…. doch noch ein Nachsatz zu Terre d'Hermès Eau de Parfum Intense.
Seit Christine Nagel 2014/2016 bei Hermès die Nachfolge / Neuausrichtung angetreten ist, wurde immer wieder spekuliert wie komplizierte diese Angelegenheit wohl sein mag, so sehr hat der ewige Roudnitska Fan Ellena [das letzte Mal explizit und gut bei Muguet Porcelaine (2016)] seinem reduktionistischen Stil dort perfektioniert, bzw. dem Haus und Publikum verordnet. Ellena fühlte sich in der Rolle des 'intellektuellen' Parfumeurs ja auch sichtlich wohl.
Wie und was der Nagel Stil sein könnte ist mir noch nicht klar, sie erscheint mir als eine mit vielen Wasser gewaschene Parfumeurin und zutiefst erfahrene Autorin der so ein singulärer Abdruck möglicherweise auch gar nicht so wichtig ist, aber auch das ist reinste Spekulation. Für meinen Geschmack war unter ihren ersten Arbeiten für Hermès viel Mittelmass dabei. Die 'exklusiven' aber doch gewöhnlichen und zu spät wirkenden Oud Interpretationen, die obligatorische Leder Variation, bzw. auch Grenzwertiges, wie das reinrassige woody amber, Eau de Citron Noir (2018). Seit der Veröffentlichung von H24 (2021) tut sich aber scheinbar was, zumindest vereinzelt, was vielleicht als ein neuer Nagel Pfad ausgelegt werden könnte, den ich mal als artifiziell/klassisch bezeichne: ganz vorne Weg ist H24 (2021) in der ersten Eau de Toilette Form, ein reduziertes Muskatellersalbei Labor-Gewächs mit 'moderner' Reinigungsnote, dann Un Jardin à Cythère (2023), eine Art savory Teig-Gourmand samt versteckten Zitronat Stückchen, und jetzt eben Terre d'Hermès Eau de Parfum Intense, der bislang eigenständige Flanker des Hermès Flaggschiff der diesem eine Kaffee/Lakritz = Liebstöckel / Immortelle-esque Färbung aufsprüht.
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Vor knapp einem Jahr überraschte mich Mathilde Laurent mit Pasha de Cartier Noir Absolu (2023), einer Interpretation des Cartier Klassiker, der so ganz und gar nichts mehr mit dem 'Original' zu tun hat (was nichts Neues ist, Düfte wie Platinum Égoïste (1993), Insensé Ultramarine (1994) oder Body Kouros (2000) hatten alle auch kaum was mit den 'Originalen' am Hut), und vielmehr, der auch schon auf Noten setzte, die bislang eher bei Autor*innen Parfumerie, Kleinst-Labels etc. zu finden waren. In diesem Fall eine Ahornsirup-artige Note in Verbindung mit üppig in Kräuterbittern eingelegten Nelken und leicht stechender Ammoniak-artigen Eröffnung obendrein.
So weit geht das Terre d'Hermès Eau de Parfum Intense nicht, aber was hier mit Kaffee und Lakritze beschrieben ist - eine mehr abstrakte als konkrete Annäherung zu diesen Kategorien - und auch mir Liebstöckel-artig vorkommt, was sich aus dieser Perspektive wiederum über fünf Ecken zu Immortelle-artigen Deskriptoren weiterführen lässt, ist im Hermès Kontext Neuland und für Terre Fans vermutlich die reinste Häresie.
War Liebstöckel doch eine Note die eher in special interest Düften wie Series Luxe: Patchouli (2007) oder Skarb (2008) vorkam, aber dabei ausgerechnet auch in einer Arbeit aus dem erweiterten Ellena Umfeld recht prominent erscheint: Sel de Vétiver (2006) - von dem gerne gemunkelt wird dass es eventuell von Jean Claude begonnen, aber nach Antritt seiner Anstellung bei Hermès, von seiner Tochter Céline fertig gestellt wurde. Hier bewirkt Liebstöckel die zentrale Modulation der Vétiver / Grapefruit Note. Das ist nicht unwesentlich, bedenkt man die Funktion von Vétiver (wie Grapefruit) im ersten Terre. Nagel wiederum, war für Nina Ricci's Mémoire d'Homme (2002) mitverantwortlich, ein Duft der vielleicht im Zuge von Yohji Homme (1999) deutlich auf Süßholz setzte und dazu leichte Kaffee Facetten aufwies. Also vielleicht teilweise eine Art Selbstzitat? Oder doch ein Kommentar auf derzeitige Kaffee Noten samt Lakritz Trends, wie diese sogar schon bei Sauvage Flankern vorkommen? Kann sein, aber mindestens genau so interessant ist wie sehr grosse Marken derzeit den 'underground' beobachten, und diese Ableger von populären Parfums als Testbeet dienen.
Somit zurück zu diesem Terre - dieser Auftakt, mag man oder nicht, wird von etwas herben Bergamotte Abrieb aufgefrischt und schnell integriert sich alles mit einer dunkleren (Bitter)Orangen Note, die das original Terre (2006) ebenso zitiert wie den Klassiker Eau d'Orange Verte (1979) - also das so ikonographische Hermès Orange. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sollte das Terre Stammpublikum wieder versöhnt sein, und die Mischung aus Noten bzw. aus Neuem und Referenz passt erstaunlich gut. Eine interessante wie eigene Perspektive auf den Klassiker.
Die neue Trockenheit (reprise):
Bei einer Phantasienote mit Namen wie Vulkantik, was die mittlerweile nicht mehr tragbare 'mineralische' Note ersetzt, die ja bei der Einführung von Terre weit weniger negativ besetzt war bzw. noch neu war, schauderte es mir etwas. Und ja, leider brodelt etwas hinter oder unterhalb der so guten Verbindung aus würzig ockeren Orangen und Terre Fragmenten. Nicht dass das es zum allgegenwärtigen mineralischen Prickeln ausufert, aber diese Trockenheitsnote, die mir schon bei hoher Luftfeuchtigkeit das ansonsten sehr schöne Point du Jour (2024) verleidet hat - siehe meinen Text dazu - ist auch hier mit im Spiel. Ich muss Point du Jour im Nachhinein zu Gute halten dass dieser nervige Aspekt nur bei hohen Temperaturen / und sehr hoher Luftfeuchtigkeit zur Geltung kommt. Bei Terre nehme ich die Trockenheit bereits bei knapp 20 Grad Celsius und 48 % gemessener Luftfeuchtigkeit war. Hier stellt sich die Frage wie sich diese Charakteristik bei höheren Werten bemerkbar macht - werde ggf. im Sommer diesen Text nochmal aktualisieren.