bereits einem Nadelwald gewichen. Der hält es auch in hohen Höhen aus, wo andere Bäume respektvoll zurückbleiben.
Es ist keine realistische Alpinlandschaft. Mehr wie diese japanischen Bilder in Grautönen von Hochwäldern und Bergen, bei denen man nie weiß, ob sie Fotos oder Aquarelle sind.
Nadelbäume, die immer spärlicher werden, je weiter es hinaufgeht. Schroffe, steile Felsen, an denen Nebelschwaden hängen.
In die Tannen geh'n. Ja, das trifft es. Ich denke an das Video „Ohne dich“. Da findet sich ja alles: der klare Gebirgsbach, die schroffen Felsen, in denen sich Lindemann & Co in sehr malerischen Retro-Bergsteigerklamotten am Seil kletternd den Mühen des Aufstiegs stellen. Rammstein lieben es heroisch. Sie spielen mit Pathos. Und was kann pathetischer sein als ein Bergdrama mit Schneesturm, wortlosen, bedeutungsschweren Blicken und das unausbleibliche Unglück. Till Lindemann stürzt in die Tiefe, bleibt schwer verletzt liegen und wird am nächsten Tag von seinen Kameraden – nein, natürlich nicht ins Spital - auf den Gipfel geschleppt. Ein letzter Blick aufs imposante Bergpanorama, dann schließt er in diesem Filmchen für immer seine Augen.
Der gewollt schwülstige Text entspricht den Bildern. Ich habe mich immer gefragt, wo Lindemann diese altertümlichen Redewendungen und Ausdrücke hernimmt. Als Germanistin sehe ich natürlich Bezüge zur Sprache der Romantik. Vielleicht liest er täglich in „Des Knaben Wunderhorn“ (oder hat einen fleißigen Assistenten – kann freilich auch eine Assistentin sein, der/die das für ihn erledigt). Die Märchen der Brüder Grimm wird er als Kind einer Journalistin und eines Autors ebenfalls verinnerlicht haben.
Gerade die Lyrics zu „Ohne dich“ wurden zahlreich zu interpretieren versucht. Da finden sich die abstrusesten Deutungen - von Umweltschutz über Suizid und Kokain bis zu Soldaten (?!) und Mord an der Gefährtin ... Ich habe lächeln müssen, wie ernst der Text genommen wird. Und dass niemand zu erkennen scheint, wie viel romantische Ironie und Augenzwinkern dahinterstecken - wie so oft, wenn nicht immer, bei Rammstein.
Nein, ich bin nicht vom Thema abgekommen. Ganz im Gegenteil. Denn auch EdGb spielt mit pathetischen Versatzstücken. Schon der Name „Wasser des Weißen Enzians“ evoziert alpine Assoziationen, obwohl es eigentlich der berühmte blaue Enzian ist, dem man im Gebirge begegnet.
Möglich, dass der Gelbe Enzian, aus dessen Wurzel der beliebte Enzianschnaps gebrannt wird, in Frankreich Weißer Enzian genannt wird. Oder es handelt sich um einen Albinoenzian? Auf jeden Fall passt das Weiß besser zur Stimmung des Dufts als dieses unverschämt strahlende Blau der Gentiana.
Der Duft hat wirklich etwas von der Stimmung des „Ohne dich“-Videos. Er versetzt uns in eine Gebirgslandschaft, die, vielleicht abgesehen vom Rauschen des Windes, ruhig ist – zumindest singen auch hier die Vögel nicht mehr -, aber keineswegs lieblich. Wir befinden uns im Hochgebirge, das per se schon ein Bereich latenter Gefahren ist, wie die Autorin dieser Zeilen bei diversen Bergtouren selbst erlebt hat.
Die Landschaft, die hier suggeriert wird, hat etwas Erhabenes, Majestätisches, Wildes.
Auch der völlig unsüße Duft wirkt elitär, strahlt puristische Strenge aus.
Die trockene Kühle der Kopfnote erinnert an Papyrus. Aber es wäre nicht Jean-Claude Ellena, würde nicht eine gewisse grasige Note auftauchen. Oder besser gesagt, Heu-Nuance. Im Tal hat man wohl heute gemäht. Der Duft des Heus dringt bis hinauf an die Grenzen der Vegetationszone. Freilich ist das kein intensiver Heuduft, sondern nur ein Hauch, der vorüberweht wie Glockengebimmel am Sonntagmorgen.
Man spürt die reine, klare Luft. Etwas Moosiges mischt sich in die Komposition und macht den Duft dunkler. Er wird herb und bitter. Enzianwurzel eben. Aromatisch, ein wenig erdig, aber sehr, sehr trocken.
Die Iris passt sich dem Gesamtbild an und kommt hier nicht blumig, sondern pudrig, mit der Würze von - ich würde sagen - Waldholz.
Ich finde es angenehm, dass dieser Duft nichts Verspieltes oder Fruchtiges hat, sondern sozusagen seiner Linie die ganze Zeit treu bleibt.
Besonders schön wird es, wenn der Weihrauch sanft ins Spiel kommt. Er lässt mich an silbrige Nebel über Bergwäldern denken und gibt dem Ganzen einen feinen, wohldosierten mystischen Touch, der schließlich in der leisen Moschusnote ein – doch ganz kleinwenig süßes - Happyend findet.
Für mich ist EdGb ein Sommerduft, der Erinnerungen an Bergwanderungen weckt, an Felsen, Klettersteige, die Natur in ihrer unberührten Form – schön, eindrucksvoll, aber für akrophobe Stadtmenschen in diesen Höhen auch stets ein wenig bedrohlich. Das alles schwingt mit im EdGb, ohne das Bedrohliche, versteht sich. Es bleibt also angenehm spielerisch. Und das ist gut so.
Gerade in einem Sommer wie diesem, wo es zumindest für mich keinen Urlaub geben wird, obwohl es jetzt einfach wunderbar wäre in den Bergen, bietet EdGb einen kleinen Ersatz. Ich habe eine gute Wahl getroffen.
Nach all dem Lob für diesen außergewöhnlichen Duft, sollte ich aber nicht verschweigen, dass Sillage und Haltbarkeit auch bei diesem Cologne von Hermès enttäuschen. Der Duft hat etwas Eindrucksvolles, das sich diesbezüglich mehr Intensität verdient hätte.
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