Einen neuen Duft auszuprobieren, ist für mich immer spannend. Diesmal sogar besonders. Denn meinem Testkandidaten wird nachgesagt, dass er positive Energien freisetzen soll. Wie er das macht und woher er sie nimmt, wird nicht verraten. Doch einen Hinweis gibt es: Bei dem Duft handelt es sich um Albero di Giada von L’Erbolario Lodi. Das ist der Jadebaum (Portulacaria afra), auch Geld- oder Pfennigbaum genannt, den so gut wie jeder kennt. Das Gewächs mit dem dicken Stamm aus weichem Holz ist zwar ein waschechter Afrikaner, jedoch zunehmend auch bei uns beliebt – als Bonsai oder Indoor-Zierpflanze. Im Herbst schmückt sich das Bäumchen mit kleinen, weißen, sternförmigen Blüten. Ihre Essenz ist aut Angabe des Herstellers im Parfum enthalten.
Der auch als Schillingbaum bekannten Sukkulente wurde schon im Altertum eine besondere Bedeutung zugeschrieben: Als Zimmerpflanze soll er – so er gedeiht – Wohlstand, Glück und Geldsegen bringen.
Ich hab gerade etwas Flüssigkeit aus meinem Probebriefchen aufgetragen – und warte nun darauf, dass Glück und Wohlstand bei mir einkehren. Bis dahin lasse ich den angenehmen neuen Duft auf mich wirken. Die ersten Eindrücke sind – interessant. Zunächst kommt mir der Duft ein wenig synthetisch vor – oder zumindest eigenwillig. Verschiedene Duftnoten entfalten sich, scheinen jedoch eher um die Vorherrschaft zu ringen, als eine harmonische Symbiose einzugehen. Das ist für mich etwas irritierend. Denn einmal erscheint mir der Duft ausgesprochen süß, dann drängt sich das grüne, frische Element in den Vordergrund. Aha, Blätter und Gräser sind also das Leitmotiv dieses Dufts …! Aber kaum hab ich diesen Ariadne-Faden durch das Labyrinth gefunden, wird’s plötzlich - surprise, surprise - ganz zitrisch. Auffallend zitrisch sogar. Für mich kommt diese Zitrusnote allerdings nicht von der Bergamotte, die angeblich ebenfalls im Duftbouquet enthalten ist, sondern von der Verbene, dem Eisenkraut, das schon in der Antike bei religiösen Mythen verwendet wurde. Es ist also nicht das heitere, leichte, fruchtige Aroma der Bergamotte, mit dem wir es hier zu tun haben, sondern eine eher „krautig“ riechende Zitrone. Bergamotte ist hingegen nur im Hintergrund anwesend, ohne eine starke Präsenz zu entwickeln.
Die gelbe Rose zieht kurz vorbei, lächelt ein mehr gehauchtes Hallo herüber – und verzieht sich wieder. Leider, leider … Denn sie war wunderbar weich und von anmutiger Süße. Der weiße Tee ist noch schwieriger auszumachen. Ich schätze diesen Duft, aber für diese Duftmischung ist er wohl zu schwach, um überhaupt bemerkt zu werden. Wie die Blüten der Jade-Pflanze riechen, weiß ich nicht. Ich denke aber, dass dieses olfaktorische Konglomerat aus grünen Gräsern und frischen Blättern ihnen seine Existenz verdanken könnte. Amber erkenne ich hier nur als eine Art „Begleitzutat“, die kein wirkliches Eigenleben entwickelt.
Was von alledem bleibt, ist die Dualität zwischen Grünnoten und der Zitrusfrische von Verbene. Die beiden streiten sich sozusagen um den Vorrang. Letztlich zeigen sich die Grünnoten als längerlebig. Es festigt sich schließlich der Eindruck eines eleganten, seifigen bis cremigen Duftes, der seine Trägerin gepflegt und sauber erscheinen lässt.
Kein Zweifel, der Duft „hat was“; er ist reizvoll, ich schnuppere ihm gern hinterher, weil er mich neugierig macht. Aber irgendetwas scheint mit dem Aufbau, der Duftpyramide nicht so ganz zu stimmen. Der Duft wirkt für mich „unfertig“. Er erzählt keine kongruente Geschichte in seinem Verlauf. Er irrlichtert ein wenig herum, als suche er sich selbst oder einen Weg aus dem Chaos. So etwas kann spannend sein. Hier irritiert es aber eher, weil der Duft, wie ich ihn empfinde, harmonisch sein will, sanft, weich, lieblich, anmutig, feminin. Dies vermittelt er übrigens am ehesten, wenn die gelbe Rose wieder einmal kurz vorbeischaut.
So, wie der Schillingbaum bei uns nicht heimisch ist, outet sich auch der Duft als irgendwie fremd – eine schöne chinesische Prinzessin aus einem Märchen, kostbar in bunte Seide gehüllt, interessant, reizvoll, aber auch distanziert und kühl – ohne dass sie das vielleicht sein möchte. Und so warten wir alle auf ein Happyend: die chinesische Prinzessin mit Hang zur Harmonie, ich, als verwirrte Userin und viele andere mit uns wohl ebenso. Wir warten auf Giada 0.2, das alle Versprechungen einlösen und die vielversprechende Story zu Ende erzählen wird. Wir wünschen uns natürlich ein glückliches Ende, bei dem sich alles in Harmonie und Heiterkeit auflöst. Doch bis dahin scheint es noch weit zu sein. Daher würden wir uns notfalls sogar mit irgendeinem Ende zufriedengeben, wenn es auch nicht ganz so happy ist, wie wir es gern hätten.
Das alles bringt mich abschließend zu der Frage: Für wen ist dieses Parfüm gedacht, wann könnte man es tragen? Nun ja, ich würde es nicht bei geschäftlichen Terminen verwenden. Dazu hat es zu viel Märchenhaftes – allerdings kommt das Fantastische nicht unbedingt aus einer zarten Romantik, sondern eher aus einem Manga mit schrillen Farben – an die auch das auffallende Grün der Verpackung und Flasche erinnert. So gesehen, ist der Duft keineswegs retro oder nostalgisch. Allerdings geht ihm zu rasch der Atem aus. Zuletzt bleibt nur der Eindruck von etwas undefinierbar Cremigem, leicht Süßem, das gepflegt und dezent wirkt, aber eben diffus bleibt, als könne oder wolle es sich nicht entscheiden. Mir fehlt die Persönlichkeit in diesem Schleiertanz.
Obwohl der Duft starke zitrische Akkorde hat, sehe ich ihn nicht unbedingt als erfrischenden Sommerduft. Ich würde ihn vielleicht noch am ehesten Ende des Sommers und im Frühherbst tragen. Aber ich bin derzeit noch keineswegs entschlossen, mir dieses Duftwasser zuzulegen. Mir hat das Ganze zu wenig Substanz. Ich besitze schon einen relativ markanten Duft von L’Erbolario, den ich interessant finde: Ambraliquida. Ich mag es kurz nach dem Aufsprühen, wenn es sich kraftvoll entfaltet, am liebsten. Doch wie das Albero di Giada hat auch das Ambraliquida eine enttäuschend kurze Haltbarkeit. Ich werde den Duft daher wahrscheinlich nicht nachkaufen.